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Bimbes für Netzpolitik

Urs Fähndrich ist für vier Wochen Internet-Kanzler

Matthias Wentland

Mit Meinungsfreudigkeit zur politischen Karriere? Die Spielregeln des jungen politischen Tummelplatzes im Internet, "democracy online today" - kurz dol2day -, sehen es so vor. Gewinner in diesem Monat ist der neue Internet-Kanzler Urs Fähndrich von den Liberalen. Er wurde von den Mitgliedern von dol2day gewählt. Die politische Plattform startete im Mai, und bereits jetzt haben sich über 4500 Mitglieder dort registriert, die an der Wahl des Kanzlers teilnehmen konnten.

Wer sich bei dol2day anmeldet, muss einen Spitznamen wählen und einige persönlicher Daten preisgeben. Anschließend wird den Neuankömmlingen nahe gelegt, sich einer der Parteien anzuschließen. Fällt keine Entscheidung für eine der Organisationen, werden Neulinge automatisch der größten Fraktion der dol2day-Community, dem Volk, zugerechnet. Bislang gleicht die Parteienlandschaft von dol2day der des Bundestags. Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokraten und Sozialisten geben sich auch hier ein Stelldichein; demnächst soll auch noch eine rechte Partei dazukommen. Über die Anlehnung an Namen und Farbgebung der politischen Pendants, etwa "Grüne im Internet" in Grün und Weiß, bietet sich die gewohnte Orientierung.

Die politische Arbeit besteht bei dol2day darin, die eigene Meinung zu vertreten. Umfragen und Diskussionen laden dazu ein. Dabei reichen die Themen von der Frage, wer die beste Tiefkühlpizza macht, bis zum Problem, wie sich Rechtsradikalismus bekämpfen lässt.

Für die Beteiligung gibt es "Bimbes". So heißt die allgemeine Währung, mit deren Hilfe politisch Ambitionierte auf der dol2day-Karriereleiter nach oben klettern können. Wenig Bimbes gibt es für die passive Anwesenheit, mehr für Diskussionsbeiträge und gleich einen ganzen Batzen für eine neue Meinungsumfrage. Raffinesse gewinnt das Spiel durch zwei weitere Möglichkeiten. So wird die Zustimmung anderer zu eigenen Stellungnahmen positiv gewertet, und als Multiplikator funktioniert die Anzahl der Spieler, die einem Aspiranten das Vertrauen ausgesprochen haben. Wer auf diese Weise genug Punkte sammelt, kann sich schließlich von seiner Partei zur Wahl des Internet-Kanzlers aufstellen lassen.

Der erste Eindruck gemahnt an eine Satire einer politischen Szenerie, in der die Kandidaten beim Tingeln durch die Talkshows wenig Wert auf Inhalte legen, sondern mehr die Präsenz auf den Bildschirmen im Auge haben. Eine Satire haben die Macher jedoch nicht im Sinn. Im Gegenteil, dem realen Kalkül, dass die Sympathie für die Kandidaten eine große Rolle spielt, soll mit Stellungnahmen zu allen Lebensbereichen Rechnung getragen werden.

Die Meinungen über dol2day driften weit auseinander. "Drolliger Spielkram" urteilte ein Surfer nach einer Stippvisite auf der Website. Das sieht der neue Kanzler ganz anders. Der unter dem Pseudonym Reto antretende Oberschüler betont noch in voller Wahlkampf-Emphase: "Es ist eine einzigartige Diskussionsplattform."

Wer Erfahrung mit Mailing-Listen und Usenet-Foren hat, wird schnell den Eindruck gewinnen, dass dol2day mit einzigartiger Umständlichkeit den Meinungsaustausch eher behindert. So sind regelrechte Diskussionen rar gesät, stattdessen sammeln sich auf den entsprechenden Seiten mehr oder weniger zusammenhanglose Statements zu den einzelnen Themen.

Democracy Online Today:

www.dol2day.de