Facts, 15.07.2004

Crash nach dem Flash

Neue Studien zeigen: Der in der Party-Szene übliche Mischkonsum von Ecstasy und Cannabis führt zu schweren Gehirnschäden. Doch die Konsumenten ignorieren die Gefahren des Drogen-Mix – und sie werden immer jünger.

Ruth Brüderlin

Was um alles in der Welt soll «in» sein an einem Klub, in dem es zugeht wie in den frühen Neunzigerjahren, der Anfangszeit der Techno-Bewegung? Sonntagmorgen, 9 Uhr, Vogelgezwitscher durchzieht das Industriequartier, in der Grossdiskothek dröhnen die Bässe. Techno, Drogen und Hunderte tanzende Menschen – alles wie damals.

Selbst einige der Raver sind noch dieselben: Die Zürcherin Rebekka*, 41, hat von Anfang an mitgemacht. Heitere Partynächte im Ecstasy-Himmel, Nebel von süssem Cannabis-Duft. Fast fünfzehn Jahre Marathon-Tanz und Drogenkonsum haben allerdings Spuren hinterlassen: Wenn sie spricht, stockt sie plötzlich, vergisst, was sie gerade sagen wollte. Rebekkas Blick driftet weg, sie kramt nach Wörtern, die sich irgendwo im Hirn verstecken. «Ich bekomme die Folgen meiner wilden Zeit zu spüren.»

Schlechte Testergebnisse

Ab und zu ein Ecstasy schlucken schadet nicht, dazu einen Joint rauchen – harmlos. Das war bislang die gängige Meinung. Doch jetzt glauben Forscher, dass ausgerechnet dieser in der Szene weit verbreitete Mischkonsum langfristig Veränderungen im Gehirn verursacht. Bei chronischen Konsumentinnen und Konsumenten findet man Beeinträchtigungen im verbalen Gedächtnis.

Neue Studien zeigen zudem biochemische Veränderungen in Hirnregionen, die für die visuelle Wahrnehmung und kognitive Leistung zuständig sind. Gleich wie MDMA, Hauptbestandteil von Ecstasy, wirkt auch der Cannabis-Wirkstoff THC in jenen Hirnregionen, die für Gedächtnisfunktionen und Gefühle zuständig sind.

«Wenn sich der Verdacht bestätigt», sagt Franz Vollenweider von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, «müssten die User unbedingt gewarnt werden.» Vollenweider ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Forschung mit psychotropen Substanzen, er sieht dringenden Handlungsbedarf und bereitet deshalb eine Studie vor, die weiteren Aufschluss geben soll über das Zusammenwirken von MDMA und Cannabis. Die Relevanz der Forschung ist evident: Mischkonsum ist in der Partyszene nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

MDMA ist ein Amphetamin-Derivat und gilt als Herzöffner; es macht glücklich und gesellig. Doch bereits die vorhandenen Daten über die Risiken und Nebenwirkungen sind alarmierend: Bei einem Merktest konnten sich Gesunde ohne grössere Schwierigkeiten eine Reihe mit zwanzig Wörtern merken, die Ecstasy-Konsumenten, die in ihrem Leben schon mindestens um die 50 Einheiten geschluckt hatten, kamen kaum über acht Wörter hinaus – die Experten haben Hinweise, dass die Schäden durch Cannabis begünstigt werden.

So verglich die deutsche Wissenschaftlerin Euphrosyne Gouzoulis von der Psychiatrischen Uniklinik Köln chronische Ecstasy-Konsumenten, die auch Cannabis rauchten, mit einer Versuchsgruppe, die sich vorwiegend an Cannabis hielt. Das Resultat: Wenn es zu Veränderungen in der kognitiven Leistung kam, waren sie bei jenen Probanden, die sowohl MDMA als auch Cannabis genommen hatten, den Mischkonsumenten also, viel ausgeprägter. Ungeklärt ist noch, ob sich das Gehirn nach einer gewissen Zeit der Abstinenz wieder zu erholen vermag.

Die vergessliche Zürcher Techno-Gruftie Rebekka glaubt, ihr Hirn habe bleibenden Schaden genommen. Nicht nur das. «Mir wird bewusst, dass ich in meiner persönlichen wie in meiner beruflichen Entwicklung einiges verpasst habe.» Heute ist sie, wie viele in der Szene, hoch verschuldet – statt sich nach ihrer Ausbildung als Grafikerin selbstständig zu machen, wie sie es vorgehabt hatte, feierte sie die Nächte durch. Dazu gehörte Ecstasy und – um jeweils die Landung abzudämpfen, wenn die MDMA-Wirkung nachliess – immer gehörig Cannabis.

Verschiedene Andockstellen

Den ersten Ecstasy-Flash vergisst kaum jemand – und genau deshalb schlucken die meisten wieder und wieder eine Pille: «Ich hörte ein Zischen, und es war, als würde ein Komet durch meinen Kopf hindurch hinaus ins Weltall rasen», beschreibt Rebekka ihr allererstes MDMA-High.

Was unter Ecstasy-Einfluss exakt im Kopf vorgeht, lässt sich mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), eine Art Röntgenbild des Gehirns, messen. Vollenweider und sein Team verabreichten Freiwilligen eine mittlere Dosis reines MDMA und konnten nachweisen, dass die Substanz seine stimmungshebende Wirkung über verschiedene Andockstellen des Gehirns vermittelt. MDMA sorgt insbesondere beim Serotonin-Transporter im Gehirn für eine vermehrte Freisetzung des körpereigenen Glückshormons. Vier Wochen später untersuchte das Team die Probanden ein zweites Mal – und fand weder zerstörte Nervenzellen noch psychologische Veränderungen. Die Untersuchungspersonen beziehungsweise deren Hirne hatten keinen Schaden genommen.

Jedoch: Je mehr und je häufiger zur Chemie gegriffen wird, desto grösser das Risiko von Schäden. Untersuchungen in Deutschland zeigten, dass regelmässige Konsumenten weniger Transporter-Zellen besitzen. Bei Leuten, die in ihrem Leben schon mehrere hundert Ecstasy geschluckt hatten, waren es um 10 Prozent weniger. Dieses Manko könnte die Ursache für depressive Verstimmungen und die Gedächtnisstörungen sein, über die Ecstasy-User häufig klagen.

«Depressiv und paranoid»

Vollenweider zieht aus den wichtigsten bisher durchgeführten Studien die Erkenntnis: «Die härtesten Evidenzen für kognitive Defizite und Hirnveränderungen ergeben sich bei Menschen, die über 200 Tabletten konsumiert haben.» 200 Tabletten sind keineswegs eine grosse Menge: Allein bei zwei bis drei Pillen pro Wochenende – ein durchaus gängiges Konsummuster – hat man die Quantität in zwei Jahren erreicht.

Ein notorischer Ecstasy-User war Werner, 39. Er hat all die bunten Pillen, die er in seinem Leben geschluckt hat, nicht gezählt. An schöne und witzige Namen erinnert er sich: «Smile», «Rossis Dream», «rotes Bömbeli » – oder auch «Osama bin Laden». Seit 14 Jahren konsumiert Werner MDMA; während vier Jahren jedes Wochenende mehrere Pillen. «Danach wurde ich depressiv und paranoid», sagt der Solothurner. «Ich sah alles nur noch negativ, bildete mir Dinge ein, die gar nicht stattgefunden hatten.»

Die vermeintliche Happy-Droge stiess Werner ins Elend. Er zog die Notbremse, kündigte seinen Job beim Hilfswerk, verzog sich in die Berge, heuerte später als Hilfsschreiner an. Aber gänzlich gab er weder Partys noch Pillen auf. Heute wohnt er in Zürich, und er zeigt immer noch ein Suchtverhalten, wie es Heroin- und Kokainkonsumenten an den Tag legen. In seinem Kopf «kippe ein Schalter», sagt Werner. «Dann läuft ein automatisches Programm, ich muss sofort etwas haben, schlucke wahllos die Pillen und saufe dazu, was runtergeht.» Dann halten ihn keine guten Vorsätze, keine Warnungen und kein Zureden zurück.

Es bleibt die Frage, ob bereits geschädigte MDMA-User wie Werner auf Besserung hoffen dürfen, wenn sie über Jahre Ecstasy entsagen, oder ob der chronische Ecstasy- und Cannabis-Konsum zu irreversiblen, bleibenden neurobiologischen Veränderungen im Gehirn führt. Antwort darauf soll ebenfalls die von Vollenweider geplante Langzeitstudie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich geben. Support erhält sein Team dabei vom Bundesamt für Gesundheit BAG: «Die Notwendigkeit solcher Forschungen ist unbestritten», sagt Markus Jann, Leiter Drogen beim BAG. «Wenn möglich, werden wir sie finanziell unterstützen.»

An Partys und in Klubs wird Ecstasy nicht nur mit Cannabis und Alkohol kombiniert, sondern auch mit Kokain, LSD, Speed, GHB und einer ganzen Reihe weiterer Stoffe. Das Mischen verschiedener Rauschmittel, das Konsumieren von eigentlichen Drogencocktails, birgt für sich allein schon grösste gesundheitliche Risiken. Aber Mischkonsum ist auch deshalb riskant, weil mit ihm in der Regel ein «spezielles psychisches Verhalten» verbunden ist, wie BAG-Experte Jann sagt. Ein Konsum nämlich, der kaum mehr etwas mit Genuss zu tun hat, sondern ausschliesslich mit gedankenloser Gier.

Prophezeite Abstürze

Bereits 1995 schrieb Patrick Walder, Autor des Standardwerks «Techno», die Raver-Bewegung sei eine «veritable Drogenszene». Techno habe LSD, einer Droge aus den Siebzigern, ein Revival beschert und von der Klub- und Dance-Szene der Achtzigerjahre Kokain und Speed geerbt. Walder prophezeite damals, einige der Techno-Protagonisten würden unweigerlich abstürzen, und forderte: «Statt sich stets einzulullen und sich etwas vorzumachen, könnte sich die Szene zur Abwechslung mal ihren eigenen Drogenkonsum als Thema vornehmen.»

Die laute Jugendbewegung, die sich Love, Peace and Unity auf die Fahnen schrieb, sah sich selbst lieber anders: Als halb nackte, blümchen- und boaverzierte Tänzerinnen und Tänzer, die an Love- und Street-Parade die Innenstädte heimsuchen, sich alle furchtbar lieb haben und sich nach dem Monsterevent an der bunten Fotostrecke in der «Schweizer Illustrierten» erfreuen. Bloss: Viele der Dauerlächler haben mittlerweile manische Blicke, verkrampfte Kiefer, steife Beine.

Die neueste Entwicklung beim Ecstasy- Konsum ist Besorgnis erregend: die Konsumentinnen und Konsumenten werden jünger. Sowohl der Erstkontakt als auch die Phase des gehäuften Konsums findet heute im Schnitt ein Jahr früher statt als noch vor fünf Jahren. Die Schweizerische Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme SFA führte vor zwei Jahren unter 10115 Schülern zwischen 11 und 15 Jahren eine Befragung durch. 3,3 Prozent gaben an, Ecstasy aus eigener Erfahrung zu kennen. 1998 waren es noch 1,8 Prozent.

Effizientes Pillen-Testing

Alljährlicher Höhepunkt der Ecstasy-Euphorie ist immer noch das Street-Parade- Wochenende, dieses Jahr fällt es auf den 7. und 8. August. Für Neu-Raver sind die zwei Tage willkommener Anlass, den ersten Trip zu wagen. Just auf dieses Datum bringt auch die Szeneorganisation Eve & Rave in Zusammenarbeit mit den staatlichen Präventionsstellen eine neue Broschüre heraus. Sie umfasst Informationen über 22 Substanzen inklusive Tabak und Alkohol und widmet dem Mischkonsum eine ganze Seite. Die Autoren zeigen sich dabei auf der Höhe des Forschungsstandes. Sie weisen ausdrücklich auf die Gefährlichkeit eines gleichzeitigen Konsums von MDMA und Haschisch oder Marihuana hin.

Gerade unerfahrene User gehen grosse Risiken ein: Überdosierung, weil sie nicht warten können, bis die MDMA-Wirkung eintritt; Mischkonsum; zu wenig Flüssigkeit. Doch weder Neulinge noch erfahrene User zeigen sich besonders beeindruckt von Repression oder Mahnfingern. Alex Gamma, wissenschaftlicher Mitarbeiter des MDMA-Experten Vollenweider, zeigte in einer Internetumfrage, dass zumindest erfahrene Ecstasy-Konsumenten wissen, was sie tun. «Die meisten Befragten schätzen die Gefährlichkeit des MDMA-Konsums als sehr hoch ein», sagt Gamma, «das hat uns überrascht.» Bis anhin hatten selbst renommierte Forscher durchs Band behauptet, die Ecstasy-Freunde wüssten eben nicht genügend Bescheid über die Gefahren. Sonst, so die Folgerung, würden sie das Rauschmittel nicht nehmen.

Die Sozialarbeiter der Zürcher Präventionsstelle Streetwork beispielsweise setzen darum auf Schadensminderung. Sie untersuchen an Raves die Tabletten auf ihre chemische Zusammensetzung. Das Resultat wird mitgeteilt – ebenso wie die möglichen Folgen des Konsums. Die Streetworker setzen auf Eigenverantwortung, ihr Ziel ist, die Besucher dazu anzuregen, über sich, ihren Konsum und ihr Leben im Allgemeinen nachzudenken.

Das Pillen-Testing erwies sich als bisher effizientestes Mittel, um mit den Party-Junkies ins Gespräch zu kommen, denn freiwillig geht dieser Typus Drogenkonsument kaum in eine Beratung – obwohl als Dauer-User gerade er Folgeprobleme in der Ausbildung, in der Beziehung, in der Familie sowie allenfalls physische und psychische Schäden riskiert.

Experten gehen davon aus, dass ein Süchtiger zehn bis zwölf Jahre an einer Droge hängt; das gilt auch für den Mischkonsum von MDMA und Cannabis. Ein Teil der User stürzt sozial ab und landet am Rand der Gesellschaft, ein weiterer Teil bleibt wahrscheinlich bis ins hohe Alter beim gelegentlichen Genusskonsum. Die meisten beenden ihre Sucht von selbst. Genau diese dritte Gruppe verdiene ein besonderes Augenmerk, forderte Professor Ambros Uchtenhagen, Stiftungspräsident des Instituts für Suchtforschung, an der Nationalen Kokain-und-Designerdrogen- Konferenz von diesem Juni: «Die Forschung müsste sich mehr auf diese Selbstheiler konzentrieren. Wer fängt sich auf und wie? Mit Hilfe oder ohne? An diesem Punkt muss man ansetzen.»

Marc*, 32, hat es allein geschafft. Nach zwei Jahren exzessiven Ecstasy- und Cannabis- Konsums konnte der Thurgauer Informatiker den Rausch nicht mehr geniessen. Er stand an Partys zitternd in einer Ecke, stammelte nur. «Und der Flash stellte sich auch nicht mehr ein. Es war nur noch frustrierend. »

Marc blieb fortan am Wochenende in Romanshorn, lenkte sich mit Sport ab und wandte sich wieder den alten Freunden zu. «Das war das Schwierigste», sagt Marc, «wieder lernen zu müssen, einen Samstagabend mit einem Bier im Pub zu geniessen. Es erschien mir langweilig, banal.» Alle zwei Monate erlaubt er sich einen Abstecher zurück in die wilde Zürcher Party- Familie. Meist mit Joint und Bier – aber ohne Chemie, ohne Ecstasy.

Es sei ohnehin alles nicht mehr wie früher. «Die grosse Party ist vorbei.»
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* Name geändert

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