Artikel über anarchistische Verlage


"Wir sind doch Runzelrocker"
taz Berlin, 13.12.93 Seite 28, Detlef Kuhlbrodt


Gesichter der Großstadt: Der Anarcho-Verleger Bernd Kramer interessiert sich für alles in der Geschichte, "was stolperte, was einen Umweg gegangen ist"

Der "Karin-Kramer-Verlag" ist eine Institution. Seit mehr als zwanzig Jahren produzieren Bernd und Karin Kramer anarchistische Klassiker, diverse Frühsozialisten, antiautoritäre Klassiker, sozialrevolutionäre Aktionsprogramme, verschiedene Texte aus dem surrealistischen Umfeld und andere seltsame Dinge. Fast jeder lesende Linksradikale wurde mit Kramer- Büchern sozialisiert. Begonnen hatte alles 1968. Da wohnten Bernd und Karin (und Ulu, Antje, Lothar, Julia, Butscher, Gerhard, Wilhelm, Lisa) noch in der Bülowstraße und brachten die radikale Spontizeitung linkeck heraus. Anderthalb Jahre lang kämpfte das Untergrundblatt gegen Springer- CDUFDPSPD, wetterte gegen Verspießerungen im APO-Spektrum ("Familie ist scheiße - APO auch") und propagierte Djangofilme, Sex, Beatmusik: "Wenn der Staat dir Tanzen und Vögeln verleiden will, mach den Staat kaputt." Schelmisch setzte man scheinbar Unvereinbares nebeneinander: Neben einem Trotzki- Aufsatz wurde erläutert, "warum Trotzkis Artikel teilweise schwachsinnig ist, aber trotzdem abgedruckt wurde". Auf der nächsten Seite fanden sich Pornofotos. Der Erfolg war groß. Jede Nummer wurde beschlagnahmt (ein lehrreicher linkeck-Nachdruck ist bei Kramer erschienen). Nach diversen Umzügen landete der "Kramer-Verlag" in Neukölln. Um nicht zum "Fraktionsverlag für Anarchismus" zu werden, erweiterte man das Programm um einige Seltsamkeiten, verlegte Jim Morrison, Roland Topor und veröffentlichte in einer Frauenliteraturreihe die Werke von Emma Goldman. Inzwischen haben auch esoterische Titel wie das 5./6., 7./8. Buch Mose den Weg ins Verlagsprogramm gefunden: "Das ist schwarze Magie - ein Konglomerat von Volksmedizin: Beschwörungszauber, Verfluchungen und so weiter. Das hat auf jeden Fall mit Anarchismus zu tun."

Die dreibändige Bakunin-Ausgabe, der Stolz des Hauses, wurde mittlerweile "schweren Herzens" verramscht: "Hätten wir bis zum Jenseits verkaufen können. Pro Jahr sind zwei, drei Bände weggegangen." Letztendlich blieb man jedoch beim Motto: "Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität."

Auf die Kritik, daß der Verlag einen romantischen Antikapitalismus predigen würde, reagiert Bernd Kramer unwirsch: "Was willst du denn sonst für einen Antikapitalismus haben? Sicher, diese Altwilden haben ein bißchen gesponnen, aber die Spinnerei brauchst du, um diesen Dreck zu übersehen." Der Verleger, dessen wilde Haarpracht an Marx' libertären Gegenspieler Bakunin erinnert, interessiert sich nicht so sehr für das, was sich durchgesetzt hat, sondern "für das, was hängengeblieben ist, was stolperte, was einen Umweg gegangen ist".

Die Zeiten seit 1968 haben sich geändert. Einiges ist jedoch gleichgeblieben. "Diese Prüderiegeschichten, die hast du heute wieder. Gerade bei Linken. Da denkt man, die Zeit ist stehengeblieben." Mit geharnischten Briefen reagierten jedenfalls einige LeserInnen auf Kramers "pech-raben-schwarzen-Anarcho-Kalender" von 1992. Schon das Titelbild - bewaffnete Männer in Strapsen - galt manchen Frauenbuchläden als frauenfeindlich, eine Kurzgeschichte, in der - frei nach Bataille's "Geschichte des Auges" - ein Schwarzer einen Nazi-General vergewaltigt, galt als rassistisch, eine böse Grafik aus der surrealistischen Zeit, auf der "ein gutgekleideter Mann versuchte, mit einer Buchhändlerin zu kopulieren", wurde als "sexistisch" verurteilt, obgleich "wir den Schwanz weggeschnitten hatten". "Die haben also diese christliche Trinität: Antifaschismus, Antisexismus und Antirassismus. Was da nicht reinpaßt, ist dann eben faschistisch, sexistisch, rassistisch. Und da sind wir eben auch wieder bei der Prüderie. Nun gut, daß die Erde sauber werden soll - bin ich ja für, auch wenn ich eine Kohleheizung hab'. Aber sonst? Ich versteh' das nicht."

Auch die Haltung seiner Ex- Genossen, die wie Enzensberger oder Tilman Fichter ("bei ,883` hatte der immer noch mit einem Tannenbaum unterschrieben") die "Nationale Identität zum Thema gemacht" haben, kann Kramer nicht nachvollziehen. "Und gerade die hacken dann auf den Skinheads rum, die sagen, 'Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein`, daß die ihre Mollis in die falsche Richtung schmeißen würden." Kramer dagegen hatte sich vor einem Jahr in einem Brief an die FDP-Landesvorsitzende bezichtigt, in die richtige Richtung geworfen zu haben. Sein Landei wollte in brüderlicher Gemeinschaft mit dem von Dieter Kunzelmann gegen die herrschende Klasse geflogen sein, die auf der Tribüne gegen Ausländerfeindlichkeit demonstrierte. Carola v. Braun hatte den Brief zwar eilfertig der Staatsanwaltschaft übergeben; die verzichtete aber darauf, sich völlig lächerlich zu machen.

Auch bei der Einweihung der Neuen Wache traf Kramer den Alt-Situationisten "Kunzel". Während der Verleger, nachdem er seine Protestflugblätter verteilt hatte ("...irgend was fehlt an dieser Gedenkerei. Ach ja, richtig: Krupp/ Mercedes/ IG-Farben/ VW/ SS/ Thyssen/ SA [...]") gen Kneipe entschwand, ließ Kunzelmann sich festnehmen. "Alter Mann wird weggetragen" hieß es tags darauf in der FR. "Stimmt ja auch. Wir sind ja alte Zausel. Wir sind die Runzelrocker", sagt der Alt-Anarchist, der neben Bakunin und Cioran vor allem den Kaufhauserpresser Dagobert verehrt. "Der hat mit Anarchismus überhaupt nichts zu tun; es sei denn, er ist so 'ne Art Spaßguerillero. Ruft an und sagt, er könne aus familiären Gründen nicht zur Geldübergabe kommen. Grandios! Vielleicht hat der auch nur Langeweile. Vielleicht war er Pförtner; vielleicht war er auch mal Verleger, und sein Verlag hat pleite gemacht, und jetzt sagt er: Wenn schon, denn schon. Wir machen ein Buch über den. Das wird ein Bestseller!" (Das sagt Kramer über jedes neue Buchprojekt.)

P.S.: Bücher aus dem Karin Kramer Verlag können auch über den Schwarze Katze Vertrieb bestellt werden.