Junge Welt 05.06.1991

 

Paule P. ist ausgewandert

Thomas Pilz

 

PANKOW: Einst als Polit-Kultband von „Kultivierung“ bedroht – heute schlichte Rockband 

Der Urwald von Pankow erhebt sich aus einer Kleingartenwildnis im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen. Ungefähr 20 Quadratmeter Musik-Dschungel in der Probenhöhle der Rockband. Kilometer von Lianen lassen Kriechströme von Boxen und Verstärkern zu Mikrophonen hangeln. Die Woodoo-Trommeln warten im Gestrüpp der Kabel auf die Beschwörung des Grooves.

Aber der Urwald von PANKOW schweigt. Kein „Aufruhr in den Augen“ blitzt aus Rebellengesichtern. „Paule Panke“ ist sowieso längst ausgewandert. Die Band aber ist geblieben, probt gelassen und frei von Sentimentalität den eigenen Aufbruch in die neue Welt. Eigentlich erinnern nur noch fossile Fotos an die Gewitter von einst. Die Götter schickten Blitze, drohten mit Verboten, Rodung und „Kultivierung“. PANKOW überstand alle Wetter. Windstille herrscht, als die Band nun die letzten anderthalb Jahre Revue passieren lässt. „Das wichtigste Ereignis in jener Zeit, Andrè Herzbergs Ausscheiden, hat weder mit der Wende noch mit Herzbergs privater Befindlichkeit zu tun“, erinnert sich Jürgen Ehle an die bittere Trennung vom Frontmann. „Im Winter nach der Wende ist Andrè über `n großen Teich. Um Filme zu machen. Als er wieder zurückkam, trennten wir uns. Die Interessen hatten sich zu sehr verschoben.“

Keyboarder Rainer Kirchmann ergänzt: „Im Grunde hatte die so genannte Wende keine Auswirkungen auf die Bandseele. Wir machten gerade eine Scheidung durch, da waren wir zu sehr beschäftigt.“ PANKOW brauchte letztlich gar nicht um Auftritte zu bangen. Es musste sowieso was völlig Neues gemacht werden. „Plötzlich kam im Sommer `90 ein Angebot, in der Schweiz zu touren, unter einer Bedingung. Mit Andrè!“

 Die Distanz, mit der Jürgen das sagte… „Erstaunlicherweise ging `s, obwohl die Fronten zwischen uns verhärtet waren. Vielleicht liegt es daran, dass ich“, Ehle lächelt kokett, „mich mit Andrè besonders schlecht oder besonders gut verstehe.“

Schließlich trieb es Ingo Griese, den Basser, ebenfalls über den Teich, nach Los Angeles. „The Mission“, jene bekannte Wave-Band, wollte ihn haben. Jens Schulz, eigentlich ein leidenschaftlicher Gitarrist, bot sich an, Baß und eben auch Klampfe zu spielen. Jürgen fand das spannend. „Ich glaube sogar, dass zwei E-Gitarren mehr Dampf und Druck erzeugen als die Baß/Gitarre-Aufteilung.“

PANKOW durchlitt in der Zeit der Umkrempelung aller Verhältnisse nicht jene viel beschworene schöpferische Krise. Im Mikroklima des eigenen Urwaldes raufte die Gruppe sich zusammen, schuf neue Songs. Nur zwei alte Lieder sind noch im neuen Programm. Und beide Titel peitscht Stefan Dohanetz unerbittlich über die Rampe. Nichts Sentimentales bleibt. Nach vorne treibt der Sound. PANKOW - Lieder sind verspielter, lebhafter geworden. Es wird ausführlicher musiziert. Die Texte reflektieren poetischer und entspannter die Gefühle. Kein Benutzen politischer Versatzstücke oder platter Reizworte mehr.

„Damals wollten wir zuallerletzt Politikum sein“, erklärt Jürgen. „Wir sind dazu gemacht worden. Die Funktion, etwas an Botschaften zwischen die Zeilen zu schmuggeln, die haben wir Gott sei Dank nicht mehr. Wir haben jetzt eher die Möglichkeit, schlicht Kunst zu machen.“ Gelassen und selbstbewusst stehen die PANKOW - Leute in ihrem Mini-Urwald. Und Unruhe verbreitet inzwischen nur der Gedanke, dass die fünf Büchsen Bier, die Stefan erbeutet und serviert hat, im Treibhaus Hohenschönhausen mittlerweile `nen Hitzschlag kriegen.