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27.Mai.98 Jungle World

Klirrende Luft im Bienenkorb 

Bei der Formel 1 gewinnt nicht Michael, sondern Mika, und deswegen ist die Sportart in Gefahr 

Spannender Sport liegt für deutsche Medien traditionell immer dann vor, wenn ein deutscher Sportler seinen Kollegen haushoch überlegen ist. Als Stefanie Graf das Damentennis derart dominierte, daß sie die Grand Slam-Titel gleich reihenweise abräumte und ihre Gegnerinnen in den Endspielen höchstens dann eine Chance hatten, wenn sich "die Gräfin" verletzt hatte, da war diese Sportart nach Auffassung der meisten Kommentatoren unerhört spannend. Seit Graf kaum noch bei Turnieren startet und die Schweizerin Martina Hingis ihren Job inklusive dem Dominieren der Konkurrenz übernommen hat, da ist das Damentennis plötzlich unglaublich langweilig geworden. Jedenfalls aus der Sicht der meisten deutschen Sportjournalisten. 

Ähnliches spielt sich gerade bei der Formel 1 ab. Denn dort ist es nicht Michael Schumacher, der in dieser Saison vom Start an in Führung liegend die Rennen gewinnt, sondern der Finne Mika Hakkinen. Und schon wird das, was früher "ein souveräner Sieg", "eine Demonstration der Überlegenheit" oder "eine grandiose Vorstellung" war, zu einer dem Sport die Spannung nehmenden und ihn dadurch sogar zerstörenden Veranstaltung. So wurde das Rennen von Monaco am letzten Wochenende zur "letzten Chance", denn, erklärten die Experten, Michael Schumacher habe dort die Möglichkeit, endlich wieder zu gewinnen, damit zu dem das Gesamtklassement anführenden Mika Hakkinen aufzuschließen und somit "die Formel 1 wieder spannend zu machen". Jedenfalls für die deutschen Zuschauer, die beim übertragenden Sender RTL schon fast schmerzlich vermißt werden: Seit Saisonbeginn ist die Einschaltquote von zwölf auf 6,9 Millionen gesunken. 

Der Formel 1-Showdown wurde also auf das sechste von 16 Rennen vorverlegt und war schon im Vorfeld, so erklärten die RTL-Moderatoren Heiko Waaser und Jochen Maas im verzweifelten Versuch, den Fans das Rennen schmackhaft zu machen, unglaublich spannend: "Alles rennt durcheinander wie ein Bienenkorb", hier "klirrt die Luft", man konnte schon "bißchen Motorensound schnuppern". 

In der 38. Runde dann wurde das Rennen richtig spannend, wenn auch nicht so, wie Schumi-Fans sich das so vorgestellt hatten. Ihr an dritter Position liegendes Idol wollte nämlich unbedingt am vor ihm fahrenden Alexander Wurz vorbei, obwohl der noch nicht zum Tanken an der Box gewesen war und Schumacher ein paar Runden später kampflos seinen Platz hätte einnehmen können. Aber Zweiter werden wollte der eben jetzt sofort, die beiden Autos knallten also ein paarmal aneinander, und nur ein paar hundert Meter später war klar, daß der Ferrari kaputt war. Sehr kaputt, Schumacher stieg sofort und sehr resigniert aus dem Karren aus, aber seine Mechaniker schoben ihn wieder hinein, denn lange, so versicherten sie, würde die Reparatur nicht dauern, ehrlich. 

Sie dauerte dann aber doch sehr und unvorhergesehen lange, viel zu lange, als daß es sich noch lohnen würde, das Rennen wieder aufzunehmen, aber nun bekam man den Fahrer nicht mehr aus dem Auto heraus, denn der war mittlerweile sehr bockig geworden. Und wollte weiterfahren, auch als die Mechaniker andeuteten, daß für Schumacher, mit vier Minuten Rückstand auf dem letzten Platz liegend, die Siegchancen realistisch betrachtet doch eher gering seien. "Mir doch scheißegal. Da fallen bestimmt noch ganz viele aus. Und wenn nicht, schieße ich die einfach ab. Einen nach dem anderen. Das hab ich geübt!" quengelte der ehemalige Weltmeister daraufhin wohl, solange, bis das Ersatzteil von den genervten Männern in den feuerfesten Overalls schließlich ausgewechselt worden war. "Ihr werdet noch sehen!" rief er der Boxencrew zu, bevor er zurück auf die Strecke raste. 

"Das ist toll für die deutschen Fans, so sehen sie ihn wenigstens noch", lobten die Fernsehkommentatoren Schumachers Einsatz, während der wahrscheinlich per Sprechfunk die vor ihm liegenden Teams bedrohte: "Wenn eure Gurke da vorne nicht sofort Platz macht, dann könnt ihr schon mal den Schrotthändler anrufen!" 

Aber natürlich machte niemand Platz, und führte Mika Hakkinen nun mit 22 Punkten Vorsprung, denn Schumacher wurde nur Zehnter. In einem aus deutscher Sicht wohl wieder schrecklich langweiligen Rennen. Aber schon bald, das deuteten die RTL-Kommentatoren an, wird Ferrari eine neue Wundertechnik entwickelt haben, und dann wird es der Michael dem Mika so richtig zeigen. Falls er für die nächsten Rennen andere Konzentrationsübungen entwickelt als die von ihm in Monaco angewendete mentale Wettkampf-Taktik: "Ich denke beim Fahren an meine Tochter. Und an meine Frau."

  •  Elke Wittich

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