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Dienstag, 23. September 2008

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Entwürdigendes Spektakel

Daniel Kehlmann

Von Daniel Kehlmann

Welcher Schriftsteller hat eigentlich das Recht, etwas gegen den Deutschen Buchpreis zu sagen? Offenbar keiner: Wer ihn bekam, verdankt ihm Geld und Ruhm, und äußert er Kritik, so hält man ihm vor, er bisse die Hand, die ihn fütterte.

An wem er knapp vorbeiging, dem wird Ressentiment unterstellt, und wer es nie auf eine der Listen geschafft hat, von dem sagt man ohnehin, er rede wie der Fuchs über die zu sauren Trauben. Michael Lentz und Monika Maron haben nun diese triste Blockade durchbrochen und eine Abschaffung des Preises gefordert, Julia Franck, selbst Gewinnerin, erzählt in dem ihr eigenen klaren, ruhigen Ton von dem entwürdigenden Spektakel, dem man sich als Nominierter ausgesetzt findet. siehe die Beiträge im Forum Andere Stimmen werden wohl folgen.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Bücher, die nicht auf der sogenannten Longlist stehen, kaum noch rezensiert werden, ganz gleich, wie gut sie sind und ganz gleich von wem. Ein offenes Geheimnis ist auch, dass die Wertungen der Jury trotz unterschiedlicher Teilnehmer immer wieder nach den außerliterarischen Mechanismen eines zwar nicht korrupten, aber doch sehr verfilzten Milieus erfolgen, in dem Sätze wie "auf keinen Fall ein Österreicher über fünfzig!" (nämlich Michael Köhlmeier, Autor des großartigen Romans "Abendland") oder "bloß nicht wieder an Michael Krüger!" (den Verleger des Hauses Hanser) die Diskussionen prägen, ohne dass jemand darin noch etwas Schlimmes sähe.

Und man weiß auch - ich habe es selbst erlebt -, dass den nominierten Autoren zuvor inoffiziell mitgeteilt wird, dass ein Fernbleiben von der Preisveranstaltung automatisch den Ausschluss bedeuten würde. Mag ein Buch auch epochal gelungen sein, - ist sein Autor nicht bereit, Beruhigungsmittel zu schlucken und gewissermaßen körperlich zum Wettkampf anzutreten, wird er den Preis nicht bekommen, ein entscheidender Unterschied etwa zu National-Book-Award und Booker-Prize, die selbstverständlich regelmäßig an Abwesende verliehen werden.

Ein solches Spektakel mag die Umsätze des Buchhandels erhöhen, für die Literatur ist es bedauerlich, und für die Schriftsteller, die ja niemand gefragt hat, ob sie sie sich einer solchen Prozedur unterwerfen möchten, eine Quelle der Sorge und der Depression. Warum findet niemand etwas dabei, dass Thomas Hettche, einer der besten Stilisten unserer Zeit, für eine ganze Weile in fast jedem Artikel über sein Werk der "knapp am Buchpreis vorbeigeschrammte" Autor war, als hätte er nicht einen Roman geschrieben, sondern an einem Hundertmeterlauf teilgenommen, für den er leider nicht schnell genug war? Autorenexistenzen sind oft ökonomisch prekär; natürlich kann man Schriftsteller dazu zwingen, sich in der Hoffnung auf den lebensverändernden Bestseller unter eine demütigende Situation zu beugen - aber heißt das auch, dass man das tun sollte? Bücher stehen miteinander im Wettstreit, ihre Autoren aber nicht, und wenn denen, die sich wie Peter Handke im Bewusstsein ihres seit langem feststehenden Rangs einer solchen Zumutung entziehen, dafür in höhnischen Glossen Arroganz und mangelnder Sportsgeist vorgeworfen wird, so kann einen solch eine Verkennung der wahren Verhältnisse außerhalb der medialen Erregung des Moments schon sprachlos machen. Die Kunst ist vieles, aber sie ist, man kann es nicht oft genug sagen, eben kein Sport.

Den Preis abschaffen? Schön wär's, aber das wird nicht gelingen. Um also Konstruktives vorzuschlagen: Könnte man nicht wenigstens die Longlist loswerden, die inzwischen jeden Herbst den Blick der Rezensenten verengt und dafür gesorgt hat, dass einige der wichtigsten Bücher der letzten Jahre praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinen mussten? Und warum kann man nicht in einer feierlichen Veranstaltung den Gewinner bekanntgeben, ohne aber die Autoren zum Anreisen zu zwingen und nebeneinander vor die Kamera zu setzen wie Schlagersänger in einer Castingshow? Der Umstand, dass solch eine Inszenierung die mediale Neugier fördert, ist eben kein Grund, sie durchzuführen; er zeigt ganz im Gegenteil, dass es notwendig ist, darauf zu verzichten.


Text: F.A.S.

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Herausgegeben von Werner D'Inka, Berthold Kohler, Günther Nonnenmacher, Frank Schirrmacher, Holger Steltzner

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