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13.03.2008    12:19 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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Nicholson Baker im Interview

"Man kann die Menschen nicht zum Guten bombardieren"

Radikalisierte Churchill den Zweiten Weltkrieg? Wann endete die Zivilisation? Ein Buch sorgt für Wirbel in den USA. Gespräch mit Nicholson Baker, dem Autor von "Human Smoke".
Interview: Thomas Steinfeld

Der Mann ist lang und schmal, der Bart so weiß wie der frischgefallene Schnee, das Haus hinter ihm, sein Haus, stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert. Stünden da nicht drei alte Autos vor der Tür, man könnte Nicholson Baker für eine Art Walt Whitman halten, den "good gray poet" eines älteren, besseren Amerika. Das Haus steht in South Berwick, Maine, eineinhalb Stunden nördlich von Boston. Intensiver als hier ist Neuengland nicht zu haben. Viele Einwohner arbeiten in Portsmouth, im Marinehafen, wo ein großer Teil der amerikanischen U-Boot-Flotte liegt.

Es gab eine Zeit, in den späten achtziger und dann in den neunziger Jahren, da galt Nicholson Baker als ein Schriftsteller, der in die Nachfolge seiner berühmtesten Kollegen treten werde: John Updike, Philip Roth, Don DeLillo. Er besitzt einen unverwechselbaren Ton, er ist amerikanisch bis ins Mark, und ein literarischer Entdecker ist er auch: Er entwickelte den inneren Monolog, den "stream of consciousness", um damit den kleinen Dingen des Alltags, den einfachen Regungen des Körpers und den Details der Kommunikation eine metaphysische Würde zu verleihen: in den Romanen "Rolltreppe" (1991), "Zimmertemperatur" (1992), "Vox" (1993), "Die Fermate" (1994).

Nicholson Bakers jüngstes Werk "Human Smoke. The Beginnings of World War II, the End of Civilization" (Simon & Schuster), ist kein Roman und kein Sachbuch: Es ist die Geschichte der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs in Gestalt einer subjektiven Chronik mit hohem Anspruch auf Wahrhaftigkeit.

Am 11. März in den Vereinigten Staaten erschienen, zog es sofort große Aufmerksamkeit auf sich: Die New York Times widmete dem Autor eine Homestory, um das Buch zwei Tage später zu verreißen - als Verrat an den Toten. Die Los Angeles Times vertraute der Recherche des Autors und nannte das Werk "eines der wichtigsten Bücher, das Sie je lesen werden". Der Boston Globe erklärte "Human Smoke" zum naiven Werk eines Pazifisten. Und die Zeitschrift Commentary befand auf Sensationalismus.

SZ: Sie haben bisher sieben Romane veröffentlicht, darunter einige sehr erfolgreiche, zahlreiche Essays, zwei Bildbände sowie ein Sachbuch, das in der literarischen Welt zu Hause ist: "Der Eckenknick", eine Dokumentation über den abenteuerlichen Umgang der Bibliotheken mit ihren Zeitungsarchiven und Ihren praktischen Einspruch dagegen. Sie haben selbst ein Zeitungsarchiv geschaffen, um vor allem historische, graphisch und literarisch aufwendige Unternehmungen zu erhalten. "Human Smoke" dagegen ist ein historisch-politisches Sachbuch über den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wie kam es zu diesem Werk?

Nicholson Baker: In einem weiteren Sinn ist "Human Smoke" eine Fortsetzung meiner Arbeit mit dem Zeitungsarchiv. Ich habe dabei gelernt, wie man Zeitungen liest; dass sich die Wahrheit im Offensichtlichen verbirgt. Aber es gibt ein Bindeglied zwischen dem "Eckenknick", das im Orginal ja schon 2001 veröffentlicht wurde, und "Human Smoke": Ich hatte angefangen, ein Sachbuch über eine geheime Abteilung in der Library of Congress, der Nationalbibliothek, zu schreiben. In dieser Abteilung, die vom Geheimdienst betrieben wurde, wurden die Zeitungen anderer Länder gelesen: und zwar von Intellektuellen ausländischer Herkunft, zu dem Zweck, Ziele für amerikanische Bomben und Raketen zu identifizieren. "Targeting" wird diese Tätigkeit genannt. Ich musste die Arbeit an diesem Buch unterbrechen, nachdem mir klar geworden war, dass ich keine Vorstellung davon hatte, was ein Krieg eigentlich ist. "Human Smoke" ist der Versuch, diesen Mangel auszugleichen.


SZ: Was meinen Sie mit dem Satz, die Wahrheit verberge sich im Offensichtlichen?

Baker: Wie vermutlich die meisten Menschen hatte ich mir vorgestellt, dass die Wahrheit eines Krieges - in diesem Fall: des Zweiten Weltkriegs - der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, schon auf Grund von räumlichen und zeitlichen Distanzen. Dass nur die Teilnehmer und die Opfer wissen, was wirklich geschah. Es war überraschend zu sehen, dass das nicht stimmt. Es gab, in den Vereinigten Staaten, aber auch anderswo, eine doch verlässliche Berichterstattung über dieser Krieg - auch wenn sie parteiisch war, bis hin zu blutrünstigen Schlagzeilen in der New York Times wie "Capital is Seared" ("Hauptstadt scharf angebraten"). Gemeint war Berlin, und das Datum war Herbst 1941, bevor die Amerikaner in den Krieg eintraten, nicht Frühjahr 1945. Aber auch auf diese Weise hat man erfahren, was tatsächlich geschah. Das Gleiche gilt für die Berichterstattung über die Zwangsumsiedlung der europäischen Juden. Die entsprechenden Artikel standen vielleicht nicht auf der ersten Seite. Aber es gab sie. Die Welt geriet aus den Fugen, für jeden erkennbar, Tag für Tag entledigte sie sich eines weiteren Stücks Zivilisation, bis es am Ende keine Hemmungen mehr gab.

SZ: Wenn Sie sich eine Vorstellung davon verschaffen wollten, was ein Krieg tatsächlich ist - warum wählten Sie den Zweiten Weltkrieg?

Baker: In jeder Diskussion darüber, warum die USA in einen Krieg eintreten sollten oder nicht, das heißt: In allen gefährlichen politischen Situationen seit 1945, wird der Zweite Weltkrieg als Beispiel vor allen anderen angerufen: In diesem Fall scheint es völlig klar zu sein, wie gut und böse verteilt sind. Hitler war ein dämonischer Wahnsinniger, der Urheber eines gigantischen Massenmords, von Hässlichkeit, Zerstörung und Untergang. Ebenso klar scheint zu sein, dass man in einem solchen Krieg nicht Pazifist sein konnte - in diesem Land zählen die Pazifisten jener Zeit noch immer zu den verkappten Faschisten. Dieser Krieg war der gute Krieg, der alle anderen Kriege rechtfertigte, bis hin zum gegenwärtigen Krieg im Irak.

Lesen Sie auf der nächsten Seite weiter, inwiefern Churchill nach Ansicht Bakers den Zweiten Weltkrieg radikalisierte.


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Leserkommentare (19)



14.03.2008 14:48:06

Expat: Man kann Menschein nicht zum Guten bombardieren....

...wie es sich z.B. auch im Irak erweist. Aber zurück zu DE:

Auch ich kann - mit den Aussagen von Zeitzeugen (Großelterngeneration) - die Aussagen von Herrn Baker bestätigen.Aus dem Mund dieser Zeitzeugen hörte ich immer wieder, daß man zwar das Ende des Krieges herbeigesehnt und Feindsender gehört habe, daß die Bombardierungen deutscher Städte mit der Absicht, die Zivilbevölkerung zu demoralisieren, jedoch eher das Gegenteil bewirkten, nämlich: ein Zusammenrücken des Volkes unter der unbeschreiblichen Zerstörung und Verwüstung.Kaum sei ein Angriff vorbei gewesen, da seien auch schon die Suppenküchen der Nazis auf den Straßen gestanden...Das wurde immer ganz besonders erwähnt in den Erzählungen.Ja, die Versorgung mit Essen während des zweiten Weltkrieges sei wesentlich besser gewesen als während und nach dem ersten Weltkrieg. Insofern kann ich auch diese Ansicht (nach dem Hörensagen) bestätigen, daß der erste Weltkrieg und dessen Folgen (z.B.auch die Versailler Verträge) eine nicht unerhebliche Rolle für das Zustandekommen des zweiten Weltkriegs spielten.Ich glaube, das ist auch eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis.

Und nur um ein Detail hinzuzufügen: Aus einer Dokumentation des deutschen Fernsehens weiß ich, daß man in England für die Bombardierungen der deutschen Städte eine Prioritätenliste nach dem Kriterium der "leichten Brennbarkeit" erstellt hatte. Darunter war auch das kleine Städtchen Pforzheim, das nichts anderes aufwies als viele Fachwerkbauten, die gut in Brand zu bombardieren waren.Meine weitere Frage ist bis heute nicht beantwortet, weshalb die Alliierten nicht die Zugschienen, die nach Auschwitz führten, gezielt bombardierten, OBWOHL sie wußten, was dort vorging?Und noch ein Detail: Bomber Harris wird in GB als Kriegsheld gefeiert und bekam sogar sein eigenes Denkmal, das seinerzeit von der noch lebenden Queen Mother eigenhändig eingeweiht wurde.


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