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Stellungnahme zum Abschlussbericht des REFLEX-Forschungsverbundes (5. EU-Rahmenprogramm)
Der Forschungsverbund REFLEX hat unter der Koordination von Prof. F. Adlkofer (VERUM-Stiftung, München) innerhalb des 5. EU-Rahmenprogramms die biologischen Wirkungen nieder- und hochfrequenter Felder in zahlreichen in vitro - Studien, d.h. an verschiedenen Zellkulturen, untersucht.

Einleitung

Die umfangreichen Versuchsreihen sind abgeschlossen und als EU-Abschlussbericht veröffentlicht (siehe www.verum-foundation.de). Ein Teil der Ergebnisse wurde mittlerweile in Fachjournalen publiziert. An dem Projekt waren elf Forschergruppen aus sieben europäischen Ländern beteiligt. Bei den Experimenten handelte es sich nicht um Ringversuche mit einheitlichen, standardisierten Versuchsprotokollen, sondern um eine Vielzahl von Einzelexperimenten, die sich nur in wenigen Bereichen überschneiden oder ergänzen. Qualität und Darstellung der einzelnen Versuche sind sehr unterschiedlich und erfordern eine genaue Auseinandersetzung mit den einzelnen Ergebnissen. Eine detaillierte Stellungnahme zu den Ergebnissen, so wie sie im EU-Abschlussbericht veröffentlicht wurden, liegt zum Download als PDF vor.

Im Folgenden werden unter Einbeziehung aktueller Replikationsstudien wesentliche Aspekte angesprochen.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Wirkungen von niederfrequenten elektrischen und magnetischen sowie von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf das Zellwachstum, die Ausformung der Zellen (Zell-Differenzierung) oder das programmierte Absterben von Zellen (Apoptose) konnten von mehreren Forschungsgruppen nicht gefunden werden. Die Ergebnisse in Bezug auf die Genexpression, das heißt die Umsetzung der genetischen Information in funktionsfähige Genprodukte, meist Proteine, waren vielfältig und komplex, jedoch gibt es keine Aussagen dazu, inwieweit diese Ergebnisse wiederholbar und biologisch relevant sind.

Im Vordergrund stehen die Ergebnisse von zwei Arbeitsgruppen:
  • AG Rüdiger (Universität Wien): Genschädigende Wirkungen bei niederfrequenter und hochfrequenter Befeldung, und
  • AG Tauber (Universitätsklinikum Benjamin Franklin Berlin): Genschädigende Wirkungen bei hochfrequenter Befeldung.

Niederfrequente Befeldung

Die Arbeitsgruppe Rüdiger beobachtete in Fibroblasten (Vorstufen von Bindegewebszellen) genschädigende Effekte wie DNA-Brüche und das verstärkte Auftreten so genannter Mikrokerne nach Exposition der Zellen mit niederfrequenten elektrischen und magnetischen 50 Hz-Feldern. Die Effekte traten nur bei regelmäßig unterbrochener (intermittierender), nicht aber bei durchgehender Feldexposition auf.

Trotz methodischer Unsicherheiten stellen diese Effekte die für den Strahlenschutz wichtigsten Ergebnisse dieses Arbeitspaketes dar. Allerdings ist es biologisch schwer erklärbar, warum trotz der beobachteten Schäden weder Zellwachstum noch Zellvermehrung oder programmierter Zelltod (Apoptose) beeinflusst werden.

Die überwiegende Mehrheit experimenteller Studien zeigt unterhalb der Grenzwerte keinen Zusammenhang von niederfrequenten Feldern und genschädigenden Effekten. Zu diesem Schluss kamen mehrere nationale und internationale Expertengremien, die regelmäßig alle zur Verfügung stehenden Forschungsergebnisse bewerten. Als Beispiel hierfür ist der Review der International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) aus dem Jahr 2003 zu nennen.

Mittlerweile wurde von der ebenfalls am REFLEX-Programm beteiligten Arbeitsgruppe von Prof. Bersani, Universität Bologna, der Versuch unternommen, die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Rüdiger unabhängig zu bestätigen. Obwohl die Versuchsbedingungen in hohem Maße übereinstimmten, konnten die Ergebnisse nicht reproduziert werden. Es wurden weder DNA-Schäden im COMET Assay festgestellt noch wurden Mikrokerne induziert. Die Veröffentlichung von Scarfi et al. 2005 liegt vor, die Untersuchungen sind exakt beschrieben und es finden sich keine Anhaltspunkte für methodische Fehler. Die Ergebnisse sind aufgrund der mindestens dreifach durchgeführten Wiederholungsexperimente und der hohen Zahl ausgewerteter Zellen belastbar.

Eine Erklärung für die gegensätzlichen Ergebnisse ist nicht erkennbar. Es wurde das gleiche Zellsystem verwendet, das vonder Arbeitsgruppe Rüdiger zur Verfügung gestellt wurde, die Signalcharakteristik (50 Hz, 1 mT, intermittierend 5 min an/10 min aus) wurde übernommen und die Exposition wurde in einer Expositionsanlage der IT´IS Foundation durchgeführt, wie sie auch die Wiener Gruppe eingesetzt hatte. Hinsichtlich der experimentellen Durchführung folgten Scarfi et al. den von der Arbeitsgruppe Rüdiger verwendeten Protokollen.

Eine aktuelle Arbeit von Burdak-Rothkamm et al. (2009) stützt die negativen Ergebnisse von Scarfi et al. (2005), nicht jedoch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Rüdiger. DNA-Strangbrüche wurden sowohl mit dem alkalischen COMET Assay als auch mit einem weiteren Test, dem yH2AX-Assay untersucht. Weiterhin bestimmt wurden Mikrokerne, Schwesterchromatidaustausche und Chromosomenschäden. Die Exposition folgte der von der Arbeitsgruppe Rüdiger beschriebenen Versuchsanordnung. DNA- und Chromosomenschäden aufgrund der Feldexposition traten nicht auf (Burdak-Rothkamm et al. 2009, Mutation Research 672, 82-89).

Hochfrequente Befeldung

Die Arbeitsgruppe Tauber, Berlin, beschreibt in einer menschlichen Leukämiezelllinie genschädigende Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder (HF) unterhalb des Teilkörper-Grenzwertes von 2 W/kg. Es wurden zwei verschiedene Tests auf Genschädigungen, nämlich der COMET-Assay und der Nachweis zur Bildung von Mikrokernen durchgeführt. Von dieser Arbeitsgruppe wird ein so genannter „Fenstereffekt“ beschrieben, das heißt der Effekt tritt bei SAR-Werten von 1.3 und 1.6 W/kg auf, nicht jedoch darunter bei 1 W/kg und auch nicht darüber bei 3 W/kg. Es wird ein möglicher Wirkmechanismus(Induktion reaktiver Sauerstoffverbindungen) vorgeschlagen. Gestützt werden die Hinweise wiederum durch die Arbeitsgruppe Rüdiger, Wien, die genschädigende Effekte in menschlichen Fibroblasten bereits bei einem SAR Wert von 0.3 W/kg beschreibt, wobei die Schäden oberhalb von 1 W/kg nicht weiter zunehmen, allerdings auch nicht wieder abfallen, so dass der „Fenstereffekt“ der Arbeitsgruppe Tauber nicht bestätigt wird. Die Ergebnisse seitens der Arbeitsgruppe Rüdiger sind mittlerweile veröffentlicht, die Ergebnisse der Arbeitsgruppe Tauber sind aber nach wie vor nur im Abschlussbericht des REFLEX-Programms publiziert.

Mittlerweile liegt auch zu diesem Komplex eine Publikation zum Versuch vor, die Ergebnisse der Wiener Arbeitsgruppe unabhängig zu reproduzieren, in diesem Fall von der Arbeitsgruppe Speit, Ulm. Es wurden keine genschädigenden Effekte gefunden. Weder die im REFLEX-Programm beobachteten DNA-Strangbrüche (nachgewiesen im COMET-Assay) noch das Auftreten von Mikrokernen konnten bestätigt werden. Diese Arbeit ist auch deshalb relevant, weil die Kooperation zwischen den Arbeitsgruppen aus Wien und Ulm sehr eng war. Die Arbeitsgruppe von Prof. Speit war seinerzeit gebeten worden, einige in Wien gefertigte Mikrokern-Präparate überprüfend auszuwerten, was gelegentlich als „unabhängige Reproduktion der REFLEX-Ergebnisse“ fehlinterpretiert worden war.

Von der Ulmer Arbeitsgruppe wurde das von der Arbeitsgruppe Rüdiger zur Verfügung gestellte Zellsystem (ES-1-Zellen) verwendet, die Exposition wurde in einer Expositionsanlage der IT´IS Foundation durchgeführt, wie sie auch die Wiener Gruppe eingesetzt hatte. Um technische Probleme entweder der Wiener oder der Ulmer Expositionsanlage auszuschließen, fand eine technische Überprüfung der Anlagen statt. Im Verlauf der Zusammenarbeit wurden Mitarbeiter ausgetauscht und Proben parallel ausgewertet. Hierbei wurde auch überprüft, ob das unterschiedliche Vorgehen bei der Analyse der COMET Assays (Einordnung „per Auge“ in Schadensklassen bzw. computergestützte Auswertung) einen Einfluss auf die Ergebnisse hatte, was aber offenbar nicht der Fall war. Ohnehin hätte dies die unterschiedlichen Ergebnisse bei den Mikrokernen nicht erklärt.

Hinsichtlich der Expositionscharakteristik wurde von der Arbeitsgruppe in Ulm aufgrund der Angaben in Diem et al. (2005) eine intermittierende (5 min Feld angeschaltet / 10 min Feld ausgeschaltet) Befeldung mit „continous wave“, d.h. einem unmodulierten Signal verwendet. Nach Publikation der negativen Ergebnisse von Speit et al. wurde auf Fachtagungen diskutiert, ob hier – möglicherweise aufgrund einer missverständlichen Formulierung in der Publikation von Diem et al. – Unterschiede in der Expositionscharakteristik vorlagen, die die Ursache für die unterschiedlichen Ergebnisse sein könnten.

Dieser Punkt muss zwischen den Arbeitsgruppen abgeklärt werden, allerdings ist Folgendes festzuhalten: in der vorliegenden Publikation von Diem et al. ist ausdrücklich von „continous wave“, d.h. einem unmodulierten Signal im Vergleich mit zwei ebenfalls untersuchten modulierten Signalen die Rede. Im Übrigen sollte bei der engen Kooperation der beiden Arbeitsgruppen davon auszugehen sein, dass ein solcher Unterschied auffällt und korrigiert wird. Davon abgesehen erscheint es nicht plausibel, dass bei einem modulierten Signal ein sehr deutlicher Effekt auftritt, bei einem nicht modulierten Signal (aber gleicher zugeführter Energiemenge) überhaupt keiner. Im Übrigen stünde dies dann auch im Widerspruch zu den oben dargestellten Ergebnissen der Arbeitsgruppe Tauber et al., die gentoxische Effekte bei Exposition mit einem nicht modulierten Signal, d.h. mit „continuous wave“ beschreiben.

Der hier vorliegende Versuch, durch enge Kooperation zweier Arbeitsgruppen die Ursachen widersprüchlicher Ergebnisse aufzuklären, ist beispielhaft. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Ergebnisse der Wiener Gruppe von zwei erfahrenen Arbeitsgruppen (Scarfi et al. hinsichtlich der Ergebnisse zur Niederfrequenz bzw. Speit et al. hinsichtlich der Ergebnisse zur Hochfrequenz) nicht reproduziert werden können.

Einschränkungen bezüglich der Interpretation der Ergebnisse aus dem REFLEX-Programm sind also nach wie vor, dass:
  • die Ergebnisse hinsichtlich gentoxischer Effekte bisher nicht unabhängig reproduziert werden konnten,
  • nur in bestimmten Zelltypen, unter bestimmten Expositionsszenarien (intermittierend, aber nicht durchgehend) bzw. nur bei bestimmten SAR-Werten („Fenstereffekt“) und nur in Einzlfällen bzw. einzelnen Versuchen genschädigende Effekte beobachtet wurden,
  • die Folgewirkungen der Schäden innerhalb der betroffenen Zellen und damit die Frage der Relevanz für die einzelne Zelle und erst recht für den Organismus (in vivo) nicht erkennbar sind,
  • zu den Ergebnissen von Tauber et al. bisher noch keine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift nach Durchlaufen eines gutachtergestützten Verfahrens vorliegt, was bei wissenschaftlichen Studien aber erforderlich ist.

Schlussfolgerungen

Prof. Adlkofer, der Koordinator des REFLEX-Programms, stellt im EU-Bericht abschließend fest, dass alle Ergebnisse ausschließlich an Zellkulturen gewonnen wurden und daher nicht geeignet sind, Aussagen über die gesundheitliche Relevanz für den Menschen zu treffen. Diese Einschätzung gilt sowohl für die Ergebnisse zur Niederfrequenz als auch zur Hochfrequenz. Sie wird vom BfS geteilt. Zellkulturversuche können wichtige Hinweise auf mögliche molekulare Wirkmechanismen oder Zielstrukturen liefern. Schlüsse über die physiologische Bedeutung im lebenden Organismus können aber nur im Zusammenhang mit Ergebnissen aus Tierversuchen oder epidemiologischen Studien gezogen werden.

Bei der Befeldung mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern wurden in vitro Effekte bei solchen Werten der Spezifischen Absorptionsrate (SAR) beobachtet, die während eines Handytelefonats unter schlechten Bedingungen oder beim Verbindungsaufbau im Kopf des Mobilfunknutzers durchaus auftreten können, allerdings um mehrere Größenordnungen oberhalb der Exposition durch Mobilfunkbasisstationen liegen. In diesem Sinne decken die vom BfS empfohlenen Vorsorgemaßnahmen, strahlungsarme Handys zu benutzen und Leistungsspitzen der Handys durch einfache Verhaltensmaßnahmen zu vermeiden, den in vitro beobachteten möglichen Wirkbereich ab.

Im Hochfrequenz-(HF)-Bereich ist es zudem notwendig, die Ergebnisse im Zusammenhang mit den übrigen internationalen wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf diesem Gebiet zu sehen. Mehrere nationale und internationale Expertengremien konnten auf der Basis von wissenschaftlichen Publikationen keine gesundheitsrelevanten Wirkungen von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern unterhalb der Grenzwerte nachweisen. In einem Review zum genschädigenden Potenzial von Hochfrequenz-Feldern (Vijayalaxmi und Obe, 2004) wurden 53 wissenschaftliche Publikationen aus den Jahren 1990 - 2003 kritisch analysiert und bewertet. Mehrheitlich wurden keine genschädigenden Wirkungen festgestellt. Es wurden gleichzeitig mögliche Hinweise auf genschädigende Wirkungen beschrieben, die jedoch in Wiederholungsstudien zum Teil von denselben Forschergruppen nicht reproduziert werden konnten. Aktuelle Ergebnisse  z. B. aus dem ebenfalls innerhalb des 5. EU-Rahmenprogramms durchgeführten Forschungsverbund PERFORM-B stützen nicht die Hypothese, dass Mobilfunkfelder genschädigend wirken. In zwei im Rahmen des Deutschen Mobilfunkprogramms initiierten Studien werden zur Zeit umfassend auf DNA- und Chromosomen-schädigende Wirkungen (DNA-Strangbrüche, Mikrokerne, Schwesterchromatidaustausche, Fehlverteilung von Chromosomen) hochfrequenter elektromagnetischer Felder des Mobilfunks a) in menschlichen Lymphozyten und b) in menschlichen Fibroblasten untersucht.

Auch in anderen nationalen wie internationalen Forschungsprogrammen werden mögliche Wirkungen von Mobilfunkfeldern untersucht. Die WHO plant, auf der Basis der neuen und z. T. noch zu erwartenden Ergebnisse eine Neubewertung des gesundheitlichen Risikos durch Hochfrequenz-Felder vorwiegend aufgrund neuer Telekommunikationstechnologien durchzuführen.


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