Erstattung von Arzneimitteln, Misteltherapie |
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SG Düsseldorf, Urteil vom 1.3.2005, Az.: S 8 KR 321/04
(nicht rechtskräftig) |
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1. | Der Wortlaut der Ziffer 16.5 AMR mit dem dort verwendeten Begriff „Indikationsgebiete" lässt keinen eindeutigen Rückschluss darauf zu, ob diese Verweisung nur auf die in Abschnitt F aufgeführten Krankheitsbe- griffe im Sinne von Diagnosen erfolgt oder auch weitere Anspruchsvoraussetzungen - wie vorliegend die Verwendung zur palliativen Therapie - umfasst. |
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2. | Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben des § 34 Abs. 1 SGB V, die ihren Niederschlag auch in Ziffer 16.1 AMR gefunden haben, kann die Verweisung in Ziffer 16.5 in Verbindung mit Ziffer 16.4.27 AMR nur dahingehend ausgelegt werden, dass sie sich auf die Gesundheitsstörung „maligner Tumor", dagegen nicht auf die palliative Behandlung bezieht. |
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3. | Das nicht verschreibungspflichtige anthroposophische Mistel-Präparat kann gemäß Ziffer 16.5 in Verbindung mit Ziffer 16.4.27 AMR zur Behandlung des malignen Tumors eingesetzt werden, auch wenn es nicht im Rahmen einer palliativen Therapie erfolgt. | |
3. | Allein diese Auslegung entspricht auch der gesetzlichen
Vorgabe, dass der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu
tragen ist (§ 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Dagegen führt
eine Einschränkung des Anwendungsgebietes eines anthroposophischen
Arzneimittels (hier: Anwendung bei allen
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T a t b e s t a n d | ||
Die Beteiligten streiten über die Frage der Versorgung der Klägerin mit dem nicht verschreibungspflichtigen
Arzneimittel und Mistel-Präparat Helixor A. Den an die Beklagte gerichteten Antrag auf Übernahme der Kosten für die Versorgung mit dem Arzneimittel Helixor A hat diese mit Bescheid vom 03.08.2004 und Widerspruchsbescheid vom 21.09.2004 mit der Begründung abgelehnt, dass nach den geltenden Bestimmungen Mistel-Präparate bei malignen Tumoren nur noch im Rahmen der palliativen Therapie verordnet werden dürften. Die Klägerin hat Klage mit dem Begehren erhoben, dass die Beklagte zur Versorgung mit dem Arzneimittel Helixor
A verpflichtet werden soll. Aufgrund der bei ihr bestehenden behandelten Karzinomerkrankung mit einem hohen
Rezidivrisiko bestehe für sie eine lebensbedrohende Situation, die entsprechend den ärztlichen
Therapiemaßnahmen zu behandeln sei, auch wenn es sich nicht um eine palliative Therapie handele. Denn die Ziffer 16.5 i. V. m. 16.4.27 AMR erlaube die Verordnung nicht verschreibungspflichtiger anthroposophischer
Arzneimittel zur Behandlung von malignen Tumoren unabhängig davon, ob sie zur palliativen Therapie eingesetzt
werden. Die in Ziffer 16.5 AMR erfolgte Bezugnahme auf das Indikationsgebiet" betreffe lediglich die in Ziffer
16.4.27 AMR aufgeführte Indikation "von malignen Tumoren", dagegen nicht die Art und Weise der Therapie
("palliative Therapie"). Auch das Bundesminsterium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) habe in
verschiedenen Schreiben klargestellt, dass anthroposophische Arzneimittel auch außerhalb der palliativen Therapie
zu Lasten der Krankenversicherung verordnet werden könnten. Das Gericht hat die das einstweilige Rechtsschutzverfahren betreffende Vorprozessakte S 8 KR 261/04 ER mit
Auskünften bzw. Stellungnahmen der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung, der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland, des Gemeinsamen
Bundesausschusses und des BMGS beigezogen. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf den Inhalt der
Vorprozessakte, die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. |
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e | ||
Die Klage ist begründet. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben des § 34 Abs. 1 SGB V, die ihren Niederschlag auch in Ziffer
16.1 AMR gefunden haben, kann die Verweisung in Ziffer 16.5 i. V. m. 16.4.27 AMR nur dahingehend ausgelegt
werden, dass sie sich auf die Gesundheitsstörung "maligner Tumor", dagegen nicht auf die palliative Behandlung
bezieht. Denn der Gesetzgeber hat in § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V festgelegt, dass ausnahmsweise nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als
Therapiestandard gelten, verordnet werden können und der Gemeinsame Bundesausschuss diese
verschreibungspflichtigen Arzneimittel in den AMR festlegt. So ist der Gesetzgeber auch ausweislich der
Gesetzesbegründung davon ausgegangen, dass dem Gemeinsamen Bundesausschuss insoweit kein"Ermessensspielraum" zukommt, sondern dass er Fertigarzneimittel in die Richtlinien aufnimmt, "sofern diese
unverzichtbar über Standardwirkstoffe für die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen z. B. für die Onkologie,
für die Nachsorge nach Herzinfarkt, zur Behandlung des Klimakteriums enthalten" (BT-Drucks. 15/1525 S. 86).
Daraus ergibt sich, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in die AMR aufzunehmen sind, wenn sie die
beiden Voraussetzungen "schwerwiegende Erkrankung" und "Therapiestandard" erfüllen. Dies ist vorliegend der
Fall. Das Vorliegen eines Karzinoms bzw. von Metastasen stellt - wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist -
eine schwerwiegende Erkrankung dar. Wie sich aus den Ausführungen des Gemeinsamen Bundesausschusses in
seiner Stellungnahme vom 28.10.2004 ergibt, ist der Zusatz "nur in der palliativen Therapie" in Ziffer 16.4.27 AMR
auch nicht aufgenommen worden, um lediglich maligne Tumore (im Endstadium) als schwerwiegende Erkrankung
aufzuführen, sondern unter Berücksichtigung der entsprechenden arzneimittelrechtlichen Zulassungsbeschränkung
und damit unter dem Aspekt des Therapiestandards. Des Weiteren ist auch die Voraussetzung des
Therapiestandards erfüllt. Dies ergibt sich einerseits aus dem Anwendungsgebiet des Arzneimittels Helixor, das im
Rahmen der Zulassung keine Einschränkung auf die bloß palliative Therapie von Geschwulsterkrankungen erhalten
hat (vgl. Fachinformation, Anlage ASt 3 zur Antragsschrift vom 11.08.2004 in S 8 KR 261/04 ER). Des Weiteren hat
die Auskunft der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland vom 21.09.2004 (Blatt 49 der
Vorprozessakte S 8 KR 261/04 ER) ergeben, dass vorliegend die adjuvante Mistel-Therapie mit einem standardisierten Gesamtextrakt, wie es Helixor A darstellt, zur anthroposophischen Standardtherapie bei dieser
Erkrankung gehört. |