17.01.2002

Marc Acardipane

See you in 2017

Marc Acardipane war der erste Impulsgeber des Hardcore-Techno-Sounds. Darin sind sich alle großen Producer der ersten Stunde einig. Als er 1989 in Frankfurt das legendäre PCP-Label gründete, war Techno noch jung und die Unterschiede zwischen den Styles waren kleiner als heute. Als Mescalinum United produzierte er verzerrte Tracks, u.a. den Klassiker "We have arrived", der als erster echter Hardcore-Track gesehen wird. Ohne diese "Innovation" wäre wohl auch die berühmte holländische Gabberbewegung nicht entstanden. Marc selbst distanziert sich von dem Begriff "Gabber", da dieser nichts mit dem Sound, sondern nur etwas mit der Szenenkultur und Mode zu tun habe. Vor einigen Jahren zog er nach Hamburg und gründete d ort das Label Acardipane Records. Mit seinen "Resident E"-Compilations und -Raves sorgte er in letzter Zeit wieder für gesteigerte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dem Hardcore gegenüber. Die Sampler schafften es sogar schon dreimal in die deutschen Charts. Und er hat noch einige dicke Überraschungen für dieses Jahr parat...

Seit seinem achten Lebensjahr macht Marc Acardipane schon Musik. Zehn Jahre lang hatte er Unterricht für klassische und sechs Jahre für elektrische Gitarre. Er hat sogar ein Konservatorium besucht, was von einem Hardcore-Produzenten ja nicht unbedingt erwarten würde. Der Band, die er mit zwölf Jahren gegründet hatte, blieb er sechs Jahre treu, kaufte sich dann aber Keyboards und Computer, da akustische Instrumente ihn dann doch zu sehr einschränkten. Mescalinum United sei kein Zufallsprojekt gewesen, sagt er. Marc war ständig auf der Suche nach etwas Neuem. Paul Elstak hat zusammen mit Headbanger zwei Jahre nach Marcs Release von "We have arrived" den Hook-Sound des Tracks gesampelt, neue Beats darüber gelegt, und das war dann das erste Release von Rotterdam Records. Soviel zu dem Thema, in welchem Land es zuerst Hardcore-Techno gab.
Angefangen hatte alles mit PCP. Die Idee, ein Label zu gründen, hatten Don Demon und Marc schon 1987, als sie sich in einer Frankfurter Diskothek kennengelernt hatten, wo beide am gleichen Tag angefangen hatten, als Kellner zu arbeiten. Zwei Jahre später veröffentlichten sie "Mescalinum United – Into Mekong Center" (PCP001) und von da an gab es nur noch PCP in ihrem Leben. Ohne PCP, ist sich Marc sicher, hätte es wahrscheinlich auch in Holland oder Italien nie eine Hardcore-Bewegung gegeben. PCP war das erste Hardcore-Label weltweit, Rotterdam Records (das erste Hardcore-Label in Holland) kam erst drei Jahre später. Da viele hier in Deutschland erst sehr spät dazu kamen, wüssten das allerdings nur die wenigsten. Marcs Leute waren damals leider die einzigen, die diesen Sound in Deutschland supportet haben, ohne jegliche Unterstützung. Aber auch für PCP war irgendwann die Zeit abgelaufen, und so trennten sich Don Demon und Marc 1996 freundschaftlich, und Marc ging nach Hamburg. Durch den Mega-Erfolg in Holland arbeiteten sie aber noch ca. zwei Jahre zusammen, sind jedoch nicht mehr gemeinsam aufgetreten. "Tief in meinem Herzen lebt PCP immer weiter, denn es war nicht nur ein Label oder ein Liveact, es ist wie ein Feuer in mir und wird nie erlöschen. Meine Mission ist noch nicht komplett."
Vor allem die Holländer hätten seinen Sound kopiert, meint Marc. Kopiert werde immer das, was sich gerade am besten verkaufe und als Marc 1996-98 von allen anerkannten holländischen Magazinen zum besten Producer, besten Liveact und besten ausländischen DJ gewählt wurde und auch noch zwei Awards für den Rave-Hit des Jahres bekommen hatte, fingen viele an, seinen Sound zu imitieren. Anfangs war das o.k., aber irgendwann ging es ihm dann doch "tierisch auf den Sack". "I like it loud" war und ist die meist verkaufte Hardcore-Single ever. Marc hat Gold in Belgien dafür bekommen und war auch in Holland damit in den Sales-Charts vertreten. ID&T hatten 1997 eine Umfrage auf ihrer Homepage gemacht, bei der die holländischen Hardcore Fans ihre all time-Lieblings-Hardcoretracks wählen sollten. Über 10.000 Leute haben da teilgenommen und Tracks von Marc Arcadipane belegten die ersten 11 Plätze. Platz 1 war übrigens "Six million ways to die".
Auf unsere Frage, wie Marc den heutigen Gabber-Sound aus Holland und Italien beurteilt, korrigiert er uns erstmal: "Gabber hat keinen Sound und ist auch kein Musikstil, auch wenn das viele denken. Es ist, oder besser war ein holländischer Lifestyle, aber was sich heute in Holland noch Gabber nennt, hat nicht mehr viel mit der alten Szene zu tun. Heute ist es nur noch eine Modeerscheinung, die Musik wird aber immer weiterleben. Ich selbst bin kein Gabber und war auch nie einer." Sicher wird Marcs Musik vor allem auf Gabber/Hardcore-Partys, aber auch auf Techno- oder Trance-Partys gespielt. Er hat damit kein Problem. Sein Name stehe für seine Musik und nicht für irgendeine Szene. Der momentane holländische und italienische Hardcore-Sound gefällt ihm zum größten Teil überhaupt nicht mehr. Alles klinge gleich. Jeder kopiere den anderen. Es kommen nur noch sehr selten neue innovative Tracks heraus. Marc hofft auf Nachwuchs und neue Impulse. Aber mit dem Producer-Nachwuchs sei das ein Problem, denn die meisten von denen wollten nur "Stars" sein, nichts dafür tun und nichts riskieren. Da geht es nicht um die Musik. Sie versuchten nur, ihre Idole zu imitieren, so aber entsteht nichts Neues. "Wenn du in die Fußstapfen anderer trittst, wirst du keine eigenen hinterlassen. Und darum geht es doch, Geschichte zu schreiben. Vergesst nicht, wenn wir mit 60 Jahren da sitzen, werden wir Joey Beltrams 'Mentasm' hören, so wie meine Eltern heute andächtig den Beatles aus ihrer Jugend lauschen." Marc bekomme säckeweise DJ-Tapes, aber sehr wenig selbst produzierte Demos und seiner Meinung nach hat man als DJ ohne eigene 12Inch kaum eine Chance, einen guten Gig zu bekommen. Als er sich 1987 das erste Equipment gekauft hatte, war alles noch sehr teuer. Heutzutage brauche man nicht mehr viel Geld, um etwas zu produzieren. Deshalb versteht er auch nicht, warum es so wenig Nachwuchs in seiner Szene gibt: "Was die Szene jetzt braucht, sind neue Hardcore-Producer & DJ-Talente, die nicht immer nur gucken, was die da drüben machen. Seid selber kreativ, und vergesst niemals, ihr lebt im Geburtsland von Hardcore-Techno. Und noch was: Hardcore ist keine Mode, es geht um die Musik." Marc sucht neue Producer für die "Resident E"-Compi und "Resident E"-Recordings, nicht für Acardipane Records. Er gibt zwar zu, dass man als Producer bestimmt auch gute Tracks mit einem PC machen kann, er selbst bevorzugt es aber, in seinem analogen Oldschool-Studio zu arbeiten. Es sei ein besseres Gefühl für ihn, direkt vor seinen Synths zu sitzen und sie zu berühren, als vor einem Bildschirm zu sitzen und alles mit einer Maus zu erledigen. Und davon abgesehen sei der Sound auch ein himmelweiter Unterschied. Digital sucks, seiner Meinung nach.
Marc produziert nur für sich selbst. Vorbilder hat er keine, sein Leben sei seine Inspiration. Das Produzieren ist für ihn Therapie und Tagebuch seines Lebens. Ob anderen seine Tracks gefallen, ist ihm egal. Er freut sich natürlich sehr und ist stolz darauf, wenn seine Musik die Leute glücklich macht oder ihnen im Leben weiterhilft, aber in erster Linie geht es ihm nur darum, sein Ego zu befriedigen und seine Depressionen zu besiegen. Simon Reynolds (ein Schriftsteller aus New York) hat über Marcs Sound in seinem Buch geschrieben: "Vor allem aber gibt es da diese zehrende, verzweifelte Kälte der Sounds, die eine Atmosphäre erzeugt, bei der man beinahe den eigenen Atem in der Luft sieht. Aber für die, die es fühlen können, ist sie einer der größten Räusche, die man im Universum des Sounds erfahren kann." Marc versucht mit seiner Musik, den Menschen die Angst vor der Zukunft zu nehmen, denn er kann sich einfach nicht vorstellen, dass dieses ganze "Menschheitsdrama" ein Happy End haben wird. Seine Visionen sind nichts Mystisches, sie sind jedermanns tägliche Wirklichkeit. "Stell dir vor, du würdest dir die Erde nach der nuklearen Verwüstung anschauen und genießen, was du da siehst – so fühlt es sich an, meine Musik zu hören. Ich werde niemals aufhören, Musik zu machen. Wenn ihr nichts mehr von mir hört, bin ich tot."
Für seinen Liveact braucht Marc derzeit einen Partner, der 100 Prozent Zeit und Leistung bringt. Dick Rulez, sein "neuer" MC, war früher schon bei PCP dabei und sie haben auch schon einige Platten zusammen gemacht. Er hat für Marc alles stehen und liegen gelassen. Das sei die richtige Einstellung. Tom, Marcs letzter MC (DA TMC) ist immer noch gut mit ihm befreundet, es gab auch keine persönlichen Differenzen zwischen ihnen. Aber für Tom war die Bühne immer mehr ein Hobby gewesen. Das gehe einige Zeit gut, bringe das Projekt aber nicht weiter. Für Marc ist die Musik kein Hobby, sie ist sein Leben. Es gibt nichts Wichtigeres.
Die deutschen Städteszenen sieht Marc immer noch relativ stabil. Auch wenn er mit Miro nach Hamburg gegangen sei, hätten sie nach wie vor Kontakt zur Frankfurter Szene, und diese wachse wieder, auch ohne sie. Marc bekommt eine Menge Briefe und E-Mails aus Frankfurt. Aber auch Hamburg bietet einiges: Die Nordcore GMBH mache heute mehr Partys als früher und wird auch bald wieder neue Tracks releasen. Auch im Tresor in Berlin sind jetzt regelmäßig Hardcore-Veranstaltungen und über den Pott brauchen wir gar nicht zu reden, da sei jeder zweite mit einer "Resident E"-CD bestückt und die Jungs von PTP machen dort die größten Hardcore-Partys deutschlandweit. Marc sieht diese Entwicklungen sehr positiv.
Mit seinem "Resident E"-Projekt will er neue Größendimensionen erreichen und auch in die Charts. Wir haben ihn nach seiner Einstellung zum Kommerz gefragt, derzeit ja ein allgemein vieldiskutiertes Thema: "Resident E" war schon dreimal in den deutschen Verkaufs-Charts. Marc hat Gold für "I like it loud" bekommen, hatte mit "Don't Touch That Stereo" einen Top3-Hit in Belgien und "No Sukkaz" war Platz 3 der österreichischen Charts. Jeder, der eine Platte oder CD veröffentlicht, wolle sie auch verkaufen, das sei deswegen noch kein Kommerz. Man teile nur mit anderen seinen Geschmack. Wenn jemand Marcs Musik hören wolle, so müsse dieser eben dafür bezahlen, damit er selbst überleben und weiter Musik machen könne. Das sei ein Geben und Nehmen, ganz einfach. "In meinen Augen ist man erst dann kommerziell, wenn man Musik macht, nur um sie zu verkaufen." Wenn es ihm nur ums Geld gehen würde, dann gäbe es genügend einfachere Möglichkeiten, Geld zu verdienen, als mit Hardcore, versichert er.
Wenn Marc überlegt, wie wenig Leute in Deutschland an der Hardcore-Bewegung wirklich effektiv mitarbeiten, dann habe sich da schon einiges getan. Hardcore werde größer, Tag für Tag, und Resident E habe sehr viel dazu beigetragen. Die Kidz von heute kennen den Rave nicht mehr, wie sie ihn kannten: Mehrere hundert Kilometer zu fahren, nur um auf eine Party zu gehen, Leute von überall zu treffen, um mit ihnen zu feiern, genau das hat Hardcore zurückgebracht. "Die Worte 'Hardcore, Rave, Trance und Techno' sind von den Medien und leider auch von vielen Producern und DJs so beschmutzt worden, dass jeder 16-jährige, der einmal Clubrotation auf Viva gesehen hat, null Bock auf Techno hat. Das würde mir aber heute genauso gehen, wenn ich es nicht besser wüsste."
Die alte Techno-Garde werde nie sterben. Die wüssten noch, um was es geht. Marc hat Sven Väth neulich mal wieder auflegen sehen und er muss sagen, das dieser Mann immer noch 200% Gas gibt, so wie er ihn noch aus dem Gray, Omen oder sonst woher kennt. Der Mann habe eine Ausdauer und eine Spielfreude, das sei unglaublich. Es war 13 Uhr, noch drei Leute im Laden, und er habe immer noch gespielt! Da könnten sich einige mal ne Scheibe abschneiden. Als Paul van Dyk einmal drei Tage bei ihm im Studio war, war Marc echt überrascht, was dieser alles über Equipment wusste. Paul van Dyk produziert all seine Tracks allein, was ja heutzutage leider bei den wenigsten DJs der Fall sei. Er habe verdammt viel Respekt Marc und dessen Musik gegenüber gezeigt, denn beide kommen aus einer Zeit, wo alles noch "Techno" hieß; es gab keine Schubladen. Techno sei Techno, ob hart, schnell oder langsam, für Marc gibt es nur gut oder schlecht und es komme natürlich darauf an, Musik richtig und situationsbedingt zu benutzen. Man sehe das ja am Erfolg von Oliver (The Horrorist). Sein Label war früher bei Marc im Vertrieb, weil kein anderer an ihn geglaubt hat. Vier Jahre später war die gleiche Platte "One Night In NYC" in den deutschen Charts, weil Chris Liebing sie supportet hatte: "Es gibt einfach zu wenig DJs mit Eiern, die sich trauen, mal was neues auszuprobieren".
Die besten Producer zu nennen, sei schwer, aber als herausragend im Technobereich nennt Marc: Aphex Twin, James Pennington, Joey Beltram, Derrick May, Miro, Cisco Ferreira, Mad Mike, The Horrorist, Richie Hawtin, Jeff Mills, Lory D. und Speedy J. Jeder von denen habe seinen eigenen Stil und man könne immer einen guten Track erwarten. Auch zu einigen Techno-DJs hat Marc eine bestimmte Meinung: Carl Cox, Sven Väth oder Laurent Garnier haben sehr viele seiner Tracks gespielt, aber DJs von heute wie ATB, Pulsedriver und Konsorten würden niemals eine Platte von ihm auflegen, bevor sie nicht in den Charts sei oder von allen anderen gespielt werde. Denen gehe es leider nur ums Geld und in ein paar Jahren werde sich keiner mehr an sie erinnern, ihn aber werde es immer noch geben. "Ich akzeptiere jede Musikrichtung, wenn der Künstler 100% hinter seiner Musik steht und du das auch fühlen kannst. Alles andere ist Pop-Musik".
Marc hat Großes vor im neuen Jahr, die Aufräumzeiten sind vorbei und die Weichen gestellt: Marc hat gerade weltweit als Künstler bei "Ministry Of Sound" unterschrieben. Sie werden "I like it loud" in neuen Versionen und einigen Remixen im Frühjahr 2002 neu veröffentlichen. Ein Video wird es auch geben. Die Live-Takes wurden am 8. Dezember auf der "Hardcore Nation" im Fila Forum in Mailand gedreht. Es waren mehr als 10.000 Hardcore-Supporter dort. Der Rest folgt Anfang nächsten Jahres. Viele werden jetzt denken: Hardcore bei "Ministry of Sound"??? Aber genau das war der Reiz für Marc. Sie haben "I like it loud" zufällig gehört und nach 30 Sekunden hat man ihm den Deal angeboten. Mit "Resident E" hat Marc auch Einiges vor. Es sei an der Zeit, über große Raves in Deutschland nachzudenken und sie zu verwirklichen. Im März 2002 wird "Resident E – Episode 6" in den Läden stehen und im Februar 2002 wird es zusätzlich noch eine neue CD-Compilation auf Edel namens "Harder Than You" geben, die von Simon Underground & Drokz compiled und gemixt wird. Acardipane Records und Resident E Recordings wird ab 2002 weltweit über Intergroove vertrieben. Das erste Release wird Mescalinum United "We have arrived 2002" sein, mit Remixes von Aphex Twin, The Advent, Promo, The Horrorist, Miro und und und...
An dieser Stelle mal ein fettes Danke an Olaf und Ralf und die gesamte Intergroove- Posse, Edel Media und die Ministry-Of-Sound-Crew. The next step into the future...
Martin Lang