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Totgeschwiegen: George B. Shaw

G. B. Shaw, von ihm selbst karikiert.  Foto: Literaturbrockhaus

G. B. Shaw, von ihm selbst karikiert. Foto: Literaturbrockhaus

Historiker und Anglist, war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums. Er ist Autor historischer und literarhistorischer Werke.

Historiker und Anglist, war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums. Er ist Autor historischer und literarhistorischer Werke.

Von Friedrich Weissensteiner

Aufzählung Plädoyer zum 150. Geburtstag des leider in Vergessenheit geratenen irischen Dramatikers.

Vor 50 Jahren , zu G.B. Shaws 100. Geburtstag, schrieb sein Schriftstellerkollege J.B. Priestley in der renommierten englischen Zeitschrift "The New Statesman and Nation": " Seine besten Stücke, seine in Stil und Geist einmaligen Komödien haben eine Vitalität, die der Zeit und allen sozialen Verhältnissen trotzt." Heute, ein halbes Jahrhundert später, kann man immer noch dieser Meinung sein. Allerdings nur dann, wenn man ein Liebhaber des Shawschen Werkes ist.

Viele Theaterdirektoren und Regisseure sind es nämlich nicht oder haben den Dramatiker Shaw überhaupt aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Ich habe (stichprobenartig) nachgefragt. Im Burgtheater wurde Shaw zum letzten Mal im Jahr 1968 gespielt, und zwar seine "Heilige Johanna". Im Akademietheater stand 1969 "Cäsar und Kleopatra" auf dem Programm, das Volkstheater gab Shaws "Helden" (im Original "Arms and the Man") zuletzt 1982. Ich weigere mich, daraus auf den endgültigen Theatertod des am 26. Juli 1856 in Dublin geborenen Autors zu schließen. Aber ein lebensgefährlicher Infarkt eines der größten englischen Theaterschriftsteller liegt zweifellos vor.

Nicht mehr zeitgemäß?

Warum findet Shaw heute so wenig Resonanz? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Sind Shaws Stücke nicht mehr zeitgemäß? Liegt es an den Theatermachern und/oder am Publikum? Ich behaupte – und werde wahrscheinlich mit dieser Ansicht auf heftigen Widerspruch stoßen –, dass die Stücke dieses witzigen Moralisten deshalb nicht mehr ankommen, weil er an das Publikum zu hohe geistige Anforderungen stellt.

Geist und Intellekt sind in unserer Freizeit- und Wellnessgesellschaft nicht sonderlich gefragt, gedankliche Anstrengung und Mühsal jedweder Art werden tunlichst gemieden. Wir mögen es bequem, auch im Theater. Dort will man sich vor allem unterhalten, will Handlung sehen und sich nicht mit Problemen und Problemlösungen herumplagen. Die Regisseure wissen das. Nichts desto trotz stehen sie mit dem Publikumsgeschmack oft auf Kriegsfuß, legen es auf Provokation an und sind auf Selbstverwirklichung aus.

Wer inszeniert denn heute noch werkgetreu? Dramaturgische Strukturen werden verändert, Texte zusammengestrichen, Charaktere umgemodelt. Nun, so kann man einwenden, das Theater ist eben kein Antiquitätenladen. Stimmt schon. Aber es ist auch keine Selbstbedienungsbude für Selbsterfahrungsgruppen, in der heruntergelassene Hosen, nackte Brüste, Popos und Sexszenen zum unvermeidlichen Inventarium gehören. Das sind unzulässige Verallgemeinerungen. Ich weiß. Aber ein bisschen provozieren wird man ja wohl noch dürfen.

Was das alles mit George Bernard Shaw zu tun hat? Ich behaupte, und setze mich gleich wieder der Kritik aus, dass viele seiner Ideenstücke gegen Modernisierungsschübe, die zuweilen bis zur Unkenntlichkeit des Originals führen, weitgehend gefeit sind. Daher lässt man lieber die Hände davon. Auch das ist eine Vermutung, die ich nicht beweisen kann. (Es fehlt jedoch ein, freilich nicht wünschenswerter, Gegenbeweis.)

Natürlich sind viele Stücke Shaws (vielleicht sogar die meisten) verstaubt, in ihrer Thematik überholt und daher heute unaufführbar. Kein Theaterdirektor der Welt dürfte seinem Publikum im 21. Jahrhundert "Die Häuser des Sartorius" ("Widowers Houses") zumuten. Es ist das erste von Shaws drei "Unpleasant Plays", in denen das soziale Elend in den Slums des Londoner Eastends angeprangert wird. Ein solches Thema liegt weit außerhalb des Interesses des in einer Wohlstandsgesellschaft aufgewachsenen und beheimateten Theaterpublikums. Es wäre eine Zumutung, geradezu eine Provokation, ihm so ein Stück vorzusetzen.

Das war es übrigens aus soziologischen Gründen bereits 1892, als es im Londoner Royalty Theatre uraufgeführt wurde. Der Autor wurde heftig kritisiert, seine "unpleasantness" kam nicht an und brachte ihm nichts ein. Da er von seiner Theaterarbeit im Stil Henrik Ibsens also nicht leben konnte, musste er einen anderen Weg einschlagen und seine intellektuellen Stärken ausspielen: seinen köstlichen skurrilen Humor, seine vergnügliche Ironie, seine polemische Schlagfertigkeit, seine überzeugende Argumentationskraft, seine Neigung zur Clownerie.

"Helden", "Pygmalion"

Shaw begann "Pleasant Plays" zu schreiben und hatte bald das Publikum und die Kritik auf seiner Seite. Seine geistvolle Komödie "Arms and the Man" schlug auf Anhieb ein. Die Dialoge sind witzig, die Charaktere gut gezeichnet, die Argumentation ist anregend, die Aussage eindeutig. Die sympathische Hauptfigur ist ein Schweizer Hauptmann in serbischen Diensten namens Bluntschli, dem persönliches Glück mehr bedeutet als fragwürdiger Schlachtenruhm, Kriegsgeschrei und hohles, vaterländisches Pathos. Wahres Heldentum ist friedfertig, edelmütig, mitmenschlich. Das ist die Botschaft, die der Autor seinem Publikum auf köstliche Weise vermittelt. Ist sie nicht zeitlos gültig?

J. B. Priestley muss diese ShawKomödie im Sinn gehabt haben, als er seinem Schriftstellerkollegen ein unvergängliches Nachleben attestierte. Aber natürlich auch andere Stücke. Ich denke vor allem an "Pygmalion", das als "My Fair Lady" in der Musicalfassung von Frederick Loewe und Alan Jane Lerner auf vielen Bühnen der Welt noch immer präsent ist, aber leider Shaws Originalkomödie von dort fast vollständig verdrängt hat. Dem Erziehungsversuch des gefühlskalten Phonetik-Professors Henry Higgins an der jungen, ungebildeten Blumenverkäuferin Eliza Doolittle kann man auch hintergründige pädagogisch-soziologische Aspekte abgewinnen.

Intellektuelles Vergnügen bereitet immer noch das Stück "Cäsar und Cleopatra", das Alfred Polgar eine Lobeshymne entlockte. "Dieses Theaterstück ist durchduftet von allen Spezereien und Würzen der Gescheitheit", schrieb er in der "Weltbühne." "Der weitschweifige Rhetoriker, der zärtlich in seine Zweifel verliebte Zweifler Shaw hat in seinem Cäsar-Drama Augenblicke, da er dem Weltgeist näher ist als sonst, da er Großes und Kleines, Ehrwürdiges und Lächerliches in eine einzige Klammer der Betrachtung fasst."

Starke Frauenfiguren

Zu Shaws besten und publikumswirksamsten Stücken zählten jahrzehntelang "Candida" und "Die heilige Johanna", in denen der humanistische, puritanische Moralist zwei Frauenfiguren von großer Einprägsamkeit und Prägnanz gestaltete, wiewohl er doch der Charakterzeichnung nicht die größte Bedeutung zumaß. Der geschliffene Dialog war ihm wichtiger.

"Candida", die lebenskluge, warmherzige Gemahlin des Pastors Jakob Morell wird von einem gut aussehenden Dichter namens Eugen Marchbanks verehrt. Sie muss sich zwischen den beiden Männern entscheiden. Der Gatte ist selbstsicher und selbstgefällig, der ein wenig weltfremde, erfolglose Marchbanks von großer innerer Stärke – wie sich bei einer Aussprache zu dritt herausstellt. Candida entschließt sich, bei ihrem Ehemann zu bleiben. Er ist der Schwächere, ohne ihre fürsorgliche Hilfe und Unterstützung könnte er das Leben nicht meistern. Der scharfzüngige Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr urteilte: "Ein Aufrichtiger hat uns das Stück geschrieben. Einer, dem die Schönheit dieses Werks nie vergessen werden soll. Wer hat uns entlarvt wie Shaw; wer hat Künstler gezeichnet wie Shaw den Dichter in der Candida? Keiner."

Shaws reifstes Stück

"Die heilige Johanna", eine dramatische Chronik in sechs Szenen, wurde 1923 in New York uraufgeführt. Es ist Shaws bestes und reifstes Stück. Der Autor stattete nach eingehenden historischen Studien einschließlich der Prozessakten das einfache Bauernmädchen aus Lothringen, das im Hundertjährigen Krieg das französische Heer gegen England zum Sieg führte, mit durchaus weltlichen Zügen aus und verlieh ihm doch missionarische, überirdische Züge.

Johanna ist als moderner Mensch konzipiert, der an den alten Ordnungsmächten scheitert: an der katholischen Kirche und den adeligen Feudalherren, die ihre Machtstellung durch die populäre junge Frau bedroht sehen. In reiner Unschuld besteigt sie den Scheiterhaufen, eine Shawsche Heilige, nicht nur eine Heilige der katholischen Kirche. Kehrte sie nach sechshundert Jahren wieder in die Welt zurück, sie würde genau so scheitern wie zu ihrer Zeit. Denn die Menschen ändern sich nicht. Sie können die Großen unter ihnen, die Idealisten und Träumer, sie können die Heiligen nicht in ihrer Mitte ertragen. Auch dieses Thema ist zeitlos.

George Bernhard Shaw starb am 2. November 1950. Sein Werk aber ist noch nicht tot. Auch wenn es, hierzulande wie anderswo, seit Jahrzehnten totgeschwiegen wird.

Printausgabe vom Samstag, 22. Juli 2006
Update: Freitag, 21. Juli 2006 17:13:00

Lexikon



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