Ein Erklärungsmodell zur "Festhaltetherapie" nach Jirina Prekop

Beschreibung und kritische Auseinandersetzung

Seminararbeit im Grundstudium.

Seminar: Eine Einführung in die Geistigbehindertenpädagogik. Universität Würzburg, Sommersemester 1999. Dozent: Peter Heinrich.

Vorgelegt von Monika Krenner 1999 ©

Einleitung – geschichtlicher Abriß
Das Erklärungsmodell von Prekop
Tinbergens Theorie zum kindlichen Autismus
Halten als Urzustand – Prekops Kritik an der Industriegesellschaft
Die Methode der Haltetherapie
Kritische Auseinandersetzung
Prekop bedient sich unwissenschaftlicher Methoden – Die Frage nach der hohen Resonanz
Die Manipulation der Eltern
Einsicht durch Emotionalisierung – Die "Logik des Herzens"
Prekop bedient sich eines emotionalen Wortschatzes
Die Haltetherapie als Therapie für die Eltern
Das Wiedergewinnen der Macht und Zuneigung
Die Projektion eigener Vorstellung auf die Kinder
Haltetherapie – Deckmantel für Aggressionsausbrüche gegen Kinder
Haltetherapie als Familientherapie
Der Umgang mit Gewalt
Machtausübung gegen Schutzbefohlene
Der Mißbrauch der Zärtlichkeit
Haltetherapie und Folter Der Zweck heiligt die Mittel Anhang
Literaturverzeichnis

1. Einleitung - geschichtlicher Abriß


Die Haltetherapie , zum ersten Mal 1965 angewandt von dem Entwicklungspsychologen Zaslow, gelangte durch Jirina Prekop gerade auch in Deutschland seit den 80er Jahren ins Licht der Öffentlichkeit. Als eine Methode zur Behandlung von autistischen und entwicklungsgestörten Kindern ruft diese Therapie sehr ambivalente Reaktionen hervor. Schon in ihrer Geschichte finden sich differenzierende Auffassungen und Erklärungen der VertreterInnen. Der „Urvater" der Haltetherapie, Zaslow, sprach von inneren Widerständen der Kinder, die durch das Freisetzen von Wut und Aggressionen und gezielte Provokation verarbeitet werden sollten. Während dem Halten, damals noch von einem oder zwei Therapeuten durchgeführt, wurden auch „neuralgische Punkte der seelischen Entwicklung (...), wie z.B. die Beziehung zu Vater und Mutter, die geschlechtliche Identität, bestimmte Ängste" (Burchard 1992, 14) aufgearbeitet. Zaslows gewalttätiges Vorgehen, er sprach von einer „Wutreduktionstherapie" (ebd.), wurde heftigst kritisiert und führte letztendlich zu einem Prozeß, der den Verlust der Lizenz zur Folge hatte. Ende der 70er Jahre griff Martha Welch die Haltetherapie wieder auf, ohne nach eigenen Angaben über Zaslows Arbeit Bescheid gewußt zu haben. Bei Welch steht nun die gestörte Mutter-Kind-Beziehung im Mittelpunkt, weshalb auch nur die Mutter die Haltende sein kann. Die Rolle des Therapeuten, der Therapeutin ist hier eine begleitende, unterstützende und „Emotionen und Kontakt provozierende" (ebd., 15). Erst durch die Zusammenarbeit mit dem Nobelpreisträger und Verhaltensforscher Tinbergen wurde die Haltetherapie publik, indem ihr Tinbergens Erklärungen über den kindlichen Autismus zugrunde gelegt wurden. Diese Ausführungen stießen aber sehr schnell auf Widerstand und Welchs und Tinbergens Auffassung, durch Haltetherapie werden kindliche Ängste abgebaut und das Gefühlsverhältnis zwischen Mutter und Kind rehabilitiert, deuteten Johnson et al. und Friedman als eine Umwandlung der Eltern-Kind-Verhältnisse, bei der die Autorität wieder in die Hände der Eltern übergeht. 1981 schließlich begann Jirina Prekop mit der Haltetherapie. Sie spricht dabei von einem „Regierungssturz" der Kinder durch die Auflösung ihrer Allmacht, mit dem Ziel, die Eltern-Kind-Beziehung unter anderen Voraussetzungen neu aufzubauen. Wie schon Allan (zunächst Mitarbeiter Zaslows), differenziert Prekop zwei Arten des Haltens, nämlich das therapeutische, bei dem die Anwesenheit professioneller HelferInnen unumgänglich ist und dem eine Regelhaftigkeit zugrunde liegt, und dem Halten im Alltag, dem Festhalten als „Lebensform" (Prekop 1989, 101), das situativ angewandt wird.

Die Grundlage für die folgende kritische Auseinandersetzung mit der Haltetherapie bildet das Erklärungsmodell von Jirina Prekop, auf das ich deshalb etwas genauer eingehen möchte.



2. Das Erklärungsmodell von Prekop


(Anmerkung: Die im Folgenden angeführten Erklärungen erheben keinen Anspruch auf eine persönliche Wertung oder Interpretation. Es handelt sich um eine Beschreibung der Therapie, die im Wesentlichen aus den Büchern von Jirina Prekop (1989), Martha Welch (1991) und Niko und Elisabeth A. Tinbergen (1984) erarbeitet wurde.)

Das Ziel der Therapie liegt bei Prekop darin, die Angst vor Nähe, die das Kind auch engen Bezugspersonen gegenüber hat, durch das Festhalten abzubauen oder zu überwinden.

Dabei spricht Prekop von einer „affektiven Ambivalenz". Ausgangspunkt dieser Überlegungen und gleichzeitig auch Legitimation ihrer Behandlungsform sind, neben den Arbeiten von Martha Welch, Niko Tinbergens Erklärungen zum kindlichen Autismus.



2.1 Tinbergens Theorie zum kindlichen Autismus


Tinbergen sieht im Autismus-Syndrom eine Störung im affektiven Tätigkeitsfeld. Ursache hierfür ist eine Gleichgewichtsstörung im emotionalen Bereich und die bei autistischen Kindern von Haus aus vorhandene Neigung zu introvertiertem Verhalten. Jedes Lebewesen, so Tinbergen, handle in neuen Situationen unter dem Einfluß von zwei Faktoren: zum einen empfindet es Freude am Kontakt, auf der anderen Seite aber entsteht eine Angst davor. Die Intensität der Annäherung hängt nun von der Gewichtung der Reaktionsbereitschaften ab. Bei autistischen Kindern ist das Potential der affektiven Bereitschaften auf die Seite der Angst verschoben, sie reagieren mit Furcht und ziehen sich zurück, die Schranken zwischen Mutter und Kind werden immer stärker. Die Ursache für Autismus liegt für Tinbergen im falschen Verhalten der Mutter ihrem Kind gegenüber. Aus der Angst heraus entwickelt das Kind Ersatzsicherheiten, die für den Autismus typischen Stereotypien, in die es sich flüchtet. Durch das Verhalten des Kindes verfällt auch die Mutter in ein ambivalentes Verhalten ihm gegenüber. Um den Autismus zu heilen (Tinbergen geht davon aus, daß Autismus heilbar ist.), ist eine Annäherung zwischen Mutter und Kind nötig, bei der allerdings die Abneigungen des Kindes gegen Körperkontakt und Zuwendung erst überwunden werden müssen. „Der geeignetste Weg, auf dem die Mutter die autistische Schranke des Kindes durchbrechen kann, ist körperliche Berührung. Aber autistische Kinder lehnen jede stärkere Berührung ab. Daher muß die Mutter das Kind festhalten, bis es die Berührung duldet." (Tinbergen 1984, 299).

Bei Prekop sind auch andere Personen als die Mutter berechtigt, das Kind zu halten, da durch die Haltetherapie eine Bindung entsteht, die für die weitere Entwicklung des Kindes wichtig ist. Deshalb schließt Prekop in den Kreis der Haltenden jegliche Bezugspersonen ein.



2.2 Halten als Urzustand - Prekops Kritik an der Industriegesellschaft


Prekop sieht (genau wie Welch und Tinbergen, er spricht von autismogenen Einflüssen) auch die zu frühe Isolation von Kindern in der Industriegesellschaft als Ursache für gestörte Mutter-Kind-Verhältnisse und damit für Autismus. Der Säugling in seiner Rolle als Tragling könne genauso wenig wie die Eltern durch die schnelle Trennung von der Mutter, die sich z.B. im Fahren im Kinderwagen (anstelle dem Tragen in einem Tragetuch), im Schlafen im eigenen Kinderzimmer ausdrückt, eine optimale Beziehung aufbauen. „Wenn ein Kind ständig mit Trennung belastet wird, lernt es nicht, sich auf seine Eltern zu verlassen, sondern beginnt, sich auf alle ihm nur möglichen Weisen selbst zu trösten" (Welch 1991, 19), es entwickelt also Stereotypien. Der Mutter wiederum wird es nicht möglich sein, Signale des Kindes kennenzulernen und angemessen darauf zu reagieren. So bleibt dem Kind nichts anderes übrig, als sich durch Schreien und Weinen bemerkbar zu machen. Die Beziehung ist (letztendlich durch das Fehlverhalten der Mutter, hervorgerufen durch die Verhältnisse in unserer Gesellschaft) von beiden Seiten gestört.



2.3 Die Methode der Haltetherapie


Ziel der Haltetherapie ist es also, diese gestörte Beziehung wiederherzustellen, das Kind aus seiner Isolation zu befreien.

Die Haltetherapie besteht nach Welch „aus drei Phasen: die Auseinandersetzung (Konfrontation), der Zurückweisung (Rejektion) und der völligen Auflösung der Spannung (Resolution)" (Welch 1991, 30).

Die erste Phase ist die Kontaktaufnahme, die Mutter nimmt das Kind in den Arm. Prekop spricht von einer „sehr dichten Umarmung" (Prekop 1989, 114), die jedoch nicht durch Drücken entsteht, oder Atemnot hervorruft. In dieser Position darf das Kind weder über seine Lage, noch über seine Bewegung entscheiden, der Umarmung entfliehen können, oder sich durch Gegenstände und stereotype Verhaltensweisen ablenken lassen.

Mutter und Kind begeben sich nun in eine Phase in der die affektive Ambivalenz auf beiden Seiten bis aufs Äußerste ausgereizt wird. Falls das Kind auf die Umarmung nicht reagiert, so kann die Unzufriedenheit provoziert werden. Prekop geht davon aus, daß nur der Trost empfinden kann, der sich in einer unerträglichen Situation befindet. „Die Krise ist ausgebrochen (oder wurde durch Provokation erzeugt; Anm. M.K.) und der Sinn des Festhaltens ist es, sie anzunehmen, durch sie hindurchzugehen, indem die affektive Ambivalenz ausgelebt und geordnet wird" (Prekop 1989, 116). Das Kind wird während der Sitzung genau jenen Situationen ausgesetzt, die es ansonsten meidet, die in ihm Angst hervorrufen. „Dem Kind werden die zwanghaften Stereotypien verboten und es wird mit Wahrnehmungsangeboten, auf die es überempfindlich reagiert(die aber durchaus zum Normalen gehören) überflutet" (Prekop 1989, 121). Bedürfnisäußerungen des Kindes, wie zum Beispiel der Wunsch auf die Toilette zu gehen, oder Fragen nach dem Grund der zwanghaften Umarmung deutet Prekop als Ausflüchte und verbietet jede Reaktion darauf. Als mögliche Antworten gelten Sätze wie „In dieser Umarmung sollst du spüren, daß du lieben kannst" (ebd.). Werden die aggressiven Reaktionen des Kindes zu gewalttätig, kann das Kind durch Haltegurte an der Mutter festgeschnallt werden, damit diese ihre Hände frei hat, um Reaktionen des Kindes abwehren bzw. Trost spenden zu können.

Der Trost spielt im Laufe der Haltetherapie ein tragende Rolle. Die Mutter sollte das Kind jedoch erst trösten, wenn es aggressive Reaktionen zeigt, d.h. die Mutter reagiert auf Zornesausbrüche und Übergriffe mit Streicheln, Schmusen, Küssen, Zureden (also mit Gesten die einem autistischen Kind unangenehm erscheinen) usw. Dabei wählt die Mutter die Art des Tröstens, ohne auf Anzeichen des Kindes zu reagieren. Das Kind empfängt Trost in übersättigender Form. „Kann das Kind die aufheiternden Angebote der Mutter noch nicht mit Lust beantworten, ist es ein Zeichen, daß es noch nicht „durch" ist. Gegebenenfalls ist das Festhalten erneut aufzunehmen. Läßt es sich aufheitern, macht es mit, dann ist die Wende eingetreten" (Prekop 1989, 128). Laut Prekop folgt jede Sitzung einer dynamischen Kurve. Die Konflikte zwischen Mutter und Kind steigen immer weiter an, bis an einem Wendepunkt Anspannung, Flucht, Angst, Wut, Trauer und Haß umschlagen in Entspannung, Bindung, Geborgenheit, Lust, Freude und Liebe.

Die Signale zum Beginn der Entspannungsphase gibt das Kind, es beginnt Kontakt aufzunehmen, mit der Mutter zu sprechen, seine Körperspannung läßt nach, die Atmung wird ruhiger. Nun muß auch die Mutter auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen, muß es streicheln und mit ihm sprechen. Dabei ist es allerdings wichtig, daß die/ der Haltende in keinem Fall die Umarmung löst, bevor das Kind die negativen Gefühle in Liebe umgewandelt hat. Schläft das Kind ein, so soll es weiter gehalten werden, bis es aufwacht, um dann intensiven Kontakt zu ihm aufzunehmen. „Das Ende bestimmt die Mutter und zwar in dem Augenblick, in dem es für das Kind am schönsten ist, in dem es das Miteinander am liebsten noch fortsetzen würde" (Prekop 1989, 130).

Die Dauer einer Sitzung ist abhängig von der Dynamik, kann aber bis zu vier Stunden betragen und wird selten unter einer Stunde liegen. Die Orte sind verschieden, jedoch sollten sie bequem und vor allem weich sein, um Verletzungen zu vermeiden. Da das Kind schreit, wird es nicht ausbleiben, daß Außenstehend oder auch Geschwister auf das Geschehen aufmerksam werden. Prekop empfiehlt den Eltern. Nachbarn im Vorhinein zu informieren. Geschwister sollten aufgeklärt und nach Möglichkeit selbst gehalten werden, denn nur wer die Dynamik einer Haltetherapie erlebt kann sie verstehen.



3. Kritische Auseinandersetzung


Eine wie oben erarbeitete Beschreibung der Haltetherapie, ohne Kommentare, ohne Kritik zu verfassen, fiel mir gelinde gesagt äußerst schwer. Frau Prekop würde mir wohl vorwerfen, daß ich zu sehr dem Denken verhaftet bin und das Vorgehen in den Therapiesitzungen nicht über „die Logik des Herzens" zu begreifen versuche. Dennoch werde ich im Folgenden versuchen, mich kritisch mit den Methoden und Grundlagen der Haltetherapie auseinanderzusetzen.



3.1 Prekop bedient sich unwissenschaftlicher Methoden - Die Frage nach der hohen Resonanz


Trotz Kritiken, die bis zur Forderung eines Verbots der Haltetherapie reichen, die den Vorwurf der Folter erheben, findet Prekop mit ihren Theorien immer wieder großen Anklang. Was aber bringt Eltern dazu, ihr Kind stundenlang in demütigender Weise zu umarmen, es schreien, kreischen und weinen zu sehen und das alles unter dem Deckmantel der Therapie zu ertragen, ja gut zu heißen?

Prekop weiß mit den Eltern umzugehen, genauso, wie sie sich sehr bewußt ist über die an ihr geübte Kritik und mit ihren Mitteln oft erfolgreich versucht, dagegen anzukämpfen.



3.1.1 Die Manipulation der Eltern


Um Eltern für die Anwendung der Haltetherapie zu gewinnen, konfrontiert Prekop sie mit vehementen Schuldzuweisungen, in dem sie die Eltern für die Behinderung ihres Kindes verantwortlich macht: Die Ursachen für den Autismus lägen in der gestörten Beziehung zwischen Mutter und Kind (Tinbergen 1948, 297).

Dem Kind sei es nicht mehr möglich, sich auf die Eltern zu „verlassen" (Welch 1991, 19), die bis dato versäumten Zuneigungen und Liebesbeweise (Die „Tragödie des Nicht- Liebens", für die besonders Kinder empfänglich seien. (Prekop 1989, 66)) der Eltern müssen in der Therapie nachgeholt werden. So werden Eltern für die Anwendung der Gewalt präpariert, sie werden fügig und tun alles erdenklich Mögliche, um ihre Schuld zu begleichen.

Diese Schuldzuweisungen, setzen sich auch im Therapieverlauf fort, so ist die Mutter schuld an überlangen „Mammut-Sitzungen" und einer schlechten Dynamik, wenn sie „müde wird, ihre (...) Herausforderung der Widerstände des Kindes nachlassen" und „die große Wut bleibt und somit die Liebe nicht fließen kann" (Prekop 1989, 118-119). Abgesehen davon, kann man bis heute ein Entstehen des kindlichen Autismus durch das Fehlverhalten der Eltern nicht nachweisen. Ebenso entspricht Tinbergens Annahme einer rein affektiven Störung dem aktuellen Forschungsstand nicht.



3.1.2 Einsicht durch Emotionalisierung - Die Logik des Herzens


Prekop begründet ihre Therapie mit der „Logik des Herzens", nur der könne das Wesen der Haltetherapie begreifen, der Abstand nimmt vom Denken. Die „Erlebnisse des Festgehalten- Werdens (...) sind nur zu einem Teil mit der reinen Vernunft zu erfassen" (Prekop 1989, 10) und die „Logik des Intellektes" (ebd., 27) steht einer Einsicht im Weg. Da das Ausleben des Widerstandes des Kindes, der sich z.B. in Weinen oder aggressiven Ausbrüchen äußert, ein heilsamer Prozeß ist, den man nicht durch denkendes Handeln unterbinden darf, stehen Emotionen im Vordergrund. Feuser beschreibt in seinem Artikel, daß ein von Emotionen geleitetes Handeln ein kognitives und damit kritisches Vorgehen ausschließt. (Feuser 1988)



3.1.3 Prekop bedient sich eines emotionalen und globalen Wortschatzes

Was es oft schwer macht, gegen Prekops Theorien Kritik anzuwenden, ist die Wahl ihres Wortschatzes. Zum einen gebraucht sie sehr oft emotional behaftete Wörter und Wendungen, die ihren Arbeiten eine private, intime Atmosphäre beimischen, die das Gefühl vermittelt, das Gelesene selbst schon einmal erlebt zu haben und zu grundloser Sympathie verleiten. Mit offenen Fragen an den Leser, Geschichten aus ihrem Leben, und herzerweichenden Darstellungen von Sitzungen oder Dialogen zwischen Mutter und Kind schafft sie es, Emotionen zu wecken, die den „Luxus des Denkens" ausschalten und den Leser empfänglich machen für die „Logik des Herzens". Der Vergleich mit Werbeslogans und Familiengeschichten in der Regenbogenpresse schien mir beim Lesen ihrer Bücher nicht sehr fern.

In ihren Begründungen verwendet Prekop häufig sehr globale Begriffe, wie „Gewalt", „Herrschsucht", „Schuldgefühle", „Urvertrauen", gegen die nur schwer Kritik anzuwenden ist. Gerade in einer Zeit, in der der Pädagogik immer wieder ein zu kopflastiges Vorgehen vorgeworfen wird (vergl. Feuser 1988). Das Problem der Globalisierung tritt auch dann auf, wenn Prekop eigene Erlebnisse auf andere überträgt. So ist es nicht möglich das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Mann (dessen Umarmung gegen ihren Willen, ihr erst die wirkliche Einsicht ermöglichte) keines Falls zu vergleichen mit der Beziehung zwischen Mutter und Kind bzw. Therapeut und Klient.



3.2 Die Haltetherapie als Therapie für die Eltern


„Die sogenannte Haltetherapie ist weder als „Halt" noch als „Therapie" zu erkennen. Sie wirft die Frage auf: Für wen „Halt" und für wen „Therapie" ?" (Feuser 1988) Für Prekop wird bei der Haltetherapie die gestörte Mutter-Kind-Beziehung behandelt, die für beide Seiten beschwerlich ist. Ausschlaggebend für einen Therapiebeginn, sind jedoch die Probleme, die die Eltern mit dem Kind haben und nicht umgekehrt. Gerade wenn Prekop von herrschsüchtigen Kindern berichtet und von „Regierungssturz" spricht, wird deutlich, daß die Eltern (zumindest zu großen Teilen) die eigentlichen Hilfsbedürftigen sind: „Sie spüren erst dann die eigene Versklavung durch ihr Kind, wenn dieses zum Herrscher geworden ist" (Prekop 1988, 36).



3.2.1 Das Wiedergewinnen der Macht und Zuneigung


Die Tatsache, daß autistische Kinder selbst den direkten Kontakt zu ihren Eltern ablehnen, kann für diese eine große Schwierigkeit bedeuten. Auch Eltern erwarten Zuneigung von ihren Kindern, zeigt ein Kind die Liebe zu den Eltern nicht, so sind diese sicher enttäuscht.

Während einer Sitzung wird dem Kind gezeigt, wer der Stärkere ist, der Wille des Kindes wird gebrochen. „Wenn du meinst mir Befehle erteilen zu dürfen, dann probiere, wer mehr Kraft von uns beiden hat" (Prekop 1989, 126). Das Ziel, die Zuneigung des Kindes wider gewonnen zu haben scheint am Ende erreicht, das Kind wird ruhig, kommuniziert mit den Eltern und nimmt körperlichen Kontakt auf. Daß diese Erfolge jedoch dadurch entstanden sind, daß sich das Kind der Gewalt der Eltern gebeugt hat, sehen diese nicht, da sie endlich wieder das Gefühl der Macht spüren, die eine Veränderung (zu ihren Gunsten) herbeigeführt hat. Und letztendlich auch die erhoffte Zuneigung des Kindes brachte.

Das Gefühl der wiedergewonnen Macht spielt weniger bei autistischen, als bei anders auffälligen Kindern eine Rolle, die durch ihre Wutausbrüche den Eltern ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung geben. Oder dann, wenn sich die Mutter in ihrer Rolle überfordert fühlt. Dies geht besonders aus den Fragen der Checkliste I („Wer braucht die haltende Umarmung?") von Welch hervor: „12. Müssen Sie drohen, um eine Reaktion zu erhalten?" „19. Stimmt ihr Ehemann nicht mit der Art und Weise überein, wie sie mit ihrem Kind umgehen?", usw. (Welch 1991, 41-42).



3.2.2 Die Projektion eigener Vorstellungen auf das Kind


Zahlreiche Probleme ergeben sich aus einer Differenz zwischen dem, was die Mutter erwartet und dem, was das Kind tut. Eigene Ideen werden auf das Kind projiziert, man versucht, das was man selbst nicht erreichen konnte, oder wie man gerne sein möchte dem Kind zu implizieren. Gelingt dies nicht, setzt das Kind seinen eigenen Willen durch, so kommt es zu Konflikten, die das Verhältnis zwischen Eltern und Kind stören. Während einer Haltetherapie-Sitzung, muß das Kind so handeln wie die Mutter will, es muß deren Haltung, deren Ausdrucks- und Kommunikationsangebote übernehmen, will es der unerträglichen Situation entkommen: „Ich lasse dich nicht los, bis wir beide ins Reine gekommen sind" (ebd.). Am Ende hat man das Kind so verändert, wie man es gerne haben möchte und dabei seinen eigenen Willen gebrochen.



3.2.3 Haltetherapie - Deckmantel für Aggressionsausbrüche gegen Kinder


Daß Gewalt ein Ausdruck von aufgestauten Aggressionen ist und sich gegen jene Personen richten kann, die, aus welchen Gründen auch immer, diese Aggressionen verursacht haben, ist bekannt.

Haltetherapie bietet der Mutter die Möglichkeit, ihrem angestauten Ärger dem Kind gegenüber freien Lauf zu lassen. „Du hast mich zornig gemacht, und ich halte Dich. Ich bin wütend und halte Dich" (Prekop 1989, 113).

Die Mutter soll sich „ Lediglich mit ihrer Wut gegen ihr Kind (...) solange zurückhalten, so lange auch das Kind seine Wut gegen sie zurückhält" (ebd., 125). Welch bewertet das Halten in Situationen, in denen die Mutter auf das Kind wütend ist, als durchweg positiv: „(...) ein Wutausbruch (bietet) einen passenden Anlaß (...), mit der Haltenden Umarmung zu beginnen. Das Kind (...) und auch Sie (die Mutter) haben sich nicht unter Kontrolle. Sie haben also nichts zu verlieren. Packen Sie ihr Kind und drücken sie es fest an sich" (Welch 1991, 169).

Haltetherapie bietet also einen Deckmantel für die, die Gewalt gegen Kinder ausüben. Feuser spricht sogar von „Trost" für die haltenden Eltern.



3.2.4 Haltetherapie als Familientherapie


Haltetherapie gilt nicht nur als Möglichkeit, Autismus zu heilen, oder herrschsüchtige Kinder zu zähmen, sie dient auch dazu, andere Probleme in der Familie zu bewältigen. So sollen auch Geschwister gehalten werden wenn sie streiten, „(es) verringert die Rivalität zwischen ihnen" (Welch 1991, 24), oder etwa bei Kindern, die einnässen, bei Adoptivkindern...

Und „auch für die Eltern bedeutet das Festhalten ihrer Kinder eine Chance (...), die eigenen Beziehungen und die gemeinsame Beziehung reifen zu lassen" (Prekop 1989, 112). Für die Mutter bietet sie die Möglichkeit, ihr Verhältnis zum Mann und zur eigenen Mutter zu überdenken. (Hier ist anzumerken, daß auch die Eltern sich gegenseitig halten sollen, genauso wie Kinder ihre Eltern halten können.) Den Eltern werden dadurch immer mehr Möglichkeiten gegeben, auf ihnen unangenehme oder sie überfordernde Verhaltensweisen der Kinder mit einer Haltetherapie- Sitzung und damit mit legitimer Gewalt zu reagieren.


Ich möchte nicht bestreiten, daß auch die Familien der (behinderten) Kinder therapeutischer Hilfe bedürfen, aber die Haltetherapie gibt vor, dem Kind selbst zu helfen, was letztendlich nicht der Fall ist. Selbst das Argument, daß Kinder nur in intakten Familien ein kindgerechtes Leben führen können, ist unhaltbar, da es nicht die Rolle des Kindes ist, auf seinen Schultern eine Familientherapie abzuhalten.



3.3 Der Umgang mit Gewalt


Gewalt gegen Kinder ist gesetzlich verboten und wird mit schweren Strafen geahndet. Das abstoßendste an der Haltetherapie ist für mich, daß sie Gewalt auf verschiedensten Ebenen legitim macht und unter dem Vorwand einer therapeutischen Handlung letztendlich propagiert.



3.3.1 Machtausübung gegen Schutzbefohlene


In der Haltetherapie übt der/ die Haltende Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen aus, die sowohl im kognitiven, als oft auch im körperlichen Bereich unterlegen sind. Ein solches Verhalten ist in keinem Fall zu dulden.

Die Eltern kompensieren ihre Ohnmacht gegenüber der Behinderung des Kindes auf Kosten eines Schwächeren, der sich nicht wehren kann und in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen steht. Dabei nutzen sie die Symptome der Behinderung, die Angst vor engem Kontakt, das introvertierte Verhalten, die hohe Störanfälligkeit, als Angriffsfläche.



3.3.2 Der Mißbrauch der Zärtlichkeit


Während einer Sitzung berührt die Mutter das Kind mit zärtlichen Gesten, sie streichelt, umarmt, wiegt und küßt es.

Diese Zärtlichkeit kommt dem Kind auf zweierlei Arten entgegen. Zum einen, um Widerstand aufzubauen und zum Anderen in der Phase des Trostes, als wirkliche Zuwendung. Während das Kind mit für es unangenehmen Küssen überhäuft und fest gehalten wird, wird ihm gesagt „ich liebe dich". Das, was das Kind empfindet, steht in einem Widerspruch zu den Gesten der Eltern.

Es entwickelt sich also schon innerhalb einer Sitzung eine Differenz: die selbe körperliche Zuwendung soll unterschiedliche Zwecke erfüllen. Die Frage ist nun, wie das Kind letztendlich zärtliches Handeln begreifen, richtig verstehen und vor allem wirklich genießen lernen kann. Solche Gesten stehen für es immer im Zusammenhang mit der ausweglosen Situation, es erträgt letztendlich diese gewaltsamen Übergriffe, die es solange ertragen mußte, bis sie von ihm imitiert wurden.

Der Vergleich mit sexuellen Übergriffen auf Kinder liegt nahe. Gerade auch, wenn Prekop z.B. das „Halten Haut auf Haut" als „noch wirksamer" (Prekop 1989, 111) bezeichnet und auch, wenn Welch versichert, daß sexuelle Belästigung auszuschließen sei, da Kinder „körperliche Nähe (...) nicht als sexuelle Annäherung (...) empfinden" und die Sexualität „wohl ein Thema (ist), das mehr die Eltern betrifft als die Kinder" (Welch 1991, 170). Aber genau das ist der springende Punkt. Ein Kind wird sexuelle Übergriffe wahrscheinlich nicht bewußt als solche wahrnehmen, aber sicher als unangenehm empfinden. Dies zu zeigen hat es aber in der Haltetherapie keine Möglichkeit.



3.3.3 Haltetherapie und Folter


Die Haltetherapie weißt ohne Zweifel genau diejenigen Methoden auf, die bei Folter zu den gewünschten Ergebnissen führen. Das Kind wird mit Situationen konfrontiert die für es unerträglich sind, solange bis es sich dem Willen der Mutter beugt und das genau so, wie die Mutter es will. „Es genügt, wenn die krankmachenden Fluchtwege verhindert werden und die Konfrontation mit den angstauslösenden Situationen ermöglicht wird, (....) Dem Kind wird der Entzug seiner Ersatzbindungen und Ersatzbefriedigungen, sowie seine zwanghaften Manipulationen zugemutet (...) und es wird mit Wahrnehmungsangeboten, auf die es überempfindlich reagiert (...) überflutet" (Prekop 1989, 120-121).

Bei Folter bedient man sich genau dieser Mittel: Entzug lebenserhaltender Gewohnheiten (Entzug der Nahrung, Verweilen in engen, dunklen Räumen, Entzug von Bewegungsfreiheit) und Reizüberflutung (Elektroschocks, Lichteffekte, Kitzeln,...).



3.3.4 Der Zweck heiligt die Mittel


„Vielleicht fragen Sie sich nun, ob sie es wagen sollen, Ihr Kind gegen seinen Willen zu halten. Urteilen sie nach dem Ergebnis" (Welch 1991, 40).

In der Haltetherapie werden scheinbare Erfolge der Therapie als Rechtfertigung für die angewandte Gewalt gesehen. Gewalt, die von Pädagogen oder Therapeuten ausgeht, wird als gute Gewalt deklariert und somit legitim. (Abgesehen davon stellt sich ganz allgemein die Frage, ob es „gute Gewalt" überhaupt gibt, und wenn ja, was sich auszeichnet.)

Prekop begründet den Zwang durch Tinbergens Theorie, jedes Kind strebe nach engem Kontakt zu den Eltern und habe ein natürliches Bedürfnis nach Geborgenheit. Bei autistischen oder anders behinderten Kindern müsse diese Zuwendung erzwungen werden, da diese nicht von sich aus die Nähe suchen, obwohl sie dieser bedürfen. Durch die Gewaltanwendung geben die Eltern, so Prekop, den Kindern erst die Sicherheit, ihre angestauten Widerstände ausleben zu dürfen, denn „keinesfalls würde eine nur weiche und nur nachgiebige Umarmung dem Leidenden die Sicherheit vermitteln, seine zerstörerischen Kräfte hochkommen zu lassen und abladen zu können" (Prekop 1989, 122).

Wie lassen aber eindeutige Reaktionen wie Weinen usw. ein Abschwächen der Gewaltausübung zu? Prekop weist solche Reaktionen des Kindes als Ersatzbefriedigung aus, die von der Mutter ignoriert oder unterbunden werden soll, da sie für das Kind eine Ablenkung und Flucht von der eigentlichen Situation bedeuten.

Gewalt, egal in welcher Form, darf nicht geduldet werden, schon gar nicht unter dem Deckmantel einer Therapie oder pädagogischen Maßnahme. Der Zweck heiligt nicht die Mittel, in keinem Fall, besonders dann nicht, wenn die Erfolge nur scheinbare Erfolge sind, die darauf beruhen, daß der Wille eines Menschen, sein „Ich" gebrochen wurde.



Anhang


Im Laufe meiner Arbeiten an dieser Seminararbeit verleitete ich so manche in meinem Bekanntenkreis zu heftigen Diskussionen und zu Überlegungen, bezüglich der Haltetherapie. Sozusagen zum Abschluß dieser „Phase" brachte mir ein Freund folgenden Text der Gebrüder Grimm, der ihn an die Problematik des "Erzwungenen Haltens" erinnert.



Das eigensinnige Kind


Es war einmal ein Kind, eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden. Und kein Arzt konnte ihm helfen und nach Kurzem lags auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab versenkt und Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe. Und wenn sie es hineinlegten und abermals Erde darüberdeckten, so half das nichts, und das Ärmchen kam wieder heraus.

Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen. Und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein und das Kind hatte nun erst Ruhe in der Erde.


(Gebr. Grimm, Meret Becker 1996)



Literaturverzeichnis


Burchard, Falk: Festhaltetherapie in der Kritik, Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin 1992

Feuser, Georg: Aspekte einer Kritik des Verfahrens des „erzwungenen Haltens" (Festhaltetherapie) bei autistischen und anders behinderten Jugendlichen, erschienen in Behinderten Pädagogik, Heft 2, Mai 1988, 27. Jahrgang Aus: http://bidok.uibk.ac.at/texte/feuser-festhalten.html, Donnerstag, 15. Juli 1999, 17.47 Uhr

Gebrüder Grimm: Das eigensinnige Kind, In: Meret Becker: Noctambule, CD, REIHE EGO OUR CHOISE, EGO Berlin und FREIBANK Hamburg 1996 4) Prekop, Jirina(Hrsg): Wir haben ein behindertes Kind, Quell, Stuttgart 1979 5) Prekop, Jirina: Der kleine Tyrann - Welchen Halt brauchen Kinder, Kösel, München 1988

Tinbergen, Niko/ Tinbergen Elisabeth A.: Autismus bei Kindern - Fortschritte im Verständnis und neue Heilbehandlungen lassen hoffen, Paul Parey, Berlin,/ Hamburg 1984

Prekop, Jirina: Hättest Du mich festgehalten... Grundlagen und Anwendung der FesthaltTherapie, Kösel, München 1989

Welch, Martha G.: Die haltende Umarnmung, Reinhardt, München 1991