Der Weg
in die Freiheit
„Ich führte sie durch die
Wälder meistens in der Nacht. Buben als Mädchen und
Mädchen
als Buben gekleidet; zu Fuß auf dem Pferd, in Wage, versteckt
unter Heu, alten Möbeln,
in Schachteln, auf Booten, Flossen oder Baumstämmen“
Seit den ersten Tagen, an denen
gefangene
Afrikaner als Sklaven nach Nordamerika gebracht worden waren, weigerten
sich
mutige Männer und Frauen, Schläge, Vergewaltigung,
Ungerechtigkeit und
Zwangsarbeit zu akzeptieren. Viele von ihnen flohen in die tiefen
Wälder, von
denen die Farmen der Siedler umgeben waren. Allein zwischen 1732 und
1790
wurden 7846 entflohene Sklaven mit Steckbriefen gesucht,
das ist wahrscheinlich
nur ein kleiner Prozentsatz der Geflüchteten.
Die Sklavenbesitzer versuchten
mit allen
Mitteln die Flucht zu verhindern. Sie verboten Sklaven das Lesen oder
über die
Geographie des Landes zu lernen. Sie verbreiteten Gerüchte, dass
die
eingeborenen Indianer Afrikaner essen würden und erzählten
ihnen, dass Flüsse
wie der Ohio Tausende Meilen breit und nicht zu überqueren
wären. Gefangene Sklaven wurden
grausam bestraft. Ihre Füße wurden abgehackt und auf Gesicht
oder Händen wurde
ihnen der Buchstabe „R“ (für runaway) tätowiert. Gefangene
Sklaven wurden als
Strafe weit weg verkauft, damit sie ihr Wissen nicht weitergeben
konnten.
Kurzum, eine Flucht war extrem
gefährlich
und das
Überleben nach einer Flucht bitter hart. Die Sklaven besaßen
fast nichts und
befanden sich in einer feindlichen Umwelt. Manche Sklaven kehrten sogar
nach
einer Zeit in den Wäldern wieder zurück zu ihren Besitzern.
Doch viele fanden
den Weg in die legendären „Maroon“ Gemeinden, die von entflohenen
Sklaven in
den Bergen und Sümpfen gegründet worden waren, andere
siedelten sich ständig in
Indianerdörfern an. Andere flüchteten über die Grenze in
das von Seminolen
kontrollierte Florida, auf die Bahamas, nach Mexiko oder Kanada. Es gab
auch
bewaffnete Aufstände, wie die Massenflucht 1856 in Texas, wo 200
Sklaven flohen
und bei der mexikanischen Bevölkerung Unterstützung fanden.
Die „Underground Railroad“ (Untergrund-Eisenbahn)
Da die Sklavenbesitzer der
herrschenden
Klasse der USA angehörten, wurden auch die Gesetze für sie
geschrieben. Jede
Hilfe zur Flucht wurde streng bestraft. Die Existenz dieser Gesetze
zeigt aber,
dass die Sklaven von Anfang an bei ihrer Flucht Unterstützung
bekommen hatten.
Mit der Zeit hatte sich ein illegales, organisiertes Netzwerk gebildet
um den
Sklaven bei der Flucht zu helfen. Es wurde die „Underground Railroad“
genannt.
Das Rückgrad
dieser Bewegung waren die Sklaven selbst, die ihren Kampf um Freiheit
nie
aufgaben und an die Türen von befreiten Schwarzen oder
weißen Sklavereigegnern
klopften. Daraus bildete sich eine Gruppe entschlossener Kämpfer,
die ihr Leben
der Sklavenbefreiung widmeten. Zwei entflohene Sklaven, Elizah Anderson
und
John Mason, halfen dabei über 2000 Sklaven zu retten. Mason wurde
gefangen und
wieder in die Sklaverei verkauft, doch er floh wieder um seine Arbeit
fortzusetzen.
Die kleinen, bitter armen
Gemeinden der
befreiten Schwarzen bildeten die Basis für die Underground
Railroad. Und mit
der Zeit bekam dieses Netzwerk immer mehr Unterstützung von den
radikalen
Gegnern der Sklaverei unter den Weißen. Unter ihnen gab es
verschiedene
politische Ansichten. Manche glaubten, die Sklavenbesitzer durch
moralische
Überredung oder durch das Angebot von Geldbeträgen zur
Freilassung der Sklaven
bewegen zu können. Doch ein anderer Teil von ihnen war von der
Notwendigkeit
von konkreten Handlungen überzeugt. Und diese weißen
Unterstützer spielten eine
unersetzliche Rolle in der Bewegung, da sich weiße Menschen viel
freier bewegen
konnten und meist auch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung
hatten. In vielen
Teilen der USA arbeiteten weiße AktivistInnen eng mit den
schwarzen Gemeinden
zusammen. In North Elba, New York z.B. verbündete sich die Familie
von John
Brown, einem Wollhändler, mit einer schwarzen Gemeinde namens
Timbuktu.
Gemeinsam halfen sie den Sklaven über die Berge nach Kanada zu
fliehen.
In der Bewegung gab es
verschiedene
Aufgaben, manche waren Kundschafter und Führer, die Kontakt mit
den Sklaven
hielten. Sie stellten Verkleidung, Landkarten und Informationen zur
Verfügung
und begleiteten sie oft persönlich auf der Flucht. Andere
AktivistInnen
betreuten die „Bahnhöfe“, wo sich die Flüchtenden verstecken
und ausruhen
konnten und mit Essen und Medizin versorgt wurden. Die Quäker
Familie von Levi
und Catherine Coffin in Newport, Indiana war ein herausragendes
Beispiel dieser
frühen „Bahnhofsvorsteher“. Levi Coffin war ein Bankier, der ein
großes geräumiges
Haus besaß, das zum Grand Central, zum Hauptbahnhof der
„Railroad“ wurde. In
20 Jahren wurden dort 2000 Menschen mit Unterkunft, Essen, Medizin
und Kleidung
versorgt.
Im frühen 19. Jahrhundert
war die
Antisklaverei-Bewegung noch sehr klein, sie fand
ihren Rückhalt vor allem in den kleinen
Gemeinden von freien Schwarzen und bei den pazifistischen Quäkern.
In diesen
Tagen war es sehr gefährlich, Sklaven zu helfen. Sklaven wurden
als Besitz
betrachtet und wer ihnen half, wurde wie ein Pferdedieb behandelt und
bestraft.
Die Häuser der AktivistInnen wurden angezündet, viele wurden
ins Gefängnis
gesteckt oder von Sklavenbesitzern erschossen. Unter diesen Bedingungen
musste
die „Underground Railroad“ Bewegung geheim handeln und sich
schützen. Die
Beteiligten wurden nur mit Spitznamen angeredet. Die Organisatoren
wurden als „Schaffner“
bezeichnet, die Sklaven als „Passagiere“ oder „Gepäck“ und die
sicheren Häuser
„Bahnhöfe“,
die Hauptquartiere hießen „Hauptbahnhof“, die Fluchtrouten
„Schienen“. Die
Nordstaaten und Kanada waren „das Ziel“. Frauen nähten Quilts[1]
mit heimlichen Wegweisern und Zeichen, die sie auf Wäscheleinen
hängten, damit
die Sklaven den richtigen Weg fanden. Auch die Lieder der Schwarzen
enthielten
Codes, so wurden die Sklavenbesitzer als
„Pharao“, der Ohio-Fluss als „Jordan“ und Kanada
als das „gelobte Land“ bezeichnet.
Ein
Sturm braut sich zusammen
Im Laufe des 19. Jahrhunderts
änderte sich
die Situation der Sklaven. Große Baumwollplantagen entstanden in
Alabama und
Mississippi um den Bedarf für die sich entwickelnden
kapitalistischen
Textilfabriken in England und Neuengland zu decken. Zwischen 1790 und
1860 ist
die Zahl der Sklaven von einer halben Million auf vier Millionen
angestiegen.
Und ihre Bedingungen verschlechterten sich dramatisch.
Viele wurden von den
kleinen Familienfarmen verkauft an Baumwoll- und Zuckerplantagen, wo
sie sich
oft zu Tode arbeiten mussten. Der Apparat zur Unterdrückung der
Sklaven wurde
vergrößert. Die Sklavenbesitzer bezahlten Privatarmeen um
die Sklaven zu bewachen.
Durch die Ausbreitung der Siedlungen und die Zurückdrängung
der Indianer gab es
kaum mehr sichere Plätze, wohin die Sklaven fliehen konnten. Die
„Underground
Railroad“ wurde mehr gebraucht als je zuvor. Zur selben Zeit fand aber
auch die
Antisklaverei immer mehr Anhänger und Sympathisanten.
Universitäten wie Antioch und Oberlin
wurden Zentren des Widerstands gegen die Sklaverei und radikale
Zeitungen wie
William Lloyd Garrison’s „Liberator“ und Frederick Douglass’ „Northern
Star“ wurden auf den Straßen verkauft. Und obwohl die
Bewegung noch immer
illegal war und verfolgt wurde, hatte die Railroad-Bewegung immer mehr
Einfluss
auf die öffentliche Meinung. Nach Schätzungen verhalf sie pro
Jahr 1000 Sklaven
zur Flucht nach Kanada.
Ein
Frau, die Moses genannt wurde
Eine der herausragendsten
Figuren in der
Geschichte der „Underground Railroad“ war die Kundschafterin Harriet
Tubman.
Sie wurde als Sklavin in Maryland geboren. Als Landarbeiterin lernte
sie, Holz zu fällen, Stämme zu spalten, sich lautlos durch
den Wald zu bewegen
und wie man Nahrung und Medizin unter Pflanzen, Wurzeln und
Kräutern findet -
Dinge die später auf ihren neunzehn Fahrten in den Süden und
zurück
lebenswichtig waren. Sie ließ ihren Ehemann
und ihre Brüder zurück, die
nicht wagten, mit ihr zu fliehen, und ging den Weg in die Freiheit
allein. Sie
kam an nach ihren Worten „als Fremde in ein fremdes Land“. Sofort
schloss sie
sich der „Underground Railroad“-Bewegung an und verhalf Hunderten
Männern, Frauen
und Kindern zu fliehen. Sie kannte Pflanzen, um schreiende
Säuglinge zu
beruhigen und trug immer eine geladene Pistole bei sich - für die
Feinde aber
auch um die Disziplin zu wahren. Harriet behauptete stolz „Ich habe
niemals
einen einzigen Passagier verloren!“ Die Sklavenbesitzer boten 40.000 $
für ihre
Ergreifung - lebendig oder tot. Sklaven waren manchmal enttäuscht,
wenn sie ihr
begegneten, da sie sehr klein war und unauffällig aussah, aber das
war für ihre
Arbeit nur von Vorteil. Frederick Douglass ehrte Harriet mit den
Worten:
„Das meiste, was ich getan
habe, war in der Öffentlichkeit, und ich habe viel Ermutigung
bekommen. Aber
was du getan hast, wurde nur von den zitternden und ängstlichen
Sklaven
gesehen. Die Sterne am nächtlichen Himmel waren die Zeugen deiner
Freiheitsliebe
und deines Heldenmutes.“
Offener
Widerstand
1850 führte der US
Kongress einen tödlichen
Angriff auf die Anti-Sklaverei Bewegung und die befreiten Schwarzen
aus: das
neue Flüchtlingsgesetz. Dieses Gesetz befahl den Bürgern und
den Behörden,
entflohene Sklaven einzufangen und zurück zu bringen. Dieses
Gesetz galt sogar
in den Nordstaaten, wo die Sklaverei verboten war. Die Schwarzen hatten
dabei
keine Möglichkeit Einspruch zu erheben. Das ermöglichte
Sklavenjägern sogar
freie Schwarze in den Nordstaaten zu fangen und in die Sklaverei zu
verkaufen.
Das versprach große Profite und es entwickelte sich ein neuer
Sklavenhandel.
Die Schwarzen verstanden die Gefahr, in Pittsburgh waren alle schwarzen
Kellner
buchstäblich über Nacht verschwunden.
Doch die Bewegung antwortete
mit neuen
mutigen Strategien. In vielen Städten wurden militante
Organisationen
gebildet, um sich gegen die Sklavenjäger zu wehren. Und die
Bewegung gewann
immer mehr Anhänger, die geschockt waren zu sehen, wie schwarze
Menschen auf
der Straße gefangen und in die Sklaverei verkauft wurden. In
Troy, N.Y.,
leitete Harriet Tubman persönlich eine militante Aktion, an der
Tausende
schwarze und weiße Menschen beteiligt waren, um den entflohenen
Sklaven Charles
Nalle aus einem Gerichtsgebäude zu befreien. Und in Boston waren
22
Militäreinheiten notwenig, um Anthony Burns zurück in die
Sklaverei zu bringen.
Viele begannen über
radikale Lösungen
nachzudenken. Ein Bostoner Aktivist, der Pfarrer Higginson, der beim
Kampf zur
Befreiung von Anthony Burns verwundet wurde, sagte: „So wie ich
erzogen
worden war, war wohl so eine Erfahrung nötig, um den Geist zu
einer revolutionären
Haltung zu erziehen“. Nach seinen Worten war es für ihn„ein
befremdenden
Gefühl, plötzlich außerhalb der Institutionen zu stehen“,
sich verstecken
und seine Absichten verbergen zu müssen und „zu erkennen, dass
Gesetz und
Ordnung, Polizei und Militär auf der falschen Seite stehen, zu
sehen dass ein
guter Bürger sein schlecht und eine schlechter Bürger zu sein
eine Pflicht war“.
Unter manchen Gegnern der
Sklaverei entstand
die Diskussion, einen bewaffneten Krieg gegen die Sklaverei zu
führen. John
Brown z.B. hatte die Idee, eine Guerrilla Armee bestehend aus Sklaven
in den
südlichen Appalachen zu etablieren. Diese
sollten dann zu den Plantagen strömen um die
Sklaven dort zu befreien und in die Armee aufzunehmen. Seiner Ansicht
nach
würde der „Underground Rail“ dann in beide Richtungen fahren, um
die Armee mit
Nachschub zu versorgen. Brown und seine Unterstützer studierten
die
erfolgreiche Sklavenrevolution in Haiti und den
spanischen Guerrillakrieg
gegen Napoleon. Harriet Tubman unterstützte seinen Plan mit
Enthusiasmus. Im
Jänner 1858 hatte John Brown eine ausgedehnte Unterredung mit
Frederick
Douglass, in der eine Verfassung für einen befreiten Staat
für Schwarze
geschrieben wurde. Doch John Brown und 22 seiner Mitstreiter wurden
1859 von
der Armee gefangen, als sie ein Waffenlager überfielen. Brown
wurde wegen
Landesverrats zum Tod durch Hängen verurteilt und hingerichtet.
[1] Steppdecke
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veröffentlicht in TALK TOGETHER NR. 6, November/Dezember 2003