Home
Mittwoch, 17. September 2008

Empfehlen Sie den Lesesaal Freunden und Bekannten!

Bitte geben Sie den Sicherheitscode ein

absenden
Lesezeichen:
yigg delicious link webnews digg wong Furl Oneview

Forum:

Was taugt die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2008?

Mit dem Anspruch, die sechs besten deutschen Romane des Jahres zu präsentieren, hat der Börsenverein heute die Shortlist zum Deutschen Buchpreis veröffentlicht. Und dieser wäre keine begehrte, auflagensteigernde Auszeichnung, wenn die Entscheidung der Jury nicht angezweifelt würde. Oder gibt es dazu keinen Grund? Diskutieren Sie mit unseren Experten im Forum. Sie können kommentieren oder eigene Beiträge schreiben.

Beiträge

18.09.2008 | 12:21 Uhr

Bodo Kirchhoff: Die Geister, die ich rief -

auch wenn ich zu denen gehöre, die den Deutschen Buchpreis mit auf den Weg gebracht haben, vielleicht so engagiert wie kein anderer, erschrecke ich heute vor dem Ergebnis: Es spielt eigentlich keine Rolle, welches von den sechs Büchern am Ende gewinnt, denn

einem ist die volle Aufmerksamkeit ohnehin sicher - und das Medienereignis, für das ich selbst so lange gestritten habe, ist heute die beste Entschuldigung für das Publikum, sich für alle übrigen Bücher gar nicht erst interessieren zu müssen. Alles auf ein einziges Buch (unter dutzenden von respektablen) hinauslaufen zu lassen war ein Fehler,verursacht womöglich durch die geheime Sehnsucht des Autors auch einmal dieser überschätzte Übriggebliebene zu sein. Mal sehen, wen es diesmal erwischt.

Kommentare

18.09.2008 | 20:25 Uhr
Jens Koberstein schreibt: Danke, Buchpreis, danke danke!

Die verschiedenen kritischen Stimmen, die zwischen Betroffenheit für nicht nominierte Autoren und der Forderung, den Buchpreis ersatzlos zu streichen, schwanken, lösen in mir nur erstaunte Verwunderung aus. Habe ich da vielleicht was falsch verstanden?

Werden die Nicht-Gewinner-Bücher etwa eingestampft?
Nur so nebenbei: auch andere Medien sortieren im Djungel der Neuerscheinungen aus. Zeitschriften, Zeitungen, Literatursendungen. Alles abschaffen? Wären labyrintartige Lagerhallen vielleicht besser?

Die Longlist ist eine weitere Orientierungshilfe, nicht mehr, nicht weniger. Und wie wunderbar, ich habe Autoren entdeckt, die ich noch nicht kannte. Selbstredend werde ich den Gewinner lesen. Doch das bedeutet nicht, dass die anderen Bücher im Nimbus der Unbekanntheit verschwinden werden.

Für mich ist der Buchpreis ein Höhepunkt des literarischen Jahres geworden. Als solcher ist er ein Gewinn für alle. Die Autoren, ihre Bücher, den Handel. Aber vor allem für uns, die Leser.


18.09.2008 | 16:01 Uhr
Daniel Lutz schreibt: Buchpreis-Bashing

Die Larmoyanz der Autoren über den Buchpreis und seine grundrechteverletzende Logik - man stelle sich vor: nur ein einziger kann den Preis gewinnen! - ist unwürdiger als es jeder Preisträger sein könnte.

Nirgends ist diese 'Haltung', die irgendwo zwischen Selbstmitleid und Arroganz herumhangelt, besser zu ersehen als in Bodo Kirchhoffs Bemerkung, der Preis sei "die beste Entschuldigung für das Publikum, sich für alle übrigen Bücher gar nicht erst interessieren zu müssen."

Genau! Denn nach nichts sucht das Publikum heute dringender als nach einer Entschuldigung dafür, Gegenwartsliteratur nicht gelesen zu haben. Endlich kann ich mich, nach den unendlichen Beschwernissen der letzten buchpreislosen Jahrzehnte, zurücklehnen und entspannt nur noch ein Buch pro Jahr zur Kenntnis nehmen - herrlich, diese Übersicht!

Ach, schön und immer wieder lesenswert, was geschätzte Autoren für ein interessiertes und intelligentes Publikum beim Schreiben vor Augen haben.



17.09.2008 | 16:55 Uhr

Thomas Anz: Das Buchpreis-Spiel

Dass zum Beispiel Karen Duve, eine der besten Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nicht auf dieser Bestenliste steht, betrübt mich sehr. Und das ist nicht die einzige Enttäuschung. Solche Listen, die von Kritikern erlesen werden, sind mir jedoch schon immer lieber gewesen als alle Bestsellerlisten, die sich an der Menge verkaufter Bücher orientieren.

Und es geht mir mit ihnen wie bereits als Kind bei diversen Spielen. Das Vergnügen daran stellt sich nur ein, wenn man es ernst nimmt, zugleich aber insgeheim weiß: Es ist ja nur ein Spiel. Keiner glaubt wirklich, dass hier die sechs besten Romane des Jahres präsentiert werden, dass dieser Anspruch überhaupt erfüllt werden kann. Aber die Spielleiter und die Mitspieler müssen so tun, als ob es so wäre. Als Angebot zu einem öffentlichen Literaturschauspiel zeigt der Deutsche Buchpreis mit seinen Regeln, seiner Spannungsdramaturgie bei der Ermittlung von Siegern oder Verlierern, der Fähigkeit, die Zuschauer zum Applaus, zu Buhrufen und zum Mitlesen zu provozieren, 2008 erneut seine Qualitäten.

Kommentare


17.09.2008 | 16:50 Uhr

Hubert Spiegel: Sündenfreiheit für Juroren

Kein liebender Juror, der sich für Martin Walsers Spätwerk begeistert hätte? Kein Liebesbrand, den Feridun Zaimoglus jüngstes Buch in einer Jurorenbrust entfachen könnte? Kein kühler Kritikerkopf, der Marcel Beyers gefeierten Roman "Kaltenburg" mit heißem Herzen hätte durchsetzen können? Nichts von alldem.

Drei der hoch gehandelten Favoriten für den Deutschen Buchpreis haben den Weg auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises nicht gefunden. Wie Soziologen, die keiner Statistik glauben, die sie nicht selbst gefälscht haben, loben auch Kritiker in der Regel keine Jury, der sie nicht selbst angehören. Nichts leichter als Jurorenschelte: Christian Kracht und Annette Pehnt nicht einmal auf der Longlist? Lukas Bärfuss und Uwe Timm nicht auf der Shortlist? Unbegreiflich, skandalös.

Aber der Deutsche Buchpreis ist ja viel mehr als der Versuch, den besten deutschsprachigen Roman des Jahres zu bestimmen. Er ist vor allem ein Spiel, ein Marketing- und Literaturbetriebsspiel mit Fiktionen und um Fiktionen, und die Währung, in der hier Gewinne und Verluste berechnet werden, heißt Aufmerksamkeit. Hat es nicht fröhlich in Peter Handkes Aufmerksamkeitsschatzkästlein geklingelt, als er sich selbst von der Liste nahm? Wird nicht jeder Juror, dem die aufgebrachten Kritikerkollegen am Buchmessenbüffet den Dessertlöffel an den Hals setzen, die Ausrede wählen, Marcel Beyer sei nur ausgeschieden, weil er bereits den viel besser dotierten Breitbach-Preis erhält? Dass Uwe Tellkamp und Ingo Schulze jetzt auf der Shortlist stehen, ist nicht überraschend; aber mit Iris Hanika, Rolf Lappert, Dietmar Dath und Sherko Fatah wurden gleich vier Autoren ausgewählt, die gewiss nicht jeder Branchenkenner auf der Rechnung hatte.

So soll, lässt die Jury wissen, die "reichhaltige Bandbreite" des deutschen Gegenwartsromans gewürdigt werden. Das klingt nun längst nicht so agonal, wie die offiziellen Spielregeln es verlangen, sondern ein bisschen behäbig und nach Landwirtschaftsausstellung: Wir haben nicht nur Kartoffeln, sondern auch noch Rüben und Bohnen.

Aber jetzt diskutieren hier die Erntehelfer der Literatur, und mit ihnen diskutieren Schriftsteller wie die Vorjahrspreisträgerin Julia Franck, die von ihren Erfahrungen berichtet, oder ihr Kollege Michael Lentz, der den Buchpreis am liebsten sofort abschaffen würde. Und der Lektor Wolfgang Matz spricht listig alle Juroren aller Literaturpreise von allen ihren Sünden frei: Wer frei von Sünde ist, darf bekanntlich mit Steinen werfen. Auf geht‘s.

Kommentare


17.09.2008 | 16:48 Uhr

Felicitas Feilhauer: Die Auswahl macht neugierig

Es ist großartig, welche Popularität der Deutsche Buchpreis in der kurzen Zeit seiner Existenz bei den Lesern gewonnen hat (und dass der Preis inzwischen sogar Gegenstand eines Romans ist). Vier der Shortlist-Bücher habe ich wenigstens in Teilen gelesen, von den beiden anderen kenne ich nur die Ankündigungstexte.

Ich glaube, dass die Jury wieder eine Auswahl getroffen hat, die sowohl thematisch als auch von der Bekanntheit der Autoren her die Leser neugierig macht. Und das finde ich wichtiger als die Diskussion, ob ein Autor es mehr oder weniger 'verdient' hat und was 'fehlt'.

Kommentare


17.09.2008 | 14:25 Uhr

Olaf Petersenn: So nicht!

Zu diesem Zeitpunkt kann ich mich nur als Lektor äußern, dessen Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht wurden, weil beide auf der Longlist stehenden Autoren meines Verlages nicht berücksichtigt wurden.

Natürlich ist man immer ein Parteigänger der eigenen Autoren und dementsprechend auch anfällig für Idiosynkrasien. Im Falle von Feridun Zaimoglus Roman "Liebesbrand", einem der meistgelobten Romane dieses Frühjahrs, und Uwe Timms "Halbschatten", dem Roman, der seit seinem Erscheinen Ende August eine Fülle zustimmender Kritiken erhielt und immerhin auf Platz 1 der SWR-Bestenliste steht, gibt es aber deutliche Indizien dafür, es hier mit zwei außerordentlichen Romanen zu tun zu haben, die beide nicht nur einen Platz auf der Shortlist, sondern den Preis selbst verdient hätten.

Nimmt man dann noch hinzu, dass der in der F.A.Z. bereits vorabgedruckte Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" von Christian Kracht nicht einmal für die Longlist nominiert wurde (wie eine ganze Reihe anderer, die ich jetzt nicht einzeln nennen kann), bleibt mir nur, festzustellen, dass hier etwas nicht richtig gelaufen ist. Damit ist keine Wertung meinerseits zu den auf der Liste stehenden Romanen verbunden - dazu werde ich mich nicht äußern.

Kommentare


17.09.2008 | 14:13 Uhr

Wolfgang Matz: Ein schönes Problem

Der wahrscheinlich sinnloseste Zeitvertreib des Literaturbetriebs besteht in Juryschelte. Warum hat A und nicht B den Buch-, Büchner-, Bachmann-, Breitbach-, Braem-, Brentano-Preis bekommen? Ja, warum nicht?

Und wenn ihn B bekommen hätte, und nicht A? Wäre auch nicht leicht zu beantworten gewesen! Zum Glück hat ihn A bekommen!

Die Jury hat entschieden, und eine andere Jury hätte gewiss anders entschieden – was sie dann im nächsten Jahr auch tun kann. So ist die Spielregel, und die Spielregel ist gut. Die Shortlist ist auch gut, denn es sind drei sehr gute Autoren und Bücher darauf, die den Preis dreimal verdient haben. Die 14 jener 20 besten Longlist-Romane, die nun das Rennen verlassen, müssen sich andere Wege in die Literaturgeschichte suchen, und zumindest einige werden ihn sicher auch finden.

Wenn man’s denn persönlich sagen soll, mit eigenen Lese-Interessen und Lese-Vorlieben, dann vermisse ich natürlich die drei anderen großen Romane, die sich um Geschichte und Gesellschaft drehen, also Marcel Beyer, Norbert Gstrein und Norbert Niemann. Ich vermisse natürlich, aus anderen Gründen, Goethe, Marianne von Willemer und den großen Martin Walser. Ich vermisse natürlich Feridun Zaimoglu. Aber das sind auch schon wieder fünf, und für die müsste ich von den drei sehr guten Autoren der Shortlist schon wieder zwei hinauswerfen! Um Himmels willen! Wer sollte das sein!? Ich will ja selber keinen Anlass zur Juryschelte geben.

Das Problem ist ein schönes Problem: Wir haben zu viele sehr gute und gute Romane für die Shortlist. Und man soll sich nichts vormachen: Es gibt Bücher, die brauchen eine etwas längere Zeit, ein etwas längeres Echo als das zwischen Erscheinen und Frankfurter Buchmesse: Es sind ganz sicher nicht die schlechtesten.

Die Jury hat gewählt, und die Chancen, dass wieder ein sehr guter Roman den Deutschen Buchpreis bekommt, stehen nicht schlecht. Also hat die Jury gut gewählt.

Kommentare


17.09.2008 | 14:08 Uhr

Michael Lentz: Der Buchpreis gehört abgeschafft.

Jedes Jahr stürzt er Autoren in Depressionen: man kommt erst gar nicht auf die Longlist (fast alle), man schafft den Sprung auf die Shortlist nicht (weitere 14), man bleibt im Römer sitzen (noch mal 5). Der bedeutendste deutschsprachige Schriftsteller, Peter Handke, hat vorgemacht, wie die Abschaffung von Autorenseite aus zu bewerkstelligen wäre:

lieber nicht möchten und konzertiert von der Nominierung zurücktreten. Damit dieser Unsinn ein Ende hat. Hier werden künstlich erzeugte Abhängigkeiten geschaffen: die ganze Branche schaut nur noch auf den Buchpreis; Bücher, die nicht mal auf der Longlist stehen, bleiben unsichtbar; es findet kein vielstimmiger Diskurs über Literatur mehr statt, vielmehr entscheidet ein betrieblich orientierter Ausschuss über das Buchgesicht des Jahres.

Missgunst, üble Nachrede und Uninformiertheit bei gleichzeitigem Geschwätz über die gelisteten Bücher (nebst angehängten Autoren) sind die Folgen - mit Literatur hat dieser Preis nichts zu tun.

Kommentare

Wolfgang Matz18.09.2008 | 17:44 Uhr
Wolfgang Matz schreibt: Allzu simpel

"Es geht nicht um Literatur, sondern um die Verkäuflichkeit von Literatur ohne großen Aufwand, vom Stapel weg wie die neueste Single vom neuesten Superstar", schreibt Monika Maron weil der Buchpreis "kein Buchpreis, sondern ein Marketingpreis" sei.

Ja, geht’s nicht ein bisschen weniger platt? Wenn eine bekannte Autorin (wie z. B. Monika Maron) einen neuen Roman veröffentlicht, dreht es sich dann nur um Literatur oder nicht auch um die "Verkäuflichkeit von Literatur"? Wenn der Verlag dieser Autorin sich nur geistreich um das Wahre, Schöne und Gute kümmern würde und nicht auch um die schnöde Verkäuflichkeit, dann hätte dieser Verlag sehr rasch eine Autorin weniger.

Kunst ist auch Kommerz, da seufzt man immer wieder gern! Ja, könnte man doch nur von Gedichten und Rotwein alleine leben! Doch es ist ein wenig allzu simpel, alles Übel dieses Tatbestands nun auf den Buchpreis zu häufen. Tun wir doch nicht so, als gehe es daneben überall nur um die hehre Kunst – bei Preisen, Interviews, Fernsehen, Werbung und all den anderen Dingen, die den Autoren Aufmerksamkeit, Erfolg und damit das notwendige Geld in die Haushaltskasse bringen müssen! Lebt man dort im Stande der ökonomischen Unschuld?

Michael Lentz will kurzen Prozess machen und den Buchpreis abschaffen: Lieber Michael, Du hast ja nicht vergessen, warum Du diese Meinung coram publico äußern kannst – weil das etwas kleinere, aber eben doch: das Spektakel Bachmann-Preis Dir mit einem Schlag die Öffentlichkeit verschafft hat, die Du zuvor und ohne das nicht hattest. Monika Maron will einen Boykott: Dann boykottieren wir am besten Preise, Interviews, Fernsehen, Werbung und all die anderen bösen Dinge gleich mit.

Nicht die große Aufmerksamkeit ist das Böse: die Frage ist, wofür es die Aufmerksamkeit gibt. Für Literatur oder für Trivialitäten? Martin Lüdke hat vollkommen recht: Der wunderbare, eigensinnige, poetische und ganz und gar nicht für "krawallige Castingshows" (Maron) geeignete Arno Geiger hat erst durch den Deutschen Buchpreis die Bekanntheit bekommen, die er schon lange vorher verdiente, – und damit die literarische Freiheit, seinen eigensinnigen Weg weiterzugehen, den er auch sonst weitergegangen wäre. Nicht recht hat er, nebenbei gesagt, dass Geiger "bereits auf der Abschussliste seines hehren Verlages" stand, weil der "halt auch auf die Verkaufszahlen sehen" musste.

Gemach, gemach! Arno Geigers bewundernder Lektor wäre bekanntlich zu Fuß von Wien nach Frankfurt marschiert, wenn’s der Sache, also dem Autor geholfen hätte. Zum Glück gab es wirksamere Mittel. Und Listen gibt es in dem hehren Verlag zwar wie Sand am Meer, aber, glaubt es oder nicht, keine einzige Abschussliste.

Bei allem schönen Kulturpessimismus: Keiner sollte die Leser all dieser Bücher für dümmer erklären, als sie sind. Bis heute existieren noch genug Möglichkeiten, einen nicht eingereichten oder nicht nominierten Autor zum Erfolg zu bringen. Man erinnert sich: Thomas Glavinic hat einen so komischen wie verzweifelten (auf der Shortlist plazierten) Roman geschrieben über einen bedauernswerten und verzweifelten Autor, dessen kaum für die Simplen gestrickter Roman "Die Arbeit der Nacht" hat es nicht einmal auf die Longlist geschafft hatte. Aber das Publikum hat "Die Arbeit der Nacht" zu einem höchst erfolgreichen Buch gemacht, erfolgreicher als mancher stolze Finalist.

Wenn irgendwann tatsächlich nur noch Long- oder Shortlisten entscheiden sollten, dann würde es in der Tat bedenklich. Aber so weit ist’s noch nicht, und man sollte es nicht herbeireden. Reden wir doch statt dessen lieber über die Bücher, die’s diesmal nicht geschafft haben. Niemand in der literarischen Öffentlichkeit ist gezwungen, sich einem nicht vorhandenen Zwang zu beugen.

Unterm Strich wird nur eines entscheidend sein: Ob der Preis weiterhin Autoren prämiert, die es verdient haben – literarisch verdient haben. Die Wahl der drei bisherigen Preisträger hält stand: So muss es weitergehen.


Martin Lüdke18.09.2008 | 12:12 Uhr
Martin Lüdke schreibt: Ums Geschäft geht's immer

Erstaunlich, wie Autoren, die doch häufig von der Hand in den Mund leben, und von daher für die ökonomischen Grundlagen ihrer Existenz sensibilisiert sein sollten, noch über den Wolken wandern, wo die Freiheit bekanntlich grenzenlos ist.

Der Preisträger des ersten Buchpreises stand, wie wir wissen (können) bereits auf der Abschussliste seines hehren Verlages, der halt auch auf die Verkaufszahlen sehen muss. Er war auch nicht vom Verlag nominiert worden – hat aber den Preis gewonnen und dadurch seine Existenz als Autor für absehbare Zeit sichern können.

Im letzten Jahr hat Katja Lange-Müller den Preis nicht bekommen, aber dafür eine Auflage erreicht, ihre höchste überhaupt, die sich sicher auch den Diskussionen mit verdankt, die ihre Nicht-Prämierung provoziert hat. Der langen Rede kurzer Sinn: Nominierung hin, Nominierung her – auch die Autoren, die nicht berücksichtigt werden, kommen – deshalb oft – in die Diskussion und profitieren damit auch von diesem Instrument.

Überhaupt: dieser Preis löst Diskussion aus. Dagegen können nur planwirtschaftlich ausgerichtete Kommentaren etwas haben. Ums Geschäft geht's immer, und zwar in erster Linie. Als Alternative schlage ich Sammelbüchsen vor, mit denen sich unsere Schriftsteller in der Vorweihnachtszeit vor den Kettenläden, Thalia, Hugendubel etc., ihre Einkünfte durch klingende Münze aufbessern könnten. Gutverdiener wie Michael Lentz oder Monika Maron sollten für Kollegen betteln.


17.09.2008 | 19:14 Uhr
Monika Maron schreibt: Wir Autoren sollten den Preis boykottieren

Es ist vollkommen gleichgültig, ob die Shortlist akzeptabel ist oder nicht, ob das prämierte Buch den Preis verdient haben wird oder nicht, weil dieser Preis kein Buchpreis, sondern ein Marketingpreis ist.

Es geht nicht um Literatur, sondern um die Verkäuflichkeit von Literatur ohne großen Aufwand, vom Stapel weg wie die neueste Single vom neuesten Superstar.

Diese krawallige Castingshow dient weder den Verlagen, noch weniger den Autoren, sondern vor allem den bestsellersüchtigen Buchhandelsketten, deren vielgeschmähtes Geschäft wir mit diesem Preis nun aber selbst auf die Spitze treiben.

Dieser Preis gehört abgeschafft, schreibt Michael Lentz; recht hat er. Statt dessen spielen alle mit, weil sie fürchten, sonst nie mehr auf den Listen von Hugendubel und Thalia zu landen oder nie wieder, nicht einmal schlecht, rezensiert zu werden, denn die Literaturkritik ist der andere Gewinner des Spektakels. Plötzlich hat sie wieder Macht, nachdem ihre Hymnen oder Verrisse für den Verkauf nahezu wirkungslos geworden waren.

Wären wir nicht so unsolidarisch wie wir sind, würden wir, die Autoren, den Buchpreis boykottieren, statt uns als Spielmaterial für Marketingstrategien vorführen zu lassen. Es gibt genügend Preise, die der ernsten und wenig glamourösen Arbeit des Bücherschreibens angemessen sind. Dieser ist es nicht.


17.09.2008 | 15:30 Uhr
Magneto Phil schreibt: Wenn ein Preiselchen abgeschafft gehört, dann der

Bachmannpreis. Man kann ihn nämlich schon sehr lange kalkuliert gewinnen, und niemand redet hinterher wirklich drüber.



17.09.2008 | 13:50 Uhr

Julia Franck: Ich beneide keinen, der auf der Liste steht

Wie sollte eine Shortlist schlimmer sein als ihre Jury? - Was sich natürlich auch umgekehrt formulieren ließe. Kopfschütteln, wer fehlt. Der Kracht ist - womöglich absichtsvoll - zu spät erschienen, die "Schweigeminute" von Lenz, vor der ich mich so tief verneige wie vor dem Iwein Löwenritter von Hoppe tragen offenbar ausschließende Etiketten, Novelle hier, Kinderbuch vermutlich dort.

Nehme man sich an dem weisen Handke ein Beispiel, bedenke seine Geste des frühen Rückzugs, und gratuliere Lenz und Hoppe. Sie nehmen nicht am Zirkus teil, mehr noch, sie haben ihn gar nicht nötig, sie wahren Würde und Gesicht. Denn was diesen sechs Kandidaten blüht, das wissen nur wenige aus eigener Erfahrung. Ich beneide keinen, der auf der Liste steht. Die kommenden Wochen werden ein einziges Gezanke sein, im Fadenkreuz Objekte höchst subjektiven Geschmacks. Öffentliche Polemiken zur eigenen Person - mehr noch als zum Werk, vor Scham glühende Ohren, wer darf das heute noch erleben?

Spekulationen beginnen: Womöglich fürchtete die Jury eine Kettenreaktion frei nach Handke, hat auf Timm und Walser verzichtet, um am Ende nicht ohne Liste dazustehen. Wo kämen wir auch hin, wenn die Shortlist bekannt gegeben wird und ein Autor nach dem anderen seinen Hut lüftet, sich empfiehlt und die eigenen Nerven besser schont, der Arbeit zuliebe, versteht sich.

Als "freie" Leserin darf ich unpatriotisch sein, alle Sprachen und Generationen, Erscheinungszeit und sonstigen Phaenomene überwinden und frei bekennen, dass ich nicht alle gelesen habe und auch nicht alle lesen werde. Wie auch? Meine letzten Monate waren von Lektüren erfüllt. Neben den genannten sähe ich mit Vergnügen den Getreidezüchter Raduan Nassar und sein "Brot des Patriarchen" auf der Liste. Tief beeindruckt bin ich von Arnon Grünbergs "Tirza" und froh am Ende, dass wir Übersetzer haben, die uns nicht unter uns deutschen Zeitgenossen allein lesen lassen.

Kommentare


17.09.2008 | 12:42 Uhr

Julia Schröder: Ist Schulze wirklich besser als Walser?

Ganz egal, welche Titel im einzelnen auf "Longlist" oder "Shortlist" des Deutschen Buchpreises landen, ganz egal, welcher Autor am Ende den Preis bekommt, ein Sieger steht von vornherein fest: der Börsenverein des deutschen Buchhandels.

Die Branchenvereinigung hat mit dem Preis etwas geschafft, was jahrelange Diskussionen um "Buchmarketing" nicht bewirken konnten: die allgemeine (und wo nicht allgemeine: die mediale) Diskussion um neue deutsche Bücher aufzuladen mit einer Spannung, die zur Preisverleihung in knapp vier Wochen das zu erwartende Feuerwerk der guten Laune, des Auflagenerfolgs und des Lizenzverkaufs entzünden wird.

Schon meldet das Börsenblatt freudig, allein aufgrund der Langliste seien Nachauflagen gedruckt worden, Buchhändler geben kund und zu wissen, sie präsentierten die Titel "im Eingangsbereich". Schön, das. Für Handel und Wandel, für die Buchkäufer. Auch für die Leser?

Wie immer stellt sich die Frage, ob die Jury nun für die Shortlist zum Preis für den besten deutschen Roman die "richtigen" Titel nominiert hat. Ist das etwas schwächere Buch eines starken Autors, z. B. Schulzes Balaton-Lovestory, wirklich "besser" als Walsers in mancherlei Hinsicht überraschender Altersroman "Ein liebender Mann"? Ist Uwe Tellkamps sehr, sehr voluminöser "großer deutscher Wenderoman" denn "besser" als Marcel Beyers ungeheure, ungeheuer fein gearbeitete Studie "Kaltenburg"?

Wer ehrlich ist, wird zugeben müssen, dass im Unterschied zur Frage, was ein guter Roman ist, schlechterdings niemand die Frage nach dem "besten" Roman des Jahres beantworten kann. Nicht einmal die bedauernswerten Juroren, die sich durch mehr als 150 Neuerscheinungen geackert haben. Eigentlich ist "der beste" ja auch gar nicht gemeint. Sondern derjenige, der trotz literarischer Qualität die größten Chancen am deutschen und am internationalen Markt haben wird.

Dem Leser hilft das allerdings wenig. Er täte gut daran, sich von einer Einkaufsliste zu emanzipieren, die auch in diesem Jahr - zwangsläufig - entstanden ist nach der Proporzdynamik jeder Jury, die aus mehr als einer Person besteht.

Kommentare


17.09.2008 | 12:01 Uhr

Denis Scheck: Regiert die Quote?

"Five to one, baby, one in five …" Der alte Doors-Song geht mir nicht aus dem Ohr, wenn ich die Shortlist des Deutschen Buchpreises ansehe. Fünf Männer, eine Frau. Fünf Deutsche, ein Schweizer. Fünf Hockenbleiber, einer mit Migrationshintergrund. Five to one eben. Regiert die Quote?

Die Qualität der Arbeit einer Jury zum Deutschen Buchpreis bemisst sich nicht am Preisträger; ja ihre Qualität ist noch nicht einmal unbedingt an den sechs Titel auf der Shortlist abzulesen. Irgendwann sind die Argumente ausgetauscht. Die Umfaller sind umgefallen. Die Standhaften sind stehengeblieben. Jeder Saulus hat sich in einen Paulus verwandelt und manchmal auch wieder zurück. Irgendwann nehmen auch noch die aufnahmefähigsten, diskussionsfreudigsten Juroren Zuflucht im Mantra des autogenen Trainings für Hasen und denken nur noch: "Meine Ohren werden lang
und schwer …" Dann kommt der Moment der Abstimmung, und es wäre nicht das
erste Mal, dass mit vier zu drei Stimmen ein Unheil angerichtet wird.

Die Qualität der Arbeit einer Jury zum Deutschen Buchpreis lässt sich am ehesten an der Longlist ablesen. Hier erweist sich, ob man das Feld wirklich gesichtet hat oder nur brav den großen Autoren- und Verlagsnamen gefolgt ist. Und hier hat die diesjährige Jury in meinen Augen gute Arbeit geleistet - bessere jedenfalls als im letzten, als mit Ulrich Peltzers "Teil der Lösung" ein wichtiger Roman ignoriert wurde. Zwar hat man auch
2008 mit Heinrich Steinfests "Mariaschwarz" den besten Roman des Jahres wieder übersehen, aber Heinrich Steinfest versteckt sich einfach besser.

Was nun aber die Shortlist 2008 anlangt: Kein Martin Walser? Kein Marcel Bayer? Kein Uwe Timm? Kein Feridun Zaimoglu? Ja spinnen die denn, die Buchpreisjuroren?

Statt dessen Uwe Tellkamps Buddenbrooks-Anwanzerei "Der Turm", ein Tausendseitenwälzer, dessen Handlung auf Seite eins in jedem Asterix auf sieben Zeilen zusammengefasst ist: "Wir befinden uns im Jahre 1982 n. Chr. Die ganze DDR ist von den Kommunisten besetzt... Die ganze DDR? Nein! Ein von unbeugsamen Bildungsbürgern bevölkerter Dresdner Stadtteil hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die SED-Funktionäre und STASI-Spitzel, die um Haus Abendstern, Haus Karavelle, Haus Wolfsstein und das Tausendaugenhaus schleichen …."

Auf dieser Shortlist stehen zwei Science Fiction-Romane. Der von Uwe Tellkamp handelt von einer bourgeoisen Parallelwelt in der DDR. Der von Dietmar Dath erzählt von unserer Gegenwart. Zu den überzeugendsten Figuren in Daths "Die Abschaffung der Arten" zählt ein Esel, der es zum Akademiepräsidenten bringt und einen Kunstpreis verleihen darf. Seine Rede ist große Kunst: "So, hier also jaaah hier bin ich jetzt in meiner Eigenschaft anwesend als der Jurypräsident, der Ihnen allen und jaaahhh den Pherinfoplexen jetzt die pfamms Antwort gibt für auf öhm unsern Preis, den wir zesi, zasi zusammengerührt haben durch uh mehrere Stiftungsspenden und jaaahh die ganze Knete von der Verkaufsbank hopp und vom Schnitzelschwein."

Dietmar Dath schildert auch die Reaktionen des Publikums. Sie sind nicht unähnlich denen auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2008. "Die Begrüßten stutzten. Einige sperrten Mäuler auf, andere blinzelten betroffen."

Kommentare


17.09.2008 | 11:33 Uhr

Ina Hartwig: Von den sechs nominierten Titeln überrascht mich einer gar nicht;

die anderen mehr oder weniger. Iris Hanika bewundere ich schon lange als Kolumnistin des "Merkur". Ihr Thema, sagt sie, sei die Geschlechterspannungsforschung. Fein! An eine Anekdote aus ihrer Kolumne erinnere ich mich besonders gern:

Eine Frau (Hanika) verfährt sich auf dem Autobahnring um Berlin, und aus irgendwelchen Gründen kommt es dazu (Panne?, Unfall? – vergessen), dass sie mit einem Lastwagenfahrer ins Plaudern kommt. Es stellt sich heraus, dass der Truck vollbeladen ist mit Erdbeeren aus Holland. Der Fahrer schenkt der Frau zum Abschied eine Schale, und wie Hanika diese Schale Erdbeeren als sanfte Trophäe schildert, hat mich sehr beeindruckt. Aber in ihren Roman "Treffen sich zwei", der jetzt nominiert wurde, bin ich nicht hineingekommen. Nach den ersten Seiten habe ich aufgegeben; die Sprache erschien mir zu plump, zu gewollt, aber vielleicht fehlte mir einfach nur der nette Trucker... (Ratlos.)

Rolf Lappert: Der Klappentext teilt mit, dass der Autor Drehbücher fürs Schweizer Fernsehen geschrieben hat. Das merkt man dem Buch leider an: "Sie hatte wunderschöne Augen mit langen Wimpern, und jeden, der sie fütterte, liebte sie innig. ,Sean, das ist meine Freundin Mary‘, sagte Aislin. Mary lächelte und streckte Sean die Hand entgegen. ,Freut mich sehr, Sean`."

Gegen Ingo Schulze hingegen kann man nichts sagen, aber sein stärkstes Buch ist dies wohl eher nicht. Schulze könnte am Ende der Kompromisskandidat sein, weil sich die Jurymitglieder über die anderen Bücher in die Haare kriegen.

Anlass für Zoff wäre vor allem wohl Dietmar Dath, der ein Kultautor ist, nur im Literaturbetrieb (bisher) nicht. Da ich keine Antenne für Salonmarxismus und auch nicht für SF-Märchen habe, bin ich im Grunde unsicher. An das Ende der Menschheit glaube ich nicht, und in Sachen Gentechnik frage ich lieber meinen alten Freund Stefan, der die Labors von innen kennt. Immerhin nehme ich, Dath lesend, mit Interesse zur Kenntnis, dass nach der Abschaffung der Arten der Adel keineswegs untergegangen ist. Das freut die Proustianerin.
Hübsche Stelle: "Sie hatte eine Tätowierung am linken Arm, auf einer ausrasierten Stelle, ein tanzendes Muster, das auch leise Töne enthielt, sommerlich verschlüsselt. Er hörte sie sirren und tropfen, wenn er dort entlang leckte. ,Das hab ich zur bestandenen Doktorprüfung machen lassen‘, sagte die Geliebte, ,als Erfolgsbeglaubigung‘. ,Mein Schatz. So ehrgeizig!‘ sagte er."

(Ob die Damen um die sechzig, deren Herzen & Portemonnaies mit dem Deutschen Buchpreis erobert werden sollen, das goutieren würden? Aber gerade dieser naheliegende Einwand, fürchte ich, könnte auf Krawall ausseiende Jurymitglieder gerade anstacheln.)

Fehlen noch Sherko Fatah, der mit seinem Buch über einen Gotteskrieger schon auf der Shortlist zum Preis der Leipziger Buchmesse stand, und Uwe Tellkamp mit seinem Tausendseitenklotz "Der Turm". Über Fatah ist schwer Einigkeit herzustellen, das war im Frühjahr schon so. Ich z.B. fühle mich durch die vielgerühmte Ouvertüre seines Romans, wo aus einem Hubschrauber irakerische Bäuerinnen in den Tod geworfen werden, emotional erpresst. Das ganze Thema ist mir überhaupt zu sehr nach dem Wind der politischen Weltlage gehängt. Vor allem aber die Sprache ist langweilig: wie überexplizit, wie unpoetisch letztlich.

Uwe Tellkamps erster Roman "Der Eisvogel" hat viele genervt: Muss man sich das bieten lassen, dass ein junger Ossi sich aalt in 68-er Bashing? Dass er schnöselig einen auf reaktionär macht? Och nö.- "Der Turm" ist ganz anders. Wieder geht es um Deutschland, aber um eines, das der Autor unter der eigenen Haut trägt wie ein eingekapseltes Erbstück: die bildungsbürgerliche innere Emigration in der DDR. Statt an Goethes Turmgesellschaft und Th. Manns Lübecker Familie B. kann man durchaus auch an Musils Stil denken: so sehr seziert Tellkamp die Details, findet Wörter, die wir nicht kennen, lässt Uhren schlagen, die wir nicht mehr hören, schickt "Meereslicht" in eine langsam sich durch die Dresdner Nacht vorarbeitende Straßenbahn. Überhaupt die Zeit! Die vergeht und nicht vergeht. Literarisch den Stillstand erzählen: das haben schon viele versucht, und diesmal ist es wieder einmal, mit einem Thema, das uns alle angeht, ausgezeichnet gelungen. Klarer Fall: mein Wunsch-Preisträger.

Fazit: Eine aparte Liste. Aber zu wenige echte Anwärter auf den Preis.

Kommentare


17.09.2008 | 11:21 Uhr

Martin Lüdke: Jeder 1000ste Roman schafft es

Im Jahr 2007 sind in Deutschland 96.479 Bücher erschienen. 2008 ist mit einer ähnlichen Zahl zu rechnen. Der Anteil der Belletristik, 16,3%, ist im Vergleich zum Vorjahr noch gestiegen. Die Tendenz ist weiter steigend. Doch nur 10.086 Bücher sind unter der deutschen Literatur aufgeführt, und auch das sind zum Glück nicht alles Romane, sondern ebenso Gedichtbände, Essays, Biographien und Streitschriften und andere nicht eigens qualifizierte ‚belletristische’ Texte.

Man kann aber gut und gerne von etwa sechstausend deutschen Romanen ausgehen. Davon sind jetzt sechs auf die Shortlist des Deutschen Bücherpreises gekommen. Das heißt, über den Daumen gepeilt, jeder tausendste Roman hat den Sprung auf die Shortlist geschafft.

Diese Größenverhältnisse legen den Schluss nahe, dass nicht alle neunhundertneunundneunzig Romane, die es nicht geschafft haben, schlechter sind, als der eine, der es so weit gebracht hat. Die besten sechs Romane eines Jahres sind damit eines sicher: MEHR als sechs. Diese Tatsache wiederum lässt vermuten, dass es sinnlos sein könnte, über die Auswahl zu rechten. Zumal sich gerade gute Romane kaum vergleichen lassen.

Dagegen lassen sich problemlos Meinungen generieren. Der Timm fehlt, und erst recht der Beyer! Wo, bitte, ist die Streeruwitz geblieben? Wäre Sven Regener nicht der bessere Lappert gewesen und passt Thomas von Steinäcker nicht besser in die Ecke von Hanika? Solche Fragen lassen sich zwar endlos stellen, aber nicht sinnvoll beantworten.
Abgesehen davon, die Jury hat entschieden. Sieben ausgewiesene Kenner der deutschen Gegenwartsliteratur haben sich auf sechs Titel verständigen müssen. Der Entscheidung ging eine Diskussion voran, deren Ergebnis (ich weiß es aus eigener Erfahrung vom Preis der Leipziger Buchmesse) schwer anfechtbar ist, weil die Juroren, Fachleute zwar, doch mit unterschiedlichem Naturell, unterschiedlichen Vorlieben, Abneigungen und auch Kenntnissen ausgestattet, gute Gründe für ihr Votum anführen mussten, um damit durchzukommen.

Wenn ich allein für diese Liste verantwortlich gewesen wäre, hätte es nur in ein oder zwei Positionen eine Übereinstimmung gegeben, aber Marcel Beyer und Uwe Timm sicher, vielleicht auch Zaimoglu oder sogar Karen Duve wären vertreten gewesen. Ich kenne Leute, die jetzt nicken und meinen: wie gut, dass der nicht (mit) zu entscheiden hätte.
Fazit: Jede Shortlist des Deutschen Buchpreises ist die beste, die möglich ist.
Aber, um noch kurz an den Zweck zu erinnern: es geht hier erst einmal nicht um Literatur, sondern um Verkaufsförderung.

Kommentare


16.09.2008 | 15:42 Uhr

Oliver Vogel: Wer fehlt

Die Bücher, die auf der Shortlist sein werden, möchte ich nicht kommentieren (die haben es sicher alle verdient), aber es fallen mir natürlich sofort Bücher ein, die nicht drauf sind und fehlen. Sechs davon seien in alphabethischer Reihenfolge genannt, bevor die echte Liste bekannt gegeben wird (die Reihe wäre fortzusetzen):

- María Cecilia Barbetta, Änderungsschneiderei Los Milagros

- Christian Kracht, Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten

- Michael Kumpfmüller, Nachrichten an alle

- Siegfried Lenz, Schweigeminute (fehlt es, weil es Novelle heißt, nicht Roman?)

- Thomas von Steinaecker, Geister

- Marlene Streeruwitz, Kreuzungen

Kommentare


18.09.2008 | 19:27 Uhr

Literarisches Café Wolfgang Brammen: Literaturpreise sind unverantwortlich......

und, ganz gleich, um welchen es sich handelt, eine Demütigung des Heeres jener Autorinnen und Autoren, die nicht zum Zuge kommen und niemals zum Zuge kommen werden, weil ihnen der Literaturbetrieb mit seinen wunderlichen, mitunter obskuren Eigengesetzlichkeiten den Eintritt dauerhaft verwehren wird.

Wer will denn ernsthaft behaupten, dass es in Deutschland nicht mehr talentierte Autoren gibt als die meist sattsam bekannten Namen und Gesichter, die aus unterschiedlichen Richtungen und Interessen in das Literaturgeschäft lanciert und schließlich auf jenen preisträgerwürdigen Listen eingetragen werden?

Einen "besten" Roman kann es im Grunde nicht geben, demzufolge auch keine weiteren Rang- und Reihenfolgen. Nach welchen Kriterien soll ausgewählt werden? Kunst ist nicht messbar, nicht zählbar, nicht vergleichbar. Schon gar nicht im Sinne eines klassifizierenden Wettbewerbs.

Wenn es denn Literaturpreise mit Siegern und Verlierern – sie werden gewiss diesen Beitrag schadlos überdauern – unbedingt geben soll: Warum dann nicht auch ein alljährliches vergleichbares Spektakel beispielsweise für Opern-Kompositionen, für Theaterstücke, für Bilder, für Skulpturen?

Kommentare


18.09.2008 | 18:07 Uhr

Olaf Trunschke: Der Name des Preises ...

... sollte Deutscher Roman-Preis lauten. Die Wahrnehmung der Literatur auf dem Buchmarkt ist von einer nachgerade pathologischen Roman-Wut verzerrt. Der Preis des Wahns? - Erzählung, Fabel, Drama, Gedicht etc. zählen inzwischen zu den aussterbenden Arten. Keine Leser? - Wo kein Angebot, stirbt auch die Nachfrage.

Kommentare


18.09.2008 | 15:20 Uhr

Ünal Cebe: Die Nominierung von Dietmar Dath überrascht

Deutscher Buchpreis: Es geht da gar nicht um Literatur! behaupten einige mit Kritik: ging es jemals darum… Dietmar Daths neuer Roman "Die Abschaffung der Arten" ist ein sozialistisch, künstlerisches Meisterwerk.

Seit dem erscheinen seines ersten Romans "Cordula killt dich" schreibt Dath fulminante Bücher, abgesehen von tausenden exzellenten Artikeln.

Die diesjährige Nominierung von Dietmar Dath frappiert! Weil man ja auch sonst den wirklich guten Werken (Autoren) nicht die verdiente Beachtung zuteilt. Mit einer sprachlichen Genialität wird in "Die Abschaffung der Arten" nicht von dem Wirklichen sondern von dem Wahren erzählt.
Grüße aus einer sozialistischen Gesellschaft
Wie er zu Egan, sage ich zu ihm: "Ich liebe und verehre jede Zeile, die er geschrieben hat"…

Kommentare


18.09.2008 | 15:12 Uhr

Katy Derbyshire: Die Sicht aus dem Ausland

Als Leserin und Übersetzerin deutschsprachiger Literatur bin ich überrascht, dass Autoren hier die Abschaffung und Boykottierung des Buchpreises fordern, ob aus Koketterie oder als ernsthafter Vorschlag.

Der Preis, und vor allem der Medienrummel drumherum, schaffen Aufmerksamkeit für Romane. Die berühmt-berüchtigten "Nominiert!"-Aufkleber sind für überforderte Buchkäufer ein Signal, dass ein Buch zumindest von der jetzigen Jury wertgeschätzt wird – ein Stiftung Warentest-Siegel für Literatur. Und die Nominierungen sind für Verlage im Ausland eine große Hilfe: sonst mit einer schier unüberschaubaren Zahl deutschsprachiger Publikationen (und Literaturpreise) konfrontiert, haben sie es nun leichter, übersetzenswerte Titel auszuwählen. Allein fünf der Bücher von der 2006er Shortlist haben es bisher auf den angloamerikanischen Markt geschafft – der sonst notorisch schwer zu knacken ist.

Dass der Preis – abgesehen vom üppigen Preisgeld vielleicht – den Autoren kaum Vorteile bringt, mag stimmen. Dass er dem Buchhandel zugute kommt, ist aber nicht verwerflich. Und dass er Debatten auslöst, ist erfreulich. Man muss nicht unbedingt in jeder Hinsicht den britischen Booker Prize nachahmen, aber sicher ist, er fördert eine breite Diskussion über Bücher. Und oft dreht sich diese Diskussion um "the ones that got away" – diejenigen Bücher, die den Preis wirklich verdient hätten. Und so profitieren auch nichtnominierte Autoren davon, wie man hierzulande auch an der großen Aufmerksamkeit für Christian Kracht, Ulrich Peltzer usw. sieht.

Der deutsche Buchpreis läutet jedenfalls nicht den Untergang des Abendlands ein. Und ich freue mich nun jedes Jahr auf die Longlist, die Shortlist und das Buch, das gewinnt – ob ich es persönlich ausgesucht hätte oder nicht.

Kommentare


17.09.2008 | 14:57 Uhr

Stefan Svoboda: Ausnahme, die die Regel bestätigt

Der dt. Buchpreis ist wie alle Preise solcher Art ein notwendiges Unterfangen innerhalb monopolkapitalistischer Gesellschaften, deren sozialer & materieller Verkehr durch Warenproduktion organisiert ist. Es funktioniert folgendermaßen:

Betriebsnudeln, die seit Jahren miteinander verkumpelt sind & sich in der Öffentlichkeit einen nepotistischen Geschäftsfreundschaftsdienst nach dem anderen erweisen, schanzen sich gegenseitig Geld & unverdiente internationale Popularität zu.
Bis auf den diesjährigen Nominierten Dietmar Dath bleiben dabei natürlich & notwendigerweise die wirklich guten Bücher, die wohl ohnehin nur noch in den Hirnen von kultürlichen Feingeistdarstellern existieren, außen vor. Zumindest ist dieses Jahr mal ein wirklich künstlerisches, interessantes Werk dabei.

Sollte Dath die 25.000 Euro wider Erwarten erhalten, wäre das der erste Schritt einer sozialistischen Umverteilung von oben nach unten & somit für die kommunistische Sache sehr begrüßenswert.

Kommentare

18.09.2008 | 17:02 Uhr
Alexandra Trencséni schreibt: Immobilien und immer diese letzten Kapitel bei Dath…

…wird er sich vermutlich nicht gleich anschaffen… noch nicht… Aber Umverteilung?

Ich hoffe jedenfalls, dieses neue Dath-Buch wird, anders als die beiden letzten, nicht nur fulminant beginnen (sprachlich z.B. , so wie das letzte) - sondern auch einmal so enden und das Niveau halten bis zuletzt.

[Einmal also z. B. o h n e öde Schlusskapitel Nacherzählung des (noch öderen) "Dark-Angel-Mythos" auskommen…

("Dark Angel": Vox, oder RTL". von den Kritikerinnen wohl übersehen.)]
…1x mehr: Frauen als Retterinnen und Teeterrinnen.., ("Suzanne" mit Orangen bei "Dirac")

Dark Angel: :-/
"In diesen Tagen kann sich niemand mehr nur auf sein Material verlassen. " (zit. aus G & E; Kluge/Negt)

Die Jury ist sich ausserdem ein gewisses Profil schuldig…

- Da war klar, dass das im Moment einzige wirklich mit dem bizarren und der Grosteske arbeitende Textstück mit rein genommen wird…

Nächstes Jahr werden wir davon schon mehr auf dem Markt sehen…radical chic - es zeichnet sich schon ab…



17.09.2008 | 14:31 Uhr

Wolfgang Behrens: David Foster Wallaces traurige Antwort

Am 15. September wurde in der Frankfurter Allgemeinen die Einrichtung des Lesesaals anlässlich der Bekanntgabe der Shortlist des Deutschen Buchpreises angekündigt. Eine der zentralen Fragen der Lesesaal-Diskussion solle dabei lauten: "Welche Rolle spielt der Roman heute, und wie könnte der Roman der Zukunft aussehen?"

Am selben Tag liest man in den Zeitungen vom Selbstmord des amerikanischen Autors David Foster Wallace. Am 16. September schreibt dann Richard Kämmerlings in der Frankfurter Allgemeinen: "Vielleicht konnte er [Wallace] nicht mit der Erkenntnis leben, dass die Romanform der Gegenwart nicht gewachsen ist, dass das allgegenwärtige Entertainment, der schrecklich lustige Endlos-Fun auch der radikalsten Erzählkunst den Rang abgelaufen hat. Das wäre dann nicht nur für seine trauernden Leser, sondern für uns alle eine schlechte Nachricht."
Eine schärfere, eine traurigere, eine wahrere Antwort auf die "zentrale Frage" des neuen F.A.Z.-Lesesaals wird es wohl leider nicht geben.

Kommentare


Beitrag schreiben

Um Beiträge schreiben zu können, müssen Sie eingeloggt sein.

Registrieren Sie sich hier.

Herausgegeben von Werner D'Inka, Berthold Kohler, Günther Nonnenmacher, Frank Schirrmacher, Holger Steltzner

F.A.Z. Electronic Media GmbH 2001 - 2008