Der Mann ist lang und schmal, der Bart so weiß wie der frischgefallene Schnee, das Haus hinter ihm, sein Haus, stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert. Stünden da nicht drei alte Autos vor der Tür, man könnte Nicholson Baker für eine Art Walt Whitman halten, den "good gray poet" eines älteren, besseren Amerika. Das Haus steht in South Berwick, Maine, eineinhalb Stunden nördlich von Boston. Intensiver als hier ist Neuengland nicht zu haben. Viele Einwohner arbeiten in Portsmouth, im Marinehafen, wo ein großer Teil der amerikanischen U-Boot-Flotte liegt. Es gab eine Zeit, in den späten achtziger und dann in den neunziger Jahren, da galt Nicholson Baker als ein Schriftsteller, der in die Nachfolge seiner berühmtesten Kollegen treten werde: John Updike, Philip Roth, Don DeLillo. Er besitzt einen unverwechselbaren Ton, er ist amerikanisch bis ins Mark, und ein literarischer Entdecker ist er auch: Er entwickelte den inneren Monolog, den "stream of consciousness", um damit den kleinen Dingen des Alltags, den einfachen Regungen des Körpers und den Details der Kommunikation eine metaphysische Würde zu verleihen: in den Romanen "Rolltreppe" (1991), "Zimmertemperatur" (1992), "Vox" (1993), "Die Fermate" (1994). Nicholson Bakers jüngstes Werk "Human Smoke. The Beginnings of World War II, the End of Civilization" (Simon & Schuster), ist kein Roman und kein Sachbuch: Es ist die Geschichte der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs in Gestalt einer subjektiven Chronik mit hohem Anspruch auf Wahrhaftigkeit. Am 11. März in den Vereinigten Staaten erschienen, zog es sofort große Aufmerksamkeit auf sich: Die New York Times widmete dem Autor eine Homestory, um das Buch zwei Tage später zu verreißen - als Verrat an den Toten. Die Los Angeles Times vertraute der Recherche des Autors und nannte das Werk "eines der wichtigsten Bücher, das Sie je lesen werden". Der Boston Globe erklärte "Human Smoke" zum naiven Werk eines Pazifisten. Und die Zeitschrift Commentary befand auf Sensationalismus. SZ: Sie haben bisher sieben Romane veröffentlicht, darunter einige sehr erfolgreiche, zahlreiche Essays, zwei Bildbände sowie ein Sachbuch, das in der literarischen Welt zu Hause ist: "Der Eckenknick", eine Dokumentation über den abenteuerlichen Umgang der Bibliotheken mit ihren Zeitungsarchiven und Ihren praktischen Einspruch dagegen. Sie haben selbst ein Zeitungsarchiv geschaffen, um vor allem historische, graphisch und literarisch aufwendige Unternehmungen zu erhalten. "Human Smoke" dagegen ist ein historisch-politisches Sachbuch über den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wie kam es zu diesem Werk? Nicholson Baker: In einem weiteren Sinn ist "Human Smoke" eine Fortsetzung meiner Arbeit mit dem Zeitungsarchiv. Ich habe dabei gelernt, wie man Zeitungen liest; dass sich die Wahrheit im Offensichtlichen verbirgt. Aber es gibt ein Bindeglied zwischen dem "Eckenknick", das im Orginal ja schon 2001 veröffentlicht wurde, und "Human Smoke": Ich hatte angefangen, ein Sachbuch über eine geheime Abteilung in der Library of Congress, der Nationalbibliothek, zu schreiben. In dieser Abteilung, die vom Geheimdienst betrieben wurde, wurden die Zeitungen anderer Länder gelesen: und zwar von Intellektuellen ausländischer Herkunft, zu dem Zweck, Ziele für amerikanische Bomben und Raketen zu identifizieren. "Targeting" wird diese Tätigkeit genannt. Ich musste die Arbeit an diesem Buch unterbrechen, nachdem mir klar geworden war, dass ich keine Vorstellung davon hatte, was ein Krieg eigentlich ist. "Human Smoke" ist der Versuch, diesen Mangel auszugleichen.
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