Fred Sinowatz: Bedingungsloses Bekenntnis zur Sozialdemokratie
Fred Sinowatz

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Von Friedrich Weissensteiner

Fred Sinowatz wurde am 5. Februar 1929 in Neufeld an der Leitha, einem Industrieort im nördlichen Burgenland, als einziges Kind einer Arbeiterfamilie geboren. Der Vater war Maschinenschlosser im nahen Kohlebergwerk, die Mutter Fabrikarbeiterin. Mit seinem Geburts- und Heimatort ist Sinowatz zeitlebens auf das Engste verbunden geblieben. Er wuchs dort auf, er bauten auf einem Grundstück, das ihm seine Eltern schenkten, ein Haus, in dem er heute noch wohnt. Selbst als Unterrichtsminister und Bundeskanzler fuhr er tagtäglich im Auto spätabends wieder nach Neufeld zurück.

Die bildungsbeflissenen Eltern schickten ihren begabten Sohn nach vier Klassen Volksschule in das Gymnasium nach Wiener Neustadt - im Burgenland gab es damals keine staatliche Mittelschule -, wo man dem Buben aus dem Arbeitermilieu seine "proletarische" Herkunft spüren ließ. Der Vater veranlasste einen Schulwechsel. Fred Sinowatz maturierte am Badener Gymnasium mit Auszeichnung.

Karriere im Burgenland

Nach der Reifeprüfung mietete sich der 19jährige in der Wiener Alserstraße bei einer befreundeten Familie ein und inskribierte an der Universität Geschichte, Germanistik und Zeitungswissenschaften. 1953 schloss er sein Studium mit der Promotion zum Doktor der Philosophie ab. Bald darauf trat er als Sekretär eines sozialistischen Landesrates in den burgenländischen Landesdienst ein. 1956 fand der junge Beamte die Betätigung, die seinen Interessen und Neigungen entsprach: er wurde Mitarbeiter in der Bibliothek des Burgenländischen Landesarchivs in Eisenstadt.

Seine politische Prägung erhielt der kulturell aufgeschlossene, umgängliche Bücherfreund und Weinkenner bereits im sozialdemokratischen Elternhaus und durch seinen Onkel Josef Cech, einen Bruder der Mutter, der zwischen 1934 und 1939 den Status eines "illegalen Sozialisten" hatte, arbeitslos war und bei seiner Schwester Zuflucht und Unterkunft fand. Sinowatz selbst trat nach der Matura der SPÖ bei, betätigte sich bei den Sozialistischen Studenten und wurde bereits im Alter von 28 Jahren Obmann der SPÖ-Lokalorganisation seines Heimatortes. Anlässlich seiner Wahl in diese Funktion lernte er Bruno Kreisky kennen, der an diesem Abend ein politisches Referat hielt.

1962 Landesparteisekretär

Fred Sinowatz machte in der burgenländischen SPÖ rasch Karriere. 1961 zog er in den Landtag ein, ein Jahr später bestellte man ihn zum Landesparteisekretär. Seiner zielstrebigen Arbeit und seiner klugen Strategie als Wahlkampfleiter verdankt es die Partei, dass sie 1964 die Mehrheit im Landtag eroberte und zum ersten Mal seit 1945 den Landeshauptmann stellte. Sinowatz wurde Präsident des Landtages und 1966 als Landesrat für Kultur Mitglied der Landesregierung. Er konnte nun in der Kulturpolitik, seinem ureigensten Interessengebiet, seine Konzepte in die Praxis umsetzen.

Fred Sinowatz betrachtete Kultur nie als Angelegenheit einer elitären Minderheit. Seine Kulturpolitik war daher ganz konkret auf den Abbau von "Wissensbarrieren und Schwellenangst" abgestellt. Für das Burgenland bedeutete das damals den Bau neuer Schulen, den Auf - und Ausbau der Erwachsenenbildung, die Schaffung von Freiräumen für die Künstler, die Einrichtung von neuen Bibliotheken, die Abhaltung von Konzerten, den Bau von Volksheimen, die Förderung von kulturellen Aktivitäten jedweder Art. Für die Tradition sollte ebenso viel Platz sein wie für die Moderne und das Experiment. Sinowatz schuf im Burgenland ein offenes, tolerantes Kulturklima und setzte markante kulturpolitische Akzente.

Zukunftsweisende Konzepte

Parteipolitisch entwickelte er Konzepte, die die burgenländische SPÖ für breite Bevölkerungsschichten wählbar machten. Er legte damit das Fundament für die Wahlerfolge der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Nach dem Wahlsieg der SPÖ am 10. Oktober 1971 holte Bruno Kreisky den erfolgreichen Landespolitiker als Bundesminister für Unterricht und Kunst in sein Kabinett. Fred Sinowatz leitete das Ressort vom 4. November 1971 bis zum 24. Mai 1983 und ist der bis heute längstdienende Unterrichtsminister der Zweiten Republik.

Bildungszugänge geöffnet

In seine Amtszeit fallen eine reihe wichtiger schulpolitischer Maßnahmen und Entwicklungen. Ausgehend von der sozialdemokratischen Grundüberlegung, dass jedem begabten Kind der Zugang zur höheren Bildung offen stehen müsse, gingen die Initiativen des neuen Unterrichtsministers in Richtung auf eine größere soziale und regionale Chancengleichheit.

Die materiellen Voraussetzungen dafür wurden zunächst mit der Einführung der Gratisschulfahrt und des Gratisschulbuches geschaffen. Dadurch und durch den Bau weiterführender Schulen in den Bezirkshauptstädten in den einzelnen Bundesländern wurde das traditionelle Bildungsgefälle zwischen Stadt und Land abgebaut. Auch durch Schul- und Heimbeihilfen wurde für Kinder aus dem ländlichen Raum, aber auch für Arbeiterkinder der Zugang zu den höheren Schulen erleichtert.

Aufnahmsprüfung abgeschafft

Weitere Maßnahmen betrafen die Abschaffung der Aufnahmsprüfung für die erste Klasse der AHS, die flächendeckende Koedukation (gemeinsame Ausbildung von Knaben und Mädchen), die Gründung neuer Schultypen (Polytechnischer Lehrgang, Oberstufenrealgymnasium) und die Demokratisierung des Schullebens durch das Schulunterrichtsgesetzes vom 1. September 1974, das im internen Schulbetrieb die Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Eltern und Schülern auf eine legislatorische Grundlage stellte. Das Hauptanliegen der sozialdemokratischen Schulpolitik, die Schaffung einer einheitlichen Unterstufe, eine gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen scheiterte am Widerstand der ÖVP.

Populär wurde der füllige, Bonhomie ausstrahlende Unterrichtsminister als oberster Sportchef. Geschickt, aber nicht immer unbedingt medienwirksam gemanagt, radelte der Minister durch das Land und fuhr 1975 bei der Eröffnung der Olympischen Spiele mit dem Innsbrucker Bürgermeister Alois Lugger in einem Bob die neue Rodelbahn hinunter. Selbst bei einem Staatsbesuch in Finnland posierte er als Skilangläufer.

1981 Vizekanzler

Nach dem Ausscheiden von Hannes Androsch aus der Regierung im Jänner 1981 wurde Sinowatz Vizekanzler. Er war nicht besonders erfreut darüber. Er mache das nur, erklärte er dem Kanzler, wenn damit von vorneherein nicht die Nachfolge damit verbunden sei. Es kam dann aber doch anders, als er es sich wünschte. Bruno Kreisky schlug 1983 nach seinem Rücktritt den populären Unterrichtsminister wegen dessen "menschlicher Breite" für die Kanzlerschaft vor. Sinowatz akzeptierte es nolens volens. Dem Wunsch des Altkanzlers entsprechend übernahm Sinowatz auch den Vorsitz der SPÖ und bildete mit der FPÖ unter Steger eine Koalitionsregierung. Das rot-blaue Kabinett war mit erheblichen Problemen konfrontiert. Das Budget musste konsolidiert, das wachsende Staatsdefizit verringert werden. Durch ein wirtschaftliches Maßnahmenpaket (Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer und des Arbeitslosenversicherungsbeitrages, Einführung einer 7,5prozentigen Zinsertragssteuer auf Spareinlagen etc.) ist das auch gelungen. Nicht in den Griff bekam die Regierung die Sanierung der Verstaatlichten Industrie, die Milliardenverluste schrieb.

Regierung in Bedrängnis

Ein Weinskandal, die Debatte um die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf, der Konflikt um die Offenhaltung der Geschäfte am 8. Dezember, der Ankauf von schwedischen Draken-Abfangjägern und ihre Stationierung in der Steiermark, die Begrüßung des SS-Kriegsverbrechers Walter Reder durch den FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager per Handschlag am Grazer Flughafen, vor allem aber die tumultösen Vorgänge um den Bau eines Donaukraftwerkes bei Hainburg brachten die Regierung Sinowatz/Steger in ärgste Bedrängnis. Der Kanzler versuchte durch einen Umbau seines Kabinetts gegenzusteuern. Es nützte nichts. Die Regierung blieb auf Sinkflug und wurde bei Meinungsumfragen in der Wählergunst von der ÖVP überflügelt.

Auch als Parteichef hatte Fred Sinowatz alle Hände voll zu tun. In der SPÖ hatten sich Profitsucht und moralische Haltlosigkeit eingeschlichen. Der Spitzengewerkschafter und Bautenminister Karl Sekanina geriet in den verdacht, in die Gewerkschaftskasse "gegriffen" zu haben, Finanzminister Herbert Salcher und Hannes Androsch gerieten hart aneinander, der aufmüpfige Journalist Günther Nenning wurde aus der Partei ausgeschlossen, Freda Meissner-Blau und andere prominente Mitglieder gaben das Parteibuch zurück.

Als der SPÖ Kandidat Kurt Steyrer in einem emotionsgeladenen Bundespräsidentenwahlkampf, in welchem wegen der Zugehörigkeit des ÖVP-Bewerbers Kurt Waldheim zu einer SS-Reiterstandarte im Zweiten Weltkrieg eine gehässige Kampagne entfacht wurde, eine schmerzliche Niederlage erlitt, erklärte der Bundeskanzler am 9. Juni 1986 seinen Rücktritt. Als Nachfolger schlug er, die Zeichen der Zeit erkennend, seinen "jungen, unverbrauchten" Finanzminister Franz Vranitzky vor, der in der SPÖ eine neue Generation verkörperte. Den Parteivorsitz behielt er bis 1988.

Zu wenig machtbewusst

Der glücklose, zu wenig machtbewusste Kanzler blieb auch als Pensionist von Misshelligkeiten und Heimsuchungen nicht verschont. Er musste ein paar Mal vor Gericht erscheinen (Anklage wegen falscher Zeugenaussage in der Waldheim-Angelegenheit, "Norikum"-Affäre), seine sympathische, hübsche Frau, die ihm eine Tochter Eva und einen Sohn Peter geschenkt hatte, starb 1995 an Krebs. Das hat ihn schwer getroffen. Fred Sinowatz widmet sich in seinem Haus in Neufeld Geschichtsstudien, trifft alte Freunde im Wirtshaus und führt, was er sich immer schon gewünscht hat, ein stilles, einfaches Leben.

Erschienen am: 25.09.2004

Verweis Österreichs Kanzler und Präsidenten