Melodie & Rhythmus 7 / 1990

 

Keine Schonzeit mehr für DDR-Rock

ADN / Junghänel

PANKOW Gitarrist Jürgen Ehle über Perspektiven

Die Schonzeit für Rockmusik in der DDR ist vorbei. Längst versorgen sich Plattensammler in den West-Shops mit begehrtem Vinyl, touren auswärtige Bands zwischen Ostsee und Thüringer Wald. Einheimische Rock-Heroen werben nicht mehr unter sich um die Gunst des Publikums, sondern kämpfen neben Super Stars, von Phil Collins bis Tina Turner, um Anerkennung bei den Fans.

  "Die Konkurrenz mit dem internationalen Markt kann für unsere Szene nur gut sein", äußerte JÜRGEN EHLE, "zu lange haben DDR-Bands im eigenen Saft geschmort, wurde Mittelmäßigkeit mit hohen Gagen belohnt. Jetzt ist alles offen; wer überleben will, muss Qualität bieten."

Vor kurzem haben sich Musiker der DDR ihren eigenen Fachverband "Musikszene" geschaffen. Er ist sowohl für Profis als auch für Amateure in den Bereichen Rockmusik, Jazz und Liedermacher offen. Noch tun sich die Künstler mit der neuen Vereinigung schwer.

"Manche Kollegen aus der Republik misstrauen unserem Verband", bemerkte EHLE. "Sie haben Angst, alte Strukturen des ehemaligen Komitees für Unterhaltungskunst würden weiterwirken, zudem beargwöhnen sie den vermeintlichen Berlin-Zentralismus des Fachverbandes."

Regionale Rock-Verbände haben sich mittlerweile in Dresden, Weimar, Stralsund, Magdeburg, Leipzig und Berlin-Brandenburg gegründet.

"Das hält uns nicht davon ab, unsere Ziele, die im übrigen mit denen der territorialen Verbände weitgehend übereinstimmen, bei den entsprechenden Adressaten immer wieder vorzubringen. Zuerst geht es uns darum, eine ins Haus stehende Monopolbildung auf dem Veranstaltungssektor zu verhindern. Das aus der FDJ hervorgegangene Unternehmen "Power-Music" versucht mit nicht genau zu durchschauender finanzieller und organisatorischer Hilfe aus dem Westen als alleiniger Vermittler von Bands für große Spielstätten in der DDR sich zu etablieren. Das widerspricht aufs gröbste unseren Auffassungen von demokratischer Kultur und freiem Markt", meint EHLE. "Wichtig ist es uns, auch die Präsent nationaler Rockmusik in den öffentlich-rechtlichen Medien zu sichern."

"Die Dominanz anglo-amerikanischer Popmusik in den bundesdeutschen Sendern kann da kein Beispiel sein. Nehmen wir mal Frankreich, dort müssen 60 Prozent der gesendeten Musik aus nationaler Produktion stammen. Unsere Forderung an DDR Sender ist eine Quotierung von zwei Dritteln Medienanteil für europäische Kunst, und davon wiederum ein Drittel für landeseigene Interpreten und Gruppen."

Im Veranstaltungsalltag streben die DDR-Rocker eine Differenzierung zwischen in -und ausländischen Bands an. Konzerte internationaler Stars sollten nicht mehr subventioniert, sondern extra besteuert werden. Die so eingenommen Mittel könnten dann der Entwicklung der nationalen Kultur zugute kommen. Die Eintrittspreise müssten generell der Nachfrage angepasst werden.

Der Verband "Musikszene" sieht sich - trotz Papierkram und langem Weg durch die Institutionen - auch als Verein mit ganz praktischen Ambitionen. Für den Frühsommer organisierte "Musikszene" die Lied -und Kleinkunstmesse "Bunter Hahn" in Frankfurt/Oder ( ehemals Chansontage ). Im Herbst ist ein Heavy-Rock-Festival in Thüringen oder Sachsen geplant, ein gemeinsam mit dem westdeutschen "Fachblatt" veranstaltetes Rockfestival in mehreren Städten der DDR steht ebenfalls an, und diverse Verbandsmitglieder ( unter anderem Gerhard Schöne, Barbara Thalheim, die Gruppe PANKOW ) engagieren sich für das UNESCO-Projekt "Künstler für Kinder".

Ideen gibt es genug, so beispielsweise für die Nutzung der Gemäuer des "Pfefferberges" an der Schönhauser Allee als Rock -und Jazzklub. Zukunftsmusik, die bei Leuten im Unterhaltungsgeschäft große Resonanz finden dürfte, ist auch das Projekt einer Pension für Künstler. Dort könnten dann musische Nachtarbeiter endlich ausschlafen und auch 12.00 Uhr mittags noch ein ordentliches Frühstück bekommen ...