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17 Biofilme in Wässern - nützlich oder schädlich?
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17/01
21. Mai 2001

Jahrestagung der Wasserchemiker in Bad Wildungen

Fossilien von Mikrooganismen in Biofilmen sind die ersten Zeugen des Lebens auf der Erde, mehr als dreieinhalb Milliarden Jahre alt. Der Biofilm als Lebensform hat sich so gut bewährt, dass dies bis heute ein Erfolgsrezept geblieben ist. Denn Bakterien lieben Gesellschaft - nur ein verschwindend kleiner Teil von ihnen lebt als Single. Sind Biofilme für den Menschen von Nutzen? Oder gehen von ihnen auch Gefahren aus, und wie kann man sie dann bekämpfen? Professor Dr. Hans-Curt Flemming von der Universität Duisburg befasste sich im Pressegespräch zur Jahrestagung der Wasserchemischen Gesellschaft am 21. Mai 2001 in Bad Wildungen mit diesen Fragen.

Biofilme kommen überall vor - in allen Böden und Sedimenten, auf Gestein, auf Pflanzen und Tieren, auch auf uns selbst, aber auch im Eis von Gletschern, in kochenden Quellen, auf Felsen in der Wüste, in Schwefelsäure und Natronlauge, in Flugzeugbenzin und in Öltanks, in Raumkapseln und U-Booten, selbst in hochbestrahlten Bereichen von Kernkraftwerken. Es war ein Biofilm, in dem die Natur vor etwa zwei Milliarden Jahren die Photosynthese erfunden hat. Dabei entstand Sauerstoff als "Abgas", der sich in der Erdatmosphäre anreicherte. Das führte zu einer frühen, weltweiten Umweltkatastrophe, denn für die Bakterien, die bis dahin auf der Erde lebten, war Sauerstoff ein Gift.

Neue Arten entwickelten sich, die aus der Not eine Tugend machten. Sie wurden "Aerobier" und nutzten den Sauerstoff zur Atmung. Die "Anaerobier" mussten sich in Bereiche zurückziehen, in denen sie keinem Sauerstoff ausgesetzt sind. Die gibt es mitten im Biofilm, nämlich dort, wo die Aerobier den Sauerstoff verbrauchen und anerobe Zonen schaffen.

Biofilme sind etwas ganz Normales, das wir als "Schleim", "Aufwuchs" oder "Belag" kennen. Wir putzen täglich Biofilme von den Zähnen. Wenn wir beim Baden auf Steinen ausrutschen, dann sind glitschige Biofilme daran schuld, die sich unter dem Druck unserer Füße verflüssigen. Der Schleim stellt sozusagen das "Haus" dar, in dem sich Mikroorganismen aller Art einrichten können. Sie profitieren davon, dass sie hier ungestört stabile Gemeinschaften bilden können, sogenannte Mikrokonsortien. Diese sind in der Lage, durch ihr Zusammenwirken auch mit schwer abbaubaren Stoffen fertig zu werden. Sie spielen eine zentrale Rolle in den Selbstreinigungsprozessen der Natur - als globale Putzkolonne. So halten sie unsere Gewässer sauber. Im Umweltschutz nutzt man das für die biologische Klärung von Abwasser. Biofilme machen auch die biologische Abfallbeseitigung möglich, indem sie die Abfälle besiedeln und abbauen.

Auf der Suche nach Nahrung entwickeln die Biofilm-Bewohner ständig neue Techniken, denn sie sind immer hungrig und wollen nichts anderes als Fressen. Ihr genetisches Repertoire erweitern sie durch "horizontalen Gentransfer", indem sie Nachbarzellen besuchen und fleißig Gene austauschen, die sie für spezielle Abbauprozesse brauchen. Durch spezielle Signalmoleküle können sie sich untereinander verständigen und gegenseitig weitere Gene an- und abschalten. Dadurch ist eine ungemein flexible, leistungsfähige und universelle Lebensform entstanden. Biofilme sind an den globalen Kreisläufen von Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor und vieler anderer Elemente beteiligt. Sie besiedeln Gestein, sogar Felsen in der Wüste, sie bilden mikrobielle Matten in Feuchtgebieten, mobilisieren wichtige Mineralien und binden viel Kohlendioxid. Damit wirken sie dem Treibhauseffekt entgegen. Ohne Biofilme wäre das Leben auf der Erde nicht vorstellbar.

Dem Menschen können Biofilme aber auch beträchtliche Schwierigkeiten bereiten. Zum Beispiel besiedeln sie Schiffsböden; ein Biofilm von nur einem Zehntel Millimeter verringert die Geschwindigkeit eines Tankers um 10 bis 15 Prozent. Im Kampf gegen den Bewuchs werden spezielle Anstrichmittel auf Schiffe gestrichen, die anschließend in den Gewässern wiedergefunden werden und eine ernst zu nehmende Umweltbelastung darstellen. In Kraftwerken verringern Biofilme den Wirkungsgrad, weil sie als "Isolierschicht" auf den Wärmetauscher-Flächen sitzen. Bei der Wasseraufbereitung durch Membranverfahren sind sie für das "Biofouling" verantwortlich, das heute noch eine Achillesferse dieser Technik darstellt. Biofilme können sogar ihre Unterlage angreifen. Dieses Phänomen ist als "Biokorrosion" bekannt. Bei etwa 20 Prozent der gesamten Korrosionsschäden wird eine Beteiligung der Mikroorganismen angenommen - das sind jährliche Verluste in Milliardenhöhe.

Biofilme besiedeln Werkstoffe wie Metall, Naturstein, Zement oder Kunststoff und verändern durch ihre Stoffwechseltätigkeit den pH-Wert, das Redoxpotential, die Sauerstoffkonzentration und andere korrosionsrelevante Parameter und können somit die Korrosion erheblich beschleunigen. Selbst Abwasserkanäle aus Zement können durch Schwefelsäure, die von schwefeloxidierenden Bakterien gebildet wurde, aufgelöst werden. Biofilme wirken in sehr verschiedenen Bereichen störend - von der Frischwasser-Versorgung über die Herstellung von Medikamenten, Kosmetika, Mikrochips oder Dispersionsfarben bis zum Kraftwerksbetrieb - und müssen dort individuell bekämpft werden, z. B. durch Biozide, mit denen man sich aber wiederum beträchtliche Umweltprobleme einhandeln kann. Schwierigkeiten macht auch, dass Biofilm-Bewohner besonders widerstandsfähig gegenüber Desinfektionsmitteln, Bioziden oder Antibiotika sind. Selbst die stärksten Gifte halten sie auf die Dauer nicht in Schach. Hier ist die Forschung gefragt; es gilt zu verstehen, wie Biofilme "funktionieren", und zwar dort, wo sie wachsen. Nur dann können Gegenmaßnahmen gezielt, optimal und umweltverträglich angewandt werden.



Letzte Änderung: GCHOE, 07.11.2007


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