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MONDMOBIL LUNOCHOD 2

Der Mond ist nach Ansicht vieler Wissenschaftler eine Art Spiegelbild geologischer Prozesse, die einmal auch auf der Erde stattgefunden haben. Beide Himmelskörper entstanden vor rund 4,6 Milliarden Jahren aus einer kalten Gasstaubwolke und haben sich in der Folgezeit ähnlich entwickelt. Luft, Wasser und Lebewesen veränderten jedoch später das Urgestein der Erde und zerstörten es schließlich ganz. Auf dem atmosphärelosen Mond dagegen fehlen diese Erosionskräfte: Dort ist das Gestein aus der Zeit der Planetenentstehung in seiner ursprünglichen Form bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Deshalb kann uns die Erforschung des Mondes viel Interessantes über die geologische Entwicklungsgeschichte unseres eigenen Planeten erzählen. Z. B. wo in der Erdkruste nutzbare Erze und Mineralien lagern oder wann die Granite entstanden sind, die meist mit wertvollen Bodenschätzen auftreten. So können wir auf dem Umweg über die Mondforschung erfahren, was die Erde unter ihren Schichten verbirgt und mit weichen Reichtümern die Menschheit in Zukunft rechnen kann.

Neue interessante Einzelheiten vom Mond und über die geologische Frühgeschichte der Erde übermittelte im Jahre 1973 das ferngesteuerte sowjetische Mondmobil Lunochod 2 (siehe FR 6/73). Fünf Monate lang erforschte es intensiv den Krater Le Monnier. Dieser liegt in der Übergangszone vom Mare Serenitatis zum Taurus-Gebirge und wird nach einem berühmten französischen Astronomen des 18. Jahrhunderts benannt.

Der Krater ist 55 km breit und vor Jahrmilliarden durch tellweises Absinken des Mondbodens sowie der Lavamassen zur Hälfte zerstört worden. Die Lava hat den westlichen Wall des Kraters total unter sich begraben, den Kraterboden aufgefüllt und Le Monnier damit zu einer Bucht des Mare Serenitatis gemacht. Erhalten geblieben ist lediglich der östliche Kraterwall, der eine Art halbkreisförmige Stufe zum Taurus-Gebirge hin bildet.

Auf dem flachen Boden des Kraters Le Monnier landete am 15. Januar 1973, während des Mondmittags, der sowjetische Raumflugkörper Luna 21 (1973 - 01A) mit dem Mondmobil Lunochod 2 an Bord. Der Landepunkt hat die Koordinaten 30 Grad 27 östlicher Länge 25 Grad 51 nördlicher Breite und liegt nahe am Südrand des Kraters.

In diesem Gebiet steigt die Mareebene allmählich flach bis zu einer ausgedehnten Hügellandschaft an, die im Süden und Osten in das Taurus-Gebirge übergeht. Diese Hügellandschaft ist also eine Art Vorgebirge und im geologischen Sinn ein Mittelding zwischen Mare und Festland.

Entscheidend für die Wahl von Le Monnier war ferner eine zusätzliche dritte und ebenfalls überaus interessante geologische Formation im Südostteil des Kraters: ein langer, geradliniger, tektonischer Grabenbruch der Mondrinde. Er liegt ca. 15 km vom Luna 21-Landepunkt entfernt und erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung über eine Länge von 15 bis 16 km. Seine Breite beträgt 300 m, die Tiefe schwankt zwischen 40 bis 80 m. Seine Erforschung war Hauptziel der sowjetischen Lunochod 2-Mission.

Nach diversen technischen Funktionskontrollen begann Lunochod 2 am 18. Januar 1973 zu Beginn der 2. Hälfte des 1. Mondtages mit seinem eigentlichen wissenschaftlichen Arbeitsprogramm. In Richtung Süden rollte das Fahrzeug über die Mareebene des Kraters Le Monnier der Hügellandschaft entgegen. Eines der ersten wissenschaftlichen Experimente waren Untersuchungen der physikalisch-mechanischen Eigenschaft der obersten Bodenschicht, des sogenannten Regoliths.

Lunochod 2 untersuchte die mechanischen Eigenschaften des Regoliths mit drei verschiedenen Verfahren: mit einer direkten und zwei indirekten Methoden.

Für die direkte Forschungsmethode besaß das Mondmobil am Fahrzeugende einen mechanischen Bodenmesser, den sogenannten Penetrometer. Das ist ein automatisches, bohrerähnliches Gerät mit einem kegelförmigen Stanzwerkzeug als zentralem Teil. Am unteren Ende des Kegels sind in Kreuzform vier Schaufelblätter angeordnet. Ein Spezialmechanismus drückt den Penetrometer von Zeit zu Zeit in das Regolith und dreht ihn anschließend langsam um seine Längsachse. Der beim Eindrücken und Drehen entstehende Widerstand wird ständig gemessen und zur Erde gefunkt. Gemessen werden außerdem die Eindringtiefe des Kegels und der Drehwinkei der vier Schaufelblätter.

Anhand dieser Meßdaten kann man die mechanischen Eigenschaften des Regoliths ziemlich genau bestimmen: Dichte, Festigkeit, Konsistenz, Tragfähigkeit usw. Das wiederum gibt Auskunft über die Entstehungsart des Bodens und seine geologische Entwicklung.

Für die gleiche wissenschaftliche Aufgabe verwendete man auch das achträdrige Fahrgestell von Lunochod 2. Spezielle Sensoren registrierten während der Fahrt ständig seine Wechselwirkung mit der Mondoberfläche: Neigungswinkel, die Bodenhaftung jedes der acht Räder, ihre Umdrehungszahl bzw. Drehgeschwindigkeit, die Größe des Drehmome,nts und den Stromverbrauch der führenden Räderpaare.

Ferner bestimmte ein kleineres neuntes Rad neben dem Penetrometer laufend die zurückgelegte Wegstrecke. Auf diese Weise erhielt man zusätzlich Meßdaten über die mechanischen Eigenschaften des Regoliths.

Die zweite indirekte Forschungsmethode basierte auf TV- und Panoramaaufnahmen von den Fahrspuren des Mondmobils. Analoge Messungen führte 1970/71 das erste sowjetische Mondmobil Lunochod 1 im Mare Imbrium in der Nähe des Cap Heracildes durch. Damals wurde das Stanzwerkzeug etwa alle 15 bis 30 m in den Boden eingeführt, und zwar an insgesamt 537 verschiedenen Punkten der Mondoberfläche.

In einigen Fällen drückte man das Gerät sogar mehrmals hintereinander an ein und derselben Stelle in den Boden und konnte dabei feststellen, daß sich das Regolith erheblich verdichten läßt. Im allgemeinen zeigte das Regolith im Mare Imbrium große Unterschiede bezüglich Tragfähigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Rotationsverschiebungen.

Zu ähnlichen wissenschaftlichen Ergebnissen gelangte auch Lunochod 2 am Südrand des Kraters Le Monnier. Bei den zahlreichen selektiven Untersuchungen entlang der Fahrstrecke entdeckte man für die mechanischen Eigenschaften des Regoliths verschieden große Werte. So schwankt z.B. die Tragfähigkeit zwischen 0,1 kg/qcm und 1 bis 1,5 kg/qcm . An manchen Stellen versanken die Räder des Mondmobils bis zu 20 und sogar 30 cm tief im Regolith, in anderen Gebieten wiederum gab es nur eine sehr dünne Schicht von wenigen Millimetern Stärke. Hier fuhr Lunochod 2 praktisch auf hervortretendem felsigen Muttergestein des Mondes.

Ebenso unterschiedlich war auch die jeweilige Gesamtdicke des Regoliths, die aus TV- und Panoramaaufnahmen beurteilt wurde. Sie beträgt im Mittel zwischen 1 m und 6 m. In der Hügellandschaft ist das Regolith stellenweise sogar bis zu 10 m dick.

Programm des 1. und 2. Mondtages

Am 19. Januar rollte das Mondmobil 1148 m durch das Maregebiet des Kraters Le Monnier. Das Bodenrelief besteht hier vorwiegend aus relativ kleinen Kratern und vereinzelt damit zusammenhängenden, ausgedehnten Gesteins- bzw. Geröllfeldern. Am häufigsten kommen stark eingeebnete alte Krater aus der Frühzeit der Mondentstehung vor. Rund 25 Prozent aller Krater sind sogenannte Sekundär-Krater mit Durchmessern von 50 cm bis 2 m. Sie entstanden durch den Einschlag von Gesteinsbrocken, die ihrerseits bei der Bildung größerer Krater mit voller Wucht aus dem Muttergestein herausgeschleudert wurden.

Tags darauf erreichte Lunochod 2 den Rand eines 13 m breiten und etwa 2 bis 3 Mio. Jahre "jungen" Meteorkraters mit Tiefengestein (Gesamtfahrstrecke ca. 3000 m). Hier parkte das Fahrzeug während der ersten Mondnacht, ehe es am 10. Februar seine Fahrt in südlicher Richtung fortsetzte. Bis zum 13. Februar legte das Mondmobil weitere 4 km über typisches Maregebiet zurück und erreichte etwa um die Mitte des 2. Mondtages die ersten Ausläufer der Hügellandschaft.

Es folgten Messungen an einem großen alten Krater mit flach abfallendem Wall und ringsum verstreutem Muttergestein, darunter ein fester monolithischer Gesteinsblock in Form einer meterlangen glatten Platte ähnlich einem modernen Baustein.

Neben den physikalisch-mechanischen Eigenschaften untersuchte Lunochod 2 vor allem die chemische Zusammensetzung des Regoliths entlang der Fahrstrecke. Das entsprechende wissenschaftliche Gerät war dem Penetrometer genau gegenüber am Vorderteil des Mondmobils etwa 30 bis 35 cm über Terrain angebracht. Es ist ein kleiner, rechteckiger Kasten mit zwei gegeneinander schräggestellten Platten und heißt nach der mit ihm durchgeführten Röntgenologischen Isotopen-Fluoreszenz-Methode der Analyse abgekürzt RIFMA-M.

Bereits Lunochod 1 verfügte über ein derartiges Röntgenspektrometer; das von Lunochod 2 ist jedoch in bezug auf Schema, Konstruktion und Ergebnisauswertung verändert bzw. verbessert worden. Es ist empfindlicher und kann mehr chemische Elemente registrieren sowie die Röntgenstrahlung der Sonne untersuchen. Deshalb auch der Zusatzbuchstabe M für modifiziert.

RIFMA-M sollte hauptsächlich in den verschiedenen Mondgebieten die für sie besonders charakteristischen chemischen Elemente feststellen. In erster Linie interessierten sich die sowjetischen Geologen für den Eisengehalt in der Übergangszone und sein Verhältnis zu anderen Elementen, z. B. Aluminium oder Titan.

Seine erste chemische Bodenanalyse führte Lunochod 2 am 18. Januar 1973 nahe der Luna 21-Landestufe durch - am Wall eines 40 m Durchmesser großen Kraters. Der Gehalt an Silizium beträgt hier 24 +/- 4 Prozent, an Aluminium 9 +/- 1 Prozent, Kalzium 8 +/- 1 Prozent und Eisen 6 +/- 0,6 Prozent. Ähnliche Resultate ergaben auch die nächsten Messungen am 20., 21. und 22. Januar sowie am 9. Februar rund 1,5 km weiter südlich am Standort der 1. Mondnacht, dem 13 m breiten Meteorkrater. Im allgemeinen unterscheidet sich damit die chemische Zusammensetzung des Regoliths im Maregebiet des Kraters Le Monnier etwas von der im Mare Imbrium, wo der Eisengehalt z. B. durchschnittlich 11 +/- 1 Prozent ausmacht.

Bei der Weiterfahrt von Lunochod 2 zur Hügellandschaft nahm dann allerdirigs der Eisengehalt ständig ab. Er betrug bei Messungen am 13., 14. und 15. Februar am Krater mit dem Gesteinsmonolithen rund 5 km südlich der Landestelle nur mehr 4,9 +/- 0,4 Prozent. Den niedrigsten Eisengehalt mit 0,4 +/- 0,4 Prozent registrierte Lunochod 2 am 19. Februar in der Hügellandschaft des Taurus-Vorgebirges, am 2 km Durchmesser großen Krater Palogi. Gleichzeitig damit stieg der Aluminiumgehalt bis auf 11,5 +/- 1 Prozent an. Lunochod 2 konnte also in der chemischen Zusammensetzung des Mare- und des Festlandgebiets wesentliche Unterschiede feststellen.

Programmablauf am 2. und 3. Mondtag

Nach intensiven Forschungen am monolithischen Gesteinsblock fuhr Lunochod 2 am 16. Februar 2517 m und am 18. sowie 19. Februar 2268 m südwärts durch die Hügellandschaft. Hier erreichte das Fahrzeug nach insgesamt 11067 m Fahrstrecke in 400 m Höhe über dem Landeplatzniveau den Außenhang des Kraters Palogi und damit den Standplatz für die 2. Mondnacht.

Der 2 km Durchmesser große und mehr als 3 Milliarden Jahre alte Krater wurde dann zu Beginn des 3. Mondtages vom 10. bis 13. März eingehend untersucht. Am Außenhang entdeckte man einen Meteorkrater mit 15 bis 20 m Durchmesser und unweit davon Bergrutschterrassen von 10 bis 15 m Länge. Außerdem registrierte das Mondmobil im Taurus-Vorgebirge wesentlich weniger kleine Krater als im Maregeblet; sie maßen nur etwa die Hälfte bis ein Drittel.

Am 15. März verließ das Fahrzeug die Hügellandschaft und rollte zunächst nach Nordost und dann in östlicher Richtung in die Mareebene des Kraters Le Monnier zurück. In voller Fahrt ging es über 2800 m, am 18. März über 2200 m und am 19. März sogar über die "Rekordstrecke" von 3130 m vorbei am Nahen Kap auf den tektonischen Grabenbruch zu. Ca. 2,5 km vorher stoppte Lunochod 2 im Gebiet der Runden Bucht ab und nahm die Parkposition für die 3. Mondnacht ein (Gesamtfahrstrecke 25,6 km).

Außer den TV- und Fotoaufnahmen sowie den mechanischen und chemischen Bodenexperimenten untersuchte Lunochod 2 im fünften wissenschaftlichen Experiment die optischen Eigenschaften der Mondoberfläche. Dazu fotografierte das Fahrzeug im Stand mit je zwei Panoramakameras links und rechts des Gerätebehälters - den sogenannten Telefotometern - die Mondlandschaft. Jedes der beiden Kamerapaare besteht aus einer Kamera für Horizontalaufnahmen mit einem Blickwinkel von 180 Grad und aus einer Kamera für Vertikalaufnahmen vom Nadir zum Zenit.

Im jeweiligen Kameragesichtsfeld ist eine kleine Platte aus insgesamt 39 quadratischen Feldern angebracht, den so genannten fotometrischen Marken. Jedes Feld hat eine andere Helligkeitsempfindlichkeit bzw. Farbtönung. Die Skala aller 39 Filter reicht dabei in allen Zwischentönen von ganz hell bis vollkommen dunkel. Diese Lichtfilter werden beim Fotografieren der Mondlandschaft mit auf den Panoramaaufnahmen abgebildet und ermöglichen eine exakte Bestimmung von Helligkeit und Farbe der Mondoberfläche.

Bei seiner Fahrt durch den Krater Le Monnier und die Hügellandschaft des Taurus-Vorgebirges durchfuhr Lunochod 2 sowohl dunklere als auch hellere Mondgegenden. Das Sonnenlicht wird also nicht überall gleichmäßig reflektiert, sondern an manchen Stellen stärker und an anderen Stellen wieder schwächer. Die Ursache dafür liegt in der Beschaffenheit der Mondoberfläche selbst, in ihrem Relief und in der chemischen Zusammensetzung.

So hat z. B. Lunochod 2 festgestellt, daß relativ junge Krater mit ausgeworfenem, ringsum verstreutem kristallinen Gestein die Helligkeit der Monddecke wesentlich erhöhen. Auch andere Krater, einzelne Steine und deren Menge sowie sonstige kleine Reliefeinzelheiten beeinflussen deutlich die Reflexionseigenschaften, ebenso die chemische Zusammensetzung des Regoliths.

Das Anorthositgestein der Festlandgebiete reflektiert beispielsweise das Sonnenlicht stärker als die Basaltlava in den Maregebieten. Man kann also aus der Reflexionsfähigkeit und Farbe einzelner Mondgebiete auf deren Oberflächenbeschaffenheit schließen. Ob es dort viele Krater gibt oder nur wenige, wie groß sie in etwa sind, ob auf der Oberfläche viele oder wenige Steine liegen und welche chemischen Elemente im Regolith vorkommen. Ja, man kann sogar aus dem reflektierten Sonnenlicht die ungefähre Menge dieser Elemente bestimmen.

Zur Überprüfung dieser Methode fotografierten während der Lunochod 2-Mission sowjetische Astronomen von der Erde aus an leistungsstarken Teleskopen die Oberfläche des Kraters Le Monnier. Anhand dieser Aufnahmen bestimmte man dann die Helligkeit der Mondgebiete entlang der Fahrstrecke des Mondmobils und ihre vermeintliche chemische Zusammensetzung. Anschließend verglich man diese errechneten Werte mit den "echten" chemischen Analyseergebnissen des Geräts RIFMAM. Dabei stellte sich heraus, daß die Ergebnisse der indirekten Messungen am Fernrohr mit den direkten Messungen auf dem Mond restlos übereinstimmen! Lunochod 2 hat damit der erdgebundenen Mondbeobachtung völlig neue phantastische Möglichkeiten eröffnet. Sowjetische Wissenschaftler können nunmehr von der Erde aus (!) die chemische Zusammensetzung des Regoliths an jeder beliebigen Stelle der sichtbaren Mondvorderseite bestimmen, ohne daß man für diesen Zweck extra einen eigenen Raumflugkörper zum Mond starten muß.

4. Mondtag: An der geraden Spalte

Der 4. Mondtag für Lunochod 2 begann am 8. und 9. April mit Forschungen im Gebiet der runden Bucht. Das Fahrzeug entdeckte hier 12 bis 170 geneigte Hänge mit terrassenförmigen Gebilden in der Länge von mehr als 100 m. Am 10., 11. und 12. April fuhr das Mondmobil die restlichen 2,5 km bis zum Westufer des tektonischen Grabenbruchs, der sogenannten Geraden Spalte, dem interessantesten Studienobjekt in der gesamten bisherigen Geschichte der Mondforschung.

Die Gerade Spalte ist vermutlich durch aktive innere geologische Prozesse (z. B. Verlagerungen der Mondrinde) in der postmaritimen Entwicklungsgeschichte des Mondes entstanden, als der Krater Le Monnier bereits mit Basaltlava aufgefüllt war. Ebenso gut kann sie aber auch die Neubildung eines älteren tektonischen Bruchs sein, dessen Ausläufer man heute noch durch das Festlandgebiet der Taurus-Berge bis weit über die Grenzen des Kraters Le Monnier hinaus verfolgen kann. Ähnliche alte tektonische Brüche gibt es auch auf der Erde: Hier sind sie allerdings infolge der intensiven Erosion bereits stark verwittert. Auf dem Mond dagegen haben sie sich all die Milliarden Jahre hindurch nicht wesentlich verändert und erlauben einen Blick auf das Vertikalprofil der äußersten Gesteinsschichten.

Am West- und Ostufer der Geraden Spalte gibt es jeweils eine 30 bis 40 m breite und leicht abfallende Zone mit einseitig intensiv zum Grabenbruch hin verlagertem Mondmaterial. An der Grabenkante selbst entdeckte Lunochod 2 eine regelrechte Steinwüste. Hier liegen Geröllmassen und riesige Steinverschüttungen mit großen Gesteinsbrocken von über 1 m bis 3 m Durchmesser aus felsigem Untergrundmaterial. Sie sind nicht mit Regolith bedeckt und bilden entlang der Grabenbruchkante einen chaotischen Steinwall.

Dahinter fallen die Seitenwände der Geraden Spalte unter einem Neigungswinkel von 30 bis 35 Grad zum Boden hin ab, und auch sie sind mit Geröllmassen und vereinzelien großen Felsblöcken übersät. Je mehr sich Lunochod 2 am Westufer der Geröllzone näherte, desto geringer wurde die Dicke der Regolithschicht. Am Rand der Steinwüste ist praktisch überhaupt kein Regolith mehr vorhanden: Hier fuhr das Fahrzeug stellenweise einige Dutzend Meter weit unmittelbar auf blankem felsigen Ur- bzw. Muttergestein des Mondes.

Laut Missionsprogramm sollte Lunochod 2 bis unmittelbar an den Rand der Geraden Spalte heranfahren, aber leider war das wegen der Geröllmassen und Steinverschüttungen nicht möglich. Trotz mehrmaliger Versuche fand man in der Steinmauer keine geeignete Durchfahrtöffnung, und selbst eine mehr als 3 km lange Fahrt in südlicher Richtung konnte daran nichts ändern.

Deshalb sollte das Mondmobil die Zufahrt zum Rand vom Ostufer her versuchen, wo man weniger Geröllanhäufungen vermutete. Am 17. April umfuhr Lunochod 2 das Südende der Geraden Spalte und erreichte den Ostrand, aber auch hier machten Geröll- und riesige Steinverschüttungen die Zufahrt zum Grabenrand unmöglich. Am 18. und 19. April rollte das Fahrzeug in nördlicher Richtung zu einer dem Zufahrtspunkt am Westufer genau gegenüberliegenden Stelle. Es folgten bis zu Beginn der 4. Mondnacht am 23. April TV- und Panoramaaufnahmen vom oberen Teil der gegenüberliegenden Wand. Der Boden der Geraden Spalte blieb jedoch unsichtbar. Lunochod 2 stellte fest, daß sich das Ostufer des Grabenbruchs vom Westufer überhaupt nicht unterscheidet.

Zusätzlich zu den mechanischen, chemischen und optischen Eigenschaften untersuchte Lunochod 2 auch die magnetischen Eigenschaften der Mondoberfläche. Für diesen Zweck hatte das Fahrzeug ein kleines, kreuzförmiges Magnetometer-Gerät am oberen Ende einer ca. 1,2 m langen gebogenen Auslegerstange. Diese ist an der rechten Vorderseite des Mondmoblis unter der Nadelstrahlantenne montiert und in Fahrtrichtung ausgestreckt. Dabei projizierte sie einen langen, dünnen, gewundenen Schatten auf die Mondoberfläche, der auf den TV-Bildern aussah wie eine vor dem Fahrzeug herkriechende Schlange. Sowjetische Wissenschaftler gaben deshalb dem Magnetometer von Lunochod 2 die Bezeichnung Kobra.

Das Gerät war die gesamte Missionszeit hindurch pausenlos im Einsatz, sowohl im Stand als auch während der Fahrt. Auf diese Weise konnte man feststellen, wie sich die magnetischen Eigenschaften des Mondbodens entlang der Fahrstrecke veränderten.

Obwohl der Mond zur Zeit kein merkliches allgemeines Magnetfeld hat, existieren auf seiner Oberfläche einzelne lokal begrenzte Magnetfeld-Konzentrationen, sogenannte Magkons (Magnetized Concentrations). Sie wurden erst vor wenigen Jahren im Rahmen der bemannten Mondlandungen der USA entdeckt. Die Natur und Entstehungsart dieser Magkons ist heute noch völlig unklar. Einer Hypothese zufolge sollen sie ein Restmagnetismus eines ehemals flüssigen eisenhaltigen Mondkerns sein, der dann später erstarrte. Einer anderen Vermutung zufolge stammen die Magkons von in den Mond eingeschlagenen Meteoriten, speziell von Eisenmeteoriten.

Namentlich diese Hypothese sollte Lunochod 2 erstmals in der Praxis überprüfen. Zu diesem Zweck suchte das Fahrzeug vorwiegend in der Nähe relativ junger großer Meteorkrater nach lokalen Magnetfeldern. Wie die zur Erde gefunkten Magnetogramme zeigen, gibt es bei derartigen Kratern tatsächlich stärkere lokale Magnetfelder als an anderen Stellen der Mondoberfläche.

Die Magnetmetermessungen von Lunochod 2 lieferten jedoch nicht nur Angaben über die lokalen Magnetfelder an der Oberfläche, sondern indirekt auch über das Mondinnere bis in eine Tiefe von einigen hundert km. Bekanntich wird ja der Mond ständig vom Sonnenwind umstrahlt, der ein interplanetares Magnetfeld erzeugt. Die Intensität des Sonnenwindes hängt von der Sonnenaktivität ab. Bei erhöhter Aktivität der Sonne steigt die Feldspannung des interplanetaren Magnetfeldes, und im Mondinneren entstehen in diesem Fall bestimmte Induktionsprozesse, sogenannte elektrische WirbeIströme. Das heißt: Der Mond wird für eine Zeitlang zu einem einzigen riesigen Dauermagneten. Dadurch ändert sich die Stärke der lokalen Magnetfelder an der Mondoberfläche. Ihre Intensität hängt also von der Sonnenaktivität ab. Tatsächlich konnte Lunochod 2 an einzelnen Magkons solche Veränderungen beobachten.

Zur selben Zeit erforschte der sowjetische Sonnenbeobachtungssatellit Prognos 3 (siehe auch FR 6/73, Seite 18) mit einem bordeigenen Magnetometer die Intensität des Sonnenwindes bzw. interplanetaren Magnetfeldes zwischen Erde und Mond. Bei einem Vergleich der Meßdaten von Lunochod 2 und Prognos 3 kann man die elektrische Leitfähigkeit des Mondmaterials bestimmen und daraus auf die innere Mondstruktur schließen, z. B. welche Gesteine es im Mondinneren gibt, weiche chemische Zusammensetzung sie haben und wie tief sie lagern.

In 5 Mondtagen 37 km zurückgelegt

Der 5. und letzte Mondtag für Lunochod 2 begann am 9. Mai mit einer Fahrt nach Nordost in Richtung auf das Entfernte Kap, einem Ausläufer des Taurus-Vorgebirges. Rund 800 m vom Rand der Geraden Spalte entfernt stellte das Mondmobil seine Fahrt für immer ein. Insgesamt hat es 37 km über schwieriges Gelände zurückgelegt, etwa dreieinhalb mal mehr als Lunochod 1 mit 10,5 km in fast elf Monaten. Dabei untersuchte Lunochod 2 entlang der gesamten Fahrstrecke einen etwa 150 m breiten Geländestreifen, das sind mehr als 5500000 qm Mondoberfläche gegenüber 1580000 qm beim ersten Mondmobil.

In den fünf Mondtagen haben die drei TV-Kameras über 80000 Fernsehbilder und die vier Telefotometer 86 Rundsicht-Panoramaaufnahmen zur Erde gefunkt, darunter Stereofotos von der Luna 21-Landestufe, Kratern, Geröllhalden, Felsbrocken und den Abhängen der Geraden Spalte. Sie vermittelten den Wissenschaftlern ein genaues geologisch-morphologisches und topographisches Bild vom Krater Le Monnier und dem Taurps-Vorgebirge. Außerdem vermittelte Lunochod 2 in 61 Funkverbindungen Millionen Daten - u. a. über die physikalisch-mechanischen, chemischen, optischen sowie magnetischen Eigenschaften der Mondoberfläche - und hat damit sein Missionsprogramm restlos erfüllt.

Laserortung von Frankreich, USA und der UdSSR aus

Nach Abschluß der aktiven Forschungsarbeit Ende Mai 1973 begann für Lunochod 2 das insgesamt siebte wissenschaftliche Experiment: die Laserortung des Mondes. Sie wurde in einem internationalen Gemeinschaftsprojekt von der UdSSR und Frankreich durchgeführt - unter

Mitwirkung eines sowjetischen Observatoriums und des französischen Observatoriums am Pic de Midi in den Pyrenäen.

Von hier aus hatte man bereits im Januar 1973 erste Laserortungen von Lunochod 2 vorgenommen, und zwar gemeinsam mit dem ebenfalls eingeladenen amerikanischen McDonald-Observatorium. Regelmäßige Entfernungsmessungen begannen allerdings erst im Juni 1973 mit dem 2,6-Meter-Spiegelteleskop des Astrophysikalischen Observatoriums auf der Krim. Sie dauerten mehr als ein halbes Jahr lang bis Anfang 1974.

Pro Monat fanden zwei bis vier Messungen statt. Jede Messung beinhaltet eine Serie von einigen hundert Laserimpulsen, die von einem Rubin-Laser im Brennpunkt des Teleskops erzeugt werden. Es handelt sich dabei um starke Laserimpulse mit einem sehr geringen Winkeldurchmesser und je etwa 10 -8 sec Dauer. Sie verlassen im Intervall von 3 sec das Teleskop und erreichen etwa 1 sec später den Mond im Krater Le Monnier. Hier treffen die Laserimpulse die Spiegeloberfläche des passiven Laser-Winkelreflektors TL 2 von Lunochod 2 von dem f ranzösischen Unternehmen Aérospatiale.

Arbeitsprinzip und Material gleichen dem Laserreflektor von Apollo 11 und Lunochod 1, doch sind einige Bauteile verbessert worden. Die Spiegeloberfläche reflektiert die auftreffenden Laserimpulse wieder zur Erde ins Astrophysikalische Observatorium auf der Krim zurück. Hier werden sie empfangen, und ihre Laufzeit auf der Strecke. Erde-Mond-Erde wird bis auf 10 -8 sec genau gemessen. Für den Weg zum Mond und zurück benötigt das Signal etwa 2 1/2 sec, wobei es sich auf das 10 -19 bis 10 -20fache seiner Ausgangsintensität abschwächt.

Aus Laufzeit und Lichtgeschwindigkeit kann man die Entfernung zwischen der Impulsquelle auf der Erde und Lunochod 2 auf dem Mond bis auf 40 cm genau berechnen, und das bei einer Strecke von fast 400000 km! Dadurch kann z. B. die Umlaufbahn des Mondes um die Erde präzisiert oder die Wegner'sche Theorie der Kontinentaldrift untersucht werden.

Gegenüber seinem Vorgänger Lunochod 1 hatte Lunochod 2 insgesamt vier neue wissenschaftliche Geräte an Bord: eine dritte TV-Kamera, Lichtfilter in den Panoramakameras, Magnetometer und Astrofotometer. Neu war ferner ein kleines Gerät an der rechten Vorderseite des Fahrzeugs neben dem Antrieb der Nadelstrahlantenne: der Laserstrahl-Bildempfänger Rubin 1.

Mit seiner Hilfe führten die sowjetischen Wissenschaftler erste Versuche zur Positionsbestimmung von Mondflugkörpern mit Laserstrahlen durch. Zu diesem Zweck wurde das Gerät an den fünf Mondtagen mehrmals eingeschaltet und von der Erde aus mit Laser angepellt. Die Peilung erfolgte mit optischen Quantengeneratoren von verschiedenen Orten der UdSSR aus, darunter vom Hochgebirgsobservatorium des Staatlichen Astronomischen Instituts P. K. Sternberg im Trans-Ili-Alatau bei Alma-Ata.

Dazu richtete man zunächst das Teleskop auf den Südostteil des Kraters Le Monnier. Anschließend sandte man einen Rubin-Laserimpuls nach dem anderen mit einem Durchmesser von wenigen Winkelsekunden durch das optische System des Fernrohrs auf den Mond. Ein Spezialmechanismus bewegte dabei den Quantengenerator langsarn Stück für Stück in Form einer Spirale weiter. Auf diese Weise tasteten die einzelnen Laserimpulse den Krater Le Monnier spiralförmig Punkt für Punkt nach Lunochod 2 ab. Gleichzeitig damit fotografierte eine Kamera am Teleskopende den Krater Le Monnier und die Abstrahlrichtung der verschiedenen Laserimpulse. Letzteres erreichte man mit einem im Teleskoprohr montierten Winkelreflektor: Er wirft von jedem austretenden Laserimpuls einen kleinen Teil nach hinten ins Teleskop auf den Film. Trifft nun ein Laserimpuls auf dem Mond das Gerät Rubin 1, so wird die Lichtenergie sofort in elektrische Energie umgewandelt. Die Folge ist ein Funksignal von Lunochod 2. Es bestätigt der Erde den Empfang des Laserimpulses und anhand des Fotos vom Krater Le Monnier mit dem betreffenden Laserimpuls kann dann der Standort von Lunochod 2 optisch (!) bestimmt werden, und zwar mit bisher noch nie dagewesener Genauigkeit. Insgesamt haben in den fünf Mondtagen mehr als 4000 Laserimpulse den Laserstrahlempfänger Rubin 1 getroffen; es wurden 1500 optische bzw. fotografische Positionsbestimmungen des Mondmobils durchgeführt.

Staubatmosphäre umgibt den Mond

Ein weiteres neues, interessantes Gerät von Lunochod 2 war ein Astrofotometer für verschiedene Strahlungsmessungen. Es ist an der linken vorderen Seitenwand des Fahrzeuges in Höhe des Fahrzeugdaches montiert und wurde in langjähriger Arbeit von Wissenschaftlern des Astrophysikalischen Observatoriums auf der Krim entwickelt. Das Gerät ist ein Elektronenteleskop ohne Linsen mit zwei Kanälen für den Empfang von sichtbarem Licht und ultravioletter Strahlung.

Als Strahlungsempfänger dienen fotoelektrische Vervielfacher (SEV). Vor den Kanälen liegt eine spezielle drehbare Filterplatte, mit der man die empfangene Strahlungsintensität nach künstlichen vorgeeichten Lichtquellen bestimmen kann. Ein Lichtleiter schützt außerdem das Gerät vor Fremdlichtquellen.

Insgesamt führte Lunochod 2 mit dem Astrofotometer drei verschiedene wissenschaftliche Hauptaufgaben durch. Am Mondtag, in der Dämmerung und in der Mondnacht bestimmte es 1. die Heiligkeit des Mondhimmels und in der Mondnacht 2. die spektrale Lichtzusammensetzung unserer Galaxis, der sie umgebenden Sternfelder und des sternenarmen Polgebiets. Damit wollte man u. a. feststellen, ob in unserer Galaxis UV-Strahlungen vorkommen oder nicht. Zusätzlich untersuchte das Gerät die ultraviolette Strahlung der Erde. Am Mondtag bestimmte es das Leuchten des Zodiakallichts nahe der Sonne.

In den fünf Monaten der Lunochod 2-Mission wurde das Astrofotometer 14mal eingeschaltet. Dabei stellte man fest, daß der Mondhimmel im sichtbaren Licht sowohl am Tage als auch in der Dämmerung kurz nach Sonnenuntergang unerwartet hell ist -ca. 10 bis 15mal heller als angenommen. Die gleichzeitig gemessene UV-Strahlung ist dagegen gering. Sowjetische Wissenschaftler wollen dieses Phänomen in Zukunft noch weiter untersuchen. Es könnte u. a. beweisen, daß der Mond von einer Staubatmosphäre aus Millionen kleiner Staubteilchen umgeben ist, die das Sonnenlicht und das von der Erde reflektierte Sonnenlicht stark streuen.

In der Mondnacht ist die Staubhülle natürlich nicht von der Sonne beleuchtet, und der Mondhimmel ist ebenso dunkel wie der Nachthimmel der Erde - also dunkel genug für astronomische Beobachtungen von der Mondoberfläche aus im sichtbaren Licht. Am Mondtag und in der Dämmerung sind dagegen wegen der großen Helligkeit der Staubhülle keine visuellen Beobachtungen möglich. Anders sind die Verhältnisse bei Beobachtungen im ultravioletten Spektralbereich. Hier kann sowohl am Mondtag und in der Dämmerung als auch in der Mondnacht beobachtet werden.

Zehntes und letztes wissenschaftliches Gerät von Lunochod 2 war ein kleines Radiometer mit Halbleiter-Dedektoren und Zählrohren. Es untersuchte jeweils am Mondtag die kosmische Teilchenstrahlung der Sonne (Protonen- und Alphastrahlung) und der Galaxis. Zur Messung der Sonnenstrahlung verwendete man außerdem das Gerät RIFMA-M, und zwar untersuchte ein Verhältniszähler das Energie- und Zeitspektrum der Röntgenstrahlung.

Die Leitung der Lunochod 2-Mission hatte eine operative Steuerungsgruppe auf der Erde, bestehend aus Geologen, Mineralogen, Astrophysikern, Astronomen, Ingenieuren, Konstrukteuren und einer fünfköpfigen Besatzung. Ein ähnliches Team wird in wenigen Jahren das erste "Marsochod"-Räderfahrzeug über die Oberfläche des äußeren Erdnachbarplaneten Mars steuern.

Rudolf Hofstätter


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