Mr. Electric

Es gibt nur einen Weg aus der Ölabhängigkeit: Das Benzinauto muss weg. Davon ist Shai Agassi überzeugt. Und mit ihm Renault/Nissan. Bald setzt sich ganz Israel in sein Elektroauto.

21.11.2008 von Sven Behrisch , 16 Kommentare

Philosophen sind kluge Leute. Sie sagen: Rätsel haben immer eine Lösung, man muss nur clever genug sein. Zu Problemen dagegen gibt es nur manchmal eine Lösung, meist sind es mehrere, und selten beseitigen sie das ganze Problem. Das Rätsel ist kompliziert, das Problem ist komplex. Wir sprechen von Kreuzwort- und Sudoku-Rätseln, aber vom Öl- und dem Klima-Problem. Doch dann gibt es Leute, die noch klüger sind. Einer von ihnen ist Shai Agassi. Er hat gerade das Öl- und das Klima-Rätsel gelöst, mit einem Handyvertrag, einem Roboterarm und einer Autobatterie.
Er sagt: «Wenn es darum geht, ein undurchschaubares Hindernis in viele kleine Teile zu zerlegen, für jedes eine Lösung zu finden und anschliessend das Puzzle wieder zusammenzusetzen, vom Konzept bis zur Abwicklung, bin ich wahrscheinlich der Beste, den es gibt auf der Welt.» Erleichterung spricht aus seiner weichen, leisen Stimme, seinen braunen Augen, seinem kantigen Gesicht. Erleichterung darüber, dass es ihn gibt.
Mit 28 Jahren hat Agassi seine Firma TopTier, es war seine vierte oder fünfte, für 400 Millionen Dollar an den Software-Riesen SAP verkauft. Sechs Jahre war er dort im Vorstand, dann kündigte er. «Man bot mir die Leitung grosser Firmen an, die Führung von NGOs, ich hätte Politiker, Privatier, Investor, ich hätte einfach alles machen können. Aber ich nahm das grösste denkbare Risiko auf mich.» Agassi entschied sich, die Welt zu retten.
Der Weg in die Zukunft führt über die Flure des Pariser Autosalons. Sein Mittagessen, ein Käsebrötchen, in der einen Hand, ein Blackberry-Gerät in der anderen, spaziert Agassi zum Messestand von Renault. Sein Körper unter dem schwarzen Anzug, dem weissen Hemd und der biederen Karo-Krawatte wirkt athletisch, sein Schritt ist leicht, fast scheint er zu schweben, und seiner trotz flachen Schuhen fünf Zentimeter grösseren Assistentin geht er einen halben Meter voraus. Es geht ihr wie der Automobilindustrie: Sie ist grösser, hinkt aber hinterher.
Nebenan stellt Porsche sein wüstentaugliches Cayenne-SUV vor, 500 PS und eine Klimaanlage, die dem Fahrer in der Sahara den Bart vereist. Der Benzinverbrauch steht gar nicht erst dabei. Agassi sagt: «Du wirst diesen Korridor in zwei Jahren entlanggehen, und mehr als die Hälfte der Autos wird elektrisch sein. Du läufst hier in vier Jahren herum, und», Agassi macht eine seiner häufigen dramaturgischen Pausen, in denen er Anlauf nimmt zu einer unerschrockenen Prognose, «sie werden das Einzige sein, was du siehst.»
Agassi, vierzig Jahre alt, wuchs in Israel auf, als Kind einer Marokkanerin und eines Irakers. Als Siebenjähriger experimentierte er mit Lochkarten. Als Teenager baute er gemeinsam mit seinem Vater Reuven seine erste Firma auf. Mit fünfzehn schrieb er sich auf der Technion ein, der Elite-Uni Israels, und programmierte für das Militär. Er wurde reich. Er gründete eine weitere Firma und wurde noch reicher. Er ging in die USA. «Ich hatte meinem Land gegenüber eine Schuld einzulösen. Frieden ist die grösste Mission, die man sich im Nahen Osten aufbürden kann. Und der Klimawandel ist eine Schuld, die ich gegenüber meinen Kindern habe. Und so sagte ich mir: Wie wäre es, beide Probleme zu lösen – irgendwie.»
Er fragte sich: Gibt es eine Ursache für beides, den Krieg und den Klimawandel? «Die Antwort war sehr einfach: Es ist Öl. Ich fragte weiter: Wie kommen wir vom Öl los? Die Antwort war noch einfacher», Pause. «Weg mit den Benzinautos.» Er überlegt kurz, als suche er nach einer treffenden Formulierung. «Wir lassen unsere Kinder nicht mit Benzin in ihren Zimmern zündeln. Aber wir brennen damit ihr Wohnzimmer ab – unseren Planeten.»
Inzwischen hat er in einem Besprechungsraum im VIP-Bereich von Renault Platz genommen, die Füsse unter den Tisch gestreckt. Alle paar Minuten drückt er einen Anruf auf seinem Blackberry weg, er findet die Taste, ohne hinzusehen. «Wenn wir mit Benzinautos weitermachen, steigt der Ölpreis. Grosse neue Ölquellen gibt es nicht. Wenn man also Jahr für Jahr konservativ geschätzt vier Prozent mehr Autos hinzurechnet, braucht man vier Prozent mehr Öl auf dem Markt. Vier Prozent mehr Öl auf dem Markt entsprechen drei Millionen Barrel pro Tag. Mach das vier Jahre, und du bist bei zwölf Millionen Barrel täglich. Der Preis muss also steigen. Und wenn wir einmal bei 200 oder 250 Dollar pro Barrel sind», Pause, «wird es keinen Menschen auf der Welt mehr geben, der sich ein Benzinauto kauft.»
Schon jetzt kostet ein mit Kraftstoff gefahrener Kilometer rund zwanzig Rappen. Elektrisch sind es vier Rappen, weil ein Elektromotor die Energie fast ohne Verluste umsetzt, während der Verbrennungsmotor mehr als zwei Drittel verpufft. Neu ist diese Einsicht keineswegs. Bis vor hundert Jahren war die Zukunft des Automobils elektrisch. Die Electric Vehicle Company war der grösste Autobauer der USA. Der Lohner-Porsche, einer der ersten Porsche-Konstruktionen aus dem Jahr 1900, fuhr vollelektrisch beachtliche fünfzig Stundenkilometer, jedoch nur fünfzig Kilometer weit.
Das Problem waren und sind nämlich die Batterien, die nur für kurze Distanzen reichen. Der moderne Hybrid – ein Benzinmotor, der sich die Antriebsarbeit mit einem elektrischen teilt – sei, sagt Agassi, nur eine Zwischenlösung und ausserdem zu teuer. Viele Experten und Autokonzerne setzen deshalb auf Brennstoffzelle oder Wasserstoffantrieb, weil sie nicht das Problem haben, Energie speichern zu müssen. Agassi winkt ab. «Das sind keine Experten. Zur Batterie gibt es keine Alternative.»
Die Autoindustrie, sagt er, habe nichts verstanden. Mercedes, Ford, Volkswagen – «keine Leadership», keine Vi-sion. Deshalb muss er es machen. Deshalb gründete er im März 2007 in Kalifornien seine Entwicklungsfirma Project Better Place, traf binnen zweier Monate zweihundert Politiker, Autobauer, Batteriehersteller und Investoren und sammelte 200 Millionen Dollar Startkapital. Renault und Nissan sind inzwischen mit an Bord und bauen die Elektroautos, Israel und Dänemark senken ihre Steuern für die Fahrzeuge. Dort lässt er momentan jeweils eine halbe Million Ladestationen errichten. Anfang Oktober hat Frankreichs Präsident Sarkozy verkündet, sein Land sei bei der Elektrorevolution mit dabei, Ende Oktober unterschrieb Agassi in Australien einen Deal über eine Milliarde Dollar. Das «Project» hat er aus dem Firmennamen gestrichen. «Es ist jetzt kein Projekt mehr, es ist ein richtiges Ding. Und wenn es funktioniert, wird es gross, richtig gross.»
In Kopenhagen und Tel Aviv hat er Ableger seiner Firma gegründet, doch Agassi reist weiter. Sein nächstes Ziel? «Mehr Autos, mehr Länder.» Er will, dass alle grossen Produzenten auf elektrisch umrüsten, überall. In den letzten vier Wochen, rechnet er vor, hat er viermal die Welt umrundet, seine zwei Kinder sieht er fast nie. Wo er lebt? Er lacht. «Ich lebe nicht.» Seine weissen, leicht hervorstehenden Zähne strahlen in dem gebräunten Gesicht, die Augen aber fixieren sein Gegenüber. «Das ist kein Spass. Ich werde weitermachen, bis wir den Krieg gewonnen haben.»
Es sind vor allem zwei Gründe, warum heute kaum Autos ohne Auspuff unterwegs sind. Der eine ist der Preis. Weil die Fahrzeuge in sehr geringer Stückzahl gebaut werden, sind sie weitaus teurer als vergleichbare Modelle mit Benzin- oder Dieselantrieb. Agassi setzt deshalb auf Masse. Renault soll in der Lage sein, nicht nur ein paar Tausend, sondern Hunderttausende Elektroautos in Serie herzustellen, und zwar «in jeder Produktionshalle, die sie auf der Welt haben». Der andere Grund liegt in der geringen Reichweite. Selbst die Autos, die mit der neuesten Generation der Lithium-Ionen-Akkus ausgestattet werden, schaffen es kaum, mehr als hundertfünfzig Kilometer weit zu fahren. Für Agassi ist das kein Problem.

Aufladen statt tanken
Er erfand den ERGO, den «Electric Recharge Grid Operator», einen Netzwerkbetreiber, der die Strombetankung der Autos koordiniert. Mit ihm schliesst man einen Vertrag wie bei einem Handy, nur dass anstatt der Minuten die Kilometer zählen. «Du kannst wählen, ob du Prepaid oder Flatrate möchtest. Und ab einer bestimmten Kilometerzahl bekommst du das Auto praktisch geschenkt.» Automatische Ladestationen an öffentlichen Parkplätzen, in Tiefgaragen und zu Hause werden die Autos betanken, wann immer sie stehen. Die Batterie, sagt Agassi, bestünde 10 000 Ladezyklen, genug, um die Erde dreissigmal zu umrunden. Eine spezielle Software, natürlich aus Agassis Hause, steuert, wo wie viel getankt wird.
Auf längeren Strecken fährt man in eine Wechselstation, «die ein bisschen wie eine Waschanlage aussieht». Ein Roboterarm greift sich die leere Batterie und setzt eine volle ein. «Der Kunde muss nicht einmal aussteigen. Dauert es länger als an einer Benzintankstelle, bekommst du einen Kaffee.» Vom Kunden her müsse man denken, nicht vom Auto her, wie bei Toyota und BMW. «Ich bin in ein Flugzeug gestiegen und habe mir als Erster die Autowelt von oben angesehen, nicht aus der Perspektive der Motorhaube wie alle anderen.» Sätze wie dieser, sie sind die Wechselstationen, an denen Agassi sein Ego auflädt.
Angefangen hat alles vor drei Jahren. Er arbeitete bei SAP, zuständig für Produkte, Industrie-Lösungen – und originelle Ideen. Schon damals schlug er vor, die im Haus produzierte Software und Hardware zu verschenken und die Kunden für Service und IT-Support zahlen zu lassen, in etwa wie bei einem Handyvertrag. Sie lachten ihn aus. Dann erhielt er die Einladung zum Young Global Leaders Forum, einem exklusiven Klub junger Dotcom-Millionäre und NBA-Stars.Das Treffen in Zermatt stand unter dem vagen Motto «Better Place», und jeder sollte sich Gedanken darüber machen, wie die Welt ein wenig besser werden könnte. An Zermatt gefiel ihm, «dass du da nicht einfach mit deinem Jeep herumfahren kannst. Die haben nur elektrische Minibusse».
Wenn man die Menschen dazu bringen will, Elektroautos zu fahren, war Shai Agassi überzeugt, dürfen sie auf nichts verzichten. Die Wagen müssen genauso schnell, genauso komfortabel und genauso gross sein wie alle anderen. Nur billiger und emissionsfrei. Da die Zeit drängt, muss auf vorhandene Technologie zurückgegriffen werden. Das einzig Neue, die Batterie-Wechselstationen, würden das Problem nicht sein, auch wenn alle Autofabrikanten sagten, es sei unmöglich, in zwei, drei Minuten eine Batterie vom Stromkreislauf zu trennen und aus dem Chassis zu heben. Agassi lächelt. «In einer modernen Autofabrik gibt es kein einziges Teil, das ein Roboterarm nicht binnen einiger Sekunden an die richtige Stelle montiert.»
Zurück aus Zermatt, verbrachte Agassi seine Abende damit, Energieexperten zu treffen und Batteriemodelle zu studieren. Im Dezember 2006 wurde er zum Saban-Forum eingeladen, einem elitären Zirkel, in dem Condoleezza Rice, Shimon Peres und Tony Blair über den Nahen Osten diskutieren. Ein wenig aufgeregt sei er gewesen, sagt er. Die anderen redeten über internationale Beziehungen, er über Batterien. Ein Land wie Israel, sprach er vom Podium, könne sich sehr einfach vom Öl der arabischen Nachbarstaaten unabhängig machen. Es brauche nur sein Geschäftsmodell anzuwenden. Agassi kehrte nach Silicon Valley zurück und widmete sich SAP. Eine Woche später klingelte das Telefon. «Und, was ist jetzt damit?», fragte eine ihm wohlbekannte Stimme. Es war Shimon Peres, der Präsident von Israel.

Unter Freak-Verdacht
Agassi überlegte. Und kündigte. «Wenn du eine Mission hast, interessierst du dich nicht mehr für deinen Job.» Kurz zuvor teilte ihm sein Arbeitgeber mit, dass er sich noch etwas gedulden müsse, bevor er Chef des Unternehmens würde. Er wurde sein eigener Chef, nahm eine Handvoll ehemaliger Mitarbeiter mit sich, seine Geschäftskontakte, sein Software-Wissen und sein Verkaufstalent. Seine Dienstwagen, zuletzt ein Mercedes E 500 AMG, einen BMW 740i und seinen Porsche, liess er stehen.
Wie überzeugt man in gerade mal zwei Monaten seine Geschäftspartner, ihm, einem Computermann, 200 Millionen Dollar für ein Projekt zu geben, das die automobile Welt auf den Kopf stellen will? «Nun, als Erstes habe ich ihnen gesagt, dass ich nicht spinne. Denn sie mussten denken, ich sei verrückt. Dann rechnet man ihnen kurz vor, wie viel weniger ein elektrisch gefahrener gegenüber einem konventionell gefahrenen Wagen kostet, nämlich ein Fünftel. Wenn du mit Leuten sprichst, welche die Industrie kennen, musst du ihnen eigentlich nicht viel erzählen. Sie wissen, dass sich irgendetwas ändern wird. Nur wussten sie bislang nicht, was es ist.»
Natürlich hatte er auch einen Businessplan. Ohne Businessplan bekommt man heute keinen Cent. Businesspläne zu schreiben, ist eine Wissenschaft für sich. Agassi schrieb ihn im Flugzeug, auf dem Weg von New York nach Tel Aviv. «Ich stieg ein mit einem leeren Dokument, und am Ende hatte ich sechzig Seiten voll getippt. Es war wie ein Download. Der Typ neben mir sagte nur: Sie sind ein Freak.»

Virtuelle Ölfelder
Er hatte den Plan, er hatte das Geld. Fehlten die Autos. «Wenn du einen Anruf von Shimon Peres bekommst, ist das etwas anderes, als wenn Shai Agassi anruft», sagt Agassi, «wahrscheinlich.» Weil das so ist, rief Peres die fünf grössten Autobauer an. Drei von ihnen kamen nicht, einer wollte Peres vom Hybrid überzeugen. Nur Carlos Ghosn, der CEO von Renault und Nissan, sagte nach fünf Minuten: «Ich denke, das ist eine fantastische Idee. Das machen wir. Es war ein unglaublicher Moment.» Im Januar diesen Jahres unterzeichneten Agassi, Ghosn und Peres einen Vertrag, in dem als Ziel vereinbart wurde, dass Israels Strassen mithilfe von Better Place, Renault und der Regierung bis 2015 weitgehend von Benzinautos befreit sein werden.
Israel ist in mehrerlei Hinsicht ein ideales Versuchsgelände für Agassi. Die Regierung will unabhängig von Öl werden und ist dabei, verschiedene Schlüsseltechniken von der Energiegewinnung bis zum Recycling an das Land zu binden. In Peres hat er einen der mächtigsten Förderer, den er in dem Land nur haben kann. Vor allem aber: Israel ist klein, von Tel Aviv nach Jerusalem und zurück kommt man problemlos mit einer Batterieladung, und der Grenzverkehr ist aus politischen Gründen eher begrenzt. Weil praktisch niemand mit dem Auto über die Grenze fährt, sind Aufladestationen in den umliegenden Ländern überflüssig. «Wie ein Hund an der kurzen Leine benimmt sich der Israeli», sagt Agassi und lacht laut auf. Mit den Witzen ist es wie mit den Ideen: Die eigenen sind einfach die besten.
Als zweites Land kam Dänemark hinzu, von ähnlicher Grösse wie Israel, zudem mit teilweiser Insellage. Mit DONG, dem grössten Stromerzeuger des Landes, schloss Shai Agassi ein Abkommen, das sich für beide Seite lohnt. DONG erzeugt zwanzig Prozent seiner Energie aus Windkraft, mehr als jeder andere Stromkonzern der Welt. Das Problem: Nachts bläst der Wind besonders stark, aber der Stromverbrauch ist ausgesprochen niedrig. Die Lösung: Agassis Elektroautos dienen als Akkus für den nächtlich produzierten Strom. Die Speicherung des nicht sofort abgerufenen Stroms ist eines der Hauptprobleme bei der Gewinnung alternativer Energie. Shai Agassi denkt aber schon wieder weiter: «Intelligent vernetzt, könnten die Autobatterien sowohl Strom aufnehmen als auch bei Bedarf Strom abgeben.» Agassi nennt es das «virtuelle Ölfeld», an dem am Ende der Autohalter sogar verdienen kann.
Israel will Unabhängigkeit von den arabischen Ländern, Dänemark vom Wetter. Was aber ist mit den grossen Ländern, mit Indien, China, den USA? Agassi bläst die Luft durch die Lippen, dass der Tisch feuchte Bläschen bekommt. «Die USA importieren dieses Jahr Öl im Wert von 700 Milliarden Dollar. 700 Milliarden. Klingt die Zahl vertraut? Genauso viel, wie der Staat bereit stellt, um seine Banken aus der Finanzkrise zu retten. Können sich die USA nächstes Jahr das Doppelte leisten?»
Rhythmisch klopft er mit der flachen Hand auf den Tisch und betont jede Silbe. «Die USA sind gefangen wie das Wild im Scheinwerferlicht.» Dabei ist die Lösung so einfach. Das Strassennetz sei hervorragend, Tankstellen für Batterie-Wechselstationen vorhanden, und das Land stehe vor der Rezession. Ideal. Denn geht es der Wirtschaft schlecht, investiert der Staat am liebsten in grosse Programme zur Infrastruktur. «Also», Agassi lehnt sich zurück und wischt kurz über den Tisch, «warum nicht die USA, warum nicht jedes andere Land der Welt?»
Agassi steht wieder in der grossen Halle, wo Hostessen in grauen Kleidchen den Fotografen ein Motiv für die weniger spektakulären Renault-Karossen liefern. Der Laguna ist so einer davon. Brav in der Mitte gescheitelt per Falz auf der Motorhaube hat man ihm ein biederes Blechkleid umgelegt. Ein solches Modell parkt auch auf dem Firmengrundstück von Better Place in Tel Aviv. Es ist der Prototyp. Einer, die Batterie liegt im Kofferraum. In zwei Jahren läuft der Systemtest mit 40 000 Autos an, in drei Jahren beginnt die Massenproduktion. «Du brauchst nicht zu schalten, hörst keine Motorengeräusche, und die Beschleuni-gung ist fantastisch, von 0 auf 100 in sieben Sekunden, das schafft der Benziner nicht.» Es klingt nicht sehr glücklich. Vielleicht könnte er sich mit dem Porsche nebenan mehr anfreunden? Er nickt. «Abwarten. In vier Jahren gibt es entweder in einem Porsche keinen Benzinmotor mehr oder es gibt Porsche nicht mehr.»
Er muss jetzt weiter, läuft, der Assistentin einen halben Meter voraus, den Flur hinab, zu einem Reifenhersteller, einem französischen Elektroauto-Hersteller, einem amerikanischen Elektroauto-Hersteller. Er telefoniert, trifft das Renault-Marketing, gibt ein Interview. Morgen fliegt er nach London, übermorgen nach Los Angeles. Noch vier Jahre.

Die Diskussion

16 Reaktionen

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    Edgar Herren

    Eine erfreuliche Initiative von einem engagierten jungen Menschen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob der Markterfolg tatsächlich eintritt. Die technischen und infrastrukturellen Hürden sind beachtlich. Ich sehe Potential für den lokalen Personenverkehr, nicht aber für Schwerverkehr, Fernverkehr und die Luftfahrt. Damit wird auch Israel vom Öl abhängig bleiben.
    Bezüglich Klimaneutralität bleibt zu sagen, dass ein Elektroauto, welches mit Kohlekraftstrom aufgeladen wird auch einen Auspuff verfügt, nur halt an einem anderen Ort. Stellen wir weltweit alle 1′000′000′000 Autos auf Elektro um, haben wir die Treibhausgasemissionen um 9.9% gesenkt (Quelle: IPCC). Das Klimarätsel wäre also gelöst.

  2. Mathias Menzl

    schön und gut. aber kann man mit batterien auch plastik-produkte herstellen?

  3. Retnald Butler

    bemerkenswert, wie man in einem artikel das ende des verbrennungsmotors im auto verkünden kann, ohne auch nur einen satz darüber zu verlieren, wo denn der viele strom für die elektrofahrzeuge plötzlich herkommen soll

  4. Peter Kunze

    Schade, Die Probleme wurden tunlichst ausgeklammert. Der schnelle Batteriewechsel an der Tanke geht nur mit standardisierten Akkumodellen (Form, Spannung, Kapazität) auf welche sich die Autobauer (und nicht nur Nissan/Renault) einigen müssten. Öl als Treibstoff durch Strom zu ersetzen zwingt zum Bau von entsprechender Kraftwerkskapazität. Gas, Öl und Kohle fallen weg, Kernkraft ist problematisch und Wasser gibt es in der Gegend nicht wirklich. Als Chance sehe ich dabei jedoch die Begrenzung auf ein Testgebiet (i.e. Israel). Ein Solarkraftwerk in der Negev wäre ein durchaus plausibler Ansatz.

  5. Simon Schaudt

    Auch dieser Bericht zeigt “offene Fragen” auf. Darum wird er von uns allen gelesen. Das ist der Sinn.
    Shai Agassi ist davon überzeugt. Leute wie er werden zu grossen und guten Veränderungen beitragen.
    Es gibt heute viele Studierende, welche ihren Lebensteil als Abschnitt “zur Gründung” nützlicher Taten einsetzen – nicht der Karriere willens.

    Ein Mensch mit “Überzeugung” zieht andere Menschen an. Im Guten sehend bewirkt das nach dem = einfach “enormes”.
    Das ist gut so. Sind wir auch dabei?

  6. Michael Wunderli

    bedingung für dieses scenario ist ein hoher ölpreis! wenn dieser in 4 jahren wirklich so hoch steigt, kann ich mir noch ganz anderes vorstellen.
    Aus der abhängigkeit des erdöls werden wir uns erst lösen wenn wir uns die abhängigkeit nicht mehr leisten können.

  7. Blake Alcott

    Shai Agassi liess seine Mercedes, BMW und Porsche stehen, konvertierte zum Elektroauto. Um ‘die Welt zu retten’ – vermutlich von der übermässigen Vebrennung vom Erdöl. Für seine Mission jettet er unablässig um die Welt, zielt auf die Massenproduktion von Blechkisten, um deren Preis zu senken, und hat keine Zeit für seine zwei Kinder; er sagt, ‘Ich lebe nicht.’
    Agassi ist eine tragische Figur, weil seine Batterieautos werden keinen einzigen Tropfen Erdöl einsparen: Fahren wir elektrisch, fliesst ungeheuer viel graue Energie in die Stromproduktion selbst und in die Blechkisten- und Infrastrukturherstellung, also ist die Sache keineswegs ‘emissionsfrei’. Das grosse Problem aber sprengt die Grenzen seiner Ingenieur-Denkweise: fahren wir elektrisch, werden die 7 Milliarden Menschen auf der Erde die vorläufig eingesparte Erdöl bloss für anderes oder für weitere Bevölkerungswachstum brauchen. Kein ‘virtuelles Ölfeld’ weit und breit.
    Agassi wird deshalb scheitern – weil er nicht weltweit und ganzheitlich denkt. Und es wird nicht einmal gelingen, die Ölabhängigkeit Israels und Dänemarks zu vermindern. Dies geschieht erst wann das Erdöl entweder aufgebraucht ist, oder, wie es das Kyoto Protokoll vorsieht, weltweit rationiert ist. Alternative Energien würden dann helfen, unseren Wohlstand zu halten, aber zur Lösung des ‘fossilen’ Problems tragen sie nichts bei.

  8. Hansulrich Hörler

    Auf längere Sicht ist das Elektroauto sicher im Kommen, das sieht seit dem Erfolg der Lithium- Jonen- Batterie auch die geschmähte Autoindustrie ein. Aber so kurzfristig und erst noch billig, wie das sich Herr Agassi vorstellt, geht es kaum. Elektroautos sind schwerer als bisherige Wagen und brauchen mehr graue Energie für die Herstellung. Wohl noch für Jahrzehnte ist es sowohl für das Klima wie die Finanzen wesentlich vorteilhafter, mit neuen CO2- armen Kraftwerken die noch weltweit dominierenden fossilen Kraftwerke, vor allem Kohle, zu eliminieren und dafür mit sparsamen Benzin- und Dieselautos herumzufahren.

  9. Martin Dörfler

    Es ist zu bezweifeln, ob der “Mr.Electric”, Shai Agassi, tatsächlich zu den “noch klügeren Leuten” zählt und dass er “…gerade das Öl- und das Klima-Rätsel gelöst” hat, wie der an sich interessante Artikel vorgibt. Denn: Ist dieses Rätsels Lösung nicht ganz einfach eine kurzsichtige Idee, eine folgenschwere Problem-Verlagerung in der Energieversorgung? Woher denn will Mr.Electric den durch die Öl-Substitution gewaltig ansteigenden Bedarf an elektrischer Energie für die Batterie-Ladungen der Elektro-Autos beziehen? Wind-, Solar- oder Wasserkraftwerke als klimaschonende Energiequellen würden da wohl bei weitem nicht ausreichen, nicht für die zwei Pilot-Länder Israel und Dänemark , und schon gar nicht für eine globale Problemlösung. Also bliebe wohl nur der Bau neuer Kernkraftwerke, die Nutzung der Atomenergie? So weit so gut – oder eben nicht. Was wäre mit dem wachsenden Berg der zusätzlich anfallenden radioaktiven Abfälle? Statt CO2- und Feinstaub-Emissionen der Ölverbrennung hätten wir doch ganz einfach entsprechend vermehrte hochradioaktive Abfälle. Und anstelle der Opec-Staaten wären wir von Atomenergie-Multis abhängig? Der Preis dafür? Unsere Nachfahren der kommenden hunderttausend Jahre (so es denn von unserer Species noch so lange neue Generationen geben wird) wären dem nicht absehbaren Risiko des immer noch nicht gelösten Problems: Wie endlagert man sicher radioaktive Abfälle? ausgesetzt!
    Es wäre interessant zu erfahren, wie der hochkluge Shai Agassi dieses ernsthafte Problem angehen will. Das freilich bleibt leider rätselhaft, weil ein entsprechendes Nach- und Hinterfragen im Artikel fehlt. Schade, besser wäre wohl gewesen, der Autor hätte statt über das Verständnis von ‘Rätsel’ und ‘Problem’ zu philosophieren über ‘Klugheit’ und ‘Cleverness’ nachgedacht. Dann wäre er vielleicht der geschäftstüchtigen Cleverness des Shai Agassi (sie bleibt zu bewundern und zu respektieren) weniger auf den Leim gegangen. Solche hat nämlich noch nie die wahren Probleme des Menschen und der Menschheit gelöst.

  10. Roland Prien

    Falls die benötigte Elektrizität “CO2″ neutral hergestellt werden kann z.B. mit Wasser- oder Sonnenenergie, kann man das Problem der fehlenden Reichweite von Elektroautos einfacher durch CarSharing lösen. Das heisst, man benutzt SBB für die lange Distanz und mietet für die kurze Distanz ein Elektroauto, das während dem Parken wieder aufgeladen wird, oder wechselt das “leergefahrene” Auto gegen ein Auto mit voller Batterie. Die Benutzung der Batterie als Energiespeicher ist bekannt unter dem Namen “Vehicle to Grid” (siehe Wikipedia) und wurde 1990 von Willet Kempton von der Universtät Delaware in Newark zum ersten mal untersucht.

  11. Leo Neuweiler

    Mit grossem Interesse habe ich die technische Lösung unserer zukünftigen elektrischen Mobilität gelesen. Shai Agassi bleibt nur die Anwort auf eine Frage schuldig: Woher kommt die benötigte elektrische Energie?
    Heutzutage haben wir die Möglichkeit Wasserkraftwerke zu bauen, Atom-Strom zu generieren, mit Öl, Gas oder Kohle Kraftwerke zu betreiben. Was ziehen Sie persönlich vor? Wind-, Solar- Gezeitenkraftwerke? Wieviele zusätzliche Kraftwerke braucht das Projekt “Better Place”? Jede Form von Energiegewinnung und -nutzung nimmt Einfluss auf unsere Umwelt. Was für Israel und Dänemark politisch und technisch vielleicht eine gute Lösung ist, könnte in anderen Gegenden die Umwelt äusserst strapazieren. Ich bin auf eine Fortsetzung ihrer Story, die der Gewinnung der benötigten elektrischen Energie gewidmet ist, sehr gespannt.

  12. Walter E. BURRI

    Die Idee vom Elektroauto finde ich super. Nur hat aber auch dieses Konzept wie viele andere alternative Energiekonzepte ein grosses Problem : Die Gewinnung der entsprechend erforderlichen (Elektro-) Energie. Ausser der in Dänemark aus Windkraft gewonnenen Elektroenergie fehlt jeglicher weitere Hinweis bezüglich der Gewinnung der erforderlichen Elektroenergie. Bekannterweise gibt es ausser Gezeiten – / Solar – / Wasser – & Windkraft – Werke keine umweltfreundlichen Energieerzeuger. Bekannterweise gelten aber auch diese Energieerzeuger als nicht absolut umweltfreundlich. Zudem ist auch die Frage der Energiespeicherung nur mangelhaft gelöst. Wir in der Schweiz können nachts mit einem gewissen Verlust überflüssige Energie in den Pumpspeicherwerken wieder zwischenspeichern. Ich wünsche mir aber von ganzem Herzen, dass Mr. ELECTRIC alle noch offenen Probleme erfolgreich lösen wird.

  13. Beat Goldstein

    Besten Dank für den spannenden Artikel zur elektromobilen Revolution. Über eines schweigt sich Shai Agassi leider aus: woher soll der Strom kommen, mit dem die vielen Elektroautos aufgetankt werden? Weltweit wird über 80% des Stroms aus nicht erneuerbaren Quellen produziert. Im “Versuchsgelände” Israel sind es gar mehr als 99%. Der Grossteil von Israels Elektrizität wird aus den Primärenergieträgern Kohle und Öl produziert, welche aus dem Ausland importiert werden müssen. Lediglich bei der Stromproduktion aus Gas (weniger als 20%) ist Israel nicht auf Importe angewiesen. Doch auch diese Quelle trägt zur Klimaerwärmung bei und wird bald versiegen. Der Umstieg auf Elektroautos allein bietet also keine wesentliche Entschärfung, weder der Klima- noch der Abhängigkeitsproblematik. Entscheidend ist die Umstellung der Stromprodukton auf eneuerbare Quellen.
    (Daten: International Energy Agency, Israel Electric Corporation)

  14. JPKessler

    Heute ist es möglich (sogar in der Schweiz) via Photovoltaikanlage seinen Jahresbedarf an Solarstrom für das Auto ins Netz einzuspeisen, um ihn dann wieder zu beziehen wenn man ihn braucht….meine Solaranlage liefert pro Jahr etwa 2500 KW ins Netz, das reicht um mit dem Elektro Twingo (Verbrauch ca. 15KWh / 100km) gegen 15000 km/Jahr zu fahren. Meiner Meinung nach muss jedes Auto in Zukunft mit Erneuerbaren Energien betrieben werden, das rechnet sich sogar, wenn man die Benzinpreise nimmt um die “Solarrechnung” schönzurechnen, oder wenn ich für die 25000 Franken, die die Solaranlage gekostet hat, der Bank für die Hypothek 750.- (3%) bezahlen müsste, würde ich trotzdem 600 Franken sparen (Benzinpreis Fr 1.50 bei 6 Litern / 100 km)….
    Oder bei http://www.KWO.ch wird vorgerechnet, dass wenn man für die gefahrenen PW-KM, Erdöl in thermischen Kraftwerken verbrennen würde um Strom zu erzeugen, würde man 66% Erdöl (CO2)sparen……?!
    Also wo ist das Problem? Es gibt keine Elektro Fahrzeuge? Falsch, bei MES DEA im Tessin kann man den Elektro Twingo, Panda, Shmart kaufen, wenn man genug Geduld hat…

  15. Profile Pic
    amade fries

    es ist schon immer wieder erstaunlich, wie wir schweizer jede einzelne gute idee zu zereden wissen. “oh, da ist aber viel graue energie drin!” “hat der agassi denn auch an die stromerzeugung gedacht” “wie werden denn kunststoffe ohne öl hergetellt, herr agassi?” “dann bräuchte es aber genormte akku-packs für alle hersteller!”

    lassen wir dem israeli doch seine vision. der gross angelegte test in israel und dänemark wird schon zeigen, wie gut die idee wirklich ist. eines ist schon jetzt klar, und das gilt selbstverständlich für alle rein elektrisch betriebenen fahrzeuge: durch das fahren entstehen (direkt) keine emissionen. das ist doch schon mal ein fortschritt gegenüber dem verbrennungsmotor. wenn wir jetzt auch noch eine saubere stromproduktion hinkriegen ist das natürlich nur umso besser. falls das project better place ein erfolg wird, dürften andere hersteller auf den zug aufspringen und dieselbe infrastruktur nutzen wollen. dann sollten auch die genormten akku-pakete kein problem darstellen. und spätestens dann sollte shai agassi dann auch mal zeit für seine kinder finden. ich wünsche es ihm und danke ihm für seine grossen ideen.

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