Leitlinien von BVA und DOG
Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA)
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e.V. (DOG)
eMail: bva@augeninfo.de
|
|
Zur Internet-Homepage des BVA
Zur Übersicht
Empfehlungen zum diagnostischen Vorgehen bei Verdacht auf Orbitaerkrankungen
Prof.Dr. R. Guthoff
Leitlinien sind Orientierungshilfen im Sinne von "Handlungs- und
Entscheidungskorridoren", von denen in begründeten Fällen abgewichen
werden kann oder sogar muss. Sie beschreiben, was Augenärzte für
eine angemessene Patientenversorgung in der Praxis für geboten halten.
Dies entspricht in vielen Fällen nicht dem Leistungsniveau der
gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland (siehe
Präambel).
Erläuterungen:
|
|
= Weg des Vorgehens
|
|
= Differentialdiagnostische Alternativen
|
Ausführliche Anamnese und ophthalmolgische Untersuchung (1)
|
|
|
Kein meßbarer Exophthalmus oder keine zusätzlichen
pathologischen Befunde
Pseudoexophthalmus (2)
Nutzung von Zusatzbefunden
|
Exophthalmus mit Zusatzbefunden
Orbitaechografie (falls nicht verfügbar CT, in Ausnahmefällen
MRT)
|
|
|
|
- Oberlidretraktion:
Endokrine Orbitopathie (3)
- Bulbusvergrößerung:
hohe Myopie, Buphthalmus
- kontralateraler Enophthalmus
|
pathologischer Befund
|
Normalbefund
|
|
-
Orbitawandbeteiligung ± Schallfortleitung
CT
Konsil HNO oder Nachbardisziplinen (4)
DD: Sinugene Phlegmone
DD: Nebenhöhlenneoplasie, Mukozele, bakterielle oder Pilzinfektion der
Nebenhöhlen
-
Muskelverbreiterung
DD: endokrine Orbitopathie, Myositis, Muskelmetastase, AV-Fistel
bei klassischen Myositiszeichen evtl. Diagnosesicherung "ex
juvantibus" durch Steroidstoßtherapie (eine deutliche
Befundbesserung ist nach 24 h zu erwarten)
-
Sehnervenquerschnitt vergrößert (bei bilateralem Befund
Hirndruck ausschließen)
DD: Optikusscheidenmenigeom, Optikusgliom (Morbus Recklinghausen?)
Meningeosis carcinomatosa
MRT
-
infiltrative Raumforderung
DD: Pseudotumor (5)
Zellulitis (evtl. CT zum Ausschluß einer Nebenhöhlen-Beteiligung
Lymphom, Metastase (inzisionale Biopsie)
Merke: Infiltrative Raumforderungen sind fast ausnahmslos (ggf. nach
inzisionaler Biopsie) konservativ zu behandeln
-
expansive Raumforderung (6)
CT, MRT
DD: kavernöses Hämangiom, exophytisch wachsendes Meningeom, Gliom,
Neurinom, Neurofibrom
Merke: Expansive Raumforderungen sind meist durch Exstirpation zu
behandeln
-
Gefäße darstellbar (in konventioneller Schnittbildtechnik)
DD: spontane oder traumatische AV-fistel, Varix, Thrombose der V.
ophthalmica superior ± Sinus-cavernosus-Beteiligung
CT, MRT, DSA (Digitale Subtraktions-Angiografie), Fistelverschluß
evtl. durch interventionelle radiologische Maßnahmen möglich
-
Läsion in Fossa lacrimalis
CT
DD: Knochenbeteiligung, intraläsionale Verkalkungen, im CT hyperdense
Areale
|
Anmerkungen zum Flußdiagramm
(1)
Die Anamnese und die sorgfältige ophthalmologische Untersuchung bilden
die Grundlage jeder Beurteilung eines Patienten mit Verdacht auf eine
Orbitaerkrankung. Nahezu das gesamte diagnostische Spektrum der Augenheilkunde
ist notwendig, insbesondere neuroophthalmologische Untersuchungsmethoden, um
das Krankheitsbild eines Orbitapatienten zu erfassen. Besonders hervorzuheben
sind:
- die Vermessung der Lage des Bulbus in allen Raumkoordinaten
(Exophthalmometer nach Hertel, "Kestenbaumbrille")
- Visusprüfung und Refraktionsbestimmung unter besonderer
Berücksichtigung möglicher Refraktionsänderungen (z.B.
Hyperopisierung durch Bulbusimpression)
- Gesichtsfelduntersuchungen, Schwellenperimetrie, gezielte Suche nach
Nervenfaserausfällen
- beidseitige Messung des intraokularen Drucks unter Beobachtung von
möglichen seitendifferent auftretenden pulssynchronen
Druckschwankungen, Messung in unterschiedlichen Blickrichtungen zur
Einschätzung von Dehnungsverlusten bestimmter Augenmuskeln
(Blickrichtungstonometrie)
- Beurteilung des Füllungszustandes und des Verlaufs der
konjunktivalen und episkleralen Gefäße, auch im Hinblick
auf sektorielle Unterschiede
- Prüfung auf Hornhautsensibilität
- Prüfung der Hautsensibilität der Lid- und
Periorbitalregion
- Palpationsbefund
- Motilitätsanalyse unter besonderer Berücksichtigung der
Bulbusbewegungsstrecken nach Kestenbaum
- Beurteilung der intraokularen Gefäßsituation (Iris,
Kammerwinkelregion, Fundus (mögliche einseitige Verschiebung der
Kaliberrelation Arterie - Vene))
- Suche nach Netzhaut-/Aderhautfalten
- präzise, möglicherweise quantitative Beurteilung der
Papille
- Prüfung der Pupillenmotorik unter besonderer Beachtung
möglicher afferenter Pupillendefekte, ggf. zu quantifizieren
- Erfassung von Konduktionsdifferenzen rechts - links durch Messung
visuell evozierter Potentiale (Muster-VEP)
(2)
Unter Pseudoexophthalmus versteht man eine z.B. durch eine
Lidspaltenerweiterung vorgetäuschte oder tatsächliche
Ventralverlagerung des Hornhautscheitels (z.B. durch einen
vergrößerten sagittalen Bulbusdurchmesser ohne Volumenzunahme der
übrigen Orbitaweichteile).
(3)
Die Oberlidretraktion und das Zurückbleiben des Oberlides bei
Blicksenkung (von Graefe'sches Zeichen) sind die wichtigsten Hinweise für
das Vorliegen einer endokrinen Orbitopathie. Sie sollten ohne weitere
bildgebende Diagnostik zu einer Analyse der Schilddrüsenparameter
Anlaß geben.
(4)
Ein Exophthalmus kann das Erstsymptom einer von den Nebenhöhlen
ausgehenden Entzündung oder einer Neoplasie sein. Der subperiostale
Spaltraum kann sich durch den pathologischen Prozeß entfalten und eine
direkte Beteiligung der Orbitaweichteile mit komplexerer Symptomatik
verzögern.
(5)
Der Pseudotumor orbitae stellt eine nicht erregerbedingte, nicht mit einer
Systemerkrankung in Zusammenhang stehende, entzündliche Orbitaerkrankung
dar. Einzelne oder mehrere Weichteilstrukturen können betroffen sein;
auch eine diffuse Infiltration aller Strukturen kommt vor. Kinder und
Erwachsene können betroffen sein. Bei Kindern liegen bei 50 % bilaterale
Befunde vor; bei Erwachsenen läßt ein bilateraler Befund an eine
Systemerkrankung (lymphoproliferativ, systemische Vaskulitis) denken.
(6)
Expansive Raumforderungen stellen ca. 20 % aller Orbitaprozesse dar. Nahezu
alle Tumoren können auch in der Orbita auftreten. Ob eine inzisionale
Biopsie oder eine in-toto-Exstirpation sinnvoll sind, hängt von Lage und
Ausdehnung der Veränderung ab.
© 1998 BVA, alle Rechte vorbehalten
Zum Verständnis der Empfehlung: siehe Präambel
Letzte Durchsicht und Aktualisierung: 20.12.1998
*** end ***