Life am Stil
Es gibt Begriffe, die wenig aussagen, unter denen man aber eine Menge einordnen kann. Schubladen, die helfen, die Welt zu verstehen. Ein solcher Begriff ist „Lifestyle". Doch wo beginnt das „Life", wo endet der „Style"?
Lifestyle ist ein solches Unwort, sagt Holger Linde, Geschäftsführer der Kölner Agentur gofelix. Sie hat sich auf schwules Marketing spezialisiert - Zielgruppenmarketing. In einer großen Studie hat gofelix die Schwulen durchleuchtet. Nicht bloß Schwule aus der so genannten Szene oder die Leser einschlägiger Zeitschriften wurden befragt, sondern die Schwulen in ihrer Gesamtheit. Die Studie, so der Agenturchef, „liefert einen vertieften Einblick in die schwule Welt und stellt dar, inwieweit bestehende Vorurteile über Einstellungen, Verhalten und Konsumgewohnheiten von Schwulen aufrechterhalten werden können".
Sägt Holger Linde,der mit seiner Studie schwule Lifestyles beschreibt, etwa den Ast ab, auf dem er sitzt, wenn er sagt, „Lifestyle" sei ein Unwort? Nur scheinbar. „Lifestyle ist ein künstlicher Begriff, der Wertvorstellungen und Konsumverhalten zu beschreiben versucht", sagt Linde. Es gibt nicht den schwulen Lifestyle, es gibt verschiedene Lifestyles. Auch in seiner Studie entdeckte gofelix nicht den Modell-Homo schlechthin, sondern fünf verschiedene Typen. Das ist immer noch sehr vereinfacht, gibt Linde zu,„aber Marketing braucht diese Bilder, um Dinge begreifbar zu machen."
In den Achtzigern war schwuler Lifestyle von der Durchsetzung politischer Ziele geprägt. Das hat sich längst verändert. Nur wenige interessieren sich für die gesellschaftliche Stellung des Homosexuellen an sich. Die Prioritäten haben sich verschoben, die Werte haben sich verändert. „Der Schwule lebt ja nicht isoliert, er ist ja nicht ausschließlich schwul, das ist ein Teilaspekt seiner Persönlichkeit", sagt Paul Köntopp, Geschäftsführer der Werbeagentur Forelle media aus Berlin. „Werbung arbeitet nun mal mit Klischees, mit Bildern. Und das Konzept des Lifestyles ist letztlich auch so ein Bild." Den schwulen Lifestyle gibt es nicht, sagt auch Köntopp:„Es gibt viele verschiedene Lebensstile. Da treffen Werte auf Lebensentwürfe und die bestimmen die unterschiedlichen Lebensstile. Natürlich gibt es Lebensstile, die sich ähneln, weil sich die Werte ähneln." Strenggenommen hat jeder seinen eigenen Lebensstil. Als Marketingbegriff sagt Lifestyle nichts aus, es ist eine Projektionsfläche, die wiederum eine Krücke für die Werber ist.
Menschen können mit diesem Begriff aber immerhin besser beschrieben werden als mit demografischen Kriterien wie Alter, Geschlecht, Einkommen. Der Begriff Lifestyle ist Ausdruck für eine veränderte Wahrnehmung. Konsumenten sind nicht länger bloß Zahlen, sie werden differenziert wahrgenommen. Da sind Schwule als Gruppe im Gegensatz zu Heteros immer noch homogener und damit greifbarer für die Werbeindustrie. Natürlich geht es den Herstellern darum, ihre Produkte besser abzusetzen, die Zielgruppe besser einzukreisen und zu bestimmen. Manche schießen dabei übers Ziel hinaus:„Einige versuchen mit schwulem Lifestyle alles zu verkaufen, von Avocadocreme bis zu Zylinderstiften", sagt Köntopp. „Das ist natürlich Blödsinn. Manche Labels sind ziemlich albern, aber offensichtlich wirksam. Ein Teddy, der sich nur verkauft, weil er eine Regenbogenfahne hält, zeigt, wie leicht sich manche übers Ohr hauen lassen."
Alle Menschen werden als Originale geboren, aber die meisten sterben als Kopie.
Schwule sind, entgegen den Klischees, nicht die Trendsetter schlechthin, sie nehmen Trends aber schneller auf, sind early adopters. Köntopp, dessen Agentur schon erfolgreich für schwule Zielgruppen gearbeitet hat, sagt: „Schwule sind durch ihre individuelle Geschichte, durch ihr Coming-out, meist aufmerksamer, haben feinere Antennen. Bei vielen ist das Bedürfnis, dazuzugehören, sehr ausgeprägt und Konsum hilft ihnen scheinbar dabei."
Was hip und trendy ist, wird gekauft. Und Voila: schon hat man ein bisschen Normalität - ein Stück von einem (fremden) Life¬style. Aber ist es der eigene? Jeder sollte sich selbst genau überlegen, welche Werte in seinem Lebensstil repräsentiert werden. Ein schlauer Mann sagte einmal, dass alle Menschen als Originale geboren werden, aber die meisten als Kopie sterben. Wer sich bewusst macht, was auf seiner Prioritätenliste ganz oben steht, ist weniger anfällig für die Verführungen der schönen Werbewelt. Mit dem Wandel der Werte, mit der Veränderung von Gesellschaft verändert sich natürlich auch der Einzelne und damit sein Lebensstil.
Aber wer aufmerksam durchs Leben geht und die erwähnten Antennen nicht nur nutzt, um die aktuellen Trends wahrzunehmen, sondern für seine ganz persönliche Entwicklung, für den stellt sich nicht mehr die Frage, wo das Leben beginnt und der Style endet - für den ist sein Lifestyle einfach Ausdruck dafür, wie er sein eigenes Leben lebt.
helix - 10. Jul, 09:00
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