Pankow - Rezension 1986

Sonntag 41 / 1986

Jürgen Winkler

Nach zwei Anläufen ist Pankow endlich der große Wurf gelungen. Die LP, die sich in einer abstoßend einfältigen Plattentasche mit der Aufschrift ´´Keine Stars´´ verbirgt, speichert eine Musik, die nicht nur unheimlich gut gemacht ist, sondern auch im Sound dicht am Zeitgeschmack liegt. ´´Keine Stars´´ ist nicht Rock´n´Roll  der achtziger Jahre schlechthin, sondern exakt 86er Rock´n´Roll. Auf keiner Amiga-Veröffentlichung des ersten Halbjahres war eine derart konsequente und gekonnte Umsetzung aktueller internationaler Trends in den eigenen Sound zu erleben. Dabei trieb es die Band so weit, bereits auf einer Single veröffentlichte Titel Für die LP neu aufzunehmen; eine Tugend, die allgemein aus Zeit - und Kostengründen kaum noch gepflegt wird.

Pankow präsentiert die einzelnen Titel gut sortiert in zwei Abteilungen. Auf Seite eins ist der Grundton leicht und locker, Pankow plaudert über Pankow (´´Keine Stars´´, ´´Die Band´´), anschließend gibt es drei Songs aus Pankows schier unerschöpflichem Reservoir einsamer Herzen (´´Wetten, du willst´´, ´´Isolde´´, ´´Doris´´). Mit ´´Doris´´ scheint diese Seite auch den potentiellen Hit zu enthalten, denn neben der ehrlichen Erzählweise André Herzbergs wird die leicht sentimentale, verteufelt süße Stimmung des Liedes doch erheblich mehr Gemüter bewegen als der rockige Rest der LP. Interessant ist die Neufassung von ´´Wetten, du willst´´. Die Bläsergruppe C.D.Knispel (mit Konrad Körner als Gastmusiker im Studio) bläst dem eigentlich recht trockenen Song unaufdringlich neues Leben in die Seele, und die Band rockt dazu, dass es eine Lust ist.

Seite zwei eröffnet mit dem herrlich überzogenen ´´Gut Nacht´´, danach fällt Pankow mit der Aneinanderreihung der Titel ´´Nebel´´, ´Er will anders sein´´, ´´Trübsal´´ und ´´ Das Zauberwort heißt Rock´n´Roll´´ ein wenig in die Rolle des Rufers und Mahners. Alle vier Lieder behandeln die gleiche textliche Problematik, die um kleinkariertes, ichbezogenes Biertischdenken und um das Aufmucken dagegen, um die Überwindung der eigenen Trägheit und Unsicherheit kreist. Was sich vor fünf Jahren noch sensationell anhörte, ist heute allerdings Pankow-Alltag. Man gewöhnt sich an die Aufrufe , ´´aus dem Arsch zu kommen´´ (Paule Panke) und anders zu sein. Dieser Gewöhnungseffekt ist äußerst tückisch, denn er führt vom Vorbeihören zum Abwinken, wenn die Texte so verbissen ernst formuliert werden wie in ´´Nebel´´ und ´´Er will anders sein ´´.

Über die Musik auch auf dieser Seite kein böses Wort. Sie ist bis zum letzten Ton eine Klasse für sich. Die Neuaufnahme des Liedes ´´Er will anders sein´´ hat zum Beispiel zu einer regelrechten Metamorphose des Stückes geführt. Im Konzert lief mir wegen seiner überdeutlich demonstrierten, aber nie funktionierenden Zueignung als Massen-Singe und kollektives Erlebnis (´´Wir wollen anders sein´´) mehr und mehr die Galle über. Nach der Pankow- Knispel-Kur hat sich das Lied vom grauen Zeigefinger-Hymnus zu einem Sternchen mausert.

Das sich Pankow in ihrer Musikauffassung zur Tradition Jagger/Richards bekennt, ist kein Geheimnis. Es sollte nur noch einmal daran erinnert werden, dass die Band ihren Sound ganz bewusst an den der ´´Rolling Stones´´ anlehnt, bevor der eine oder andere Stones-Kenner den Finger hebt und aufzählt, wie viel Stones-Originale Pankow auf der LP zitiert hat.

Mir ist eine Band viel lieber, die bis in ihre LP-Produktion hinein darauf verzichtet, dass Fahrrad zum zweiten Mal zu erfinden und statt dessen das gute, alte Veloziped aus der Scheune holt, modern lackiert und zum Rollen bringt. In diesem Sinn: It´s only Rock´n´Roll (But I like it) oder übersetzt: Das Zauberwort heißt Rock´n´Roll.