03.11.2007 / Inland / Seite 4

Preis für »Herdprämie«

Konservatives »Familiennetzwerk« will thüringischen Ministerpräsidenten ehren. Gewerkschaften ziehen negative Zwischenbilanz nach einem Jahr Landeserziehungsgeld

Von Holger Elias
Kindergarten: Für das Familiennetzwerk der Ort, an dem lebenslan
Kindergarten: Für das Familiennetzwerk der Ort, an dem lebenslange Traumata entstehen
Das »Familiennetzwerk Deutschland« will den thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) für die Familienpolitik des Landes mit dem Matejcek-Preis auszeichnen. Er soll Althaus am 11. November in Berlin überreicht werden. Zur Begründung heißt es, mit der »Thüringer Familienoffensive« habe der Ministerpräsident auf eine kindbezogene Familienpolitik gesetzt. Der Preis ist nach dem 2004 verstorbenen tschechischen Kinderpsychologen Zdenek Matejcek benannt.

Seit Juli 2006 erhalten Familien in Thüringen ab dem zweiten Geburtstag ihres Kindes das Landeserziehungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich – wenn sie ihren Sprößling ein weiteres Jahr zu Hause betreuen. Schicken sie ihr Kind in einen Kindergarten, geht die Summe dorthin. Das Land hat damit eine Leistung bereits eingeführt, wie sie mit dem Betreuungsgeld insbesondere von der CSU auch auf Bundesebene für Eltern gefordert wird, die ihre Kinder in den ersten Jahren zu Hause erziehen. Davon macht die Partei ihre Zustimmung zum von der Bundesregierung beschlossenen Ausbau der Betreuungsangebote für unter Dreijährige abhängig.

Von Beginn an gab es in Thüringen Auseinandersetzungen um das Projekt. Selbst in der regierenden CDU fürchteten manche das Aus für kleinere Einrichtungen und warnten davor, daß sozial Schwache ihre Kinder nunmehr vor dem Fernsehgerät deponieren würden, um an die 150 Euro zu kommen. Gegner der »Familienoffensive« hatten deshalb einen Trägerkreis »Volksbegehren für eine bessere Familienpolitik in Thüringen« gegründet und einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet. Das Ziel: Die 150 Euro sollten gestrichen und dafür die Kindergärten wieder stärker gefördert werden.

Was das »Familiennetzwerk« in den höchsten Tönen lobt, wird vom Deutschen Gewerkschaftsbund als verfehlt gegeißelt. Während in allen anderen Altersgruppen (0 bis 2 Jahre und 3 Jahre und älter) der Anteil der Kinder, die in Kindergärten betreut werden, gestiegen sei, sank der Anteil in der Altersgruppe der Zwei- bis Dreijährigen, argumentierte beispielsweise die Landesfrauensekretärin des DGB, Silke Bemmann, die sich auf die gerade veröffentlichten Zahlen des Statistischen Landesamtes bezog. Damit hätten sich die Befürchtungen bestätigt, daß das Erziehungsgeld nicht mehr sei als eine Prämie für das Zuhausebleiben, sagte sie.

Gleichzeitig wurden die Mittel für die Betreuungseinrichtungen im Rahmen der »Offensive« massiv gekürzt. Die Kommunen holen sich das fehlende Geld nun von den Familien: Für viele Kindertagesstätten im Freistaat wurden im vergangenen Jahr die Elternbeiträge erhöht, weiß Bemmann. Allein im Landkreis Eichsfeld drehten 58 der 84 Einrichtungen an der Beitragsschraube.

Für den thüringischen Ministerpräsidenten dürfte der Orden letztlich von zweifelhaftem Wert sein: Das »Familiennetzwerk«, zu dessen prominenten Mitgliedern Eva Herman gehört, wird sogar von anderen konservativen Organisationen kritisiert. Selbst der »Familienbund der Katholiken« lehnt eine Zusammenarbeit mit der einseitig die Erziehung zu Hause propagierenden Organisation ab.

Unmittelbar vor der Auszeichnung von Althaus wird übrigens der Heidelberger Präventionsmediziner Ronald Grossarth auf einem vom Familiennetzwerk ausgerichteten Symposium in der Katholischen Akademie Berlin die Ergebnisse einer von ihm durchgeführten Studie zur Bedeutung frühkindlicher Bindung vorstellen. Das »überraschende« Ergebnis der Unter-suchung: »Voraussetzung für seelische und körperliche Gesundheit bis ins hohe Alter ist eine konstante, traumatisch nicht unterbrochene Mutter-Kind-Beziehung«. Das Netzwerk geißelte unter Berufung darauf die Politik der Bundesregierung, die derzeit »jede Möglichkeit« wahrnehme, diese Bindung »zu schwächen und in ihrer Bedeutung zu entwerten«.

Am 12. November veranstaltet das Netzwerk zudem eine Podiumsdiskussion zum Thema »Stabile Familie – stabile Gesellschaft: Wieviel Betreuungsgeld brauchen Familien«. Zugesagt haben bereits der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer und Christa Müller. Die familienpolitische Sprecherin der Linken im Saarland fordert ein bis zum 20. Lebensjahr eines Kindes zu zahlendes »Erziehungsgehalt« für zu Hause bleibende Eltern, also in erster Linie Mütter. Die Linkspolitikerin hatte ihrerseits Ende September dem Netzwerk nahestehende »Bindungsexperten« zu einer von ihr initiierten familienpolitischen Konferenz der Linken in Saarbrücken eingeladen.

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