Von Christoph Neidhart

In Südkorea wird am größten Gezeitenkraftwerk der Welt gebaut. Das Projekt soll auch eine alte Umweltsünde tilgen.

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22 Meter unter dem Meeresspiegel: Die gewaltigen Niederdruckturbinen, die in Ansan von 2009 an aus dem Tidenhub Energie gewinnen sollen. Foto: nh

Ansan, im Januar - Über den Männern tost die Brandung, es bläst eine steife Brise. Sie arbeiten auf einer Großbaustelle - 22 Meter unter dem Meeresspiegel. Riesige Stahlrohre öffnen sich hier, wo das Turbinenhaus des Sihwa-Kraftwerks entsteht, des größten Gezeitenkraftwerks der Welt.

Es ist Südkoreas Vorzeigeprojekt für erneuerbare Energie. Von 2009 an soll das Kraftwerk 254 Megawatt produzieren - etwa ein Viertel der Leistung eines durchschnittlichen Kernkraftwerks -, genügend Strom für eine Stadt von 500.000 Einwohnern.

Dennoch sagt Choi Wook, der leitende Ingenieur der Firma Daewoo, auf der Baustelle: "Was wir hier machen, ist primär eine Reparatur." Das Öko-Vorzeigeprojekt ist auch als Flickwerk dringend nötig geworden.

Der Bezirk Sihwa liegt an Koreas Westküste, 40 Kilometer südwestlich von Seoul. Noch vor 20Jahren war dies eine dünn besiedelte Agrarregion mit einem Wattenmeer, das reich an Seevögeln und -tieren war. Bei Niedrigwasser zieht sich das Meer hier weit von der Küste zurück, der Tidenhub, die Differenz des Meeresspiegels zwischen Flut und Ebbe also, erreicht hier fast acht Meter.

1986 beschloss die südkoreanische Regierung, an der Nordseite einer langgezogenen Bucht eine neue Stadt aus dem Boden stampfen zu lassen: Ansan.

Die Retortensiedlung war auf 300.000 Einwohner angelegt, nach zehn Jahren zählte sie bereits 500.000 Menschen, inzwischen sind es 700.000. Für die Industriezone und für Wohnviertel hat man der Bucht 173 Quadratkilometer Land abgewonnen: Boden, der sich teuer verkaufen ließ. Einige Leute haben dabei viel Geld verdient.

Irgendwann wurde die Wasserversorgung für die rasant wachsende Stadt und ihre Industrie knapp, und man kam auf die Idee, die Bucht mit einem Damm vom Meer abzuriegeln, um so einen künstlichen See zu schaffen, den Sihwa-See. Der sollte die Industrie und die Landwirtschaft südlich der Bucht mit Brauchwasser versorgen. Und auf dem Damm würde man eine Straße bauen, die Nord und Süd verbinden und Touristen anlocken sollte.

Die Umwandlung der Bucht in einen Süßwassersee geriet jedoch zu einem Flop: Schon ein Jahr nach Vollendung des Damms 1994 begann das neue Idyll zu stinken, und nach wenigen Jahren stank der See höllisch zum Himmel. Von den Gezeiten abgeschnitten und ohne Strömung oder größere Zuflüsse, verfaulte das Wasser, in das Industrie, Haushalte und Landwirtschaft ihre Abwässer einleiteten. Dem Wasser ging der Sauerstoff aus, der See erstickte. Er wurde zu einem widerlichen Monument jener Brachial-modernisierung, wie sie Ostasien vielerorts erfasst hat.

Die Vögel sind schon zurück

Die Baustelle für das Kraftwerk liegt etwa in der Mitte des zwölf Kilometer langen Dammes. Künftig wird die Flut hier zehn Niederdruck-Turbinen antreiben, bei Ebbe werden sich acht Schleusen öffnen, durch die das Meerwasser wieder austritt. Aber könnte man nicht noch mehr Energie produzieren, wenn auch das austretende Wasser die Turbinen antriebe? Durchaus, sagt der leitende Ingenieur Choi Wook, "aber das würde die Regeneration des Wassers im See beeinträchtigen."

Am Ostende des Sihwa-Sees steigen Wasservögel aus dem Schilf auf. Wo der See bis vor wenigen Jahren eine stinkende Kloake war, hat man ein Feuchtgebiet angelegt, das helfen soll, das Gewässer zu sanieren. Ganz in der Nähe liegt das "Kordi", Koreas Institut für Meeresforschung. Südkorea gehört zu jenen Ländern, die für internationales Prestige viel Geld ausgeben, vor allem in den Bereichen Forschung und Sport.

Das Kordi betreibt Südsee-, Tiefsee-, Schiffbau- und Polarforschung. Seit seiner Gründung 1973 denken Ingenieure hier auch über die Energiegewinnung aus dem Meer nach. Früher hielten sie aber die Bucht vor dem Haus für wenig geeignet als Standort eines Gezeitenkraftwerkes.

Stattdessen entwickelten sie Projekte für andere Buchten an Koreas Westküste, besonders für die Carolim-Bucht. 2002 hatte die Regierung die Hoffnung eigentlich aufgegeben, dass es möglich sei, den verrottenden künstlichen See wieder zu sanieren. Da schlug das Kordi vor, den Damm zu öffnen und hier ein Gezeitenkraftwerk zu erbauen.

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