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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die Pflege antiker Baudenkmäler im nordafrikanischen Libyen wurde lange von staatlichen Interessen bestimmt

Politische Archäologie

Tripolis: faschistische Monumentalarchitektur.Foto: Schediwy

Tripolis: faschistische Monumentalarchitektur.Foto: Schediwy

Leptis Magna: rekonstruierter Severusbogen.

Leptis Magna: rekonstruierter Severusbogen.

Von Robert Schediwy

Die kleine Touristengruppe, die durch die spärlichen Überreste des antiken Ptolemais trottet, begegnet auf den sanften, grasbedeckten Abhängen des Dschebel Akhdar keinem Menschen.

Das Interesse an den örtlichen Ausgrabungen, wie dem hellenistischen "Säulenpalast" oder den Zisternen der antiken Stadt, scheint gering zu sein. Das kleine Museum enthält eine Reihe hübscher Mosaike, wirkt aber reichlich verschlafen. Die Zufahrtsstraße zur archäologischen Stätte muss einst eine Allee gewesen sein; sie ist von einer Reihe verfallener Gebäude gesäumt. Auf Befragen erfährt man, das seien wohl "Gebäude aus italienischer Zeit".

Ähnlich ist die Lage beim Besuch des imposanten, stark restaurierten, um nicht zu sagen rekonstruierten Jupitertempels im ehemaligen Kyrene oder bei den eindrucksvollen byzantinischen Mosaiken von Ghasr Libya. Man gewinnt nicht nur den Eindruck, dass sich Libyens Tourismus erst in der Aufbauphase befindet – es scheint auch eine ambivalente Einstellung des heutigen Staates zu den Resten der antiken Zivilisation im Lande zu geben. Diese Ambivalenz betrifft offenbar auch jene, die im 20. Jahrhundert diesen Resten eine besonders engagierte Pflege angedeihen ließen, nämlich die italienischen Archäologen. Das wird auch bei den großen Touristenattraktionen von Leptis Magna und Sabratha spürbar, deren Ausgrabungs- und Rekonstruktionsaktivitäten irgendwann um 1970 massiv eingeschränkt wurden. Man merkt dies an den überall sichtbaren, verrostenden Gleisen der alten Feldbahnen.

"Aus der Zeit der Italiener" : das ist, wie dem Besucher rasch klar wird, in Libyen ein bis heute tabubelasteter Begriff. Die älteren Teile der Neustadt von Tripolis, der Hauptstadt des Landes, mögen eindeutig italienisches Gepräge haben, aber die aktuellen Straßennamen sind nur in arabischer Sprache angegeben (ebenso wie die Ortsschilder in der Provinz und andere offizielle topografische Hinweise, was Individualtouristen ohne Kenntnis des arabischen Alphabets das Leben nicht gerade erleichtert). Und dann stellt man, einigermaßen verwundert, fest, dass die stattlichsten Moscheen sowohl in Tripolis als auch in Benghasi, der zweitgrößten Stadt des Landes, offenkundig einst christliche Kirchen gewesen sein müssen. Auch diese stammen "aus der Zeit der Italiener", kann man auf Befragen erfahren, mit einem Unterton der Befangenheit. Sie seien erst nach der Revolution vom 1. September 1969 in Moscheen umgewandelt worden.

Zeitalter der Italiener

Bauten, Abrisse, Umbauten und Rekonstruktionen symbolträchtiger Bauwerke sind grundsätzlich stark an die politisch-historischen Geschehnisse gebunden, diesbezüglich ist Libyen kein Einzelfall. Man denke nur an das Berliner Stadtschloss und den Palast der Republik, an die unter Stalin abgerissenen und später "wieder geborenen" Kirchen im Bereich der ehemaligen Sowjetunion oder an die planmäßige Entwicklung von Williamsburg, Virginia, zu einem historischen Disneyland des kolonialen Amerika. In Libyen hat dieser Prozess allerdings besondere Aktualität und Schärfe, und das hat spezifische Gründe.

Das Königreich Italien war, wie das Wilhelminische Deutschland, eine spät geeinte Nation, und wurde deshalb bei der Aufteilung Afrikas unter die europäischen Mächte benachteiligt. Der Versuch einer Eroberung des unabhängigen Abessinien war 1896 kläglich gescheitert, erst 1911 gelang es Italien, gleichsam zum 50-Jahres-Jubiläum seiner Vereinigung, dem dahinsiechenden Osmanischen Reich das damals wirtschaftlich unbedeutende Herrschaftsgebiet in den Provinzen Tripolitanien und Kyrenaika zu entreißen. (Der offizielle Name Libyen stammt übrigens erst aus dem Jahr 1934 und entspricht dem antiken Begriff für das ganze nicht-ägyptische Afrika.)

Italiens koloniale Herrlichkeit in Nordafrika währte kaum dreißig Jahre. Nach 1942 und der Niederlage der Achsenmächte in El Alamein war Schluss damit. Allerdings gab es unter dem gegenüber den Europäern relativ wohlwollenden Regime von König Idris noch eine Art postkolonialen Nachsommer, der fast 20 Jahre dauerte. Zwei Drittel der italienischen Herrschaftsperiode gehörten freilich der Ära des Faschismus an, und dieser repräsentierte die koloniale Mentalität mit besonderer Schärfe.

Speziell in den 1930er Jahren versuchte die italienische Diktatur das dünn besiedelte Libyen, ähnlich wie das 1918 übernommene Südtirol, auch bevölkerungspolitisch zu beherrschen. Über 100.000 Siedler wurden nach Libyen geschickt, meist aus dem Veneto, aus Kalabrien und aus Sizilien, und sie erhielten das beste Land, vor allem in der fruchtbaren Kyrenaika. 1939 waren 13 Prozent der Bevölkerung Libyens Italiener. Nach der brutalen Niederschlagung des langjährigen Guerillakrieges in den Schluchten des Dschebel Akhdar, des "grünen Berges", und der öffentlichen Hinrichtung des charismatischen Untergrundkämpfers Omar Mukhtar (1858-1931) verfolgte Mussolini gegenüber Libyen eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche. Einerseits bot sein Regime anpassungswilligen Einheimischen mehr Aufstiegschancen als etwa die französische Kolonialherrschaft in Nordafrika (bei seinem Besuch im März 1937 ließ sich der Diktator von örtlichen Notabeln sogar ein "Schwert des Islam" überreichen). Andererseits spielte das Regime seine kulturelle Karte aus: die "zivilisatorische Tradition" des Imperium Romanum. In diesem Kontext spielte die Archäologie eine besondere und nicht unproblematische Rolle.

Die Ausgrabungen im etwas entlegenen Osten des Landes, in Ptolemais und Kyrene mit dem Hafen Apollonia, waren da weniger brauchbar: es handelte sich hier eigentlich auch zur Römerzeit um griechisch geprägte Städte, noch dazu mit einer starken jüdischen Minderheit.

Die ursprünglich phönizischen Städte Tripolitaniens im Westen des Landes, vor allem Sabratha und Leptis Magna, waren weitaus besser geeignet, die Herrlichkeit der Römerzeit ideologisch und nicht zuletzt touristisch zu versinnbildlichen. Stefan Altekamp, einer der besten Kenner der Situation, vermerkt dazu: Bis 1923 entsprach die Arbeit der italienischen Archäologen in Libyen den seriösen Kriterien des Fachs. Dann aber wuchs der politische Druck. Es mussten rasch vorzeigbare Resultate geschaffen werden, also "uninteressante" Schichten entfernt und dafür monumentale Bauten der Römerzeit rekonstruiert werden. So wie das faschistische Regime die Wiederaufrichtung der Augustäischen Ara Pacis in Rom in ein Propagandaereignis des Faschismus verwandelte, so stellen auch die bis heute touristisch eindrucksvollen Monumente von Sabratha und Leptis Magna Wiederaufbauleistungen der italienischen Mare nostrum-Ideologie dar. Auch Massimiliano Munzi weist auf die Rolle touristischer Erwägungen im Rahmen der italienischen Archäologie hin.

Ideologisch bedenklich

Über die Sinnhaftigkeit oder Problematik der sogenannten Anastylose in der Archäologie lässt sich trefflich streiten. Solange es um das bloße Wiederaufrichten umgestürzter Säulen geht, ist dagegen sicher nichts einzuwenden, und auch die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit antiker Theater lässt sich vertreten. Was in den großen Ausgrabungsstätten Tripolitaniens geschehen ist, und teilweise weit über die italienische Zeit hinaus weitergeführt wurde, ist aber schon im Hinblick auf seinen besonderen ideologischen Hintergrund bedenklich – auch wenn es den Touristen immer noch gefällt. Man braucht sich nur die Parallelen zum faschistischen Triumphbogen in Bozen zu vergegenwärtigen und zu seiner Inschrift, die ebenfalls verkündet, hier würde "Zivilisation verbreitet". Joshua W. Arthurs von der Universität Chicago vermerkt mit Recht, dass diese Ideologie von der großen Archäologieschau in den Diokletian-Thermen zum Staatsjubiläum 1911 über die faschistische Ausstellung zum 2000-jährigen Jubiläum der Geburt des Augustus 1937-38 bis zu dem 1955 geschaffenen, bis heute bestehenden "Museo della Civiltà Romana" in dem von Mussolini begründeten römischen Stadtteil EUR eigentlich unverändert geblieben ist. Dass sie den akut von solchen zivilisatorischen Anstrengungen Betroffenen nie wirklich behagt, ja zum Teil erbitterte Gegenreaktionen bewirkt hat, ist durchaus nachzuvollziehen.

Das ölreiche Libyen scheint heute Anstrengungen zu unternehmen, sich vom revolutionären Extremismus und den damit verbundenen Konflikten zu emanzipieren. Die wenig erfolgreichen Verstaatlichungsmaßnahmen wurden zurückgefahren, die politische Isolation des Landes überwunden; Libyen öffnet sich langsam, und auch ehemalige italienische Kolonisten, so heißt es, sind als Besucher willkommen. Touristen bemerken die Freundlichkeit und die – etwa im Vergleich zum benachbarten Ägypten – zurückhaltend würdevolle Haltung der Bevölkerung. Das kleine grüne Buch des Revolutionsführers ist allerdings immer noch allerorts erhältlich, und wenn man die darin geäußerten Bedenken gegen Zuschauersport, Zuschauertheater und speziell das Boxen liest, muss man unwillkürlich an jene brutalen Schaukämpfe und Tierhetzen denken, die ja ebenfalls ein Teil der römischen Zivilisation waren.

Robert Schediwiy, geb. 1947, Sozialwissenschafter, Kulturpublizist, Prof. an der Univ. Kuopio (Finnland),

Printausgabe vom Samstag, 19. Juli 2008
Online seit: Freitag, 18. Juli 2008 14:58:00

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