Leben in Plagwitz

- Ein Forschungsprojekt am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, 2002-

           



Inhalt der Studie



Kontakt: Dr. Jörg Rössel, Michael Hölscher, M.A.

Wir danken der Jungen Akademie für die finanzielle Unterstützung der Umfrageauswertung !













Im Rahmen eines Forschungsseminars wurde in den Monaten Mai und Juni des Jahres 2002 eine Befragung im Stadtteil Plagwitz durchgeführt. Dabei wurden in zwei Quartieren des Stadtteils 1000 Haushalte angeschrieben und um eine Teilnahme an der Befragung gebeten. Es wurden einerseits Haushalte im Wohngebiet westlich der Zschocherschen Straße zwischen Karl-Heine-Kanal und Karl-Heine-Straße ausgewählt (wir nennen dieses Gebiet kurz einfach Karl-Heine-Kanal) und andererseits Haushalte östlich der Erich-Zeigner-Allee zwischen dem alten Rathaus Plagwitz und der weißen Elster (wir nennen dieses Gebiet einfach Weiße Elster - zu den beiden Quartieren siehe weiter hinten, Poster 6). Letztlich haben wir 372 ausgefüllte Fragebögen erhalten, die wir auswerten konnten. Allen Teilnehmern an der Befragung möchten wir für ihr Engagement und ihre Bereitschaft zum Ausfüllen eines relativ ausführlichen Fragebogens herzlich danken. Ohne Sie wäre uns die erfolgreiche Durchführung dieses Forschungsprojektes nicht gelungen!

In der öffentlichen Diskussion in Leipzig wird der Stadtteil Plagwitz aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachtet:

  • Anfang der neunziger Jahre sind in Plagwitz mehr als 20.000 Arbeitsplätze verloren gegangen, der Stadtteil hat eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote, eine relativ hohe Sozialhilfeempfängerquote und einen deutlichen Einwohnerverlust zu verzeichnen. Handelt es sich also um einen benachteiligten Stadtteil mit vielen sozialen Problemen?

  • Der Stadtteil Plagwitz und seine Umgebung wird in Leipzig aber auch als Standort für eine Vielzahl von interessanten kulturellen und sozialen Projekten und Einrichtungen wahrgenommen. Haben wir es hier mit einem besonderen Kreativitätspotential in diesem Stadtteil zu tun?

Wir sind also nicht mit einer vorgefassten Meinung in den Stadtteil gekommen, sondern wir haben versucht, möglichst offen die Situation in diesem Stadtteil zu erfassen.



Wer wurde befragt ?

In der Umfrage ist es gelungen, die verschiedenen Gruppen der Bevölkerung von Plagwitz in angemessener Weise zu berücksichtigen.

  • Von den Befragten sind 56,3 % Frauen und 43,7 % Männer.
  • Auch die verschiedenen Altersgruppen - außer Kindern und Jugendlichen - sind vertreten: 30,1 % der Befragten sind bis 30 Jahre alt, 46,5 % sind zwischen 30 und 60 Jahren alt und 23,4 % schließlich sind über 60 Jahre alt.
  • In der Umfrage konnten auch alle Bildungsgruppen erreicht werden. Die Hochschulabsolventen sind allerdings mit 26,0 % etwas überrepräsentiert.
  • Hinsichtlich des Erwerbsstatus wurden auch alle wesentlichen Gruppen mit einbezogen.
  • In den beiden ausgesuchten Gebieten wurden unterschiedlich viele Personen befragt. 56 % der Befragten wohnen im Gebiet "Weiße Elster" während nur 44 % im Gebiet "Karl-Heine-Kanal" wohnen.
Eine weitere interessante Frage ist, wann die Einwohner von Plagwitz dorthin gezogen sind: Es zeigt sich, dass nur wenige heutige Bewohner von Plagwitz schon vor 1989 dort gewohnt haben. Dagegen ist über die Hälfte der Befragten in den letzten vier Jahren dorthin gezogen.

Fehler


Fehler


Fehler



Schwierige Lebenslage in Plagwitz

Leben unter der Armutsgrenze?

Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, zu welchen Problemen die massiven Arbeitsplatzverluste in Plagwitz Anfang der neunziger Jahre geführt haben. Dazu schauen wir uns den Anteil der Befragten an, die ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze haben. Natürlich kann man darüber streiten, was Armut nun genau ist, und was man benötigt, um über der Armutsgrenze zu leben.
Wir nehmen hier als Grenze ein Pro-Kopf-Einkommen von 700 € an. Dies entspricht ungefähr der international üblichen Armutsdefinition für Ostdeutschland, liegt aber ein wenig darüber.
Unter dieser Grenze liegen in unserer Befragung insgesamt 32,4 % der befragten Personen, also ein ausgesprochen hoher Anteil.
Im Gebiet "Weiße Elster" liegt dieser Anteil nur bei 17,6%, dagegen im Gebiet "Karl Heine-Kanal" bei 52,8 %. Damit liegt im Gebiet "Karl-Heine Kanal" tatsächlich eine ausgesprochen hohe Konzentration von Personen mit einem relativ niedrigen Pro-Kopf-Einkommen vor.

Wer sind nun die Personen unter dieser Einkommensgrenze?
  • Über 50 % der Arbeitslosen liegen unter dieser Einkommensgrenze.
  • Über zwei Drittel aller Auszubildenden - vorwiegend Studenten - liegen unter dieser Grenze.
  • Über die Hälfte aller Alleinerziehenden liegen unter dieser Einkommensgrenze.
Was können sich die Befragten finanziell daher nicht leisten?

Es zeigt sich, dass die meisten Befragten und ihre Haushalte eine relativ gute Ausstattung aufweisen. Nur sehr wenige können sich ausreichend Spielzeug für die Kinder, frisches Obst und Gemüse oder auch einen Fernseher finanziell nicht leisten. Dagegen können sich schon erheblich mehr Befragte einen Computer, regelmäßig Fleisch zum Essen, ein Auto, einen Urlaub oder regelmäßig neue Kleidung finanziell nicht leisten. Erstaunlich gut sind allerdings die sozialen Kontakte der befragten einkommensschwachen Personen im Stadtteil.
Wir können also festhalten, dass es einen erheblichen Anteil von Personen mit niedrigem Einkommen in Plagwitz gibt - vor allem die Arbeitslosen, Alleinerziehenden und Studenten. Dies führt auch dazu, dass diese Personen aus finanziellen Gründen auf bestimmte Konsumgüter verzichten müssen.







Fehler
Ativitäten in Plagwitz

Wir sind in unserer Studie auch der Frage nachgegangen, wie stark die verschiedenen Einrichtungen in Plagwitz genutzt werden. Aus der Grafik wird deutlich, dass vor allem die Elsterpassage von praktisch allen Bewohnern des Stadtteils für den Einkauf genutzt wird und die Grünflächen von sehr vielen als Orte des Ausruhens und zum Spazieren betrachtet werden. Aber auch die kulturellen Einrichtungen in und um Plagwitz, die dem Leipziger Westen das Image einer kulturell lebendigen Gegend verschafft haben, werden überwiegend von einem Viertel bis hin zu einem Drittel der Befragten besucht. Diese Einrichtungen scheinen in der Bevölkerung von Plagwitz einen festen Platz gefunden zu haben.


Fehler
Was fehlt ?

Wir sind in unserer Studie auch der Frage nachgegangen, wie stark die verschiedenen Einrichtungen in Plagwitz genutzt werden. Aus der Grafik wird deutlich, dass vor allem die Elsterpassage von praktisch allen Bewohnern des Stadtteils für den Einkauf genutzt wird und die Grünflächen von sehr vielen als Orte des Ausruhens und zum Spazieren betrachtet werden. Aber auch die kulturellen Einrichtungen in und um Plagwitz, die dem Leipziger Westen das Image einer kulturell lebendigen Gegend verschafft haben, werden überwiegend von einem Viertel bis hin zu einem Drittel der Befragten besucht. Diese Einrichtungen scheinen in der Bevölkerung von Plagwitz einen festen Platz gefunden zu haben.


Zufriedenheit mit den Wohnbedingungen

Trotz der Wünsche nach Verbesserungen im Umfeld sind insgesamt fast 70% der Befragten zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit ihren Wohnbedingungen. Unzufrieden bzw. sehr unzufrieden sind zusammen nur 6,1%.


Umzugspläne?

Seit wann wohnen die Befragten in Plagwitz?

In den amtlichen Statistiken liegt der Stadtteil Plagwitz im oberen Drittel, was die Zahl der Wegzüge (auch schon vor der Wende 1989/90) angeht, und die Anzahl der leer stehenden Wohnungen (1997: 26%) ist dem entsprechend sehr hoch. Diese hohe Fluktuation in der Bevölkerung zeigt sich auch bei unseren Befragten: Weniger als ein Fünftel wohnte bereits vor 1990 in Plagwitz. Allerdings lassen die hohen Zuzüge in den letzten Jahren (immerhin 73,6 % der Befragten sind seit 1997 nach Plagwitz gezogen) hoffen.


Umzug geplant ?

Zwei Drittel der Plagwitzer haben auch nicht vor, den Stadtteil in nächster Zeit zu verlassen, was gut zu der hohen Zufriedenheit mit den Wohnbedingungen passt. Ein gutes Viertel der Befragten denkt allerdings über einen Umzug nach, 10% haben sogar schon konkrete Pläne.

Welche Gründe gibt es dafür ?

Uns hat interessiert, ob bei der Umzugsentscheidung auch Probleme im Stadtteil eine Rolle spielen. In der Grafik haben wir die zehn wichtigsten Gründe für einen möglichen Umzug aufgelistet. Es zeigt sich, dass vor allem persönliche Gründe eine Rolle spielen. Nur ein kleiner Teil der Befragten gibt eine Unzufriedenheit mit dem Stadtteil als Umzugsgrund an. Die mit Abstand wichtigsten Gründe sind dagegen die Suche nach einer schöneren oder billigeren Wohnung sowie berufliche Gründe.


Fehler






gentrification

Die zwei Quartiere

In unserer Studie sind wir davon ausgegangen, dass es unterhalb der Ebene des Stadtteils als Verwaltungseinheit große Unterschiede vor Ort geben kann. Wir haben daher für unsere Analysen zwei kleinere Gebiete (sogenannte Quartiere) innerhalb von Plagwitz ausgewählt, die man nun vergleichen kann.


Es handelt sich dabei einerseits um das Gebiet um die Nonnenstraße / Alte Straße bis hin zur Erich-Zeigner-Allee (kurz Weiße Elster), andererseits um das Gebiet zwischen Karl-Heine-Straße und -Kanal sowie der Zschocherschen Straße (kurz Karl-Heine-Kanal).
Aufteilung der Bevölkerng
Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Zeigen sich tatsächlich Unterschiede zwischen den beiden Quartieren? Dies soll exemplarisch an drei Fragen nach
  • der Entwicklung von Plagwitz in den letzten Jahren,
  • der Zufriedenheit mit dem Stadtteil als Ganzem und schließlich
  • der Zufriedenheit mit dem eigenen Quartier
untersucht werden.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass eine große Mehrheit der Befragten in beiden Quartieren der Überzeugung ist, dass die Entwicklung von Plagwitz in die richtige Richtung ging. Über die Hälfte schätzen die Veränderungen in den letzten Jahren als positiv ein, praktisch niemand sieht sie negativ. Vor allem im Gebiet Karl-Heine-Kanal finden sich aber einige Befragte, die die Entwicklung nicht so positiv sehen bzw. keine Veränderung feststellen konnten.


Wohlfühlen im Stadtteil

Wie zufrieden sind die Bewohner von Plagwitz aber nun mit ihrem Stadtteil? Die beiden folgenden Grafiken machen deutlich, dass mehr als 50 % der Befragten sich in Plagwitz wohlfühlen. Der Stadtteil wird also von einer Mehrheit als ein lebenswerter Ort wahrgenommen. Dabei gibt es auch keine großen Unterschiede zwischen den beiden Untersuchungsgebieten.

Wohlfühlen im Stadtteil
In ihrer Straße fühlen sich die Befragten im Gebiet Karl-Heine-Kanal allerdings sehr viel weniger wohl als die die Befragten im Gebiet Weiße Elster. Im Gebiet Karl-Heine-Kanal sagen nur 29,3 % der Befragten, dass sie sich in ihrer Straße wohlfühlen, dies sagen aber 79,3 % im Gebiet Weiße Elster. Hier gibt es also deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung der Lebensqualität des Stadtteils unter den Bewohnern von Plagwitz. Wohlfühlen in der Straße




Kern dieser Arbeit bildet eine quantitativ-standardisierte Befragung im August 2002, die sich direkt an die Einzelhändler in den beiden Untersuchungsgebieten Weiße Elster und Karl-Heine-Kanal richtete. Die Untersuchungsschwerpunkte bildeten dabei folgende Aspekte: das Sozialprofil und die Gründungsmotivation der Ladeninhaber, deren Beurteilung des Standortes Plagwitz sowie die individuellen Verkaufsstrategien und das von den Einzelhändlern wahrgenommene Kundenprofil. Von insgesamt 56 kontaktierten Geschäftsinhabern wurde die Ausfüllung von 32% (n = 17) komplett verweigert. Die folgenden Angaben beziehen sich ausschließlich auf die 39 Inhaber, die an der Untersuchung teilnahmen und beinhalten deswegen nur eine tendenzielle Aussagekraft.


Beruflicher Abschluss

Die mittleren Bildungsabschlüsse wie Lehre und Fachschule dominieren unter den Befragten deutlich. Eine Weiterqualifizierung zum Meister oder Techniker erfolgte in einem Viertel der Fälle, wohingegen nur sehr wenige Selbständige eine Hochschulausbildung vorweisen.
letzte berufliche Stellung Nur ein knappes Fünftel der Befragten war schon in der vorigen Tätigkeit selbständig, während über die Hälfte der Geschäftsgründer in ihrer letzten beruflichen Stellung Angestelltenstatus hatten. Die Gruppe derer, die bisher als Arbeiter tätig waren, ist nur in geringem Maße vertreten. Demnach ist zusammen mit der Kenntnis des Schul- und Bildungsabschlusses die Tendenz zu erkennen, dass sich die Selbstständigen vor allem aus der Mittelschicht rekrutieren.


Probleme und Mängel in Plagwitz

Trotz der positiven Zukunftsperspektiven, die mehrheitlich von den Selbständigen als Grund für eine Niederlassung in Plagwitz genannt wurden, stellt die sozial schwache Struktur des Stadtteils ein entscheidendes Problem dar, von dem die Geschäftsinhaber am stärksten betroffen sind.


Motive für die Niederlassung in Plagwitz

Bei der Wahl des Geschäftsstandortes spielten "harte" Faktoren (gute Infrastruktur bzw. günstige Ladenmiete) eine größere Rolle als persönliche "weiche" Argumente (Freundes- bzw. Bekanntenkreis). Trotz vieler struktureller Probleme wurde die Zukunft des Stadtteils von einer deutlichen Mehrheit als der entscheidende Niederlassungsgrund angesehen.

Vor der DDR-Gründung bestanden bereits drei der gegenwärtig existierenden Geschäfte. Erst gegen Ende der DDR kamen in den Jahren 1982 und 1989 weitere drei Eröffnungen hinzu. Die im Verlauf der 90er Jahre stetig ansteigende Eröffnungsrate kann allerdings nicht als eine Aufschwungstendenz gewertet werden, da sie keine Aussage über Ladenschließung beinhaltet.

Nina Hoferichter, Holger Möller, Simone Pape

zurück zum Inhalt
Kostenloser Download Counter