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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Heinrich Spoerl - unbekannter Bestsellerautor aus Düsseldorf

Spoerl: Ein liebenswürdiger Humorist

Von Robert Schediwy und Bernd Hemmersbach

Ein wenig verwundert es schon, wie sehr Heinrich Spoerl (1887 bis 1955), der Autor der berühmten "Feuerzangenbowle", von diesem seinem größten Erfolg in den Hintergrund, ja beinahe in die Anonymität gedrängt worden ist. Spoerls bekannteste Werke - neben der "Feuerzangenbowle" sind es der "Maulkorb" und der "Gasmann" - haben Millionenauflagen erreicht und sind nach mehr als sechs Jahrzehnten (im günstigen Kombipack) immer noch lieferbar. Spoerls klare, schnörkellose Sprache und sein unaufdringlicher, gelegentlich von leichter Wehmut durchzogener Humor, helfen unzähligen Deutschlehrern dabei, ihren ausländischen Schülern den Unterricht kurzweiliger zu machen.

Wie steht es aber um die Erinnerung an den Menschen Heinrich Spoerl und an seinen nicht weniger begabten und interessanten Sohn Alexander?

Eine eigentliche Spoerl-Biografie scheint nicht aufzutreiben - sollte sie irgendein fleißiger Student als Diplomarbeit oder Dissertation verfasst haben, ist sie uns durch die Lappen gegangen. Der Germanist Jan-Christoph Hauschild, bekannt als Heiner Müller-Spezialist, hat allerdings in dem 1995 in Bielefeld erschienen Band "Literatur von nebenan" Spoerl eine wertvolle Kurzbiografie gewidmet. Aber dass die Stadt Düsseldorf, die so oft - vor allem im "Maulkorb" - den unausgesprochenen Hintergrund von Spoerls Geschichten abgibt, ihren großen Sohn bisher nicht einmal mit einer kleinen Straße oder einem Gässchen geehrt hat, ist doch symptomatisch.

Eine kleine Gedenktafel nur kündet am ehemaligen Gymnasium des Autors am Fürstenwall, dass hier er und auch sein Sohn zur Schule gegangen seien - und Gerda Kaltwasser widmete ihm in der Rheinischen Post vom 7. Februar 1987 einen schönen Gedenkartikel.

Wenn man über Heinrich Spoerl Biografisches erfahren möchte, ist man auf Archivarbeit im Heinrich Heine-Institut (wo seit 1984 der Spoerl-Nachlass liegt), auf Hauschilds Kurzabriss und auf alte Zeitungsartikel angewiesen. Sehr schön etwa die Erinnerungen des bekannten Düsseldorfer Lokalautors Hans Müller-Schlösser an die gemeinsame Schulzeit mit "Henner" Spoerl, gemeinsame Schultheateraufführungen und Spoerls denkwürdigen, durch seine Augenschwäche bedingten Absturz in den Souffleurkasten ("Rheinische Post", 27. August 1955). Aber es gibt noch eine Quelle: Spoerls Sohn, Alexander (1917 bis 1978). Vor allem in der unpublizierten Erstfassung seiner, stark autobiografisch gehaltenen, "Erinnerungen eines mittelmäßigen Schülers" (1954) finden sich wichtige Zeugnisse zur Familiengeschichte und über den Menschen Heinrich Spoerl. Ein kurzes Nachwort Alexander Spoerls zu den drei berühmtesten Romanen seines Vaters liefert ebenfalls einiges Charakteristische.

Heinrich Spoerl stammt aus einer vor allem technisch interessierten Familie: Sein Großvater väterlicherseits stammte aus Bayern und war Buchdrucker. Der Vater des Erfolgsautors, Johann Heinrich Spoerl, (1862 bis 1915) war bereits Ingenieur und Inhaber einer Fabrik für Druck- und Papierverarbeitungsmaschinen in Düsseldorf. Ingenieur habe auch Heinrich Spoerl selbst werden wollen, vermerkt später sein Sohn Alexander (der diesen Beruf dann selbst wieder ergriffen und mit seinen literarischen Neigungen kombiniert hat.) Wegen seiner schlechten Augen habe sich Heinrich Spoerl allerdings gegen die Technik und fürs Jurastudium entschieden, und 1919 bis 1937 war er als Rechtsanwalt beim Landgericht Düsseldorf tätig - freilich ohne viel Erfolg.

Die einen, so sein Sohn, wurden von seinem Vater nach Hause geschickt, weil ihre Sache aussichtslos sei, und die anderen, weil er ihre Sache nicht mit Überzeugung vertreten könne. Die Mutter habe den Papa beschworen, nicht immer nur an die "Würde seines Standes" zu denken, sondern auch an die Familie. Sie sei es auch gewesen, die an die schriftstellerische Berufung Heinrich Spoerls geglaubt habe.

Schon seit 1911, so Hauschild, habe Heinrich Spoerl nebenbei Fachartikel und humoristische Glossen verfasst. Mit der "Feuerzangenbowle", Frucht einer kurzfristigen Partnerschaft mit dem Schriftsteller Hans Reimann, kam 1933 dann der Durchbruch. "Das Geld" sei allerdings erst gekommen, als Papas Buch verfilmt wurde (es scheint sich hier um die erste - heute kaum mehr bekannte - Verfilmung der "Feuerzangenbowle" aus 1934 zu handeln. "So ein Flegel" hieß sie und hatte bereits Heinz Rühmann als Helden).

Auf die lustige Tour

Wenig später habe Heinrich Spoerl einen Gaswerks-Angestellten wegen "Heimtücke" zu verteidigen gehabt: der hatte sich in der Straßenbahn darüber verbreitert, dass ein BDM-Mädchen Zwillinge bekommen habe. Rechtsanwalt Spoerl habe es "auf die lustige Tour versucht" und ein Sachverständigen-Gutachten beantragt, dem zufolge es die Zugehörigkeit zum BDM biologisch verunmögliche, Zwillinge zu entwickeln. Der Angeklagte wurde freigesprochen, aber sofort wieder verhaftet und ins KZ gebracht. Rechtsanwalt Spoerl habe daraufhin geweint, und sich als Anwalt abgemeldet (erst nach 1945 hat er seine juristische Tätigkeit wieder aufgenommen).

Bei Hauschild erfahren wir, dass diese Abmeldung 1937 stattfand - und wohl auch im Zusammenhang mit familiären Ereignissen (Tod der Stiefmutter) sowie Heinrich Spoerls zunehmenden Kontakten im Buch-, Theater- und Filmgeschäft stand. Vor allem der große Erfolg von "Wenn wir alle Engel wären" im Jahr 1936, ein Film, zu dem Heinrich Spoerl Stoff und Drehbuch geliefert hatte, dürfte den Umstieg erleichtert haben.

In Berlin führte Spoerl bald eine Prominentenexistenz. Das neue Berliner Heim des Erfolgsautors, so das Düsseldorfer Tagblatt vom 4. Februar 1938, läge im Grünen. Wenn sich der Frühaufsteher diktierend müde gearbeitet habe, streife er durch die Wälder und "durchfurche das Wasser mit dem Motorboot". Dieses Motorboot des Vaters, mit dem der heranwachsende Alexander Spoerl kräftig die Mädchen beeindruckte, spielt dann eine wesentliche Rolle in dessen "Erinnerungen" - unter anderem mit der zwar humoristisch formulierten, aber ebenso realistischen wie deprimierenden Schilderung einer kleinen Erpressung, als Jung-Spoerl beim Rendezvous im Boot mit einem "nichtarischen" Mädchen beobachtet wird.

Der knapp vor dem Aufstieg der Nazis zum Erfolgsautor gewordene Vater kann sich jedenfalls in den letzten Friedensjahren des dritten Reichs über mangelnde Lebensqualität nicht beklagen. Zum 1937 herausgekommenen Film "Der Maulkorb" zitieren damals die Medien wohlwollend Spoerls Überzeugung, Stoff und Drehbuch sollten vom selben Autor stammen - nur so entstehe ein "Film aus einem Guss".

In der Tat: Beim "Maulkorb" ist, ebenso wie bei der zweiten, von Spoerl drehbuchmäßig betreuten Verfilmung der "Feuerzangenbowle" ein Optimum aus der - an sich etwas dünnen - Intrige herausgeholt. Und zugleich wundert man sich: Da bringt es einer mitten im Nationalsozialismus fertig, ein Stück zu schreiben, einen Film zu machen, die eine Autoritätsfigur, einen strammen, von Mensuren zerfurchten Staatsanwalt, der Lächerlichkeit preisgeben: weil der nämlich in massiver Weinlaune dem Denkmal des Landesherrn den Maulkorb seiner Dogge aufgesetzt hat und dann, wie weiland Dorfrichter Adam im "zerbrochenen Krug", gleichsam gegen sich selbst ermitteln muss.

Und erzählt nicht auch die Geschichte der "Feuerzangenbowle" eigentlich von - liebenswürdig überformtem - Aufbegehren gegen Patriarchalismus und Autorität?

Werner Fuld hat die Gründe von Spoerls Erfolg gerade unter der nationalsozialistischen Diktatur eher spitzzüngig gewürdigt: "Hier bietet sich die gänzlich ungefährliche Gelegenheit zur schmunzelnden Opposition" meinte er über Spoerls Werk. Das trifft ein wenig, auch wenn angeblich Josef Goebbels die klassische Verfilmung der "Feuerzangenbowle" verbieten lassen wollte, und es der persönlichen Intervention Rühmanns beim "Führer" bedurft haben soll, den gesperrten Film loszueisen.

Natürlich lässt sich auch sagen: biedermeierlich stilisierte Darstellung des Spießertums der Epoche vor 1914 "tat niemandem mehr weh". Heinrich Spoerl war auch sicher kein Held. Und natürlich kann man der "schmunzelnden Opposition" seiner Bücher unterstellen, sie richte sich eben hauptsächlich gegen die "alten Zöpfe" des wilhelminischen Regimes vor 1918, für das der plebejisch aufbegehrende und in mancher Hinsicht modernistisch gesinnte Geist des NS-Staats wenig übrig hatte (es gibt ja da im Film aus 1943/44 auch einen strammen Lehrer, der als jugendliches Gegenbild im Sinne eines nationalsozialistischen "neuen Menschen" interpretierbar erscheint).

Sympathische Bescheidenheit

Dennoch: Je mehr man über Heinrich Spoerl und über seinen Sohn Alexander weiß, umso sympathischer werden einem die beiden.

Speziell Alexander Spoerl scheint es gewagt zu haben, im Krieg in den Kreisen der (von der Gestapo so benannten) Widerstandsorganisation "rote Kapelle" verkehrt zu haben - er soll für sie sogar Filmdokumente von Gräueltaten der SS im Osten kopiert haben. Gerühmt hat er sich dessen offenbar nie - aber seine "Erinnerungen . . .", das erste von ihm allein verfasste (und immerhin auch über 700.000-mal verkaufte) Werk ist "Libertas" gewidmet: das heißt Libertas Schulze-Boysen, der 1942 hingerichteten Widerstandsheldin. Während sich Heinrich Spoerl 1941 nach Rottach-Egern zurückzog und bloß "überwinterte" war sein Sohn in schwerer Zeit wirklich so etwas wie ein Held. Er hat nicht viel Aufhebens darum gemacht, aber später in seinen Büchern so amüsant über seine Schulstreiche, und über Autos, Motorräder und Motorroller zu plaudern verstanden, dass heute noch im Internet begeisterte Fans um seine Bücher feilschen.

Im ersten, ungedruckten Typoskript der "Erinnerungen eines mittelmäßigen Schülers" ist der biografische Hintergrund der Familie

Spoerl viel ausführlicher dargestellt als in der publizierten Fassung. In einem Vortrag vom 4. April 1992 im Düsseldorfer Heinrich Heine-Institut hat Jan-Christoph Hauschild danach eine kleine Familiengeschichte entworfen: Johann Heinrich Spoerl, der Vater des Autors der "Feuerzangenbowle" soll in einer Dachkammer angeblich "die erste deutsche Rotationsmaschine gebaut haben". Heinrich Spoerl selbst heiratete 1911 eine Emma Prazlik, die schon 1913 starb und 1915 die Konzertsängerin Gertrud Kebben (1896 bis 1947). Sie wurde die Mutter seines Sohnes Alexander, und Heinrich Spoerl scheint sie sehr geliebt zu haben - nach ihrem Tod schrieb er keine Zeile mehr.

Dass Heinrich Spoerl als Anwalt außerordentlich erfolglos gewesen sein muss, zieht sich durch alle biografischen Skizzen. Fritz Wiesenberger schreibt in den Düsseldorfer Heften 5/1984 sogar von "einigen Offenbarungseiden", die der "mickrige, erfolglose Anwalt", ein "schmaler, etwas gebeugt gehender Mann mit dicken Brillengläsern" hinter sich gehabt haben soll. Das Manuskript der "Feuerzangenbowle" sei verfasst worden, um "einen Teil der Schulden (offenbar beim Verleger Droste) abzutragen" - Nach dem glaubwürdigen Zeugnis von Alexander Spoerl bediente sich sein Vater zur Ergänzung der eigenen Erinnerungen kräftig an den Schulstreichen seines Filius und seiner Kumpane, die der Sohn regelmäßig zu rapportieren hatte. Die Geschichte erschien zunächst 1933 im Düsseldorfer "Mittag", einer damals viel gelesenen Tageszeitung und schlug sofort ein. Dass Buch (und Film) eigenartig "zwischen den Zeiten changieren", geht wohl auf seine Entstehungszeit in der Übergangsperiode zwischen Weimarer Republik und NS-System zurück.

Im letzteren bediente Spoerl erstaunlich erfolgreich das Unterhaltungsbedürfnis. 1933 erschien bei Droste eine Erstauflage der "Feuerzangenbowle" von 20.000 Stück, drei Jahre später, nach der ersten Verfilmung weitere 30.000 - und schon 1946 gab es, wohl infolge der "klassischen" zweiten Verfilmung eine Neuauflage, die schon 1951 nahe der Millionengrenze lag.

Der fleißige, penibel arbeitende Schriftsteller verwertete seine Stoffe stets mehrfach. Es gibt also etwa auch Theaterfassungen des "Maulkorbs" und des "Gasmanns". Dabei scheint Spoerl aber mit traumwandlerischer Sicherheit in einer Art persönlicher "neutraler Zone" außerhalb des Regimes agiert zu haben: Die freundliche Karikatur der Autoritarismen des Ancien Régime erlaubte es ihm, den viel schlimmeren Autoritarismen des neuen auszuweichen: so kam es zum einzigartigen Phänomen, dass die "gleichgeschaltete" NS-Presse durchaus freundlich, ja enthusiastisch über einen humoristischen Autor berichtete, der Dinge aufs Korn nahm, die eigentlich auch zum Kernbestand des Systems gehörten: etwa Kadavergehorsam, Heuchelei, parvenühafte Geltungssucht und Überheblichkeit.

Es geht hier nicht darum, Heinrich Spoerl hochzustilisieren, ihm einen Rang zuzuweisen, den zu beanspruchen er selbst wohl viel zu bescheiden gewesen wäre.

Immerhin: Hier stand nicht nur einer, der mit seinen Szenen im rheinischen Dialekt (etwa im "Maulkorb") und zahlreichen lokalgeschichtlichen Anspielungen seiner engeren Heimat ein Denkmal gesetzt hat. Heinrich Spoerl zählt, gemeinsam mit seinem Sohn, zu den wenigen, die sich in der deutschen Literatur auf den Humor verstehen - einen gütigen, verständnisvollen Humor, der die Menschen kennt und dennoch mag. Etwa fünf Millionen Gesamtauflage bestätigen, wie viele Leute das schätzen und brauchen können.

Heinrich Spoerl war aber offenbar auch ein Mann, der es stets fertig gebracht hat, Würde und menschlichen Anstand zu bewahren. Das ist ihm am höchsten anzurechnen. Hier stand einer, der Leichtigkeit und Schwermut zu verbinden wusste, und der zuletzt seinen eigenen Werken manchmal träumerisch nachzuschauen schien wie ein Mensch, der eine schöne runde Pusteblume ausgeblasen hat und nun ein wenig resignativ den fliegenden Samen nachblickt.

Freitag, 01. März 2002 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:56:00

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