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Nr. 46/2000 - 8. November 2000
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Deutsch-serbische Freundschaft

Der Elsässer

Was hätte einer wie Jürgen Elsässer zu einem jugoslawischen Dissidenten zu sagen, der in der Deutschen Gesellschaft zu Belgrad sein Buch vorstellte, in dem der Bombenkrieg gegen Jugoslawien gerechtfertigt wird? Wenig Gutes. Aber der Inhalt des Buches von Elsässer ist das eine, die Form seiner Präsentation das andere.

Er wird gemocht, der Elsässer. 150 Gäste werden es wohl sein, die den Deutsch-Serbischen Freundschaftsverein in der Weddinger Pankstraße - definitiv eine der finstereren Gegenden Berlins - besuchen, und unter ihnen sind keine zwei Dutzend, die dem Referenten, der hier sein neues Buch »Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt« vorstellt, bei ihrer Ankunft nicht zumindest die Hand geschüttelt hätten. Der Berichterstatter bildet da keine Ausnahme: Er wird gemocht, der Elsässer, und er mag zurück.

Hinter ihm flimmert der Fernseher, RTS aus Belgrad. Ein tapferer schnurrbärtiger Jäger im Tarnanzug stapft durch den serbischen Wald. Hin und wieder bleibt er vor einem Baum stehen, hebt den Daumen der linken Hand (die Rechte muss die Flinte halten): »Serbien? Find' ich gut.« Als Zoran Djindjic, der »German Boy« (Elsässer), den Bildschirm füllt und zu einem längeren Statement ausholt, schaltet jemand das Gerät aus. »Wir freuen uns, Herr Elsässer«, aber bitteschön, vorher eine kleine musikalische Einleitung.

Es tritt ein älterer Herr auf, dessen Schnurrbart den Größenwettbewerb mit dem des TV-Jägers spielend gewinnt. Er trägt kniehohe Stiefel aus weißem Saffianleder, dazu eine breite rote Schärpe und einen goldbestickten Bolero: serbische Tracht. Am sonderbarsten ist aber das Instrument, das er in Händen hält: eine Art mit Löwen und Schlangen übermäßig verzierter Mandoline, die aber nur eine Saite hat und mit einem Bogen ähnlicher Machart gestrichen wird. Es ist eine Gusla, und sie macht kein schönes Geräusch. Der pathetisch-tremolierende Sprechgesang, den der Alte von sich gibt, das sind Verse aus dem serbsichen Nationalepos. Die Gusla wird ausschließlich zu diesen Versen gestrichen, sie ist so etwas wie das heilige Instrument des serbischen Nationalismus. Im bosnischen Protektorat, erklärt Elsässer, sei die Gusla verboten, weil sie geeignet sei, nationalistische Gefühle zu erzeugen. Schweinerei, findet er. Nicht der Nationalismus, sondern das Verbot.

Dann sagt Elsässer noch ein paar Worte »zu meiner Person«. Als er noch Lehrer in Baden-Württemberg gewesen sei, habe er vier Jahre lang eine Klasse unterrichtet, die hauptsächlich aus jugoslawischen Schülern bestanden habe. Und damals habe er »die Mentalität des serbischen Volkes schätzen gelernt«. Dass er balkanfit ist, stellt Elsässer dann auch gleich mit einer Interpretation von Christa Wolfs »Kassandra« unter Beweis, welches wohl das Buch ist, das er gerade liest. Kassandra, erklärt er, habe sich vorgeworfen, die zentrale Lüge des Trojanischen Kriegs nicht aufgedeckt zu haben. Diesen Vorwurf will sich Elsässer nicht gefallen lassen, also deckt er auf, eine gute Stunde lang. Manches Neue ist dabei, manches hat man auch schon einmal gehört, und nicht alles, was er als selbst recherchiert verkauft, ist auch von ihm.

Ob er denn auch bereit wäre, mit den Tribunalen gegen die Nato-Krieger zusammenzuarbeiten, fragt am Schluss eine Zuschauerin. Selbstverständlich, sagt Elsässer. Selbstverständlich: welch eine Bühne!

andreas dietl

Jürgen Elsässer: Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt. Konkret-Verlag, Hamburg 2000, 192 S., DM 26,80 (Rezension folgt)



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