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  UNIVERSITÄT LEIPZIG
 
  Universitätsjournal 
  Dezember       Heft 7/99 
 

Konstantin von Tischendorf (1815-1874) 

 
  • Zum 125.Todestag am 7.12.1999

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    Konstantin von Tischendorf
     
     
     
     

     

    Unter den Persönlichkeiten, die im vergangenen Jahrhundert der Leipziger Universität weit über die Grenzen Sachsens hinaus zu hohem Ansehen verhalfen, nimmt Konstantin von Tischendorf einen besonderen Platz ein. Als Mitglied der Theologischen Fakultät machte er mit seinen Handschriftenforschungen Leipzig zu einem internatio-
    nal beachteten Zentrum der neutestamentlichen Textkritik. Sowohl die Fachwelt als auch eine breite Öffentlichkeit nahmen regen Anteil an seinen Entdeckungen, unter denen besonders die abenteuerliche Auffindung des sogen. "Codex Sinaiticus" im Katharinenkloster auf der Sinaihalbinsel die Gemüter in einer ähnlichen Weise erregte, wie das heute die Handschriftenfunde aus Qumran tun.

    Die Wiege Tischendorfs stand in Lengenfeld im Vogtland. 1815 wurde er als neuntes Kind des dortigen Gerichtsarztes geboren. Nach dem Schulbesuch in seiner Heimatstadt und in Plauen bezog er 1834 die Leipziger Universität, wo er 1838 das Studium der Theologie als Doktor Philosophiae abschloß. Seine Habilitation 1840 bestand aus den Prolegomena einer ersten kritischen Ausgabe des griechischen Neuen Testamentes, die bereits die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf den jungen Gelehrten lenkte. Bis 1874 sollten noch 24 weitere Ausgaben nach insgesamt acht grundlegenden Neubearbeitungen folgen. Zunächst jedoch reiste Tischendorf im Jahre 1840 nach Paris, wo eine als unlesbar geltende Handschrift aus dem 5. Jh. lag. In mühsamer und andauernder Arbeit gelang ihm die Entzifferung, die fortan seinen Namen bekannt machte und zugleich für zunehmend bereitwilliger gewährte finanzielle Unterstützung sorgte. Von Paris aus bereiste er die Bibliotheken in Holland, England, Südfrankreich und Italien, wobei ihm die glückliche Entdeckung zahlreicher Handschriften biblischer und apokrypher Texte gelang. Von den ersten Erfolgen beflügelt entschloß er sich, 1844 die Reise von Livorno aus nach Ägypten fortzusetzen. Damit begann eine fünfzehnjährige Abenteuergeschichte, die den weiteren Fortgang seiner wissenschaftlichen Arbeit wesentlich prägte.

    Berg und Kloster Sinai
    Berg und Kloster Sinai, Stahlstich von A.Fesca, aus: Meyer's Universum von 1863

    Die Ereignisse sind vielfach berichtet worden. Im Katharinenkloster, dessen Blütezeit damals schon lange zurücklag, fand er im Papierkorb der Bibliothek 129 Pergamentblätter, die den Text einer griech. Übersetzung des Alten Testamentes aus dem 4. Jh. enthielten - was alle bis dahin verfügbaren Handschriften übertraf. 43 Blätter durfte Tischendorf mitnehmen, die restlichen 86 verblieben in der Obhut des Klosters. Tischendorf veröffentlichte seinen Fund 1846 in Leipzig, doch die zurückgebliebenen Blätter ließen ihm keine Ruhe. Bei einer zweiten Reise 1853 mußte er jedoch feststellen, daß man im Kloster von den 86 Blättern nichts mehr wußte. Außer einem kleinen, als Lesezeichen verwendeten Fetzen der Handschrift blieb jede Spur verschollen. 1859 brach Tischendorf ein drittes Mal auf. Auch diesmal schien die Suche vergeblich zu sein, bis er am Vorabend der Abreise und eher zufällig vom Oikonomos des Klosters auf eine Pergamenthandschrift in dessen Zelle aufmerksam gemacht wurde. Dieselbe aber entpuppte sich als Rest des gesuchten Codex. Nicht allein die fehlenden 86 Blätter, sondern darüber hinaus auch das komplette Neue Testament sowie zwei wei-
    tere urchristliche Schriften lagen nun vor Tischendorf. Er hatte die älteste vollständige Handschrift des neutestamentlichen Textes gefunden.

    Die folgende Editionsgeschichte stellte die abenteuerlichen Fundumstände an Dramatik noch einmal in den Schatten. Leihweise erhielt Tischendorf den Codex zur Abschrift nach Kairo. Da er mit russischem Geld gereist war und die Sinaiten Zar Alexander II. als den Schutzherrn der orthodoxen Christenheit empfanden, entstand der Plan einer Schenkung des Codex an die russische Regierung. Da aber soeben der Erzbischof der sinaitischen Bruderschaft verstorben war und die Wahl eines Nachfolgers in das Verwirrspiel kirchenpolitischer Intrigen geriet, konnte die Schenkung nicht vollzogen werden. Tischendorf reiste nun selbst in diplomatischer Mission und suchte die Angelegenheit der Sinaiten in Konstantinopel und St. Petersburg zu vertreten. Aber erst zehn Jahre später kam die Wahl zustande - und das Projekt der Schenkung zum Vollzug. Bereits 1862 hatte Tischendorf den Codex in St. Petersburg in einer gediegenen Faksimile-Ausgabe publiziert. Inzwischen verblieb er juristisch korrekt im Außenministerium und fand erst nach der Schenkung einen ehrenvollen Platz in der Öffentlichen Bibliothek. Im Gegenzug gelangte ein Geldgeschenk von 9000 Goldrubeln in das Kloster, begleitet von weiterer materieller Unterstützung. Bis heute wird Tischendorf jedoch immer wieder der Unlauterkeit bezichtigt. Im Katharinenkloster zeigt man eine "Quittung", deren (unvollständiger) Wortlaut den Vorwurf begründen soll, Tischendorf habe den Codex gestohlen. Diese Darstellung entbehrt jeder Grundlage und stellt eine bewußte Verdrehung der Tatsachen dar, die ausreichend dokumentiert sind.

    Für seine Verdienste erhielt Tischendorf 1869 von Zar Alexander II. den erblichen Adel verliehen. In rastloser Tätigkeit publizierte er eine Fülle von Handschriften und arbeitete deren Lesarten in immer neue, verbesserte Ausgaben des biblischen Urtextes ein. Erst 59jährig verstarb Tischendorf 1874. Er hinterließ dabei seine Frau Angelika und acht Kinder im Alter von 7 bis 27 Jahren.

    Am 7. Dezemer 1999 jährte sich zum 125. Mal der Todestag Tischendorfs. Aus diesem Anlaß erschienen die beiden folgenden Schriften: Bibliographie Konstantin von Tischendorf (1815-1874), zusammengestellt und eingeleitet von Christfried Böttrich, Leipzig, Universitätsverlag 1999; Tischendorf-Lesebuch. Bibelforschung in Reiseabenteuern, herausgegeben und eingeleitet [mit 33 Bildern] von Christfried Böttrich, Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt 1999.

    Christfried Böttrich
     
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