19.09.2008 | 08:03 Uhr
Wolfgang Matz: Was niemand erwartet hätte
Welche Eigenschaft haben Franz Kafkas "Prozeß" und Thomas Manns "Doktor Faustus" gemeinsam, die sie zu den Ausnahmeromanen machen, die sie sind? Oder, in neuerer Zeit, Arno Geigers "Es geht uns gut" und Ingo Schulzes "Neue Leben"? Da bin ich aber gespannt!
Der Roman ist eine Form von so unerschöpflicher Variationsbreite, dass es verlorene Liebesmüh ist, eine Eigenschaft zu nennen, die den einen guten Roman auszeichnen muss. Übrigens wäre es auch nicht einfacher, zwei, drei, vier oder einundzwanzig solcher Eigenschaften zu benennen.
Vielleicht wird andersrum etwas draus: Die ganz wenigen ganz großen Romane glänzen ja oft gerade dadurch, dass sie etwas verwirklichen, was kein Mensch je von einem Roman erwartet hat, kein Kritiker, kein Lektor, kein Juror und auch kein Experte im Expertenforum. Ja, vielleicht wären wir Experten uns sogar einig gewesen: Das da geht auf keinen Fall! Oder hätten die unsterbliche Weisheit aus dem Proseminar zitiert: So kann man heute nicht mehr erzählen! Und dann kommt ein Autor, schreibt einen Roman, und siehe da: Das geht! Man kann! Wer hätte das gedacht!
Romane werden von den Autoren geschrieben, und was diese Romane sind und was ihre Eigenschaften sein können, das wird von den Autoren beim Schreiben ihrer Bücher erforscht und damit auch entschieden, nicht von Proseminaristen, Kritikern, Lektoren, Juroren und Experten im Expertenforum, die sich dann nachträglich ihren Reim drauf machen sollen. Denn eines muss er dann schon, wenn er fertig ist: Dann muss der schöne fertige Roman seine Leser (zu denen auch all die Genannten zählen) ganz einfach davon überzeugen, dass er etwas verwirklicht hat, was bestehen bleibt, ob man es nun erwartet hat oder nicht. Bekanntlich kann das gerade in den besten Fällen, Preise hin oder her, eine ganze Weile dauern.
Diese Überzeugungskraft muss jeder Roman besitzen, und deshalb auch der "beste deutsche Roman des Jahres", und auch der Gewinner des Deutschen Buchpreises.