...selber schuld, wenn Sie mir schreiben!
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Happy Iceland (Teil 1)

Dieses Jahr in Reykjavik! Nächstes Jahr in Jerusalem! Oder umgekehrt.

Ich werde öfter gefragt, warum ich so gerne nach Island fahre. Island, sage ich dann, ist ein wunderbares Land. Freundliche Leute, gutes Essen, wunderbare Landschaft, saubere Luft, High Tech auf jedem Dorf, vor allem aber: keine Juden, keine Araber und nur ganz wenige Deutsche.

Juden in Island

Meine drei Problemvölker sind nicht vertreten. Ich kann durch Island fahren, ohne immerzu auf den Nahostkonflikt oder den Antisemitismus in Deutschland angesprochen zu werden. Das tut gut.

Jetzt muss ich mir was Neues ausdenken, um meine Island-Begeisterung zu begründen. Denn es gibt Juden auf Island, nicht viele, aber immerhin.

Im April war ich wieder im Land der Elfen unterwegs. Halb von Neugierde und halb von Sentimentalität getrieben, wollte ich wissen, ob es vielleicht doch irgendwo eine Seder-Feier zu Beginn der Pessach-Tage geben würde. Ich rief Kristin an, Kristin rief Hope an, und schon hatte ich die Telefon-Nummer von Nili.

Ich rief Nili an und Nili sagte: Bruchim haba'im, willkommen, komm am Sonntag um 17 Uhr in den Gemeindesaal der Freikirche. Wieso am Sonntag, fragte ich, Pessach fängt doch am Samstag an. Ja, sagte Nili, aber wir treffen uns am Sonntag.

Juden in Island

Überall in der Welt feierten die Juden den ersten Seder-Abend in diesem Jahr am 23. April, nur in Island fing Pessach 24 Stunden später an. Denn die Isländer nehmen es mit der Zeit nicht so genau. Das kommt daher, dass sie nur zwei Jahreszeiten kennen, den Sommer und den Winter, es gibt kein Frühjahr und keinen Herbst auf der Vulkan-Insel. Und entweder es ist Tag oder es ist Nacht, dazwischen ist nix.

Und deswegen spielt es keine Rolle, ob man Pessach einen Tag früher oder einen Tag später beginnt.

Juden in Island

Am Sonntag, 24. April, war ich Punkt 17 Uhr im Gemeindesaal der Freikirche. Alles sah nach einer Adventsfeier aus. Da waren 2o Erwachsene und ebenso viele Kinder, alle kannten sich untereinander, nur ich kannte niemand. Ich wusste trotzdem sofort, wer Nili war, eine kräftig gebaute Frau mit kurzen roten Haaren und einer Stimme, die auch bei einem Erdbeben nicht zu überhören wäre.

Bruchim haba'im, sagte Nili, willkommen, und stellte mich gleich Michael vor.

Juden in Island

Michael, vor 43 Jahren in Chicago geboren, würde den Abend moderieren, das heißt die »Hagada«, die Geschichte des Auszugs aus Ägypten, lesen. Das dauert normalerweise drei bis vier Stunden, bei den ganz Frommen sogar die ganze Nacht, aber Michael hatte eine Kurzfassung vorbereitet, zwei Dutzend fotokopierte DIN A 4 Seiten auf Hebräisch und Englisch. Das fand ich sehr rücksichtsvoll und vernünftig.

Wie kommt ein Jude aus Chicago nach Reykjavik? Über Wien. Anfang der 8oer Jahre lernte Michael auf einer Musikschule in Wien eine Isländerin kennen. Jetzt ist er mit ihr verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Koch in einem Reykjaviker Restaurant. Er spricht fließend Isländisch, fühlt sich in Island zu Hause, aber ein-, zweimal im Jahr fällt ihm doch ein, woher er kommt, meistens zu Pessach und Jom Kippur.

Juden in Island

Und so geht es auch den anderen. Nili aus Tel Aviv hat ihren isländischen Mann auf einer Urlaubsreise in Europa kennen gelernt, Shirley aus einem Kibbutz bei Haifa ihren Eyjölfur bei einem Flamenco-Kurs in Spanien getroffen. Inzwischen kann sie Isländisch, er spricht Hebräisch, sie leben bei Reykjavik und sind eine echte Multi-Kulti-Truppe. Hannah aus Jerusalem ist seit langem von ihrem isländischen Mann geschieden, aber in Island geblieben, denn »es lebt sich gut hier«.

Wie es sich für einen echten Seder gehört, sind Gäste willkommen. Und man muss kein Jude sein, um die vier Tausend Jahre alte Geschichte des Auszugs aus Ägypten schön zu finden, ein Versprechen von Freiheit und Selbstbestimmung. Bella, über 8o, kommt aus Schottland, wo sie jüdische Freunde hatte, von denen sie jedes Jahr zum Seder eingeladen wurde. Deren Kinder leben inzwischen in den USA, schicken ihr zu Pessach und zu Weihnachten Grußkarten, sie geht zum Seder, »weil es so eine schöne Erinnerung ist«. Olafur Johannsson, 7o plus, ist ein »christlicher Zionist«, er gibt ein ein Infoblatt heraus (»Israels Frettir«), fährt ein paar Mal im Jahr mit Pilgern nach Israel, hat eine Wohnung in Jerusalem und kann sich auf Hebräisch verständigen.

Juden in Island

Michael macht seine Sache gut, das heißt schnell und souverän. Er spricht die Segenssprüche, bricht die Matze, gießt den Wein ein, erklärt, was diese Nacht von anderen Nächten unterscheidet, zählt die zehn Plagen auf und führt die Kinder Israels aus der Sklaverei in Ägypten in das Gelobte Land, das der Herr ihnen versprochen hat. Und das alles in weniger als einer halben Stunde. Dann gibt es Essen: Hühnerbrühe mit Matzeknödeln, gebratene Hühnerschenkel, geschmorte Lammkeule, Kartoffelsalat, Couscous und zum Nachtisch Marmorkuchen. Alles home made und mitgebracht. Es ist nicht koscher, aber es schmeckt so, wie es früher in Polen geschmeckt hat, von der Lammkeule und dem Couscous abgesehen. Von der Suppe hole ich mir drei Teller, von der Lammkeule zwei Portionen, als ich so weit bin, ist der Kuchen alle.

Nach dem Essen spricht Michael das Schlussgebet. Es endet, wie überall in der Welt, mit den Worten: »L'schana haba'a b'Jeruschalayim«, nächstes Jahr in Jerusalem.

Einen so schönen Seder habe ich nicht mehr gehabt, seit ich 1981 mit den Sinai-Siedlern in einem Zelt bei Yamit feierte, ein paar Tage, bevor die ganze Gesellschaft von der israelischen Armee evakuiert und der Sinai an Ägypten zurück gegeben wurde. Damals sind wir nach dem Seder im Mondlicht in die Felder gefahren und haben die ersten Melonen geerntet. Geula Cohen, die Mutter Courage der Rechten in der Knesset, versprach, dass es auch im Jahr darauf und allen kommenden Jahren so sein würde: Erst feiern, dann ernten. Ihr Sohn Tsahi Hanegbi war damals einer der Wortführer der Siedler, die nicht weichen wollten.

Juden in Island

Heute ist er Minister in der Regierung von Arik Sharon und zuständig für die innere Sicherheit. Er wird die radikalen Siedler notfalls mit Gewalt abtransportieren lassen, wenn der Gaza-Streifen geräumt wird. Ein schöner Gedanke, den man auch in der »Hagada« finden kann: Was gestern noch unvorstellbar war, ist morgen die Wirklichkeit, nichts bleibt so, wie es ist, Freiheit ist für alle da.

Und noch etwas wurde mir an diesem Seder-Abend klar: Die völkerverbindende, friedensstiftende Kraft der real praktizierten Rassenschande. Völker, hört die Signale, mischt Euch! Es lebe die isländisch-israelische Freundschaft! Nächstes Jahr in Reykjavik!

HMB, Bln, 2.5.2oo5

Artikel in der Reihe »Happy Iceland«…

Copyright © 2005 Henryk M. Broder
Quelle: http://www.henryk-broder.de/tagebuch/island.html

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