Das politische Phänomen Jörg Haider
Jörg Haider, Foto: APA

Lebensdaten

Aufzählung Geboren am 26. Jänner 1950 in Bad Goisern
Aufzählung 1970-74 Bundesobmann des Rings Freiheitlicher Jugend
Aufzählung 1976-83 FPÖ-Landesparteisekretär in Kärnten, ab 1983 Landesparteiobmann
Aufzählung 1986-2000 Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei Österreichs
Aufzählung 1983-86 Landesrat in Kärnten
Aufzählung 1989-91 Landeshauptmann von Kärnten
Aufzählung 1992 2. Landeshauptmannstellvertreter,
Aufzählung 1999-2008 Landeshauptmann von Kärnten
Aufzählung Gestorben bei einem Autounfall am 11. Oktober 2008

Von Friedrich Weissensteiner

Jörg Haider ist neben Bruno Kreisky der erfolgreichste Parteichef der Zweiten Republik. Es ist ihm in einem Zeitraum von dreizehn Jahren gelungen, den Stimmenanteil der FPÖ mehr als zu verfünffachen (von 4,98 Prozent im Jahr 1986 auf 26,9 Prozent anno 1999) und die Partei zum gleichstarken Regierungspartner der ÖVP zu machen. Bei der Nationalratswahl vom 24. November 2002 sind den Freiheitlichen dann beinahe zwei Drittel der Wähler abhanden gekommen, bei den Europawahlen am 13. Juni 2004 kam es noch schlimmer: Sie erhielten nur noch 6,3 Prozent der Stimmen und stehen wieder dort, wo sie vor ungefähr 20 Jahren waren, als Haider die Parteiführung übernahm. Jörg Haider hat das parteipolitische Desaster der FPÖ, das mehr oder weniger die Zerstörung seines Lebenswerkes bedeutet, persönlich mit verschuldet.

Mann mit Charisma

Der Chef der Freiheitlichen ist nach Meinung mancher seiner Biographen, vieler politischer Kommentatoren und Beobachter des In- und Auslandes ein hochintelligenter, hochbegabter Politiker, ein Mann mit Charisma, der die Menschen in seinen Bann schlägt, ein Populist, der mit seismographischem Spürsinn und Instinkt jede (Volks)-Stimmung wittert und sie für sich (und seine Partei) nützt und ausnützt. Das hat ihn groß gemacht, es macht ihn aber auch unberechenbar. Denn der Politprofi trifft je nach der vorherrschenden Stimmungslage seine Entscheidungen, ändert seine Ab- und Ansichten. "Mit ihm ist kein Staat zu machen", urteilte einmal Erhard Busek, einer seiner Gegner.

Jörg Haider beherrscht seit 1986 mit Intervallen, in denen er nicht präsent ist oder nicht da sein will, die österreichische Innenpolitik. Er hat im Kampf gegen das Establishment verkrustete politische und gesellschaftliche Strukturen aufgebrochen und teilweise verändert, er hat vernünftige und unvernünftige Denkanstöße in die politische Diskussion geworfen. An Ideen fehlt es ihm nicht, sein Kopf ist übervoll davon. Er ist ein Anreger, ein Initiator, aber überwiegend doch ein Aufreger, ein Provokateur. Er sucht den Konflikt, meinen die einen, er meidet ihn die anderen. Seine verbalen Rundumschläge auf alle möglichen Persönlichkeiten, die seine Anhänger und Sympathisanten bei den verschiedensten Veranstaltungen mit Hurra- und Jubelgeschrei quittieren, waren dem Image Österreichs im Ausland nicht unbedingt förderlich und haben gelegentlich auch ihm selbst geschadet.

"Der Jörg traut sich was"

Der Jörg ist nicht zimperlich, "er traut sich was." Er teilt nach allen Seiten Schläge aus. Mit der Waffe des Wortes, die er souverän zu gebrauchen und bedenkenlos einzusetzen versteht, attackiert er nicht nur seine Gegner, er schaltet damit auch seine innerparteilichen Widersacher aus. Auch ihnen bleiben Demütigungen und Bloßstellungen nicht erspart. Die Abschussliste reicht in chronologischer Abfolge von Norbert Gugerbauer über viele andere Parteifreunde bis Susanne Riess-Passer. Jörg Haider, sagen tiefenpsychologisch geschulte Experten, ist ein Narziss, ein selbst verliebter Mensch, der zu seinem seelischen Wohlbefinden den Erfolg braucht, die Anerkennung, die Zustimmung und den Jubel der Massen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Letztere servieren ihm die Massenmedien, die nach Schlagzeilen und nach hohen Auflagezahlen gieren, bereitwillig auf dem Fließband.

Unter seiner Sucht, im Mittelpunkt zu stehen und um jeden Preis aufzufallen - wir bewegen uns noch immer im Bereich der Tiefenpsychologie - sind auch seine Reisen zu Saddam Hussein, dem blutbefleckten und mittlerweile gestürzten Diktator des Irak zu subsumieren. Viele Beobachter halten sie für rational unerklärbar, für sinnlose, Aufmerksamkeit heischende Eskapaden. Die Kontaktnahmen mit der "Lega Nord" und dem niederländischen Vlams Blok stufen sie in eine andere Beurteilungskategorie ein. In das schwer zu Verstehende und Einzuordnende fallen auch Haiders Attacken auf ausländische Staatsoberhäupter. Wem nützt es, wenn er Jacques Chirac als "Westentaschen-Napoleon" bezeichnet oder George Bush mit Saddam Hussein vergleicht?

Wo ist Haider ideologisch einzuordnen, wofür steht er, für wen tritt er ein, welche Absichten und Ziele verfolgt er? Die einen vermuten hinter seinem Satz von der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich", der ihm den Posten des Landeshauptmannes kostete, und seiner anerkennenden Rede vor ehemaligen Angehörigen der Waffen- SS in Krumpendorf nationalsozialistisches Gedankengut, die anderen sehen keine bewusste Intention dahinter. Haider hat sich im Nachhinein dafür entschuldigt, halbherzig, wie manche glauben. In einer Grundsatzrede die er am 12. November 1999 im Dachfoyer der Redoutensäle der Wiener Hofburg hielt, sagte er: In der Vergangenheit habe es einige Äußerungen gegeben, die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus unsensibel und missverständlich gewesen seien. Das tue ihm persönlich leid. Und er bekräftigte, "in jeder Phase seines Herzens ein so begeisterter österreichischer Demokrat" zu sein, dass er "keine braunen Schatten akzeptieren kann und werde."

Fischen im SPÖ-Reservoir

Jörg Haider spricht viel und oft von den kleinen Leuten, als deren Anwalt er auftritt. Er meint offensichtlich die Arbeiter, die kleinen Angestellten und Gewerbetreibenden, die Ausgleichsrentenbezieher und Kleinpensionisten. In deren Reihen, im sozialdemokratischen Wählerreservoir, hat er bis 1999 so kräftig abgefischt, dass einige Meinungsforscher die Haider-FPÖ als neue Arbeiterpartei klassifiziert haben. Andererseits hört man ihn auch von den Fleißigen und Tüchtigen reden, die es zu unterstützen gelte. Er meint damit wohl die sozialen Aufsteiger, die junge, leistungsorientierte PC- und Internetgeneration, soziologisch unpräzise formuliert, den gesellschaftlichen Mittelbau. Beide Gruppen sind aber nur schwer unter einen parteipolitischen Hut zu bringen.

Ideologisch hat er eine Zeit lang von der "Dritten Republik" gesprochen, aber nicht näher präzisiert, was er darunter versteht, und von einem "Bündnis mit dem Bürger", was schlicht ein Gemeinplatz ist. Jedenfalls aber ist er gegen eine multikulturelle Gesellschaft und für eine rigide Einwanderungspolitik. Das Volksbegehren "Österreich zuerst" zielte in diese Richtung. Bald nach seiner Wahl zum Parteiobmann schwor er die FPÖ, die unter Friedrich Peter eine deklarierte Europapartei war, auf einen Anti-Europakurs ein. Der heimattreue Kärntner aus Oberösterreich ist der geborene Oppositionspolitiker. Er hat mit seiner schlagfertigen Cleverness und blendenden Formulierungskunst, mit einprägsamen Stehsätzen und zugkräftigen Parolen gezielte Wählerstimmenmaximierung betrieben und im Laufe der Jahre mehr als 1,200.000 Wählerinnen und Wähler um sich geschart.

Jörg Haider ist ein fulminanter Wahlkämpfer, der mit Totaleinsatz unglaubliche Resultate einfährt, zuletzt bei den Landtagswahlen in Kärnten 2004. Er hat die FPÖ in die Regierungsverantwortung geführt, aber immer wieder gegen Maßnahmen der Regierung opponiert. Er hat dadurch in der eigenen Partei einen Identitätskonflikt ausgelöst, der sie in eine schwere Krise gestürzt hat. Der Auf- und Abstieg der FPÖ war bisher eng mit seiner Person verbunden und wird es wohl bleiben, so lange er die Partei führt.

Sein Kraftfeld ist Kärnten

Das politische Kraftfeld Jörg Haiders ist Kärnten. Dort besitzt er das Bärental, eine Liegenschaft, die ihm sein Großonkel Wilhelm Webhofer vererbte. Aus dem Kärntner Wahlheimatboden schöpft er seine Kraft. In Kärnten war er bereits 1983 bis 1986 Mitglied der Landesregierung. 1989 wurde er mit den Stimmen der ÖVP zum Landeshauptmann gewählt, 1991 abgewählt, 1999 wieder gewählt. Die Abgeordneten der ÖVP enthielten sich diesmal der Stimme.

Als die FPÖ bei der Nationalratswahl des Jahres 2002 abstürzte, wurde Jörg Haider nicht nur von politischen Kommentatoren totgesagt. Aber das Politphänomen wiederholte bei der Kärntner Landtagswahl am 7. März 2004 den Wahlsieg von 1999. Die Freiheitlichen schlossen mit Sozialdemokraten ein Arbeitsübereinkommen Jörg Haider, mit dem in der österreichischen Innenpolitik wieder zu rechnen ist, wurde zum dritten Mal zum Landeshauptmann gewählt.
 

Biographie

Jörg Haider wurde am 26. Jänner 1950 in Bad Goisern (Oberösterreich) geboren. Seine Eltern, die 1945 heirateten, kamen aus unterschiedlichen Bildungsschichten. Der Vater war Schuhmacher, die Mutter, eine geborene Rupp, die Tochter eines Gynäkologen und Primararztes am Linzer Allgemeinen Krankenhaus. Beide waren überzeugte Nationalsozialisten. Robert Haider war illegales Mitglied der NSDAP. Im Zweiten Weltkrieg an der West- und Ostfront mehrfach verwundet, kehrte er als Leutnant in die Heimat zurück. Die Mutter war BDM-Führerin. 1945 brach für die beiden eine Welt zusammen. Sie wurden als "minderbelastet" eingestuft. Robert Haider musste für die von der SS im Lager Ebensee Getöteten Massengräber ausheben. Die Mutter, eine ausgebildete Lehrerin, konnte erst viele Jahre später wieder ihren Beruf ausüben. Der Vater, der Arbeit in einer Schuhfabrik fand, wurde später freiheitlicher Parteisekretär für den Bezirk Gmunden.

Als der Sohn zur Welt kam, lebte die Familie (Tochter Ursula, heute Staatssekretärin, ist fünf Jahre älter als ihr Bruder) in dürftigen materiellen Verhältnissen. Jörg ging in Bad Goisern zur Volksschule und besuchte dann das Gymnasium in Bad Ischl, damals eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Der begabte Bub, der lernte, sich in diesem Milieu der Arzt- und Anwaltssöhne durchzusetzen, trat der schlagenden Schülerverbindung "Albia" bei und maturierte 1968 mit Auszeichnung. Von 1969 bis 1973 absolvierte er an der Universität Wien das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, das er mit dem Dr. jur. abschloss. Er tat als Einjährig-Freiwilliger Dienst beim Bundesheer und arbeitete anschließend als Universitätsassistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht.

Jörg Haiders politischer Werdegang begann im Ring Freiheitlicher Studenten, dessen Bundesobmann er von 1970 bis 1974 war. 1971 wurde er Mitglied des Bundesparteivorstandes. 1986 übernahm er als Bundesparteiobmann das Kommando in der FPÖ, das er auch nach seinem Rücktritt im Jahr 2000 als einfaches Parteimitglied nicht aus der Hand gab. Der vollmundige Politiker war in mehreren Gesetzgebungsperioden Abgeordneter zum Nationalrat (1979-83, 1986-89, 1992-99) und Klubobmann der FPÖ-Parlamentsfraktion.

Haider ist verheiratet und Vater zweier Töchter.

Erschienen am: 09.10.2004

Ergänzungen

Zum Tod Jörg Haiders

Aufzählung Haider: Mit 142 km/h in den Tod
Aufzählung Beobachter sehen das Ende des BZÖ
Aufzählung Haider prägte Österreichs Bild im Ausland

Im April 2005 gründete Haider mit einigen Vertrauten als neue Partei das "Bündnis Zukunft Österreich" (BZÖ) und wurde deren erster Bundesparteiobmann. Bei den folgenden Landtagswahlen in der Steiermark und in Wien kam die neue Partei nicht in den Landtag respektive Gemeinderat. Bundesparteiobmann des BZÖ wurde in der Folge Hubert GorbachHaider gab nach der zweiten regionalen Niederlage die Geschäfte des ab, behielt aber de facto die Führung auf Bundesebene und wurde gleichzeitig Obmann des Kärntner BZÖ. Die Positionierung des BZÖ in der österreichischen Parteienlandschaft wurde nach wie vor entscheidend von Haider mitgestaltet. Nach einem koalitionsinternen Streit um die Sozialpolitik zerbrach die Koalition zwischen BZÖ und SPÖ in der Kärntner Landesregierung am 28. Februar 2006. Am 23. Juni 2006 wurde er von seinem langjährigem Weggefährten Peter Westenthaler bei einem Bundeskonvent in Salzburg als Obmann des BZÖ abgelöst. Westenthaler übernahm auch die Parteiagenden von Hubert Gorbach.

Bei der Nationalratswahl im Oktober 2006 schaffte das BZÖ den Einzug in den Nationalrat. Am 12. August 2008 gab Haider bekannt, für die Nationalratswahl 2008 als Spitzenkandidat des BZÖ anzutreten.Bei der Wahl am 28. September erhielt das BZÖ 10,7 % der Stimmen.

In den Morgenstunden des11. Oktober 2008 verunglückte Jörg Haider in alkoholisiertem Zustand bei überhöhter Geschwindigkeit auf einer Straße knapp außerhalb Klagenfurts.

Die Neue Zürcher Zeitung nannte in ihrer Online-Ausgabe Jörg Haider " ohne Zweifel jene Figur auf der politischen Bühne Österreichs, die im In- und Ausland am meisten polarisiert hat: Charismatisch, intelligent, aggressiv – aber zugleich unberechenbar, unstet und rasch beleidigt." Als Basis für den Erfolg des Kärntner Landeshauptmanns nennt das konservative Blatt den "Neid und Hass der Zukurzgekommenen, den Argwohn des Kleinbürgers gegen 'die da oben'". Die weitere Entwicklung sieht der Korrespondent Charles E. Ritterband so: "Haiders überraschender Tod kommt in einer überaus heiklen Phase, in der über eine mögliche Koalition der ÖVP mit den beiden Rechtsparteien spekuliert wird. Der Wegfall Haiders hinterlässt ein politisches Vakuum: Bei den Kärntner Landtagswahlen im kommenden Frühling wird sein BZÖ zweifellos auch ohne seine Person einen sehr deutlichen Sieg davontragen."