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Eidgenössisches Departement für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz und Sport

Bundesrat Samuel Schmid - Interviews und Artikel 2006

"Ich bin überzeugt, das Richtige zu tun"


Bundesrat Samuel Schmid,
Chef des Eidgenössischen Departements für
Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS)
im Interview mit der NZZ am Sonntag, erschienen am 14.05.2006.
Das Interview führten Heidi Gmür und Markus Häfliger

Verteidigungsminister Samuel Schmid relativiert die Kritik seines Kollegen Joseph Deiss am Klima im Bundesrat. Er verteidigt seine Armeedoktrin und rechtfertigt die vielen Untauglichen



NZZ am Sonntag: Sie sind ein Jahr nach Joseph Deiss in den Bundesrat gewählt worden. In einem Jahr wäre also Ihr Rücktritt fällig.

Samuel Schmid: Es ist mir neu, dass die Deiss'sche Einheit ein Parameter ist für den Bundesrat. Das war sein persönlicher Entscheid, der ist zu respektieren.

Was verliert der Bundesrat durch den Rücktritt von Deiss?

Ich habe nicht über Kollegen zu urteilen.

Sie könnten ihn würdigen.

Ich bedaure seinen Rücktritt. Wir haben uns gut verstanden, auch wenn wir nicht immer gleicher Meinung waren. Deiss hat internationale Beziehungen und ökonomisches Fachwissen eingebracht, das tat gut.

Deiss beklagt das Klima im Bundesrat. Können Sie damit besser leben als er?

Jetzt nehmen Sie Deiss' Kritik als Fakt an.

Ist sie denn falsch?

Es ist sein Urteil. Dass es in der heutigen Zeit Auseinandersetzungen gibt, die es früher noch nicht geben musste, damit muss man heute in jedem Regierungsgremium leben.

Deiss' Rücktritt tut Möglichkeiten auf: Packen Sie die Chance und wechseln nach sieben Jahren das Departement?

Diese Überlegungen wird sich der Bundesrat machen, und ich werde meine eigenen Vorstellungen haben. In meinem Departement habe ich jedenfalls noch gewaltige Herausforderungen, da läuft mehr als je zuvor.

Schliessen Sie einen Wechsel aus?

Ich schliesse nichts aus, aber es gibt viele Gründe, im VBS zu bleiben.

Nur: Was auch immer Sie tun, es ist umstritten - die Rüstungsprogramme, die Einsätze im Innern, die Armeedoktrin. Wie einsam ist ein Verteidigungsminister eigentlich?

Ich fühle mich nie einsam, weil ich überzeugt bin, das Richtige zu tun. Dass alle unsere Aufgaben heute härter sind als auch schon, ist eine Tatsache.

Sie haben noch nicht genug?

Warum sollte ich?

Es gibt dankbarere Aufgaben, als Verteidigungsminister zu sein.

Um Gottes willen, Sicherheit wird immer wichtiger! Ohne Stabilität gibt es kein Wirtschaftswachstum. Ich staune, wie gewisse Politiker das VBS in diesen Tagen als zweitrangiges Departement dargestellt haben. Das offenbart letztlich eine beängstigende Inkompetenz. Wir leben leider in einer sehr unsicheren Welt.

Inkompetenz? Wie meinen Sie das?

Ich erinnere an ein paar Meldungen aus den letzten Wochen: Die Uno stellt fest, dass biologische Kampfstoffe und der Terrorismus heute die grössten Gefahren darstellen. Frankreich erklärt, dass die Risiken in der inneren Sicherheit zunehmen. Laut einhelliger Meinung der Nachrichtendienste rückt Europa in den Fokus des Terrorismus; es gibt auf diesem Kontinent Selbstmordattentäter. Wer angesichts solcher Meldungen glaubt, wir kämen ohne Sicherheit durch Kooperation aus, oder wer behauptet, die Armee habe ihre Berechtigung verloren, verkennt Tatsachen.

Warum suchen Sie denn neue Aufgaben für Ihre Durchdiener, indem Sie sie an die Grenze abkommandieren wollen?

Wir suchen keine Aufträge. Das Grenzwachtkorps braucht Verstärkung, und dafür gibt es aus finanziellen Gründen nur ein mögliches Mittel: die Armee. Auch die Botschafts-Bewachungen haben wir nicht gesucht.

Sie hätten also nichts dagegen, wenn all diese Aufgaben durch die Polizei bewältigt würden?

Gegen eine Entlastung habe ich nichts. Allerdings wäre eine völlige Entflechtung nicht sinnvoll. Denn jederzeit kann der Terror auch bei uns Realität werden. Dann geht es ohne die Armee nicht - auch wenn die Schweiz 200 Polizisten mehr hätte. Darum ist es gut, wenn die Armee schon jetzt mit Sicherungseinsätzen Erfahrungen sammeln kann.

Auch die geschrumpfte Armee verzichtet weitgehend auf internationale Kooperation. Ist die Idee der autonomen Verteidigung noch realistisch?


Wichtig ist vor allem die Kooperation im Innern. Wir schützen das Land weitgehend autonom gegen die heute wahrscheinlichen Gefahren. Im internationalen Rahmen wollen wir primär die Kooperationsfähigkeit erhalten. Bei der Luftwaffe etwa haben wir eine Zusammenarbeit mit Frankreich, Italien und Österreich. Ich bitte Sie: Das sind gewaltige Fortschritte! Hinzu kommen friedensfördernde Auslandeinsätze wie in Kosovo.

Im Falle eines Konflikts soll die Armee zur Kriegsstärke aufwachsen. Eine VBS-Studie kommt jedoch zum Schluss, dass dies nicht in jedem Fall realistisch ist. Die Autonomie ist also eine Illusion.

Autonomie gegenüber was? Wir müssen uns zuerst über die Qualität dieses Konflikts unterhalten. Dann können wir über Autonomie sprechen. Die Aufwuchsproblematik kannte übrigens schon Bundesrat Minger und später General Guisan.

In ihrem Ausmass ist sie neu.

Das bezweifle ich. Die Frage ist, gegenüber welchen Gefahren aufzuwachsen ist. Die heutige Armee ist die Antwort auf die aktuelle Gefahrenlage, also die Gefährdung durch den Terrorismus. Da ist Autonomie weiterhin möglich.

Unsere Frage bezog sich auf einen klassischen militärischen Konflikt.

Wenn Sie davon ausgehen, dass die Schweiz allein einer Grossmacht gegenübersteht, dann waren wir nie absolut autonom. Eine Illusion ist es aber auch, zu meinen, wir könnten ein grosses Heer unterhalten im Hinblick darauf, dass man es irgendwann einmal vielleicht gegen eine militärische Aggression braucht. Jeder Füsilier kostet im Laufe seiner Dienstzeit 50 000 Franken.

Apropos Füsiliere: 6 der 16 muskelbepackten Männer, die um den Titel des Mister Schweiz buhlten, sind dienstuntauglich. Was sagen Sie dazu?

Was da effektiv alles echte Muskeln waren, weiss ich nicht. Wir haben ein gutes Aushebungssystem, und so nehme ich an, dass die Kandidaten, die keinen Dienst leisten müssen, objektive Gründe dafür haben.

Da gehen die Meinungen auseinander.

Ja? Warum denn?

Weil die Mister-Schweiz-Kandidaten keine Ausnahme sind: Kann es sein, dass fast 40 Prozent der jungen Schweizer Männer untauglich sind?

Haben Sie sich schon einmal mit dem heutigen Aushebungssystem befasst?

Wir haben ausführlich mit dem Oberfeldarzt Gianpiero Lupi gesprochen.

Da haben Sie schlecht aufgepasst.

Es geht nicht um uns. Weitherum wird die Wehrgerechtigkeit in Frage gestellt.


Wer sich intensiv mit diesem Verfahren auseinandersetzt, muss anerkennen, dass unser Aushebungsverfahren absolut zuverlässige Resultate ergibt. Dass viele junge Leute weniger belastungsresistent sind, physisch wie psychisch, ist leider so.

Unzählige Junge machen Sport oder erledigen im Beruf anspruchsvolle Aufgaben - glauben Sie wirklich, dass fast 40 Prozent der jungen Schweizer nicht in der Lage sind, eine RS zu absolvieren?

Mich verwundert Ihre Analyse. Es gibt interessante Parallelen: Der Kanton mit der grössten Invaliditätsrate, Basel-Stadt, hat auch die tiefste Tauglichkeitsrate. Dank besseren Untersuchungsmethoden kann heute die Tauglichkeit zuverlässiger beurteilt werden. Seit dem neuen System sind zum Beispiel die Selbsttötungen in Rekrutenschulen zurückgegangen.

Mancher Rekrut ärgert sich, wenn seine Kollegen privat Fussball spielen, aber nicht ins Militär müssen.

Ich verstehe, dass der eine oder andere sich ärgert. Aber viele von denen, die damit prahlen, sich mit Tricks vom Militärdienst befreit zu haben, stehen in Tat und Wahrheit nicht zu ihren Gebrechen. Simulanten werden heute eher erfasst als früher. Einigen prominenten Fällen bin ich selber nachgegangen und musste feststellen, dass der Entscheid korrekt war.

Sie reden von Roger Federer.

Ja, auch beim Eiskunstläufer Stéphane Lambiel habe ich mich informiert. Klar sind dies Spitzensportler, aber in ihren Sportarten ist die Belastung sehr spezifisch. Im Militär ist die Belastung eine andere: Sie müssen Rucksäcke tragen oder vom Lastwagen herunterspringen.

Mit anderen Worten: Die Jugend ist heute ganz einfach kränker als früher?

Nicht die Jugend, aber ein zu grosser Anteil, das zeigen auch verschiedene Studien. Die Armee kann die Situation nicht schöner darstellen, als sie ist, und den Anschein erwecken, das Volk strotze vor Gesundheit.
Für Fragen zu dieser Seite: Kommunikation VBS
Zuletzt aktualisiert am: 08.11.2007
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