Von Friedrich Weissensteiner
Jörg Haider ist neben
Bruno Kreisky der erfolgreichste Parteichef der Zweiten
Republik. Es ist ihm in einem Zeitraum von dreizehn Jahren gelungen, den
Stimmenanteil der FPÖ mehr als zu verfünffachen (von 4,98 Prozent im
Jahr 1986 auf 26,9 Prozent anno 1999) und die Partei zum gleichstarken
Regierungspartner der ÖVP zu machen. Bei der Nationalratswahl vom 24.
November 2002 sind den Freiheitlichen dann beinahe zwei Drittel der Wähler
abhanden gekommen, bei den Europawahlen am 13. Juni 2004 kam es noch schlimmer:
Sie erhielten nur noch 6,3 Prozent der Stimmen und stehen wieder dort, wo sie
vor ungefähr 20 Jahren waren, als Haider die Parteiführung
übernahm. Jörg Haider hat das parteipolitische Desaster der FPÖ,
das mehr oder weniger die Zerstörung seines Lebenswerkes bedeutet,
persönlich mit verschuldet.
Mann mit Charisma
Der
Chef der Freiheitlichen ist nach Meinung mancher seiner Biographen, vieler
politischer Kommentatoren und Beobachter des In- und Auslandes ein
hochintelligenter, hochbegabter Politiker, ein Mann mit Charisma, der die
Menschen in seinen Bann schlägt, ein Populist, der mit seismographischem
Spürsinn und Instinkt jede (Volks)-Stimmung wittert und sie für sich
(und seine Partei) nützt und ausnützt. Das hat ihn groß
gemacht, es macht ihn aber auch unberechenbar. Denn der Politprofi trifft je
nach der vorherrschenden Stimmungslage seine Entscheidungen, ändert seine
Ab- und Ansichten. "Mit ihm ist kein Staat zu machen", urteilte einmal Erhard
Busek, einer seiner Gegner.
Jörg Haider beherrscht seit 1986 mit
Intervallen, in denen er nicht präsent ist oder nicht da sein will, die
österreichische Innenpolitik. Er hat im Kampf gegen das Establishment
verkrustete politische und gesellschaftliche Strukturen aufgebrochen und
teilweise verändert, er hat vernünftige und unvernünftige
Denkanstöße in die politische Diskussion geworfen. An Ideen fehlt es
ihm nicht, sein Kopf ist übervoll davon. Er ist ein Anreger, ein
Initiator, aber überwiegend doch ein Aufreger, ein Provokateur. Er sucht
den Konflikt, meinen die einen, er meidet ihn die anderen. Seine verbalen
Rundumschläge auf alle möglichen Persönlichkeiten, die seine
Anhänger und Sympathisanten bei den verschiedensten Veranstaltungen mit
Hurra- und Jubelgeschrei quittieren, waren dem Image Österreichs im
Ausland nicht unbedingt förderlich und haben gelegentlich auch ihm selbst
geschadet.
"Der Jörg traut sich was"
Der Jörg
ist nicht zimperlich, "er traut sich was." Er teilt nach allen Seiten
Schläge aus. Mit der Waffe des Wortes, die er souverän zu gebrauchen
und bedenkenlos einzusetzen versteht, attackiert er nicht nur seine Gegner, er
schaltet damit auch seine innerparteilichen Widersacher aus. Auch ihnen bleiben
Demütigungen und Bloßstellungen nicht erspart. Die Abschussliste
reicht in chronologischer Abfolge von Norbert Gugerbauer über viele andere
Parteifreunde bis Susanne Riess-Passer. Jörg Haider, sagen
tiefenpsychologisch geschulte Experten, ist ein Narziss, ein selbst verliebter
Mensch, der zu seinem seelischen Wohlbefinden den Erfolg braucht, die
Anerkennung, die Zustimmung und den Jubel der Massen, die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit. Letztere servieren ihm die Massenmedien, die nach
Schlagzeilen und nach hohen Auflagezahlen gieren, bereitwillig auf dem
Fließband.
Unter seiner Sucht, im Mittelpunkt zu stehen und um
jeden Preis aufzufallen - wir bewegen uns noch immer im Bereich der
Tiefenpsychologie - sind auch seine Reisen zu Saddam Hussein, dem
blutbefleckten und mittlerweile gestürzten Diktator des Irak zu
subsumieren. Viele Beobachter halten sie für rational unerklärbar,
für sinnlose, Aufmerksamkeit heischende Eskapaden. Die Kontaktnahmen mit
der "Lega Nord" und dem niederländischen Vlams Blok stufen sie in eine
andere Beurteilungskategorie ein. In das schwer zu Verstehende und
Einzuordnende fallen auch Haiders Attacken auf ausländische
Staatsoberhäupter. Wem nützt es, wenn er Jacques Chirac als
"Westentaschen-Napoleon" bezeichnet oder George Bush mit Saddam Hussein
vergleicht?
Wo ist Haider ideologisch einzuordnen, wofür steht er,
für wen tritt er ein, welche Absichten und Ziele verfolgt er? Die einen
vermuten hinter seinem Satz von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im
Dritten Reich", der ihm den Posten des Landeshauptmannes kostete, und seiner
anerkennenden Rede vor ehemaligen Angehörigen der Waffen- SS in
Krumpendorf nationalsozialistisches Gedankengut, die anderen sehen keine
bewusste Intention dahinter. Haider hat sich im Nachhinein dafür
entschuldigt, halbherzig, wie manche glauben. In einer Grundsatzrede die er am
12. November 1999 im Dachfoyer der Redoutensäle der Wiener Hofburg hielt,
sagte er: In der Vergangenheit habe es einige Äußerungen gegeben,
die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus unsensibel und
missverständlich gewesen seien. Das tue ihm persönlich leid. Und er
bekräftigte, "in jeder Phase seines Herzens ein so begeisterter
österreichischer Demokrat" zu sein, dass er "keine braunen Schatten
akzeptieren kann und werde."
Fischen im SPÖ-Reservoir
Jörg Haider spricht viel und oft von den kleinen Leuten, als
deren Anwalt er auftritt. Er meint offensichtlich die Arbeiter, die kleinen
Angestellten und Gewerbetreibenden, die Ausgleichsrentenbezieher und
Kleinpensionisten. In deren Reihen, im sozialdemokratischen
Wählerreservoir, hat er bis 1999 so kräftig abgefischt, dass einige
Meinungsforscher die Haider-FPÖ als neue Arbeiterpartei klassifiziert
haben. Andererseits hört man ihn auch von den Fleißigen und
Tüchtigen reden, die es zu unterstützen gelte. Er meint damit wohl
die sozialen Aufsteiger, die junge, leistungsorientierte PC- und
Internetgeneration, soziologisch unpräzise formuliert, den
gesellschaftlichen Mittelbau. Beide Gruppen sind aber nur schwer unter einen
parteipolitischen Hut zu bringen.
Ideologisch hat er eine Zeit lang von
der "Dritten Republik" gesprochen, aber nicht näher präzisiert, was
er darunter versteht, und von einem "Bündnis mit dem Bürger", was
schlicht ein Gemeinplatz ist. Jedenfalls aber ist er gegen eine multikulturelle
Gesellschaft und für eine rigide Einwanderungspolitik. Das Volksbegehren
"Österreich zuerst" zielte in diese Richtung. Bald nach seiner Wahl zum
Parteiobmann schwor er die FPÖ, die unter Friedrich Peter eine deklarierte
Europapartei war, auf einen Anti-Europakurs ein. Der heimattreue Kärntner
aus Oberösterreich ist der geborene Oppositionspolitiker. Er hat mit
seiner schlagfertigen Cleverness und blendenden Formulierungskunst, mit
einprägsamen Stehsätzen und zugkräftigen Parolen gezielte
Wählerstimmenmaximierung betrieben und im Laufe der Jahre mehr als
1,200.000 Wählerinnen und Wähler um sich geschart.
Jörg
Haider ist ein fulminanter Wahlkämpfer, der mit Totaleinsatz unglaubliche
Resultate einfährt, zuletzt bei den Landtagswahlen in Kärnten 2004.
Er hat die FPÖ in die Regierungsverantwortung geführt, aber immer
wieder gegen Maßnahmen der Regierung opponiert. Er hat dadurch in der
eigenen Partei einen Identitätskonflikt ausgelöst, der sie in eine
schwere Krise gestürzt hat. Der Auf- und Abstieg der FPÖ war bisher
eng mit seiner Person verbunden und wird es wohl bleiben, so lange er die
Partei führt.
Sein Kraftfeld ist Kärnten
Das
politische Kraftfeld Jörg Haiders ist Kärnten. Dort besitzt er das
Bärental, eine Liegenschaft, die ihm sein Großonkel Wilhelm Webhofer
vererbte. Aus dem Kärntner Wahlheimatboden schöpft er seine Kraft. In
Kärnten war er bereits 1983 bis 1986 Mitglied der Landesregierung. 1989
wurde er mit den Stimmen der ÖVP zum Landeshauptmann gewählt, 1991
abgewählt, 1999 wieder gewählt. Die Abgeordneten der ÖVP
enthielten sich diesmal der Stimme.
Als die FPÖ bei der
Nationalratswahl des Jahres 2002 abstürzte, wurde Jörg Haider nicht
nur von politischen Kommentatoren totgesagt. Aber das Politphänomen
wiederholte bei der Kärntner Landtagswahl am 7. März 2004 den
Wahlsieg von 1999. Die Freiheitlichen schlossen mit Sozialdemokraten ein
Arbeitsübereinkommen Jörg Haider, mit dem in der
österreichischen Innenpolitik wieder zu rechnen ist, wurde zum dritten Mal
zum Landeshauptmann gewählt. |
Jörg Haider wurde am 26. Jänner 1950 in Bad Goisern
(Oberösterreich) geboren. Seine Eltern, die 1945 heirateten, kamen aus
unterschiedlichen Bildungsschichten. Der Vater war Schuhmacher, die Mutter,
eine geborene Rupp, die Tochter eines Gynäkologen und Primararztes am
Linzer Allgemeinen Krankenhaus. Beide waren überzeugte
Nationalsozialisten. Robert Haider war illegales Mitglied der NSDAP. Im Zweiten
Weltkrieg an der West- und Ostfront mehrfach verwundet, kehrte er als Leutnant
in die Heimat zurück. Die Mutter war BDM-Führerin. 1945 brach
für die beiden eine Welt zusammen. Sie wurden als "minderbelastet"
eingestuft. Robert Haider musste für die von der SS im Lager Ebensee
Getöteten Massengräber ausheben. Die Mutter, eine ausgebildete
Lehrerin, konnte erst viele Jahre später wieder ihren Beruf ausüben.
Der Vater, der Arbeit in einer Schuhfabrik fand, wurde später
freiheitlicher Parteisekretär für den Bezirk Gmunden.
Als der
Sohn zur Welt kam, lebte die Familie (Tochter Ursula, heute
Staatssekretärin, ist fünf Jahre älter als ihr Bruder) in
dürftigen materiellen Verhältnissen. Jörg ging in Bad Goisern
zur Volksschule und besuchte dann das Gymnasium in Bad Ischl, damals eine
Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Der begabte Bub, der lernte, sich
in diesem Milieu der Arzt- und Anwaltssöhne durchzusetzen, trat der
schlagenden Schülerverbindung "Albia" bei und maturierte 1968 mit
Auszeichnung. Von 1969 bis 1973 absolvierte er an der Universität Wien das
Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, das er mit dem Dr. jur.
abschloss. Er tat als Einjährig-Freiwilliger Dienst beim Bundesheer und
arbeitete anschließend als Universitätsassistent am Institut
für Staats- und Verwaltungsrecht.
Jörg Haiders politischer
Werdegang begann im Ring Freiheitlicher Studenten, dessen Bundesobmann er von
1970 bis 1974 war. 1971 wurde er Mitglied des Bundesparteivorstandes. 1986
übernahm er als Bundesparteiobmann das Kommando in der FPÖ, das er
auch nach seinem Rücktritt im Jahr 2000 als einfaches Parteimitglied nicht
aus der Hand gab. Der vollmundige Politiker war in mehreren
Gesetzgebungsperioden Abgeordneter zum Nationalrat (1979-83, 1986-89, 1992-99)
und Klubobmann der FPÖ-Parlamentsfraktion.
Haider ist verheiratet
und Vater zweier Töchter. |