Samstag, 27. Februar 2010

DER SPIEGEL


01.08.1996

KONDOM DES Grauens

Heike Makatsch und Ralf König über Pimmel, Puppen und Pornographie

Von Heike Makatsch Ralf König

Makatsch: Ralf, meinst du nicht, daß durch deine Comics die Klischees über die Schwulenszene verfestigt werden, die viele Heteros im Kopf haben? Daß die sich denken: Na ja, die Schwulen wollen eigentlich nur bumsen und blasen, und denen ist es total egal, wie doof der Typ ist - Hauptsache, er hat ''nen Riesenschwanz und viele Haare auf der Brust?

König: Klar, das ist ein Problem. Aber die Geschichten, die ich mache, drehen sich halt um Sex. Ich kann ja schlecht Comics darüber zeichnen, wie jemand zum Steuerberater geht. Natürlich ist das alles Satire, überspitzt und überdreht. Wer das mißversteht als Eins-zu-eins-Abbild der Wirklichkeit, der muß natürlich denken: Die spinnen, die Schwulen, die sind immer nur am Poppen und denken an nichts anderes.

Makatsch: Sieht denn die Wirklichkeit anders aus?

König: Sicherlich.

Makatsch: Als wir 15 oder 16 waren, sind wir Mädchen kichernd durch den Düsseldorfer Hofgarten gelaufen, weil wir wußten, daß da an allen Bäumen Schwule stehen, die auf andere Schwule warten. Wer das mal gesehen hat, fragt sich doch: Was sind das für Leute, die mit anderen, die sie gar nicht kennen, mal eben ins Gebüsch gehen?

König: Was meinst du, was Hetero-Männer machen würden, wenn meinetwegen in Braunschweig ein Park wäre, wo nachts Frauen rumlaufen, die einfach so Sex haben wollen? Dann könntest du da eine neue Autobahnauffahrt bauen. Aber es ist richtig: Heteros haben so eine Szene nicht.

Makatsch: Warum eigentlich?

König: Weiß ich nicht. Vielleicht weil da so ''ne Machtgeschichte läuft, dieser Geschlechterkampf zwischen Frauen und Männern.

Makatsch: In vieler Hinsicht sprengt das, was du machst, ja den Rahmen "normaler" Comic-Zeichnungen. Du hattest ja auch Schwierigkeiten mit bayerischen Behörden, die den Comic "Bullenklöten" für Pornographie hielten. Was sind eigentlich Bullenklöten?

König: Das ist im Münsterland ein Wort für die Eier vom Bullen.

Makatsch: Und das sagt man im Jargon auch zu seinen eigenen?

König: Im Jargon, ja.

Makatsch: Es gab ja ein Riesentrara um diesen Comic, der vielleicht ja auch ein bißchen härter ranging als deine anderen Comics.

König: Das bayerische Landesjugendamt befand, daß das Pornographie sei, Heterosexualität diskriminiere und Homosexualität für Minderjährige als etwas Selbstverständliches darstelle. Der Comic ziehe Jugendliche in seinen Bann und könne sie sozial desorientieren. Nach ein paar Wochen Hickhack hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aber entschieden, daß das kein Schweinkram sei, sondern Kunst.

Makatsch: Findest du, daß ein Zehnjähriger so ''nen Comic lesen sollte?

König: Nein, aber ein Zehnjähriger liest das auch gar nicht, weil er es nicht versteht. Ein Zehnjähriger greift eher zu Asterix.

Makatsch: Ich hab'' gelesen, die Prüfstelle hat argumentiert, das sei schon deshalb keine Pornographie, weil die Comic-Figuren nicht als Wichsvorlage dienen. Ich hab'' mir das angesehen, und ich glaube das nicht so ganz.

König: Erzähl mehr!

Makatsch: Ich könnte mir vorstellen, daß deine Figuren für jemanden, den das anspricht, einen ähnlichen Effekt wie ein Porno haben.

König: Für mich ist das immer ein Kompliment, wenn einer den Hauptdarsteller, einen spanischen Bauarbeiter, als sehr geil empfindet. Die Figur hat ''ne dicke Nase und Stehohren, und trotzdem schafft sie es irgendwie, Erotik zu transportieren.

Makatsch: Erzähl doch mal, was passiert, wenn deine Geschichten verfilmt werden.

König: Erst mal gab''s natürlich den "Bewegten Mann", der ziemlich Furore gemacht hat. Über sechs Millionen Kinozuschauer für''n deutschen Film - das ist schon außergewöhnlich. Dann hab ich den Comic "Kondom des Grauens" fürs Puppentheater inszeniert. Das Stück ging zwei Jahre auf Tournee und war immer ausverkauft. Und demnächst kommt "Kondom des Grauens" als Spielfilm in die Kinos.

Makatsch: Wahrscheinlich lassen sich die Dinge, die in deinen Comics passieren, mit Puppen auf weniger verfängliche Weise als mit Schauspielern darstellen.

König: Genau. Mit Menschen zu arbeiten ist schwieriger; das wirkt eher pornographisch. Im Film muß man ganz andere Bilder finden als im Comic, sonst würden die Bayern mit ihren Verbotsforderungen doch noch durchkommen. Man kann halt einen Pimmel, der steht, nicht im Kino bringen.

Makatsch: In dem neuen Film geht es um ein Kondom, das den Männern in New York den Schwanz abbeißt und von einem schwulen Detektiv gejagt wird.

König: Ja, genau. Das hat natürlich viel mit Blut und special effects zu tun.

Makatsch: Gib mir doch mal ein Beispiel dafür, wie eine Sexszene zwischen zwei Männern im Kino dargestellt wird.

König: Der Hauptdarsteller kommt mit seinem Jungen ins Hotelzimmer, und der Junge soll verwundert sein, wie groß der Pimmel von dem ist. Den Pimmel kann man nicht zeigen, klar. Aber wir lösen das wie in "Jurassic Park": Da geht dann irgendwie so ''n Schatten hoch. Jeder versteht es, es ist komisch und natürlich keine Pornographie.

Makatsch: Hast du nicht das Gefühl, daß du früher frei warst, alles zu zeichnen, was dir so einfiel, und nun plötzlich immer überlegen mußt: Was kann ich machen? Was kann ich überhaupt in die Kinos bringen? Was muß alles entschärft werden? Wird dir damit nicht letztendlich deine Identität weggenommen?

König: Nicht bei diesem Film ...

Makatsch: ... im Gegensatz zum "Bewegten Mann"? Mit dem warst du ja nicht so glücklich, weil du das Gefühl hattest, er hat eigentlich nichts mit deinem Comic zu tun.

König: Ja, beim "Bewegten Mann" hat man halt meine Geschichte genommen, um daraus ''ne Komödie zu machen. Aber beim "Kondom des Grauens" achten wir sehr darauf, daß es richtig grotesk wird. Wir haben uns bemüht, keine schönen Menschen zu zeigen, die einen ja angähnen würden, sondern Gesichter wie in einem Fellini-Film. Dadurch wird es etwas karikaturhaft, und das ist toll.

Makatsch: Hast du denn bei all der Filmarbeit noch genug Kontakt zur schwulen Subkultur, aus der deine Geschichten stammen, die ja vor allem wegen ihrer Echtheit so geliebt werden? Oder wenden sich deine Fans zum Teil von dir ab und sagen: Das wird alles kommerzialisiert und massenkompatibel gemacht, damit es auch den Familien gefällt?

König: Der "Bewegte Mann" war wirklich ein Familienfilm, da gehen die Oma und die Tante und die Nichte hin. "Kondom des Grauens" ist dagegen ein Film, wo ich mir selbst gegenüber zumindest eine gewisse Ehrlichkeit bewahre und mich nicht verramsche, nur um der Lacher willen. Comics mache ich nach wie vor nicht, um die große Hetero-Bevölkerung zu belustigen. Das hab'' ich nie gemacht, und das werde ich nie tun.

Makatsch: Wie hat eigentlich deine Mutter reagiert, als sie erfahren hat, daß du genauso homosexuell bist wie die Männer in deinen Comics?

König: Das war ''ne Weile ein Problem. Aber dann hat sie meinen damaligen Freund als Schwiegersohn anerkannt. Ich kann alle Leute nur zum Coming-out ermutigen. Die Eltern müssen da mal durch. Daß jemand von seinen Eltern wirklich verstoßen wird, kommt gar nicht so oft vor.

Makatsch: Du kommst aus einem kleineren Städtchen ...

König: ... aus einem kleinen Kaff in Westfalen, ja. Mein Gott, da haben die Leute natürlich ''ne Weile getratscht, und dann haben sie sich dran gewöhnt. Heute glaube ich, meine Eltern sind sogar ein bißchen stolz auf mich.

* Heike Makatsch, 24, ist Schauspielerin ("Männerpension") und Viva-Moderatorin; Ralf König, 35, lieferte mit seinen Schwulen-Comics unter anderem die Vorlage für den Erfolgsfilm "Der bewegte Mann".


SPIEGEL special 8/1996
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