Sie befinden sich hier: WDR.de WDR Fernsehen Information markt Sendung vom 29. März 2010 Airlines: Gift im Flieger?
Obwohl seit Jahrzehnten bekannt ist, dass mit Giftstoffen kontaminierte Atemluft in die Flugzeugkabinen eindringen kann, wird die Gefahr von Airlines offenbar immer noch nicht ernst genug genommen.
18. Januar 2002, ein Lufthansa-Flug von Kattowitz nach
Frankfurt: Plötzlich dringen Öldämpfe ins Cockpit,
so intensiv, dass es den Piloten immer schlechter geht.
Flugkapitän Andreas Tittelbach erinnert sich: „Wir haben
letztlich die Sauerstoffmasken angezogen und es passierte etwas
ganz Erstaunliches: Wir wurden klar und wieder wach und haben erst
da bemerkt, dass wir schon vorher in unserer
Wahrnehmungsfähigkeit und unserer Leistungsfähigkeit
schon sehr beeinträchtigt waren.“
Acht Jahre später, Charlotte, USA: Mit Krankenwagen
verließ die Besatzung eines US-Airways-Fluges am 16. Januar 2010 den
Flughafen. An Bord einer Boeing 767 war es zu einem Zwischenfall
mit der Kabinenluft gekommen. Die Besatzung klagte über starke
Kopfschmerzen und Brechreiz, nachdem es plötzlich extrem wie
„stinkende Socken“ gerochen hatte. Auch acht Passagiere
mussten noch am Flughafen medizinisch versorgt werden.
Einen Monat später, Lufthansa-Flug 753 von Hyderabat im Anflug
auf den Rhein-Main Flughafen: Im Cockpit des Airbus A340 wird
Ölgeruch wahrgenommen. Die Piloten setzen die Sauerstoffmasken
auf und landen die Maschine kurz darauf in Frankfurt.
Flugzeughersteller Airbus will sich zu konkreten Fragen nicht
äußern. Per E-Mail behauptet das Unternehmen:
„Airbus Flugzeuge sind so entwickelt, dass unter normalen
Betriebsbedingungen eine einwandfreie Kabinenluftqualität
gewährleistet ist.“
Normale Betriebsbedingung. Was aber passiert bei
Störfällen? Bei der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit
sieht man die Häufung solcher Vorfälle mit großer
Sorge. Ihr Sprecher erläutert die Gründe: „Die
Crews und auch die Passagiere werden mitunter sehr giftigen Stoffen
ausgesetzt. Das sollte normalerweise nicht passieren, aber es kommt
offensichtlich immer wieder vor. Unsere Befürchtung ist, dass
es noch deutlich häufiger vorkommt als bisher
angenommen.“
Sogar die Lufthansa geht in einer internen Mitteilung vom
vergangenen Jahr von einem Vorfall bei 2000 Starts aus. Das
bedeutet, allein bei der Lufthansa ein Vorfall pro Tag!
Das Problem: Bei allen Flugzeugen wird die Atemluft für die
Kabine direkt am Triebwerk abgezapft. Diese „Zapfluft“
wird bisher nicht gefiltert. So aber können erhitze
Öldämpfe in die Kabine gelangen, eine Mischung aus
gesundheitsschädlichen und sogar giftigen Chemikalien,
darunter auch das krebserregende Beta-Naphtylamin und
Trikresylphosphat, ein Nervengift.
Aber kann das krank machen? Ja, behauptet neben anderen
internationalen Wissenschaftlern und Medizinern, der renommierte
australische Toxikologe Professor Chris Winder aus Sydney. Schon
seit über 15 Jahren befasst er sich mit den Gefahren in der
Kabinenluft. Er macht uns auf einen Warnhinweis auf den
Öldosen aufmerksam: „Hier steht: Warnung, enthält
Trikresylphosphat, Verschlucken oder andauerndes oder wiederholtes
Einatmen oder Hautkontakt kann zu Schädigungen des
Nervensystems und Lähmungen führen. Das ist ein giftiges
Öl. Solange es im Triebwerk bleibt, gut. Aber ich kann
Hautkontakt oder Einatmen wirklich niemandem
empfehlen.“
Durch Öl-Vorfälle besonders betroffen sein können
Vielflieger, Flugbegleiter und Piloten. Dem widersprechen aber
Industrievertreter, wie zum Beispiel der US amerikanische
Flugzeughersteller Boeing: „Derzeit liegen keine Daten vor,
die darauf schließen lassen, dass Zapfluft-Kontamination die
Gesundheit von Besatzungen oder Passagieren
beeinträchtigen.“
Wirklich? In Australien häuften sich Mitte der 90er-Jahre
Erkrankungen. In Verdacht geriet der Flugzeugtyp BAe 146 von British Aerospace. Viele
Betroffene wandte sich an den Spezialisten Professor Winder:
„Zuerst kamen 1997 zwei Piloten und eine Stewardess. Etwas
später wurden aus drei fünf, aus fünf wurden zehn,
dann zwanzig. Da habe ich realisiert: Hier ist etwas im Gang. Dann
tauchte ein französischer Kollege mit ähnlichen
Fallzahlen von Betroffenen auf, die die gleichen Probleme hatten.
Da war mir klar: Wir haben hier ein internationales
Problem!“
Seit über zehn Jahren erfolgt keine Reaktion durch
Hersteller, Behörden oder Airlines. Umfangreiche Publikationen
und Studien werden offenbar auch weiter ignoriert.
Andererseits haben etliche Besatzungsmitglieder, die
Öldämpfen ausgesetzt waren, seitdem ihr Blut von Experten
untersuchen lassen, so auch bei Prof. Mohamed Abou Donia von der
Duke University in North
Carolina. Abou Donia hat sich auf den Nachweis solcher Gifte
spezialisiert und behauptet: „Die Bluttests zeigen den
spezifischen Antikörper, der Hirnschädigungen und Zelltod
nachweist. Die Besatzungsmitglieder mit solchen positiven
Resultaten wurden kontaminierter Kabinenluft
ausgesetzt.“
Und wie viele Fälle gibt es bei uns? Wir haben die Airlines
gefragt: Überhaupt keine Angaben macht Germanwings. Air Berlin
behauptet: keine Erkrankungen. Condor räumt bisher nur eine
„vermutlich Betroffene“ ein. Und Lufthansa teilt uns
mit: „Beim Medizinischen Dienst von Lufthansa ist in den
vergangenen rund vier Jahren kein einziger Fall
dokumentiert.“
Merkwürdig, denn Lufthansa-Cityline-Kapitän Tittelbach
ist bereits seit November 2008 dauerhaft fluguntauglich. Auch er
hat sich deshalb von verschiedenen Experten in England und den USA
untersuchen lassen. Dabei wurden Hinweise auf Schäden an
seinem Zentralnervensystem und dem Gehirn gefunden. Er hat seinen
Arbeitgeber inzwischen verklagt: „Der Grund für meine
Klage gegen Lufthansa Cityline ist, dass ich in der Zeit seit 1994,
seitdem ich auf dem Flugzeugmuster AVRO als Pilot eingesetzt worden
bin, in einer Vielzahl von Fällen an meinem Arbeitsplatz im
Cockpit giftigen Öldämpfen ausgesetzt war.“ Zum
laufenden Verfahren will sich die Lufthansa nicht
äußern.
Ganz anders ging man schon Ende der 90er-Jahre in Australien um:
Hersteller und Airlines
wurden vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zitiert.
Zwei Jahre dauerten die Anhörungen, bei denen auch Betroffene
und unabhängige Experten aussagten. Eigentlich hätte die
Luftfahrtindustrie spätestens hier alarmiert sein müssen.
Passiert ist jedoch nichts.
Der Priester und ehemalige SenatorJohn Woodley war Vorsitzender dieses Ausschusses.
Er ist enttäuscht, dass die zahlreichen Empfehlungen seiner
Kommission bisher nicht umgesetzt wurden: „Ich bin entsetzt
über das Verhalten der Airlines, und das Verhalten der
Hersteller ist noch schlimmer, weil diese weltweit mit zahlreichen
Gesellschaften zusammenarbeiten. Obwohl inzwischen viele
Gerichtsverfahren durch Vergleiche beendet wurden, haben sie
niemals eingestanden, dass die Dämpfe zu anhaltenden
Gesundheitsschäden und Leiden bei Piloten, Flugbegleitern und
Passagieren führen können.“
Besonders verärgert ist der ehemalige Senator über die
inzwischen erwiesene Tatsache, dass dem Ausschuss wesentliche
Informationen bewusst vorenthalten wurden. Denn stillschweigend
hatten sich bereits Jahre zuvor der Flugzeughersteller British
Aerospace (heute: BAe Systems) und der Triebwerkshersteller Allied Signal mit zwei
australischen Airlines
geeinigt. Die Fluggesellschaften, darunter auch Ansett Australia,
verzichteten auf alle weiteren Ansprüche, die sie wegen
Öl- oder anderer Dämpfe in der Kabine geltend machen
könnten. Dafür zahlten die Hersteller ihnen mehrere
Millionen Dollar als Schadensersatz. Eine Klausel verpflichtet alle
Parteien zur Verschwiegenheit über diesen Vertrag. Als das
geheime Abkommen 14 Jahre später durch Senator Kerry O’Brian aufgedeckt
wurde, sorgte es für einen Eklat im australischen Parlament.
Hierzu sagt Woodley gegenüber markt:
„Hier wurde vertuscht, davon bin ich überzeugt. Das
‚Schweigen’ wurde sich erkauft. Hätten wir bei den
Anhörungen diese Informationen vorliegen gehabt, hätten
wir schon damals die Empfehlung ausgesprochen, diesen Flugzeugtyp
stillzulegen.“
Immerhin: Zwei Jahre nach den Anhörungen hat zumindest der
Flugzeughersteller British
Aerospace auf die Gefahren reagiert. In einer Mitteilung an
alle Flugzeugbetreiber, darunter auch die Lufthansa Cityline sowie
die Eurowings, heißt es: „Öl-Leckagen und
Kabinen/Cockpit-Gerüche müssen als potenzielle
Gefährdung der Flugsicherheit angesehen werden. Sie
dürfen nicht bloß als Geruchsbelästigung abgetan
werden, sondern müssen schnellstmöglich behoben
werden.“
Trotzdem wurden Ölvorfälle in Deutschland bis vor kurzem
noch als „Geruchsbelästigung“ abgetan. Für
Betroffene wie Kapitän Tittelbach, der die BAe geflogen ist,
nicht nachvollziehbar: „Der Ölhersteller sagt, das
Öl ist giftig, der Flugzeughersteller sagt, es ist
gefährlich und Lufthansa Cityline sagt, es handelt sich nur um eine
Geruchsbelästigung. Cityline lehnt jede Haftung ab und sieht sich
nicht in der Verantwortung.“
Der Ausgang seines Verfahrens ist ungewiss. Aber: Weltweit und
besonders in den USA mehren sich derzeit die Klagen gegen namhafte
Airlines, aber auch gegen die großen Hersteller Airbus und
Boeing. Vermutlich gäbe es aber noch weitaus mehr Klagen, wenn
Passagiere wüssten, was wirklich passiert, wenn es im Flugzeug
plötzlich merkwürdig nach „nassem Hund“,
„Erbrochenem“ oder „Schweißfüßen
bzw. stinkenden Socken“ gerochen hat. Die Symptome wie unter
anderem heftige Kopfschmerzen, Atemnot, Übelkeit,
Lähmungserscheinungen in Armen, Fingern, Beinen oder Zehen,
tränende Augen Konzentrationsstörungen, Irritation der
Schleimhäute und Atemwege können unmittelbar, aber auch
noch bis einige Tage nach einem Flug auftreten und werden daher
nicht unbedingt sofort mit einer Flugreise in Zusammenhang
gebracht.
Allerdings sind die genauen Auswirkungen auf den menschlichen
Organismus bislang nur unzureichend erforscht. Bekannt ist aber,
dass die Inhalation solcher Öldämpfe zu Schädigungen
des Zentralnervensystems, Zelltod und zu Schäden am Gehirn,
sowie in schweren Fällen sogar zu Lähmungen führen
kann.
In der Fachwelt gibt es einen Namen für dieses Krankheitsbild:
AEROTOXISCHES SYNDROM. So beschrieben bereits 1999
der amerikanische Arzt Dr. Harry Hoffman, der australische
Toxikologe Professor Chris Winder und der französische
Umweltwissenschaftler Jean Christophe Balouet die Krankheitsbilder
von Flugbesatzungen, die in der Folge von Vorfällen mit der
Kabinenluft auffällig geworden sind.
Zu den bekannten Symptomen zählen Beklemmungen, Leistungsminderung, Husten, Speichelfluss, erhöhte Bronchialsekretion, Bronchospasmus (Krampfzustand der Bronchialmuskulatur), Atemnot, oberflächliches Atmen. Sofort bis hin zu einigen Tagen später können plötzlich starke Kopfschmerzen, Taubheit in Händen, Armen und Beinen, Konzentrations- und Erinnerungsprobleme auftreten.
Maßnahmen:
Tim van Beveren
Stand: 29.03.2010
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