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Das Beste am Norden
Interview

Fatih Akin: "Ich kann das Kino nicht neu erfinden"

Fatih Akin im Smoking zur Premiere seines Dramas "Auf der anderen Seite" in Cannes 2007 © dpa
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Mit dem Gewinn des Goldenen Bären für "Gegen die Wand" gelang ihm der internationale Durchbruch. Mit dem Drama "Auf der anderen Seite", dem zweiten Teil seiner Trilogie "Liebe, Tod und Teufel", konnte Fatih Akin an diesen Erfolg anknüpfen und in Cannes den Preis für das beste Drehbuch ergattern. Nun schickt Deutschland die NDR Koproduktion ins Rennen um die Oscar-Vergabe im Frühjahr 2008. NDR Online sprach mit dem Hamburger Autorenfilmer über Filmpreise als Türöffner, Umweltskandale in der Türkei und seine veränderte Wahrnehmung als Vater.

Was hat sich für Sie durch den Preis in Cannes, die A-Liga der Filmbranche, verändert?

Nicht viel. Amerika ist auf der Landkarte ein bisschen präsenter geworden. Ich habe viele Amerikaner kennengelernt, deren Filme ich kannte und habe seit Cannes einen amerikanischen Agenten. Sonst bin ich froh, dass ich den Erfolg und die Anerkennung seit "Gegen die Wand" mit dem nächsten Spielfilm halten konnte.

Im Gegensatz zu "Gegen die Wand" ist der zweite Teil Ihrer Trilogie "Liebe, Tod und Teufel" sehr komplex geworden. Warum?

Ein Hauptgrund war, es anders zu machen. Man muss diese beiden Filme immer im Zusammenhang sehen. "Gegen die Wand" geht so geradeaus, wie mit dem Lineal gezogen, was erfolgreich war. Er hat einen Anfang und einen Schluss. Boy meets girl, dann trennen sie sich. Es hat fast wie Punk funktioniert, wie drei Akkorde. Jetzt wollte ich versuchen, mir selbst und dem Zuschauer zu beweisen, dass ich eine Sinfonie schreiben kann. Dafür habe ich mich an Vorbildern orientiert. Ein dramaturgischer Berater des Films ist Guillermo Arriaga, der Autor von "21 Gramm" und "Babel". Ich wollte viel erzählen, dieses und jenes noch reinpacken: natürlich die politische Lage in der Türkei, die EU-Diskussion, dazu eine homosexuelle Beziehung. Die Herausforderung war, alles in einem Film zu verpacken, aber den Zuschauer nicht zu überfordern. Es ist um Haaresbreite aufgegangen. Wir haben es rhetorisch gut gelöst, indem wir die Kamera zurückgenommen haben und das Spektakuläre - denn der Film ist sehr spektakulär - so unspektakulär wie möglich erzählen.

Zum Beispiel eine sich wiederholende Szene mit einem Sarg, der ins Ausland überführt wird. Wie sind Sie darauf gekommen?

Ich sehe so viele Filme, dass vieles in meinem Unterbewusstsein landet. Man entdeckt es später wieder. Diese Szene habe ich als Kind in "Missing" von Costa-Gavras gesehen. Ich kann das Kino nicht neu erfinden. Aber ich kann es in einem neuen Zusammenhang benutzen.

Auf "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite" treffen sowohl Liebe als auch Tod zu. Wie wird das im letzten Teil der Trilogie sein?

Auch später im "Teufel" werden Liebe und Tod enthalten sein. Ich glaube, dass dieses Dreieck als Gleichnis den Menschen erklärt. Die Trilogie ist nicht nur ein Marketingmotiv. Es sind Filme, die versuchen, den Menschen zu verstehen. Wenn ich mehr Zeit im Leben hätte, würde ich gerne Medizin und Anthropologie studieren, um die Geschichte des Menschen zu verstehen. Und die Mechanik in der Medizin des Menschen. Ich habe die Möglichkeit, durch Filmemachen bestimmte Sachen zu lernen und zu begreifen.

Hat sich Ihre Einstellung zum Leben geändert, seitdem Sie Vater geworden sind?

Wenn man Vater wird und dieses bewusst miterlebt, ändert man sich über Nacht. Man guckt in den Spiegel und ist ein anderer Mensch. Sonst sind Änderungen schleichend. Da mir das passiert ist, während ich das Drehbuch entwickelt habe, hatte das natürlich immense Auswirkungen auf das Buch und den Film. Werte verschieben sich. Vieles, was vorher wichtig war, ist jetzt trivial. Und Dinge, die in weiter Ferne lagen, wie Existenzangst oder der Tod, erscheinen plötzlich auf der Bildfläche und man muss lernen, damit umzugehen.

An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Ich war im Juli auf Recherchereise in New Mexico, in der Wüste. Kurz nach Amerika war ich in der Türkei und habe einen Dokumentarfilm weitergedreht. Darin geht es um eine wilde Mülldeponie, die mitten in einem Wohngebiet gebaut wird. Das Dorf ist der Garten Eden, das Dorf, das "Auf der anderen Seite" zum Schluss vorkommt. Das soll zerstört werden, ein Umweltskandal! Die Natur ist bereits zerstört worden, um diese Deponie zu errichten. Dagegen wehrt sich das Dorf. Mein Dokumentarfilm begleitet diesen Kampf.

Martin Scorsese hat Sie eingeladen, für die von ihm ins Leben gerufene World Cinema Foundation türkische Filme zum Restaurieren und Konservieren auszusuchen. Wie sieht Ihre Arbeit aus?

Das Programm der World Cinema Foundation beschränkt sich auf Länder und Kulturkreise, die es sich nicht aus eigener Kraft leisten können, so ein Filmrestaurierungsprogramm zu entwickeln. Dieses Bewusstsein, Kultur zu erhalten, gibt es in der Türkei nicht. Dabei war sie nach den USA und Indien in den 70ern und Beginn der 80er der drittgrößte Filmproduzent der Welt. Es gibt eine Liste, die ich in Zusammenhang mit der Mimar-Sinan-Universität Istanbul erstellt habe. Es wird insgesamt zehn restaurierte türkische Filme geben, die in Form einer DVD erscheinen. Bis zum nächsten Festival in Cannes überwache ich die Restaurierung des Goldenen Bären von 1964: Susuz yaz, The Dry Summer, von Metin Erksan.

Preise öffnen also nach Jahrzehnten noch Türen.

Ja, auch meine Filme sind auf Preise angewiesen, weil ich kein großes Studio hinter mir habe, das mir die Filme mit einer großen Kraft vermarktet. Wenn ich jetzt Fox, Warner oder Sony hinter mir hätte, dann wäre garantiert, dass meine Filme überall auf der Welt in Mediamärkten enthalten sind. Ich will, dass meine Filme überall gesehen werden. So wie sie jetzt vertrieben werden, sind diese in Japan über Amazon oder einen besonderen Videoladen erhältlich. Weil es diese Preise gibt. Ich habe auch nicht Brad Pitt oder Clooney, die dafür sorgen, dass überall meine Filme präsent sind.

Sie sind doch mit den Schauspielern und Produzenten Javier Bardem und Salma Hayek befreundet.

Ich werde bei euch koproduzieren, sagt Salma Hayek, früher oder später bestimmt. Mit Bardem ist es so: Es muss einen guten dramaturgischen Grund geben, jemanden zu besetzen. Ich mache jetzt einen Film. "New York, I love you", eine Fortsetzung zum Episoden-Film renommierter Regisseure "Paris, je t'aime". Das ist schwer. Erst gibt es den Film und nicht die Geschichte. Gesünder und richtiger ist, erst die Geschichte zu haben. Was kann ich in fünf Minuten erzählen? Ich habe eine Geschichte für New York entwickelt und wollte einen persönlichen Bezug dazu haben.

Mit welchen Schauspielern arbeiten Sie für diese Episode?

Ich habe Ugur Yücel besetzt, ein türkischer Schauspieler, der nicht sehr bekannt ist, mit dem ich aber schon immer arbeiten wollte. Dann hieß es, warum nicht Nicholson besetzten, warum nicht Keitel, Pacino oder de Niro? Ich sage: Weil ich keine persönliche Ebene zu diesen Leuten habe. Ich weiß genau, wie das für einen Fünfminüter abgehen würde. Ich müsste erst drei Mal mit deren Agenten telefonieren, um am Ende Pacino für zwanzig Minuten zu treffen. Was für ein Film soll das bitte werden? Ich müsste unter solchen schwierigen Bedingungen versuchen, ihm eine persönliche Note zu verleihen. Das lehne ich von vorneherein ab. Ich möchte weiter persönliche Filme machen, Autorenfilme. Aber zurück zu Ugur Yücel: Ich mische ihn mit einem internationalen Star. Ich verrate aber nicht, wer das sein wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Autorin/Autor: Patricia Batlle, NDR Online
Stand: 20.09.2006 09:00
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Patrycia Ziolkowska, Fatih Akin und Nurgu Yesilcay © ddp Fotograf: Roland Magunia

Applaus für Fatih Akins "Auf der anderen Seite"

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Exklusiv: Fatih Akins "Gegen die Wand" im Internet

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