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Friedrich Meinecke (1862-1954)

Friedrich Meinecke wurde 1914 mit 52 Jahren Professor an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Dort lehrte er bis 1932, als er im Alter von 69 Jahren emeritiert wurde. Wissenschaftlich als Vertreter einer politischen Ideengeschichte und politisch als "Vernunftrepublikaner" in der Weimarer Republik eher ein Außenseiter, bestand die nachhaltigste Wirkung seiner Berliner Jahre in der großen Zahl seiner bedeutenden Schüler. Mehr noch als an seiner wissenschaftlichen Bedeutung entzündete sich das spätere Interesse an Meinecke aber an seiner gelehrtenpolitischen Rolle. Das hat viel damit zu tun, daß er bis 1954 lebte "und schließlich aus seiner Generation (...) der einzige Historiker (wurde), der die Brüche der deutschen Geschichte seit 1914 bis 1945 und 1948/49 erlebte und öffentlich reflektierte." (Ernst Schulin) An seiner Person wurde deshalb nach seinem Tode immer wieder exemplarisch die Rolle von Historikern in der deutschen Gesellschaft vom Kaiserreich bis in die Zeit des Nationalsozialismus diskutiert. Einer Auffassung, wonach sich Meinecke durch eine für seine Historikerkollegen eher untypische Wandlungsfähigkeit ausgezeichnet habe, die ihn vom "Herzensmonarchisten" zum "Vernunftrepublikaner" geführt hätte, steht dabei eine andere gegenüber, wonach gerade die Kontinuität seiner liberalen Grundauffassungen für ihn kennzeichnend sei.

Geboren wurde Friedrich Meinecke 1862 als Sohn eines Postbeamten in Salzwedel. Nach einem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Berlin und Bonn, unter anderem bei Johann Gustav Droysen, Heinrich von Sybel, Heinrich von Treitschke und Harry Bresslau, promovierte er 1886 bei Reinhold Koser mit einer Arbeit über das Stralendorffsche Gutachten und den Jülicher Erbfolgestreit von 1609. Nachdem er 1887 zunächst in den preußischen Archivdienst eingetreten war, habilitierte er sich 1896 bei Sybel in Berlin. Von 1893 an war er Redakteur, seit 1896 Herausgeber der Historischen Zeitschrift. 1901 wurde er in Straßburg zum ordentlichen Professor berufen, von 1906 an war er Professor in Freiburg. Nachdem er sich in seinen früheren Arbeiten wie seiner 1896/99 erschienenen zweibändigen Biographie über den Heeresreformer von Boyen noch als ehrfürchtiger Schüler seiner akademischen Lehrer gezeigt hatte, trat Meinecke mit seinem 1907 veröffentlichten Werk "Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaats" schließlich aus deren Schatten heraus. Dort stellte er die Geschichte des deutschen Nationalstaats von der preußischen Reformzeit bis zur Bismarckschen Staatsgründung harmonisierend als eine aufsteigende Enwicklung dar, indem er zugleich die Nationalstaatsidee verlebendigte und verpersönlichte. Mit diesem Buch, das ihm weite Bekanntheit einbrachte, wurde er neben Wilhelm Dilthey und Ernst Troeltsch - zu einem der Begründer der politischen Ideengeschichte.

1914, kurz nach dem Ausbruch des von ihm anfänglich begeistert begrüßten Ersten Weltkriegs, erhielt Meinecke einen Ruf nach Berlin. Doch zählte er dann zu der Minderheit unter den Professoren, die sich für einen Verhandlungsfrieden und innere Reformen einsetzte. So bewegte er sich bei seiner 1910 begonnenen Tätigkeit als historisch-politischer Kommentator in der Nähe Friedrich Naumanns, Max Webers und Ernst Troeltschs und setzte sich für eine sozialstaatliche Erneuerung des Liberalismus ein. Nur so ließ sich nach seiner Auffassung das für ihn übergeordnete Ziel der inneren Einigung der Nation erreichen. Dies bewog ihn nach 1918 auch dazu, - "nicht aus ursprünglicher Liebe zur Republik, sondern aus Vernunft und vor allem aus Liebe zu meinem Vaterlande" - der Abneigung seiner eigenen Kreise gegen die Weimarer Demokratie entgegenzutreten. 1924 veröffentlichte er mit "Die Idee der Staatsraison in der neueren Geschichte" sein zweites großes ideengeschichtliches Werk, das die Bewältigung des Verhältnisses von Ethik und Realpolitik von Machiavelli bis zu seiner Gegenwart behandelte. Darin nahm er die nach 1848 von den nationalliberalen politischen Historikern entwickelte Machtanschauung wieder zurück und verband mit der Beschwörung der Staatsraison auch eine Warnung vor rigoroser Machtpolitik.

Nachdem er bereits 1932 aus Altersgründen emeritiert worden war, verlor Meinecke 1934 in Folge der nationalsozialistischen Machtübernahme den Vorsitz der Historischen Reichskommission, den er seit 1928 innegehabt hatte, sowie 1935 die Herausgeberschaft der Historischen Zeitschrift. Als äußerlich machtloser Gelehrter im Ruhestand publizierte er aber unermüdlich weiter und veröffentlichte unter anderem 1936 "Die Entstehung des Historismus", worin er die Frage nach den der Geschichtsschreibung und dem geschichtlichen Denken zugrundeliegenden Wertmaßstäben und Gestaltungsprinzipien stellte. 1946 legte er schließlich im Alter von 84 Jahren sein vielbeachtetes Buch "Die deutsche Katastrophe" vor. Darin suchte er mit Hilfe einer kollektiven Geistesgeschichte Deutschlands seit dem 19. Jahrhundert die Ereignisse der jüngeren Zeitgeschichte zu erklären. Vor allem an der dort geforderten Rückkehr zum Idealismus der Goethezeit entzündete sich später Kritik und gelegentlich auch Spott, wurde dies doch zum Teil als Symptom der Unfähigkeit des deutschen Bildungsbürgertums zu einer angemessenen intellektuellen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit angesehen.

1948 wurde Friedrich Meinecke als Symbol des "anderen Deutschland" zum ersten (Ehren-)Rektor der Freien Universität Berlin gewählt, 1951 gab man zudem dem Historischen Seminar dieser Universität seinen Namen. Voraussetzung dafür bildete gerade die Tatsache, daß er vor 1945 eher ein Außenseiter seiner Zunft gewesen war. Doch bereits gegen Ende der 1950er Jahre begann aus der Perspektive eines "Bonner Verfassungskonformismus" (Stefan Meineke) sein Glanz zu verblassen. Seit Ende der 1960er Jahre wurde er dann teilweise gar mit dem Stigma eines Exponenten einer als reaktionär angesehenen Historikerzunft belegt, das sich mit dem in der DDR gegen ihn bestehenden Verdikt berührte. Doch wurde dies in der Bundesrepublik bald von einer gelasseneren und positiveren Beurteilung abgelöst. Dabei erfährt zum einen sein methodischer Ansatz einer politischen Ideengeschichte wieder eine freundlichere Bewertung. Dazu trägt auch das seit einigen Jahren zunehmende Interesse an einer "intellectual history" bei, da einige seiner in die USA emigrierten Schüler bei deren Entstehung eine wichtige Rolle spielten und ihm auf diese Weise mitunter eine wenigstens indirekte Vorreiterrolle zugebilligt wird. Aber auch seine gelehrtenpolitische Haltung scheint in der jüngsten Zeit wieder in einem positiveren Licht zu erstrahlen, wozu unter anderem die jüngsten geschichtspolitisch aufgeladenen Kontroversen um die Rolle von Historikern in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft beigetragen haben, die der damalige Emeritus ohne professionelle oder intellektuelle "Sündenfälle" überstand. An der wechselnden Plazierung Friedrich Meineckes in solchen "Ahnengalerien" zeigt sich somit nicht zuletzt exemplarisch die Historizität der Bewertung von Historikern durch die nachgeborenen Kollegen.


Autor der biographischen Notiz: Constantin Goschler    -   Datum der letzten Überarbeitung: 27.11.97


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