Tagebuch dreier Eingeschneiter:

Markus KETTERL, Markus PAUL, Uwe ULMER
und ihre sonderbare Reise in das Tal des Schnees:

Samstag, 13.02.99:

Nach häufigem telefonieren mit dem ADAC und Ischgl (und deren Zusicherung, dass alles in Ordnung ist) haben wir uns entschieden um 3.30 Uhr mit dem Auto (Volvo 850) in Stuttgart loszufahren. Bereits um 4 Uhr stellen wir an der Autobahnauffahrt Wendlingen fest, dass wir nicht die einzigen sind, die in den Süden zum Skifahren wollen. Aber die einzigen ohne Jetbag. Kurz vor Memmingen entscheiden wir uns über den Fernpass zu fahren, was sich als großer Fehler darstellt - zwischen Füssen und Reutte brauchen wir wegen einer Baustellenampel für 2 km über 45 Minuten. Von der Schleicherei über den Fernpass selber ganz zu schweigen. Die Holländer und Belgier scheinen es halt immer noch nicht kapiert zu haben, dass man zum Skifahren mit Winterreifen losfahren sollte und montieren auf ihre Alufelgen irgendwelche Uraltketten. Um 10 Uhr verlassen wir die Autobahn bei Pians und sehen die Straßentafel des Paznauntals: Alles grün, also freie Fahrt nach Ischgl. Um kurz vor 11 Uhr erreichen wir unser Quartier, die Pension "Alpenglühn" direkt gegenüber der Silvretta-Seilbahn und zwei Häuser neben dem Kuhstall. Aus unserer Balkontüre sehen wir direkt auf die Seilbahn.

Wir entscheiden uns (bei –21°C) heute noch Skizufahren, was trotz der Kälte ein Heidenspass ist. Zum Skifahren werde ich nicht viel schreiben, ich denke es interessiert kaum welche Lifte wir gefahren sind. Ach ja, Uwe ist geboardet, nicht skigefahren.

Anschließend gehen wir in den Kuhstall um unsere Ankunft richtig zu feiern. Dort lernen wir Tessy und Linda aus Luxemburg kennen, mit denen wir danach noch ins "Feuer & Eis" (einer Diskothek) gehen.

 

Sonntag, 14.01.99:

Strahlender Sonnenschein und blauer Himmel laden zum Skifahren ein, also beeilen wir uns und fahren auf die Idalpe hoch. Nachmittags treffen wir uns mit Tessy und Linda und fahren nach 16 Uhr ins Tal ab. Im Kuhstall angekommen wärmen wir uns erst einmal auf um dann Après-Ski zu machen. Markus K. und ich lernen Michaela und Mini kennen, die auch aus Stuttgart kommen. Aus dem Kuhstall werden wir um 23.30 Uhr "rausgeschmissen" und gehen in die Pizzeria zum Essen. Um 2 Uhr ziehen wir nach 16 Stunden unsere Skistiefel aus. Das Gefühl danach ist einfach unbeschreiblich.

 

Montag, 15.02.99:

Der dritte Tag mit Sonne und Pulverschnee mit dem Unterschied, dass es langsam wärmer wird - wir haben jetzt schon –15°C!
Uwes Bekanntschaft hat für diese Nacht keine Unterkunft und schläft deshalb bei uns. Markus K. und ich kommen aus dem Kuhstall um kurz zu duschen und treffen uns anschließend mit Micha und Mini im "Post-Hörnd’l" (auch eine Diskothek). Dort sind wir mit Abstand die Jüngsten, die restlichen Gäste könnten durchweg unsere Eltern sein. Wir entscheiden uns dann doch wieder für das "Feuer & Eis".

 

Dienstag, 16.02.99:

Es ist erstaunlich, dass wir trotz langer Nächte morgens fit sind und schon relativ früh auf die Idalpe fahren. Die intensive Sonne lädt einfach zum Skifahren ein. Nach dem Kuhstall gehen wir mal wieder in die Pizzeria und danach früh ins Bett.

 

Mittwoch, 17.02.99:

Der Tag 1! Warum? Später!

Das Wetter ist nicht mehr ganz so toll, es ist bewölkt dafür aber nicht mehr so kalt. Am Nachmittag fängt es zu schneien an, wir fahren also etwas früher als sonst mit der Seilbahn ab und gehen in den Kuhstall. Um 21 Uhr kommt Uwe zu Micha, Markus K., Mini und mir und teilt uns mit, dass keine Taxis mehr fahren und die Straße nach Kappl gesperrt wurde. Micha und Mini wollen dies nicht glauben, deshalb gehen wir bei starkem Schneefall nach draußen und versuchen mehr herauszufinden. Das Ergebnis ist erschreckend: Die Straße wurde innerhalb von 30 Minuten gesperrt, niemand darf über die Schranken hinaus. Die beiden sind absolut ungläubig, wollen es nicht wahrhaben. Wir sind kurz davor sie in den Schnee zu stecken als sie es doch endlich akzeptieren. Also bleibt Micha und Mini nichts anderes übrig als unser Angebot anzunehmen und bei uns zu schlafen. Wir sind von nun an also zu fünft in einem Doppelzimmer mit Zustellbett.

Das war also Tag 1.

 

Donnerstag, 18.02.99:

Nach der ersten Nacht zu fünft schauen wir morgens aus dem Fenster und sehen nur weiß. Starker Schneefall und somit keine Motivation auf den Berg zu fahren. Uwe entscheidet sich dann doch irgendwann zu boarden und fährt hoch. Die Straße bleibt vorerst zu, die Lawinen-Kommission tritt wieder um 13.30 Uhr zusammen. An der Lage ändert sich nichts, die Straße bleibt zu. Wir versuchen das Beste daraus zu machen und gehen abends wieder in den Kuhstall.

 

Freitag, 19.02.99:

Es schneit noch immer. Die Straße bleibt weiterhin zu.
Wir bewegen uns trotzdem in die Seilbahn und fahren Ski.
Inzwischen regnet es im Tal, Après-Ski wird im Kuhstall gefeiert, wo man so langsam die Gesichter kennt.

 

Samstag, 20.02.99:

Eigentlich wollten wir heute spätestens abreisen, das fällt wohl aber ins Wasser – es regnet und die Straße nach Kappl bleibt zu allerdings wird die Straße in den Vorort von Ischgl geöffnet und wir bringen Micha und Mini zu ihrer Pension. Nach drei Nächten haben wir jetzt das erste mal wieder unser Zimmer für uns.
Heli-Air und die Firma Wucher sind inzwischen dabei die Leute für ATS 2500,- (ca. DM 360,-) auszufliegen. Mittags hört es zu regnen auf und die Sonne läßt sich ein bißchen blicken. Abends fängt es wieder zu schneien an, das ist ja aber eigentlich nichts Neues.

 

Sonntag, 21.02.99:

Die Straße ist zu, mit Skifahren ist auch nichts: die Liftanlagen sind wegen Sturmwarnung außer Betrieb. Wir gehen in das "Ischgler Erlebnisbad" und planschen ein bißchen rum.
Unser restlicher Tagesablauf besteht aus Essen, Fernsehen, Schlafen, Chips. Nicht ein mal weggehen macht mehr Spaß, denn der Kuhstall bleibt auch leer.

 

 

Montag, 22.02.99:

Straße? Fragt lieber nicht. Die nächste Information gibt es jetzt sogar erst am Mittwoch.
Markus K. und ich gehen um 17 Uhr in die kostenlose Vorstellung von "Dr. Doolittle", man muß ja dem Lagerkoller vorbeugen und trotz heftigster Schneefälle wagen wir uns nach draußen.

 

Dienstag, 23.02.99:

Heute ist der "Tag der offenen Tür" bei der Silvretta-Seilbahn AG und wir haben die Möglichkeit uns alles genau zeigen zu lassen. Also nehmen wir die Gelegenheit war uns schauen auch einmal hinter die Kulissen. An den Schneefall haben wir uns so langsam gewöhnt, pro Nacht fast ein Meter Neuschnee ist allerdings doch etwas heftig. Inzwischen fangen bei den wenigen Flügen, die noch stattfinden schon regelrechte Schlägereien statt – jeder will als erster ausfliegen. Abgesehen davon geht es zu wie auf der Titanic: Die Gäste die mit dem Bus aus den 5-Sterne-Hotels gebracht werden dürfen direkt zu den Helikoptern vor und werden ausgeflogen, der Rest muß warten, warten, warten.
Über das Lawinenunglück in Galltür werden wir von unserem Vermieter informiert und gleichzeitig wird uns mitgeteilt, dass wir die Häuser auch nicht mehr verlassen dürfen. In unserer Pension macht sich ein ungutes Gefühl breit – 8 km entfernt wird jeder Helfer gebraucht und man darf nicht einmal aus den Häusern.

 

Mittwoch, 24.02.99:

Endlich hat es aufgehört zu schneien, um 6.45 Uhr fliegen die ersten Helikopter nach Galltür.
Für Ischgl stehen 25 Tonnen Lebensmittel in Landeck bereit, die eingeflogen werden sollten – die Hilfe in Galltür geht jedoch vor und es hat (fast) jeder Verständnis. In den Supermärkten sieht es zwar traurig aus was Obst und Gemüse oder Chips betrifft, die Grundnahrungsmittel sind jedoch ausreichen vorhanden.
Jetzt sind wir auch schon so weit, dass Teile von Ischgl evakuiert werden, im ganzen Ort sind Absperrungen zu finden, es wird zwei bis drei Meter Schnee auf der Straße aufgetürmt und somit kann man nicht mehr so einfach drüberklettern (auf die Idee wären wir auch nicht gekommen aber es gibt ja genügend andere Verrückte).
Nachmittags fängt es wieder zu schneien an und die Luftbrücke bricht zusammen.
Abends herrscht wieder Ausgehverbot, die Gefahr einer Staublawine ist hoch – Staublawinen verursachen einen extrem hohen Luftdruck, die Lunge platzt und es werden sogar Bagger und LKWs durch die Luft gewirbelt.

 

Donnerstag, 25.02.99:

Das Wetter hat sich gebessert und die Evakuierung von Galltür ist in vollem Gange. Jede Minute fliegt ein Helikopter über unsere Pension. Wir schaufeln zum x-ten mal das Auto aus mit der Hoffnung, dass irgendwann die Straße aufgeht. Die Straße bleibt natürlich zu. Dafür bekommen wir einen Anruf von Micha und Mini: Sie werden evakuiert und fliegen raus. Ab 10 Uhr kann man zum Gratisskilauf auf die Idalpe fahren – Uwe boardet, Markus K. und ich finden es etwas makaber, fahren aber auch mit hoch und genießen die Sonne.
Nachmittags bekommen wir wieder einen Anruf: Micha und Mini sind jetzt in Ischgl in der Tiefgarage und warten darauf aus dem Tal geflogen zu werden. Jetzt ist auch nur noch ein Supermarkt geöffnet, der andere liegt in einem stark gefährdeten Gebiet. Die Getränke werden langsam knapp – es gibt noch Sprite (wer mag das auch außer Markus K. und mir noch?), Säfte und harte Alkoholika. Abends kommt ein Fax in jeder Pension an: "Wer Ischgl vor dem Wochenende sicher verlassen möchte kann sich am Freitag ausfliegen lassen." Wir fangen also an und packen unsere Taschen neu – was kann in Ischgl bleiben und was muß mit ?
Um 22 Uhr ruft Mini aus Imst an, es geht ihnen gut, sie wurden ausgeflogen und fahren mit dem Zug nach Stuttgart.
Wir gehen mal wieder ins "Feuer & Eis", Tessy und Linda sind auch noch da – ihr Bus wartet seit Samstag in Imst auf 15 Personen aus dem Paznauntal um sie nach Luxemburg zu fahren. In den letzten Tagen haben wir sie sehr oft getroffen, bei dem Bewegungsfreiraum in Ischgl ist das auch kein Wunder.

 

Freitag, 26.02.99:

Der Tag X

Um 8 Uhr kommt unser Vermieter und sagt uns wir müssen uns schnell entscheiden ob wir raus wollen oder nicht. Wann die Straße vielleicht aufgeht kann uns niemand sagen – wir fliegen. Wir bringen also unsere unwichtigeren Sachen ins Auto und rufen in Deutschland an, dass wir auch evakuiert werden. Die Schlange beim Ausfliegen ist noch relativ kurz, nach 20 Minuten sind wir schon an der Reihe. Um 9.30 Uhr landet ein Transporthelikopter der Bundeswehr und wir steigen ein. 40 Personen sitzen in einer Maschine und wir fliegen los. Nach 12 Minuten landen wir auf der Autobahn, die eigens für die Evakuierung seit Mittwoch gesperrt wurde. Von dort aus werden wir mit Bussen (entgegen der normalen Fahrtrichtung) nach Imst in eine Kaserne gefahren in der unsere Personalien aufgenommen werden. Wir beeilen uns, schieben ein Paar Saitenwürste ein, nehmen uns eine Tafel Milka Schokolade, ein Tetrapak mit Getränk und stellen uns in der nächsten Schlange an: Bustransfer zum Bahnhof Imst. Uns wird ein Ticket ausgehändigt: "Sonderfahrschein Paznauntal". Mit diesem Ticket dürfen wir das gesamte Streckennetz in Österreich und Deutschland kostenlos befahren.
Inzwischen hat Mini auf dem Handy angerufen und gesagt, dass sie und Micha gut in Stuttgart angekommen sind (nach fast 23 Stunden). Sonderzüge bringen uns nach Innsbruck wo wir Gulaschsuppe, Pizza und Getränke erhalten. Dort haben wir eine Stunde Aufenthalt und warten auf den Eurocity nach München. Nach zwei Stunden kommen wir im Münchner Hauptbahnhof an und hetzen zum ICE der extra auf uns wartet. Beide Züge sind natürlich gnadenlos überfüllt, da ja nicht jeden Freitag mit so einem Ansturm gerechnet wird. Die Zugbegleiterin im ICE macht eine Durchsage, in der sie erklärt warum der Zug Verspätung hat und wer wir sind. Daraufhin sind die meisten recht freundlich und stellen uns sogar ab und zu Fragen.

Um 17 Uhr kommen wir endlich in Stuttgart an – kein Schnee mehr !

Das war also unsere sonderbare Reise in das Tal des Schnees.
Ein ganz herzlicher Dank geht an dieser Stelle noch einmal an die Hilfskräfte, die mit einem enormen Enthusiasmus bei der Evakuierung dabei waren und dafür gesorgt haben, dass alles reibungslos abläuft.

Markus PAUL

Ihr dürft gerne Eure Fragen oder Bemerkungen an mop@bigfoot.de mailen.