Bilder unserer Nutzer

Shop

Meyers Großes Taschenlexikon in 24 Bänden plus CD-ROM
ISBN 3-411-11009-0
149,00 € [D]

Weitere Informationen

Ruanda

Kigali
vergrößern
Kigali
Flagge, Wappen, Kfz-...
vergrößern
Flagge, Wappen, Kfz-...
Länderstatistik
vergrößern
Länderstatistik
Dorf aus typischen H...
vergrößern
Dorf aus typischen H...

Ruanda,

Fläche 26 338 km2
Einwohner (2005) 8,64 Mio.
Hauptstadt Kigali
Verwaltungsgliederung 12 Provinzen
Amtsprache Kinyaruanda, Französisch und Englisch
Nationalfeiertag 1. 7.
Währung 1 Ruanda-Franc (F.Rw) = 100 Centime
Zeitzone MEZ + 1‑Stunde

Rwanda, amtlich französisch République Rwandaise, Kinyaruanda Republika y'u Rwanda, Binnenstaat in Ostafrika, grenzt im Norden an Uganda, im Osten an Tansania, im Süden an Burundi, im Westen an die Demokratische Republik Kongo.

Inhaltsverzeichnis

S T A A T · R E C H T

Nach der durch Referendum vom 26. 5. 2003 angenommenen neuen Verfassung (seit 4. 6. 2003 in Kraft) ist Ruanda eine präsidiale Republik mit Mehrparteiensystem. Staatsoberhaupt und oberster Inhaber der Exekutive ist der mit umfangreichen Vollmachten ausgestattete Präsident (auf 7 Jahre direkt gewählt, maximal 2 Amtsperioden möglich); er ernennt und entlässt den Premierminister. Keine Partei darf über die Kabinettsmehrheit verfügen; Präsident und Regierungschef müssen unterschiedlichen Parteien angehören. Gesetzgebendes Organ ist das Zweikammerparlament, bestehend aus Unterhaus (80 Abgeordnete, auf 5 Jahre gewählt; 24 Sitze sind für Frauen reserviert) und Oberhaus (26 Senatoren, davon 8 vom Präsidenten und 6 vom Politischen Organisationsforum ernannt; Amtszeit 8 Jahre). – Einflussreichste Parteien: Patriotische Front Ruandas (FPR), Sozialdemokratische Partei (PSD), Liberale Partei (PL), Demokratisch-zentristische Partei (PDC) und Demokratisch-islamistische Partei (PDI). Die Demokratische Republikanische Bewegung (MDR) wurde 2003 verboten.

L A N D E S N A T U R · B E V Ö L K E R U N G

Landesnatur:

Ruanda liegt auf einem in Schollen zerbrochenen Hochlandblock im ostafrikanischen Zwischenseengebiet, der im Westen in einer Stufe zum Zentralafrikanischen Graben mit dem Kiwusee abbricht und sich nach Osten zur stark versumpften Senke des Kagera abdacht. Im Nordwesten erhebt sich die Kette der Virungavulkane, die im Karisimbi auf 4 507 m über dem Meeresspiegel ansteigt. Das wechselfeuchte tropische Klima, durch die Höhenlage gemildert, weist zwei Regenzeiten und eine Trockenzeit auf. Im Osten herrschen Trockensavannen vor, im Zentrum Feuchtsavanne, die im Westen in tropischen Regenwald übergeht, die höchsten Lagen tragen alpine Vegetation.

Bevölkerung:

Die Bevölkerung (Ruanda, Nyaruanda) besteht aus drei ethnisch, wirtschaftlich und sozial voneinander getrennten Gruppen: Etwa 85 % sind Feldbau treibende, Bantu sprechende Hutu, rd. 14 % gehören zu den Vieh züchtenden, eine nilotische Sprache sprechenden Tutsi (Hima), weniger als 1 % sind Twa (Pygmäen). Ruanda zählt zu den am dichtesten besiedelten Staaten des afrikanischen Festlandes. Typisch für das Land ist die Streusiedlung. – Rund 80 % der Bevölkerung sind Christen (mehrheitlich Katholiken), rund 10 % Muslime (stetiges Wachstum). Die religiöse Praxis traditioneller afrikanischer Religionen ist weit über ihren eigentlichen Anhängerkreis hinaus (nach Schätzungen bis zu 9 %) verbreitet. – Es besteht allgemeine Schulpflicht im Alter von 7 bis 13 Jahren. Die Alphabetisierungsrate wird auf (2004) 69 % (alle über 15 Jahre) beziehungsweise 85 % (15 bis 24-Jährige) geschätzt. Es gibt eine Universität (gegründet 1963) in Butare und eine Hochschule für Technik und Wirtschaft (gegründet 1998) in Kigali.

W I R T S C H A F T · V E R K E H R

Ruanda ist ein v. a. von der Subsistenzwirtschaft lebendes Agrarland, etwa 90 % der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft. Angebaut werden v. a. Bataten, Maniok, Hirse, Bohnen sowie Mehlbananen, für den Export Kaffee, Tee, Pyrethrum und Chinarinde. Die Viehhaltung (Rinder, Ziegen) ist relativ unbedeutend. Bergbauprodukte sind Zinn (Zinnstein), Columbit, Beryllium, Gold, Wolframerz und Coltan (Rohstoff für Handyproduktion, eines der wichtigsten Exportprodukte des Landes). Die bedeutenden Methanvorkommen im Kiwusee werden bisher wenig genutzt. Die Industrie verarbeitet v. a. landwirtschaftliche Produkte; ferner Textil-, Holz-, Lederindustrie. Ausfuhr von Tee, Kaffee, Coltan, Zinn, Wolfram und Pyrethrum. Haupthandelspartner sind Großbritannien, Deutschland, Kenia, Belgien, Südafrika, Israel und Frankreich.

Es gibt keine Eisenbahn; das Straßennetz ist rd. 12 000 km lang (davon etwa 1 000 km befestigt). Auf dem Kiwusee wird Binnenschifffahrt betrieben. Häfen sind Cyangugu, Gisenyi und Kibuye, für den Außenhandel werden Mombasa (Kenia) und Daressalam (Tansania) genutzt. Internationaler Flughafen in Kanombe bei Kigali.

G E S C H I C H T E

Die Bevölkerung der Hutu wurde ab dem 14. Jahrhundert durch aus dem Norden zugewanderte Rinderhirten der Tutsi (Hima) überlagert. Es entstand eine feudale Gesellschaftsstruktur mit Vieh besitzender Oberschicht und Feldbau treibender Unterschicht. Seit dem 16. Jahrhundert dehnte das Königreich Ruanda mit dem Mwami (König) an der Spitze seine Macht aus und konsolidierte diese im 19. Jahrhundert. 1899 brachte das Deutsche Reich das Land unter sein Protektorat (Deutsch-Ostafrika). 1919–46 als Völkerbundmandat, 1946–62 als UN-Treuhandgebiet von Belgien verwaltet (Ruanda-Urundi), privilegierte Belgien v. a. die Bevölkerungsminderheit der Tutsi und legte durch die damit verbundene soziale Hierarchisierung eine Grundlage für den ethnischen Konflikt zwischen Hutu und Tutsi. 1959 erhoben sich die Hutu und stürzten die Tutsi-Herrschaft. Am 1. 7. 1962 wurde Ruanda – unter Abtrennung von Burundi – als Republik unabhängig. Seither beeinflussen sich die ethnisch akzentuierten Konflikte in den beiden Ländern gegenseitig.

Die sozialen Spannungen führten 1973 in einem unblutigen Militärputsch zur Absetzung des ersten Präsidenten G. Kayibanda durch Generalmajor J. Habyarimana (Hutu), der als Staatspräsident (Wiederwahl 1978, 1983 und 1988) ein Einparteiensystem etablierte.

Im Oktober 1990 drang die Patriotische Front Ruandas (FPR), eine Organisation der 1959 v. a. nach Uganda geflüchteten Tutsi, von Uganda aus in Ruanda ein. Unter dem Druck der Tutsi-Offensive suchte die Regierung mit der Einführung des Mehrparteiensystems die innenpolitischen Spannungen zu mildern. Das Friedensabkommen von Arusha (4. 8. 1993) sollte die Kämpfe mit der FPR beenden. Seine Umsetzung stieß jedoch auf Widerstände, und Hutu-Extremisten leiteten eine gezielte Hasskampagne gegen Tutsi und dialogbereite Hutu ein. Der Tod von Habyarimana zusammen mit dem Präsidenten Burundis bei einem Flugzeugabsturz in Kigali am 6. 4. 1994, der ungeklärt blieb, führte daher zum sofortigen Beginn eines Völkermords durch Armee und Hutu-Milizen. Ihm fielen innerhalb weniger Wochen 800 000 bis 1 Mio. Tutsi und oppositionelle Hutu zum Opfer, bevor sich die Truppen der FPR bis Anfang Juli 1994 durchsetzen und das ganze Land erobern konnten. 2 Mio. Menschen, meist Hutu, flohen aus Angst vor den Siegern in die Nachbarländer, besonders in das damalige Zaire (heute: Demokratische Republik Kongo) und Tansania. Die organisatorischen und politischen Schwierigkeiten, die sich den zur Hilfe bereiten internationalen Organisationen bei der Versorgung der Flüchtlinge entgegenstellten, beschworen die Gefahr einer Hungersnot herauf. Die siegreiche FPR unter der Führung von P. Kagame setzte am 19. 7. 1994 eine Koalitionsregierung und den gemäßigten Hutu P. Bizimungu als Staatspräsidenten ein. Der staatliche Neuanfang wurde jedoch überschattet durch den Völkermord 1994, der u. a. von dem 1995 von den UN eingesetzten Kriegsverbrechertribunal (sogenanntes Ruanda-Tribunal) sowie den 2005 in Ruanda geschaffenen Gacaca-Gerichtshöfen (Dorfgerichte mit Laienpredigern) untersucht wird, und erschwert durch die Rückkehr von Tutsi-Flüchtlingen (v. a. aus Uganda), Hutu-Flüchtlingen (v. a. aus Tansania) sowie von rund 1 Mio. Hutu, die 1994 in das ehemalige Zaire geflohen waren, aber durch L. D. Kabila 1997 wieder vertrieben wurden. Integrationsprobleme führten deshalb wiederholt zu innenpolitischen Spannungen sowie gegenseitige Racheakte zu Menschenrechtsverletzungen und blutigen Konflikten. Nach dem Rücktritt von Staatspräsident Bizimungu im März 2000 wurde P. Kagame sein Nachfolger.

Zunehmende Ausgrenzung kritischer Hutu und oppositioneller Tutsi sowie eine direkte Involvierung in den Machtkampf in der Demokratischen Republik Kongo führten zur Konzentration der Macht bei Staatspräsident Kagame und der FPR. Unter südafrikanischer Vermittlung schlossen die Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas am 30. 7. 2002 einen Friedensvertrag, der u. a. den Rückzug der ruandischen Streitkräfte aus Kongo sowie die Entwaffnung der Hutu-Milizen, die von Kongo aus in Ruanda militärisch operierten, regelte. Im Mai 2003 wurde per Referendum eine neue Verfassung angenommen. Bei der ersten freien Wahl eines Staatspräsidenten seit der Unabhängigkeit des Landes 1962 wurde im August 2003 Kagame im Amt bestätigt. Die im Oktober 2003 durchgeführten Parlamentswahlen, an denen sich erstmals mehrere Parteien beteiligen konnten, gewann die seit 1994 in der Übergangsregierung herrschende und von der FPR geführte Koalition.

Außenpolitisch gab es bei enger Anlehnung an die USA und Großbritannien Spannungen mit Frankreich, das das gestürzte Regime bis zuletzt unterstützt hatte. Den Vereinten Nationen wirft Ruanda Unfähigkeit vor, da die von ihr 1993 entsandte Friedenstruppe (UNAMIR) den Genozid nicht verhindern konnte.

Sekundärliteratur: O. Werle u. K.-H. Weichert: Ruanda. Ein landeskundliches Porträt (1987); H. Strizek: Ruanda und Burundi v. der Unabhängigkeit zum Staatszerfall (1996); C. P. Scherrer: Ethnisierung u. Völkermord in Zentralafrika. Genozid in Rwanda, Bürgerkrieg in Burundi u. die Rolle der Weltgemeinschaft (1997); H. Strizek: Kongo, Zaïre – Ruanda – Burundi. Stabilität durch erneute Militärherrschaft? (1998); A. Des Forges:  »Kein Zeuge darf überleben«. Der Genozid in Ruanda (2003); L. Melvern: Ruanda. Der Völkermord u. die Beteiligung der westlichen Welt (aus dem Englischen, 2004); U. P. Behrendt: Die Verfolgung des Völkermordes in Ruanda durch internationale u. nationale Gerichte (2005); A. Koopmans: Rwanda (Philadelphia, Pennsylvania, 2005).

Weiterführende Artikel aus dem Archiv der Wochenzeitung DIE ZEIT

© DIE ZEIT