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30.10.2008 | 02:44 Uhr
Weltspiegel

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Archiv: Ungarn

Aufmarsch der braunen Garden

Sendeanstalt und Sendedatum: WDR, Sonntag, 26. Oktober 2008

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Auf einem Privatgelände bei Szentendere, etwa eine halbe Autostunde nördlich von Budapest: Eine geheime Übung der „Ungarischen Garde“.

Die rot-weiß gestreiften Arpad-Fahnen gehen auf die Gründung der ungarischen Nation zurück, 1000 Jahre später wurden sie zum Symbol der ungarischen Pfeilkreuzler-Faschisten – also jenem von Hitler eingesetzten Terrorregime, dem Zehntausende Juden und Roma zum Opfer fielen. Auch auf den Uniformen prangt das Arpad-Symbol.

Mit Nationalsozialisten wollen die Mitglieder dieser paramilitärischen Organisation allerdings nicht in Verbindung gebracht werden. Sie bezeichnen sich als „radikale Nationalisten“ - wollen „Ungarn zu retten“.

Vor was genau – haben wir uns am Abend vorher erklären lassen, als die Filmaufnahmen offiziell gestattet waren. Auf dem Heldenplatz in Budapest bereiten Gardisten ihre große Kundgebung vor. Die ist genehmigt, denn die „Ungarische Garde“ ist offiziell als „Bewegung“ registriert, mit etwa 1300 Mitgliedern. 400 neue sollen nun vereidigt werden - unter dem Kommando von Landesbefehlshabers Robert Kiss. Auf dessen Sweatshirt steht: „Ungarischer Boden darf nicht verkauft werden.“ Denn genau dies werfen die Gardisten der sozialistischen Regierung vor.

„Die tun doch alles dafür, unser Land an Ausländer zu verscherbeln. Wir sind die Opfer der Globalisierung. Ungarn ist nicht mehr Ungarn. Aber wir werden den Ausverkauf verhindern. Denn für uns gilt: Ein Land, ein Boden, ein Gott, ein Ungarn.“

Und er – der freilich nicht befugt ist, vor der Kamera zu sprechen – ist von der „jüdischen Weltverschwörung“ überzeugt und meint, dass die rechte Szene in Deutschland von der „guten Organisation“ in Ungarn lernen könne.

Eine Bürgerwehr wollen die Gardemitglieder darstellen. Unbewaffnet die Aufgaben des Ordnungs- und Zivilschutzes übernehmen. Sowie die Heimat im Kriegsfall verteidigen.

Hinter der Garde steht eine politische Partei namens „Jobbik“- Motto: „Für ein besseres Ungarn“. Das Stadtbüro in Budapest wird von Karoly Baksai geleitet. Als sein historisches Vorbild nennt der 25Jährige Miklos Horthy, den mit Hitler verbündeten ungarischen Faschistenführer.

Vor jeder Filmaufnahme, die er uns gestattet, vor jeder Aussage, muss sich Karoly Baksai telefonisch absichern. Er studiert Japanisch, kommt aus einem gutsituierten Elternhaus. Aber in Zeiten der schweren Finanzkrise plagen ihn Zukunftsängste.

„Es ist sehr schwer einen guten Job zu finden, die Steuern und Abgaben sind sehr hoch, unser Gesundheits- und Sozialsystem ist zusammengebrochen. Aber diese Zigeuner, die setzen nur viele Kinder in die Welt und leben dann von den Sozialleistungen, die die ungarischen Steuerzahler finanzieren.“

So oder so ähnlich lauten die Argumente, mit denen die Ungarische Garde ihren Feldzug gegen die Roma rechtfertig. Denn wenn die Uniformierten in der Vergangenheit öffentlich aufgetreten sind, dann ging es meistens gegen diese Minderheit.

Wie im Dorf Olaszliszka. Hier war ein ungarischer Autofahrer von einem aufgebrachten Mob gelyncht worden, weil er ein Roma-Mädchen angefahren hatte.

Seitdem demonstriert die selbsternannte Bürgerwehr in Roma-Siedlungen regelmäßig Stärke. Die Aufmärsche finden oft auf ausdrücklichen Wunsch der Bürgermeister statt. Die örtliche Polizei bleibt unsichtbar. Bisher gab es dabei keine Zusammenstöße - auch weil sich die Roma zum friedlichen Protest entschlossen haben.

Gleichzeitig zeigen sie Selbstbewusstsein. Der Roma-Sprecher empfängt zum Interview im eigenen kleinen Studio, das er wegen der vielen Anfragen einrichten ließ.

„Es ist nicht akzeptabel, dass die Rechten in einem demokratischen Land mitten in Europa aufmarschieren können. Eigentlich unvorstellbar, dass das ungarische Rechtssystem das zulässt. Wir haben eine Petition mit 80-tausend Unterschriften eingebracht und das Parlament aufgefordert, das Gesetz entsprechend zu ändern.“

Inzwischen läuft auch ein Verbotsprozess gegen die Garde. Aber der kann sich hinziehen. Denn ihr Gründer Gabor Vona, ein 30jähriger Geschichtslehrer, hat geschickt eine Gesetzeslücke genutzt. Seine Bürgerwehr ist kein Verein, der strengeren Vorschriften unterworfen wäre, sondern lediglich eine „Bewegung“. Gleichzeitig ist Vona Chef der „Jobbik“-Partei, mit der er ins ungarische und ins Europa-Parlament einziehen möchte. Entsprechend gibt sich Vona jetzt staatstragend. Von vorbestraften und allzu offen rechtsextrem auftretenden Mitgliedern hat sich seine Garde inzwischen getrennt.
„Ich weise auch aufs Schärfste zurück, dass wir faschistenartige, SS-ähnliche Uniformen haben. Ich bin Historiker. Die Garde-Mitglieder tragen lediglich ein Einheitsgewand, das den ungarischen Trachten und Überlieferungen aus Märchen nachempfunden ist.“

Tracht oder Uniform – für ihre Ausrüstung müssen die Gardisten jedenfalls selbst aufkommen. Und den Preis darf uns Karoly Baksai nicht verraten. Immerhin hat er uns sehr früh in seine Wohnung gelassen, während er sich für die große Kundgebung auf dem Heldenplatz ausgehfein macht. Denn er möchte zeigen, dass hinter der Garde Menschen stehen - in seinem Fall ein Japan-Fan.

„Seit meiner Kindheit wollte ich immer Astronaut werden, oder Polizist oder Samurai-Kämpfer.“

Stattdessen ist Karoly Baksai also Mitglied der Bürgerwehr geworden. Dass er - wie viele andere Freiwillige - bei der Kundgebung in Budapest nur im weißen Hemd aufmarschieren konnte ohne die charakteristische schwarze Jacke, lag übrigens nicht daran, dass sich die Gardisten ein freundlicheres Image verleihen wollen. Nein, die Uniformen waren leider nicht rechtzeitig fertig geworden. Was auch daran liegen könnte, dass diese Mobilmachung der Rechtsextremen nicht allen Ungarn gefällt und der Chef der Schneider jüdischer Abstammung ist.
Autorin Susanne Glass

 

Dieser Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 26.10.2008. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.