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Freitag, 19. September 2008

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Forum:

Welche Eigenschaften muss der beste deutsche Roman des Jahres unbedingt haben?

Zugegeben, Uwe Tellkamps "Turm", der in den letzten Jahren der DDR spielt, weist wenig Ähnlichkeit mit Dietmar Daths Zukunftsvision "Abschaffung der Arten" auf. Aber brauchen beide Romane nicht eine gemeinsame Qualität, um sich als große Literatur auszuweisen? Welche Ansprüche haben wir an den besten deutschen Roman das Jahres?

Beiträge

21.09.2008 | 11:15 Uhr

Thomas Anz: Fühlen und Denken in Bewegung bringen

Um das griffige Kriterium eines Altmeisters der Literaturkritik aufzugreifen: Der Gewinner in dem Buchpreis-Spiel sollte mich (und möglichst viele andere Leserinnen und Leser) mit dem Roman nicht langweilen! Das klingt zunächst einfach, doch hakt man nach, ...

lässt dieser Maßstab fast alle Fragen offen. Welche Eigenschaften muss ein Roman haben, damit er in mir nicht die Unlust der Langeweile hervorruft? Und welche lustvollen Wirkungen sollte er aufgrund dieser Eigenschaften auf mich ausüben?

Nehmen wir zwei der von Wolfgang Matz genannten Beispiele: nicht Arno Geigers "Es geht uns gut" (der Roman ist sprachlich zu einfallslos), sondern Franz Kafkas "Der Prozess" und Thomas Manns "Doktor Faustus". Da lassen sich schon einige Qualitäten benennen. Wenn es wie hier um Leben und Tod und auch noch um Liebe geht, ist schon viel gewonnen. Doch das reicht noch lange nicht aus, damit versuchen die schlichtesten Autoren uns zu berühren und mangelndes Können zu überspielen.

Wenn es Literatur gelingt, dass wir beim Lesen mit den Figuren hoffen und fürchten, leiden und lachen, wenn es ihr gelingt, unser Fühlen und Denken in Bewegung zu bringen, Ernstes mit Komik zu grundieren oder Komisches mit Ernst, Vertrautes anders und schärfer als bisher wahrzunehmen, neue, überraschende Erfahrungen zu machen und Einsichten zu gewinnen und uns dabei weder zu unterfordern, noch zu überfordern, und wenn ihr das mit den Kunstmitteln der Sprache gelingt, mit spielerischen Abweichungen vom gewohnten Sprechen, mit kompositorischen Wiederholungen und Variationen von Klängen, rhythmischen Mustern und Motiven, – dann ist sie preiswürdig.

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21.09.2008 | 10:13 Uhr

Eckart Haerter: Schneller, höher, weiter...

Mit Verlaub, ich finde es ein bisschen albern, solche Bewertungen vorzunehmen. Genauso absurd wie um die Wette Klavier zu spielen, zu malen oder zu singen. Bewertungen und Wettbewerbe gehören, sofern nicht durch Doping ad absurdum geführt, in den Bereich des Sports, nicht in die Kunst.

Wer am höchsten gesprungen und am schnellsten gelaufen ist, lässt sich messen. Werke der Kunst erfahren sehr oft, mit etwas zeitlichem Abstand, eine völlig andere Akzeptanz als zur Zeit ihres Entstehens.

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20.09.2008 | 21:48 Uhr

Herold Binsack: Wie originell ist aktuell?

Es gibt wenig aktuelle Romane, die mich vom Hocker hauen. Selbst die Besten (die ich für die Besten hielte), verärgern mich am Ende der Lektüre so sehr, dass ich mir immer wieder die Frage stelle, ob i c h es bin, der in der heutigen Zeit nicht ankommen will, oder ...

ob es nicht doch so ist, wie es mir scheinen möchte, dass diese Bücher bei mir nicht ankommen, da es nämlich kaum noch was gibt, was nicht früher schon - und oft viel besser - gesagt worden wäre. WIE etwas geschrieben ist, kann doch nur befriedigen, wenn das WAS überzeugt. Wenn ich merke, dass die Sache nur so viel wert ist, wie sie in die Form passt, lege ich das Buch zur Seite. Und das, wie gesagt, passiert den besten unter den Heutigen. Und unter diesem Vorbehalt gebe ich auch heute meine Stimme ab (ich muss meinen Favoriten bis zum Ende gelesen haben). "Die Abschaffung der Arten" kann gar nicht aktueller gefasst sein, und auch der Literat hat was. Aber wirklich originell war die Moderne doch nur an ihrem Anfang.

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19.09.2008 | 17:25 Uhr

Julia Schröder: Keine germanischen Waben

Der "beste Roman des Jahres"? Für wen – für Groß oder Klein, Alt oder Jung, alle oder keinen, dich oder mich? Der beste Roman für den diesjährigen Buchpreis wäre einer, der bricht mit der Buchpreistradition, jedenfalls Nazizeit und Weltkrieg ihren langen Schatten werfen zu lassen ...

und mit einer weiteren Buchpreistradition, in Zweifelsfällen jene germanischen Waben, woraus Tiefsinn und Trauer rinnt, dem Überraschenden, Verspielten, Explosiven, Unerwarteten vorzuziehen.

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21.09.2008 | 18:28 Uhr
Peter Mueller schreibt: Zaghaft nur wage ich eine Kritik:

Was ist denn eine "germanische Wabe"? Vielleicht auch das Nibelungenlied, gesponnen, gewebt gar, um einer Assoziation freien Lauf zu lassen? Und sei der "Tiefsinn" wirklich aus der Literatur zu verbannen, mithin die Literaturdenkmäler der germanischen Dichtung ( 8., 12., 18. Jht., ... von den großen Tragödien - Bezug zu "Trauer"- der Antike zu schweigen) null und nichtig beweisbar per Dekret aus Ihrem Munde, da doch allesamt nicht ohne zumindest einem Quentchen Tiefsinn konzipiert? Wenn dem so ist:
Werden sich da nicht die Hände jene reiben, denen ein "Autodafé" seelischer Befreiungsschlag von der missverstandenen Bürde der Tradition ist?
Und: Ist wirklicher Witz (dem das Überrraschende, Verspielte, Explosive, Unerwartete nur äußere Gestalt und Erscheinung ist) a priori ohne Tiefsinn?



19.09.2008 | 13:24 Uhr

Denis Scheck: Tirritieren, schabernacken und figurieren

muss er selbstverständlich, der beste deutsche Roman, und außerdem genau wie Carlsson vom Dach von sich behaupten können, schön und grundgescheit zu sein, gerade richtig dick und in seinen besten Jahren.

Abgesehen davon sollte sich dieser beste deutsche Roman in irgendeiner Weise zu dem Umstand verhalten, dass wir in einer von Massenmedien geprägten Gesellschaft leben, und dies nicht nur als Sujet verwenden, sondern in seiner Form reflektieren. Von mir aus dürfte dieser beste Roman darüber dann auch gern vergessen, dass er so wahnsinnig deutsch sein muss.

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19.09.2008 | 12:41 Uhr

Olaf Petersenn: Stimmigkeit und Dringlichkeit

Kriterien für den besten Roman des Jahres zu formulieren wäre nur zu einem Zwecke sinnvoll: um bei Autoren den Impuls auszulösen, sie sofort literarisch zu unterlaufen, gegen sie zu polemisieren und auf dem Eigenrecht der literarischen Imagination zu beharren.

Das ist aber gar nicht erforderlich, denn kein großer Autor unterwirft sich einer Regelpoetik (schon gar nicht einer nicht selbst gegebenen), sondern nimmt sich für jeden Text etwas Besonderes vor. Daraus folgt: Genauso wie der Autor sich beim Schreiben eines Romans überraschen (lassen) muss und dabei Neues über sich, seine Figuren und seine erzählerischen Möglichkeiten erfährt, muss jeder gute Roman den Leser überraschen und im besten Fall auch bei ihm genau dies anstoßen: neue Erfahrungen mit sich, der Welt und der Sprache.

Damit ein Roman zu etwas Besonderem wird, sind für mich als Lektor, der darüber zu entscheiden hat, ob und wenn ja, wann welcher Roman erscheint, zwei Eigenschaften entscheidend: Stimmigkeit und Dringlichkeit. Stimmigkeit ist notwendig, aber nicht hinreichend, und bedeutet, dass ein Autor für das, was er erzählt, eine originelle, durchgehaltene und zwingende Form gefunden hat, bei der der Eindruck entsteht, dass nur er die Geschichte auf diese Weise hätte erzählen können (und müssen). Und Dringlichkeit meint, dass unsere Gegenwart ärmer wäre ohne das Angebot, welches der betreffende Roman dem Leser jetzt macht.

Offensichtlich ist, dass das beileibe nicht trennscharf genug ist, um damit zuverlässig eine sechs Plätze umfassende Shortlist zu bestücken, geschweige denn tatsächlich den "besten Roman des Jahres" zu ermitteln. Aber das ist ja auch nicht meine Aufgabe.

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19.09.2008 | 11:52 Uhr

Martin Lüdke: 18.-- € sollte er kosten

Der beste deutsche Roman dieses Jahres sollte 317 Seiten haben, in einem buchstäblich bildschönen Schutzumschlag stecken, der mit seinen rosa Punkten auf weißem Untergrund ein sündiges Pärchen lustvoll umfängt.

Er sollte mit Adam und Eva beginnen und über die Vertreibung aus dem Paradies, auf einer langen Reise bis zum Fall der Mauer in ein gelobtes Land führen. Er sollte in einer Folge schneller Schnitte, soll heißen: kurzer Kapitel, eine sündige Handlung zügig vorantreiben, so dass der Eindruck eines Road-Movies entsteht und der Leser gar nicht merken muss, dass ihm noch einige ganz andere Geschichten erzählt werden, die sich unterhalb des Geschehens abspielen.
So sollte der beste deutsche Roman des Jahres 2008 aussehen. 18.-- € sollte er kosten.

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22.09.2008 | 09:47 Uhr
Andreas Müller schreibt: Zustimmung

Wieder einmal liege ich mit Martin Lüdke ganz auf der gleichen Wellenlänge.
Dieser wunderbare Roman von Ingo Schulze ist kein künstlich verschwurbelter Weltdeutungs-Wichtig-Schmöker, kein haltlos aufgeblasener, inhaltlich unmotiviert überdimensionierter Wälzer, sondern ein sprachstarkes Werk aus dem und für das Leben.


20.09.2008 | 21:27 Uhr
Peter Peterka schreibt: Dem Manne kann geholfen werden

Hier ist der Buchtipp um die 18 Euro, spielt in Wien, hat 2 parallele Handlungsstränge und trifft sich in der Mitte - nach 2x 160 Seiten, ergibt fast 317 Seiten und heißt: "Die schönsten Liebes-Lieder von Slipknot".

Von Karl Weidinger, erschienen im Androkles Verlag, der aber das ungewöhnliche Buch in dieser Form erst ermöglichte.



19.09.2008 | 10:55 Uhr

Daniel Lutz: Halt und Kontingenz

Der Anglist Christoph Bode hat es so formuliert: Die Eigenschaft und Leistung des Romans sollte heute darin liegen "ungleich komplexer und ungleich radikaler (= tiefergehend) als die anderen Medien, in denen Erzählen auch möglich ist, zu umkreisen, wie Sinn in die Welt gebracht wird, also letztlich ...

die paradoxe Spannung zwischen Kontingenz und 'Halt' immer wieder aufzubauen, die Haltlosigkeit des Sehnens nach einer narrativ vermittelten Illusion von existentieller Geborgenheit zu erweisen, im selben Zuge wie er durch seine Bearbeitung dieses Ansinnen als völlig legitim anerkennt."

In diesem Sinne wäre dann auch ein Lanze für Norbert Niemanns "Willkommen neue Träume" zu brechen, der m. E. genau diese paradoxe Spannung immer wieder aufbaut. Dass diese Art der 'Spannung' wenig mit 'Suspense' zu tun hat, mag vielleicht erklären, warum es dieser Roman nicht auf die Shortlist geschafft hat.

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19.09.2008 | 10:10 Uhr

Felicitas Feilhauer: Der einzelne Leser entscheidet

Wenn man ein Buch nach der Lektüre aus der Hand legt und möchte darüber mit anderen reden, kommt über sich und andere ins Nachdenken, stellt es ins Regal zum Wiederlesen, dann reicht mir das als Güteurteil völlig aus.

Es ist auch gleichgültig, ob das Buch wenige oder viele Leser erreicht, jeden einzelnen muss es überzeugt haben. Alle anderen Diskussionen sind akademisch und am Leser vorbei wie viele der bisherigen Diskussionsbeiträge im Forum zeigen - eingebracht übrigens von Leuten, denen ich unterstelle, dass sie a) nur einen Bruchteil der eingereichten Romane gelesen haben und b) die Leserwirklichkeit nicht kennen, denn sonst würden sie nicht behaupten, es würde nur der Preis eine Rolle spielen und alle anderen nominierten Titel marginalisieren.

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19.09.2008 | 09:31 Uhr

Olaf Trunschke: Parallele Welten ...

Ein guter Roman ist ein Paralleluniversum. Der Weg in die parallele Welt führt durch ein Schwarzes Loch. Schwarze Löcher besitzen eine magische Kraft: einmal in ihrem Bann, ziehen sie alles an in Reichweite: sanft zunächst, zunehmend stärker, mit unwiderstehlicher Gewalt zuletzt: Nichts kann ihnen entfliehen. Selbst das Licht krümmt seine Bahnen.

Der Kern eines Schwarzen Loches ist ein Punkt von unendlich großer Dichte. Hier verlieren unsere Naturgesetze ihre Geltung. Die Physiker nennen einen solchen Ausnahmezustand eine Singularität. Eine Rakete, die in ein Schwarzes Loch fliegt, verschwindet, sobald sie dem Kern so nahe gekommen ist, das Funksignale oder Licht nicht mehr entweichen können. - Diese Schwelle, von der aus es kein Zurück und keine Wiederkehr gibt, heißt Ereignishorizont.

Wer seinen Ereignishorizont einmal übertreten hat, kann nicht zurück in die alte Welt ...

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19.09.2008 | 08:05 Uhr

Bodo Kirchhoff: Die erfundene Wahrheit

Der beste deutsche Roman - der Saison wie es heißen sollte, und den es auch nur in diesem Sinne gibt - müsste wenigstens zweierlei aus dem Bewusstsein des Autors oder seiner Autorin in seine Figuren tragen: wie zerbrechlich sie als fiktive Figuren in unserer Welt des erdrückenden Zuviels sind, und ...

wie einzigartig zugleich in ihrem Vermögen, uns das Andere des anderen nahe zu bringen, worin die Literatur konkurrenzlos ist.

Und im Bewusstsein dieses Wertes bei gleichzeitiger Geringschätzung innerhalb der Gesellschaft, sollten sich der Autor und sein Roman an nichts Größeres anlehnen als die erfundene Wahrheit: keine Legitimation durch Geschichte oder Aktualität à la Fernsehen. Allein die Sprache und das Epische der Figuren sollten diesen besten Roman rechtfertigen - und schon gar nicht die Biographie des Autors, nur seine Fähigkeit die eigenen Abgründe für sein Werk zu nutzen. Und im Übrigen: wann schreibt endlich ein Soldat, der in Afganistan war einen so über die Zeit hinausreichenden, unjournalistischen Roman wie Enno Flaianos "Alles hat seine Zeit" oder Dino Buzzatis "Die Tatarenwüste"?

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19.09.2008 | 08:04 Uhr

Ernst-Wilhelm Händler: Der geborene Erzähler

Der beste deutschsprachige Roman des Jahres sollte sich dadurch auszeichnen, dass seine Sprache ebenso viele Gedanken und Gefühle anstößt wie sein Inhalt. Der geborene Erzähler ist immer der Tod des ...

... intelligenten Romans.

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19.09.2008 | 08:03 Uhr

Wolfgang Matz: Was niemand erwartet hätte

Welche Eigenschaft haben Franz Kafkas "Prozeß" und Thomas Manns "Doktor Faustus" gemeinsam, die sie zu den Ausnahmeromanen machen, die sie sind? Oder, in neuerer Zeit, Arno Geigers "Es geht uns gut" und Ingo Schulzes "Neue Leben"? Da bin ich aber gespannt!

Der Roman ist eine Form von so unerschöpflicher Variationsbreite, dass es verlorene Liebesmüh ist, eine Eigenschaft zu nennen, die den einen guten Roman auszeichnen muss. Übrigens wäre es auch nicht einfacher, zwei, drei, vier oder einundzwanzig solcher Eigenschaften zu benennen.

Vielleicht wird andersrum etwas draus: Die ganz wenigen ganz großen Romane glänzen ja oft gerade dadurch, dass sie etwas verwirklichen, was kein Mensch je von einem Roman erwartet hat, kein Kritiker, kein Lektor, kein Juror und auch kein Experte im Expertenforum. Ja, vielleicht wären wir Experten uns sogar einig gewesen: Das da geht auf keinen Fall! Oder hätten die unsterbliche Weisheit aus dem Proseminar zitiert: So kann man heute nicht mehr erzählen! Und dann kommt ein Autor, schreibt einen Roman, und siehe da: Das geht! Man kann! Wer hätte das gedacht!

Romane werden von den Autoren geschrieben, und was diese Romane sind und was ihre Eigenschaften sein können, das wird von den Autoren beim Schreiben ihrer Bücher erforscht und damit auch entschieden, nicht von Proseminaristen, Kritikern, Lektoren, Juroren und Experten im Expertenforum, die sich dann nachträglich ihren Reim drauf machen sollen. Denn eines muss er dann schon, wenn er fertig ist: Dann muss der schöne fertige Roman seine Leser (zu denen auch all die Genannten zählen) ganz einfach davon überzeugen, dass er etwas verwirklicht hat, was bestehen bleibt, ob man es nun erwartet hat oder nicht. Bekanntlich kann das gerade in den besten Fällen, Preise hin oder her, eine ganze Weile dauern.

Diese Überzeugungskraft muss jeder Roman besitzen, und deshalb auch der "beste deutsche Roman des Jahres", und auch der Gewinner des Deutschen Buchpreises.

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20.09.2008 | 13:23 Uhr
Uwe Ebbinghaus schreibt: Ambition

Kann man diese schwer auszumachende Eigenschaft nicht Ambition nennen? Womit ein entschiedener Wille zu neuen Formen oder inhaltlicher Neulandgewinnung gemeint ist.

Im angebrochenen Jahr ist diese Kategorie wohl am eindrücklichsten von Jonathan Littell ins Spiel gebracht worden, verbunden mit einem fast ausgestorbenen Autorenbild, in dem geistige Unabhängigkeit an die Grenze moralischer Fragwürdigkeit reicht. (Haben wir diese Unabhängigkeit eigentlich nicht im Forum vom 17.9. Michael Lentz, Julia Franck und Monika Maron abgesprochen?)
Aber auch unter den Shortlist-Titeln 2008 verraten wenigstens zwei Bücher eine besondere Ambition: Tellkamps "Turm", weil er ein bisher vernachlässigtes Thema (Endphase der DDR) literarisch angeht und darüber hinaus den Vergleich mit gleich mehreren Genre-Klassikern aufnimmt, sowie Daths "Abschaffung der Arten", weil - muss man dazu noch etwas sagen?
Natürlich reicht Ambition alleine nicht aus, sie ist ein Versprechen, das eingelöst werden muss, eine Art Mutprobe, die das Spektakel ermöglicht.


19.09.2008 | 11:39 Uhr
Volker Kulessa schreibt: Unvergleichbar

Wie man Kafka's "Prozeß" und Thomas Manns "Doktor Faustus" auf der einen Seite in einem Atemzug mit Arno Geiger und Ingo Schulze auf der anderen Seite nennen kann, wird mir ewig unbergreiflich bleiben. Hier werden zwei herausragende literarische Werke mit zwei völlig unbedeutenden Titeln der Massenproduktion auf eine Stufe gestellt.



19.09.2008 | 08:03 Uhr

Oliver Vogel: Das Leben verändern

Wenn ich wüsste, welche Eigenschaften ein Roman haben müsste, der mich überzeugen soll, und er käme dann – wäre das nicht allzu vorhersehbar? Wäre es nicht auch etwas enttäuschend?

Wenn der Roman (grundsätzlich und sehr allgemein gesagt) unsere Welt erforscht, wenn er uns Einblicke gewährt, die wir sonst nicht hätten; wenn er Aussichten eröffnet; wenn er Erfahrungen macht, die wir nicht machen, und sie dann so erzählt, dass es uns vorkommt, als wären es unsere; wenn er eine Sprache findet, die uns eine andere Perspektive schenkt, die Welt in eine andere Farbe taucht; wenn ein Roman eine Entdeckungsreise in das Land unternimmt, das zwischen den Ansprüchen, die das Leben stellt, und den Wünschen, die wir haben, liegt; wenn er also – ich fasse zusammen – das Leben verändern soll: kann er dann Eigenschaften haben, die ich jetzt schon kenne?

Vielleicht zäumt man die Frage besser von hinten auf: Für den Autor könnte gelten, was Henry James dem jungen Kollegen geraten hat: »Schreibe aus der Erfahrung und nur aus der Erfahrung«, wenngleich er das schnell als quälende Mahnung empfindet, der er sofort hinzufügt: »Versuche, einer von den Menschen zu sein, die nichts gleichgültig lässt.« Für den Leser gilt dann das, was Conor Oberst (der Sänger der Bright Eyes) besingt: »Something so wild turned into paper.« Was ich also vom (so genannten) besten Roman des Jahres erwarte, weiß ich nicht. Gleichgültig sollte er mich jedenfalls nicht lassen.

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19.09.2008 | 08:02 Uhr

Ina Hartwig: Götterentscheid

Welche Eigenschaft der beste deutsche Roman des Jahres unbedingt haben muss, entscheidet die Jury, und nur sie, und wir anderen müssen ihre Wahl dann als Götterwillen hinnehmen. Denn, wie schon Thomas Anz schrieb:

Es glaubt doch eh keiner dran, dass die Kategorie "bester deutscher Roman" irgendetwas bedeutet. Deshalb erscheint es mir völlig sinnlos, diese Floskel füllen zu wollen. Im Glücksfall ist man (ob als Autor/in, Lektor/in, Verleger/in, Leser/in oder Kritiker/in) mit dem Götterentscheid zufrieden, im Regelfall nicht. That’s it.

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Herausgegeben von Werner D'Inka, Berthold Kohler, Günther Nonnenmacher, Frank Schirrmacher, Holger Steltzner

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