limocello2  
capri2

capri1


Eine Insel im Zeichen der Zitrone
Der Himmel ist ein dunkelgrünes Blätterdach voll leuchtend gelber Kugeln. Unter der Pergola aus Zitronenbäumen
auf der Terasse des Restaurants "Da Paolino" im Hafendorf Maria Grande zeigt sich Capri einmal ganz anders als im mythischen Himmels- und Meeresblau, nämlich von seiner gelben Seite: als Insel der Zitronen.
Bei  "Paolino" strahlt alles fröhlich im Glanz der Zitrusfrucht, viel Gelb auf  Tischtüchern, Tellern, Krügen. Nach Auberginennudeln und frischem Meeresfisch kommen die zarten "Delizie al limone" auf den Tisch, eine süsse Verführung aus Eiern, Butter und Limoncello-Creme. Der klassische Insel-Likör im geeisten Glas beschliesst naürlich jedes Mahl - schliesslich sieht sich das Restaurant als Begründer der Tradition, den Gästen zum Abschied einen hausgemachten Zitronenlikör zu spendieren.

Femmincello heisst Capris autochtone, alteingesessene Zitronensorte. Die Früchte sind dick, die Haut ist sehr porös, ihr Aroma intensiv. Zwar gibt nur noch wenige Zitronenhaine, doch hat jeder Caprese mindestens einen Baum im Garten oder auf der Terasse stehen. Denn die Zitrone ist seit alters her eine Symbolfrucht der Insel, und wie in alten, bitterarmen Zeiten wird noch immer in jedem Haushalt jeder Teil der Frucht genutzt.
Ist die Frucht ausgepresst, legen die Hausfrauen die Schalen  24 Stunden lang in ein Gemsch aus Alkohol, Zucker und Wasser, um Ihren Hauslikör Limoncello zu machen, einen einfachen Digestif von rund 32 Prozent. Das Getränk gabe es früher nur zuhause, an Festtagen oder für besondere Gäste. Und auch die Insel-Restaurants schenkten ihren Limoncello sehr sparsam aus, exclusiv an die treuesten Gäste.

Massimo Canale heisst der Mann, der vor gut fünfzehn Jahren auf die Idee gekommen ist, das rare Getränk in grösseren Mengen herzustellen  und zu verkaufen. Seine Zitronenkulturen auf den Terassen hoch oben in den Felsen um Anacapri bilden den Grundstock für die Produktion des heute in aller Welt bekannten "Limoncello di Capri". Canale verkauft ihn in drei Inselläden zusammen mit den köstlichen Likörpralinen Finissimi cioccolatini al limone. )
Die Konkurrenz schläft angesichts der Limoncello-Nachfrage natürlich nicht. Unten am Hafen von Marina Grande hat Raffaele Esposito den Betrieb "Capri Natura" eröffnet, nachdem er seinen Job als Direkor des örtlichen Elektrizitätswerks an den Nagel gehängt hatte. Nach den überlieferten Rezepten seiner Grossmutter setzt er dort pro Jahr 50 000 Flaschen Limoncello an. Ausserdem tränkt er damit luftige Biskuitküchlein für die typische süditalienische Süßspeise Baba . Espositos eigene Limonaia, ein kleiner Zitronenhain mit fünfzig Bäumen wirft für die stattliche Zitronenproduktion natürlich längst nicht genug Früchte ab. Ist die Ernte verbraucht, kauft er auf dem Festland Nachschub, in Sorent, wo  die Zitronenkultur ebenfalls eine lange Tradition hat. "DasWichtigste ist der Verzicht auf Konservierungsmittel", betont signor Esposito und liefert zu seinem naturbelassenen Limoncello auch gleich die Gebrauchsanleitung mit:  "Die Flasche ist unbedingt innerhalb Jahresfrist auszutrinken." Am besten gleich an Ort und Stelle zu verzehren sind die leckeren frischen Zitronentörtchen und Zitruskuchen der Konditorei von Fernando Buonocore im Zentrum von Capri. Die neueste Kreation dieser Pasticceria sind weiche Miniaturkuchen aus Mandelpaste und Zitrone. Bereits seit mehr als dreissig Jahren im Sortiment ist der Klassiker des Hauses: das mit Zitronenschalen aromatisierte Cremetörtchen mit Quark.

Die Insel der Blauen Grotte ist traditionell auch eine Insel der mediterranen Düfte. Die Legende erzählt, dass Capris erstes Parfüm durch Zufall im fernen Jahr 1380 in der schönen Karthause Certosa di San Giacomo entstanden sei. Die Einsiedler hätten wilde Inselblumn gesammelt und im Wasser vergessen. Beim Besuch der königlichen Hohei Johann von Anjiou habe das Wasser dann intensiv zu deuften begonnen. Dieses mysteriöse Phänomen habe die Capresen dan zum Duftmachen inspiriert. Ob Wahrheit oder Dichtung, "Carthusia"  heisst jedenfalls der neuzeitliche Laden mit den aktuellen Inseldüften. "Aria di Capri" und "Caprissimo" sind Klassiker, eine neuere Kreation ist die frische Linie "Medieranneo" mit Eau de Cologne, Cremes, Seifen und Kerzen auf der Basis von Zitronen- und Teeblättern.
Auf Capri drängt sich natürlich die Frage auf, was Zitronenbäume eigentlich so attraktiv macht. Ganz einfach: Sie können gleichzeitig blühen und Früchte tragen. Die kleinen weissen Blüten wetteifern durch ihre intensiven Düfte mit der grossen Leuchtkraft der Zitronen, geminsam sprechen sie alle Sinne an, allen voran das Auge. Capris Zitronen sind denn auch in freier Natur am schönsten. Man kann sie beispielsweise in Anacapri bewundern, im üppigen Garten der Villa Rosario, die der Schriftsteller Graham Green mehrmals besucht hat. Wenn man in Capri im Hotel "Syrene" Quartier nimmt, dann lustwandelt man sogar unter Zitronen zum Pool.
Wie überall im Süden ist die Töpferei das meistverbreitete Kunsthandwerk. Nahe liegend, dass die Zitronen das beliebteste Motiv der Inselkeramiker sind. Sie malen es auf Becher und Karaffen, auf Teller und Servierplatten, auf Aschenbecher und Blumentöpfe. Sie formen die Griffe von Tassen und Krügen als Zitronen, mal mit, mal ohne Laub. Viele "trattorie" und Restaurants benutzen das sympathische Geschirr, im Bund mit echten Zitronenscheiben schmückt es die frischen Fischgerichte gleich doppelt.


Eine der verlässlichsten Adressen, um sich ein bisschen keramischen Zitronenglanz ins Zuhause im kühlen Norden zu holen, ist die "Gallerie dell'Arte", eine alteingesessene Werkstätte im Dorf Capri mit schöner Töpferware in den charakteristischen Farben Weiss, Blau und Grün als Hintergrund fürs Zitronengelb.
Capri in leuchtender Erinnerung hinterlässt schliesslich ein Spaziergang zur Kirch Santa Sofia. Zitrusbäume säumen den Weg, und Zitronen zieren die Keramikfliesen auf Treppen und gemauerten Ruhebänken im Gewirr der Gassen. Ein Bild für die Götter - wobei vorausgesetzt werden darf, dass man die sinnliche Frucht auch in diesen Kreisen zu schätzen weiss.

................ Info Capri .................

Anreise:Von Neapel mit dem Tragflügelboot, Dauer: 50 Minuten Hotels: "Syrene", komfortables Haus mit Pool und Zitronenpergola, Capri Dorf, DZ/F ab 225 Euro, Tel. 0039/081/837 05 22; "Villa Brunella", Landhaus mit Schwimmbad im Grünen, Capri Dorf, DZ/F ab 250 Euro, Tel. 0039/081/837 01 22 Restaurants: "Da Paolino", klassische Fischküche unter Zitrusbäumen, Marina Grande, nur abends geöffnet, Tel. 0039/081/837 61 02; "Da Tonino", schöne Terrasse, auf der Köstlichkeiten wie Spaghetti alle vongole oder Wachteln auf Capreser Art serviert werden, Capri Dorf, Tel. 0039/081/837 67 18; "Le Grottelle", einfache, herzhafte Küche mit Spezialiäten wie Ravioli alle Caprese und Fisch vom Grill, Tel. 0039/081/837 57 19 Einkaufen: "Pasticceria Buonocore", Via V. Emanuele 35, Capri Dorf; "Limoncello di Capri", Loc. Maresutto 15, Anacapri (weitere Verkaufsstellen: Via Capodimonte 27 in Anacapri und Via Roma 79 in Capri Dorf); "Capri Natura", Via Veruotto 5, Marina Grande; "Carthusia", Via F. Serena 28, Capri Dorf Info: Italienisches Fremdenverkehrsamt ENIT, Tel. 069/23 74 34, www.enit.it, www.capritourism.com

Artikel erschienen am 29. Jun 2003 in der Welt am Sonntag, verfasst von Isolde von Mersi


http://www.wams.de/data/2003/06/29/124917.html



printer1
wählen Sie DinA4 quer!!


zum Stichwortverzeichnis