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Wissen

Sprich oder stirb!

Was unterscheidet den Menschen vom Affen? Ein mutiertes FoxP2-Gen: Es ermöglichte die Sprache

VON ULRICH BAHNSEN

Etwas war passiert. In den Geburtsstunden der Menschheit, irgendwo in Afrika, wurde jemand geschwätzig. Einige Höchstbegabte durchbrachen das dumpfe Brabbeln ihrer Artgenossen und verabredeten sich in wohlartikulierten Lauten zur Jagd oder erzählten von fruchtreichen Baumbeständen. Wie von selbst erfanden sie ihr Vokabular, mitsamt Satzbau- und Grammatikregeln.
Ahnungslos lauschend wurden ihre Zeitgenossen vor rund 160 000 Jahren Zeugen der erwachenden Sprachmacht des modernen Menschen. Offenbar waren die Sprachgenies beliebt - auf jeden Fall als Bettgenossen. Sie zeugten mehr Kinder, und auch die gerieten zu Frühzeit-Rhetorikern: Etwas in ihren Genen und Köpfen funktionierte anders. Ihre Sippen wuchsen, schon rund 2000 Generationen später bestand die frühe Menschheit nur noch aus sprachgewaltigen Mutanten. So oder ähnlich muss sich ein mysteriöses Kapitel der menschlichen Vorgeschichte zugetragen haben, meinen deutsche Forscher. Gleichsam per genetischen Knopfdruck habe die Evolution damals die Sprachmaschine im Menschenhirn gestartet.
Erstmals habe man im Erbgut eine Spur dieser Ereignisse sichergestellt, schreiben die Genetiker vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) diese Woche im Fachblatt «Nature»: Eine subtile genetische Veränderung - eine «Mutation» - kündet noch heute von der Erfindung der Sprache. «Unsere Ergebnisse beweisen, dass Sprache vor 160 000 Jahren plötzlich zu einem wichtigen Überlebensfaktor wurde», sagt EVA-Forscher Wolfgang Enard. Ein magischer Zeitpunkt: Die Anthropologen taxieren die Geburtsstunde des modernen Menschen auf dieses Datum.

«Sprechen lernen ist nichts, was wir tun, es geschieht mit uns»

Offenbar, glaubt die von dem Paläogenetiker Svante Pääbo geleitete Truppe, war damals durch Mutationen eine neue Variante eines Gens mit dem Namen FoxP2 im Erbgut der frühen Sprecher entstanden. Zwar ist rätselhaft, was genau die neue Genvariante im Hirn bewirkte, doch die neue Eigenschaft verbreitete sich rasch. Irgendwann in den letzten gut 100 000 Jahren hatte sich das neue FoxP2-Gen im Genom aller Menschen durchgesetzt.
Nur zwei Mutationen im FoxP2-Gen seien in der sechs Millionen Jahre dauernden Evolution neu aufgetreten, die den Menschen von seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen trennen, stellte Pääbos Truppe fest - und zwar präzise, als auch der moderne Mensch vor 160 000 Jahren Gestalt annahm. Stellten diese Genänderungen den Schalter dar, mit dem die Evolution - Lingua ex Machina - den symbolisch denkenden und sprechenden Geist des Menschen hervorbrachte, vom Klatsch am Lagerfeuer bis zur Internetkommunikation?
Noch ist schleierhaft, welche Aufgaben FoxP2 genau hat. Doch ein Vergleich mit den entsprechenden Genen im Erbgut von Tieren zeigt: Es enthält die Bauanleitung für ein Eiweiss, das die Aktivität anderer Gene steuert. «Welche das sind», sagt der britische Genetiker Anthony Monaco, «müssen wir nun herausfinden.»
Auch Monaco und seine Kollegen von der Universität Oxford sind überzeugt, dass FoxP2 die Sprachfähigkeit des Menschenhirns orchestrieren hilft. Belege dafür lieferte ihnen «Oma KE» und ihre Sippe. Die versteht niemand. Und das Problem ist erblich: 4 von 6 Kindern und 10 der 24 Enkel nuscheln unverständlich, an der Grammatik erleiden sie Schiffbruch. Warum bleiben ihnen Satzbauregeln rätselhaft, die selbst Kleinkinder spielend beherrschen?
Die Suche nach einer Antwort brachte 1998 den ersten Erfolg. Da hatte Monacos Team den Gendefekt der KE-Familie auf dem Chromosom 7 eingekreist. Bald darauf meldete man Vollzug: Das erste mit der Sprachfähigkeit verbundene Gen sei gefunden, der Name des Gens: FoxP2 - jenes Gen, dem die Max-Planck-Wissenschaftler nun eine wichtige Rolle bei der Erfindung der Sprache zumessen. Unzweifelhaft verursacht der Defekt in FoxP2 - ein falscher Genbaustein - die Sprachstörung der Londoner Sippe.
Bestätigt sieht sich Steven Pinker vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambrigde. Der Kognitionsforscher, der 1994 im Buch «Der Sprachinstinkt» das Kommunikationsgenie Mensch als Produkt einer evolutionären Anpassung darstellte, erblickte in dem Genfund sogleich den «Beweis für ein angeborenes Sprachtalent des Gehirns».
Als Erster hatte der US-Linguist Noam Chomsky 1959 mit der Theorie der generativen Grammatik ein biologisches Sprachprogramm im Hirn postuliert. Angesichts der universellen Gültigkeit bestimmter Strukturen in den bekannten Sprachen, behauptete Chomsky, müsse nicht nur deren Entstehung einem Programm folgen. Vor allem die Geschwindigkeit, mit der Kleinkinder diese Regeln aus Dialogen ihrer Umgebung extrahieren, sei durch Lernprozesse allein nicht zu erklären. «Sprechen lernen ist nichts, was wir tun, es geschieht mit uns», verkündete Chomsky und brach einen Dauerstreit unter Linguisten vom Zaun.

Der Mensch bringt den Sinn für Grammatik schon mit auf die Welt

Chomskys Gegner setzen auf die Umwelt: Verantwortlich sei Lernen, die von den Eltern abgehörten Worte und Satzkonstruktionen. Doch wird nun immer klarer, dass diese Rechnung nicht aufgeht: Schon als Dreijährige jonglieren Kinder perfekt mit Teilen der Grammatik, sprechen in Relativsätzen und nutzen Passivkonstruktionen - der Mensch bringt den Sinn für Grammatik schon mit auf die Welt. Einen Beleg dafür lieferte 1998 die US-Linguistin Susan Goldin-Meadow von der Universität Chicago. Sie verglich die Gesten gehörloser chinesischer und amerikanischer Kinder. Ohne eine Zeichensprache gelernt zu haben, verständigten sie sich über komplexe Gesten, deren Struktur und Abfolge gesprochenen Sätzen gleichen - ohne dass sie je einen Menschen plaudern gehört haben konnten.
Unversehens haben solche Befunde das Kulturgut Sprache in ein Produkt der evolutionären Auslese verwandelt. Ein Produkt von Neuronenschaltkreisen und vernetzten Genfunktionen, das sich nur entwickelt habe, weil es einen evolutionären Überlebensvorteil brachte - eine Provokation für die herkömmliche Linguistik. Doch gerade die Befunde der Leipziger Max-Planck-Forscher Pääbo und Enard gewähren Pinker & Co. nun Schützenhilfe.
Zugleich belegt der Fund, wie naiv die Vorstellung vom «Grammatik-Gen» ist. Auch andere Lebewesen besitzen ein FoxP2-Gen - Mäuse zum Beispiel, denen die Rede nicht eigen ist, und Schimpansen, deren Sprachfähigkeiten bestenfalls strittig sind. «FoxP2 ist nur ein erster Schritt, um an die Schaltkreise für die Sprachbegabung heranzukommen», dämpft Monacos Mitarbeiter Simon Fisher den Genjubel. FoxP2, so das Szenario der Forscher, dirigiere vermutlich ein Orchester aus anderen Genen; und nur beim Menschen ermöglichen diese anderen Gene die Entstehung (und Funktion) der Neuronennetze, in denen möglicherweise der pinkersche Sprachinstinkt schlummert. «Sprache ist ein unglaublich komplexes System», sagt Pääbos Kollege Michael Tomasello, «und wir haben erst einen Blick darauf erhascht.»

Die linguistische und genetische Entwicklung liefen parallel

Versagen Gene wie FoxP2 den Dienst im genetischen Netzwerk, fällt die Sprache aus, ähnlich wie ein defekter Zündverteiler den Motor zum Schweigen bringt. Umgekehrt kann die Funktion von Nervenschaltkreisen durch feine genetische Veränderungen in neue Bahnen gelenkt werden. Und das, vermuten die Max-Planck-Forscher, dürfte bei der Entstehung des heutigen Menschen passiert sein: Eine winzige Änderung im FoxP2-Gen genügte vielleicht, um neue Verbindungen im Neuronengeflecht zu knüpfen und den Menschen zum Sprachwesen zu erheben.
Wie aber klang das längst vergessene erste Idiom der Menschheit, aus dem sich alle heutigen Sprachen entwickelt haben müssen? Schon früh erkannten Linguisten die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen heutigen Sprachen. Manche hoffen, mit Hilfe solcher Gemeinsamkeiten einen evolutionären Stammbaum der Sprachen zu rekonstruieren, der bis zur Ursprache des Menschen zurückreicht.
Erst im Verlauf der letzten 6000 Jahre, so meinen die Experten, haben sich die meisten heutigen europäischen Sprachen entwickelt - aber nicht alle. Die Basken widersetzen sich der Vereinnahmung auch in linguistischer Hinsicht. Ihre Sprache gilt als wohl letzte Spur der Sprache der Cro-Magnon-Menschen, der ersten Einwanderer, die vor rund 40 000 Jahren Westeuropa besetzten. Genetische Befunde stützen die Sonderstellung der Basken, meint Luigi Cavalli-Sforza: «Beim Vergleich des genetischen Stammbaums der Menschheit mit dem linguistischen gibt es eindrucksvolle Übereinstimmungen», sagt der Populationsgenetiker von der Stanford University. «Die Geschichte von Genen und Sprachen verläuft parallel.»
Die deckungsgleichen Stammbäume von Mensch und Sprache schüren die Hoffnung, dass sich dereinst exakt darstellen lässt, wie sich Kultur und Gene wechselseitig beeinflussen. Im Erbgut sind die Baupläne für Stimmbänder, für den tief gelegten Kehlkopf und ein filigranes Mundwerk angelegt. Natürlich sei Sprache eine kulturelle Errungenschaft, sagt Cavalli-Sforza, aber sie beruhe «auf einer präzisen anatomischen und neurologischen Grundlage».