Von Rainer Mayerhofer
Als am Morgen eines heißen Julisonntags vor
zehn Jahren die Blitzmeldung über den Tod Bruno Kreiskys über die
Fernschreiber ratterte, waren Freunde und politische Gegner betroffen. 26 Jahre
lang hatte er der österreichischen Regierung angehört, davon 13 Jahre
lang als Bundeskanzler, Jahre, in denen Österreich weltoffener und
moderner wurde, in denen er gern gesehener Gast in allen Staatskanzleien der
Welt und immer wieder als Brückenbauer und Vermittler gefragt war. Als
"Sonnenkönig" und "der Alte" wurde er immer wieder liebevoll und zugleich
ein wenig respektlos von den Medien tituliert. Nichts aber wird seiner Person
so gerecht, wie die Worte, die sein politischer Langzeit-Lebensgefährte
Willy Brandt bei der Beisetzung auf dem Wiener Zentralfriedhof am 7. August
1990 sprach: "Seine Welt war größer als sein Land. Er hat sich um
die Gemeinschaft und das Wohlergehen der Völker verdient gemacht. Ruhe in
Frieden, lieber, schwieriger und guter Freund!"
Der Lebensweg als
Sozialist, der zu einem der "Väter der europäischen Sozialdemokratie"
werden sollte - so die spanische Zeitung "El Pais" in ihrem Nachruf - war dem
am 22. Jänner 1911 in eine großbürgerliche jüdische Wiener
Familie geborenen Bruno Kreisky nicht in die Wiege gelegt. Eines seiner ersten
prägenden politischen Erlebnisse war seine Teilnahme an einer
Mittelschülerdemonstration vor dem Gebäude des Wiener Stadtschulrates
nach einem Schülerselbstmord im Jahr 1925 - ein Ereignis, das in Friedrich
Torbergs "Der Schüler Gerber" literarisch verewigt wurde. 1926 erfolgte
der Beitritt zum Verband der Sozialistischen Mittelschüler, die ihm aber
zu theoretisch waren und schließlich 1927 zum Verband der sozialistischen
Arbeiterjugend auf der Wieden, wo er zu Beginn auf Widerstände
stieß, jedoch bald zum Obmann wurde. 1930, ein Jahr nach seiner Matura,
wurde er Obmann niederösterreichischer Gebietsorganisationen der
Arbeiterjugend in Purkersdorf, Klosterneuburg und Tulln. Im Herbst dieses
Jahres begann er auf Rat Otto Bauers an der mit dem Jusstudium, obwohl er
ursprünglich Medizin studieren hätte wollen.
1933 erstmals
in Haft
1933 wurde Bruno Kreisky Obmann des
Reichsbildungsausschusses, wird zum erstenmal wegen seiner politischen
Tätigkeit festgenommen. 1934 während des Februar-Aufstandes
hektografierte er gemeinsam mit Franz Olah den zuvor kräftig
zusammengestrichenen Aufruf des Parteivorstandes gegen die
Dollfuß-Diktatur und am 18. Februar gründete er gemeinsam mit Roman
Felleis im Wienerwald die illegale "Revolutionäre Sozialistische Jugend".
Nach der Teilnahme an der ersten Reichskonferenz der Revolutionären
Sozialisten in Brünn zur Jahreswende 1934/35 wurde er am 30 Jänner
1935 verhaftet und im großen Sozialistenprozess im Jänner 1936, wo
er eine vielbeachtete Verteidigungsrede hielt, wegen Hochverrat zu einem Jahr
Kerker verurteilt. In seinen Erinnerungen vermerkte Kreisky ironisch, dass er
1970 damit zum ersten Bundeskanzler der Republik wurde, der wegen Hochverrats
im Gefängnis gesessen ist. Nach der Enthaftung im Mai 1936 war ihm der
weitere Hochschulbesuch verboten, ins Ausland und in Wien arbeiten durfte er
auch nicht. So kam er in einer Lodenfabrik in Hermagor unter. "Ich bin also,
wenn man so will ein angelernter Hilfsarbeiter der Textilindustrie" vermerkte
Kreisky dazu im ersten Band seiner Memoiren.
Studienabschluss im
März 1938
1938 erhielt er endlich die Bewilligung zum
Studienabschluss und es  ist fast eine Ironie der Geschichte, dass
er seine letzte Prüfung ausgerechnet am 14. März 1938 machte, als die
Nazis in Wien den Anschluss feierten. Einen Tag später war er bereits in
"Schutzhaft", diesmal nicht mit Kommunisten und kleinen Nazis wie 1935/36,
sondern mit so bekannten Zellengefährten wie dem christlichsozialen
Bundesminister a.D. Dr. Draxler und dem Kabarettisten Fritz Grünbaum. Das
Landesgericht Wien II, das Notgefängnis Karajangasse und das
Gefangenenhaus Wien I waren bis zum August seine Aufenthaltsorte. Ende
September trat er sein Exil in Schweden an, wo ihn später auch seine
Eltern erreichten. Viele Mitglieder der Familien Kreisky und Felix hatten nicht
soviel Glück. Mehr als 20 Verwandte Kreiskys gingen in den Nazi-KZ
zugrunde.
Schweden wurde Kreiskys zweite Heimat. Kreisky arbeitete dort
als Sekretär in der Stockholmer Konsumgenossenschaft und als Korrespondent
verschiedener Zeitungen. 1940 traf er dort Willy Brandt, der zu einem seiner
engsten Weggefährten werden sollte, 1942 heiratete er Vera Fürth,
1944 wurde dort sein Sohn Peter und 1948 die Tochter Susanne geboren. Sofort
nach Kriegsende stellte er Verbindungen zwischen dem schwedischen Hilfswerk und
Österreich her, 1946 kehrte er erstmals nach Österreich zurück,
nachdem ihm ein Jahr zuvor die US-Besatzungsmacht die Einreise verweigert
hatte. Im Juli 1946 wurde Bruno Kreisky zum österreichischen
Interessensvertreter in Schweden bestellt, Ende 1949 kehrte er endgültig
nach Österreich zurück. 1951 wurde er Kabinettsvizedirektor bei
Bundespräsident Theodor Körner, im April 1953 Staatssekretär im
Außenamt. In dieser Funktion nahm er auch an den
Staatsvertragsverhandlungen teil, die 1955 erfolgreich abgeschlossen werden
konnten.
Am 13. Mai 1956 wurde Bruno Kreisky in seiner politischen
Wahlheimat Niederösterreich erstmals in den Nationalrat gewählt, im
November des Jahres wurde er in einer Kampfabstimmung auch Mitglied des
Parteivorstandes, obwohl er gar nicht auf der Kandidatenliste stand. Nach den
Wahlen im Frühjahr 1959, bei denen die SPÖ zwar stimmenstärkste
Partei geworden war, die SPÖ durch das Wahlrecht jedoch ein
Mandat weniger erhielt als die ÖVP, bot die ÖVP in den
Parteienverhandlungen Kreisky zunächst das Finanzministerium an, machte
dann aber wieder einen Rückzieher. Schließlich wurde Kreisky am 16.
Juli 1959 als Außenminister unter Bundeskanzler Raab angelobt, eine
Funktion, die er bis zum Bruch der Großen Koalition im Frühjahr 1966
innehaben sollte, obwohl die ÖVP nach den Wahlen vom 27. März 1963
sein Ausscheiden aus der Regierung wünschte. Diese Erfahrungen waren es
wohl auch, die zu Kreiskys Bruch mit der eigenen Partei und zum Rücktritt
vom Ehrenvorsitz im Jänner 1987 führten, als die SPÖ unter Franz
Vranitzky Alois Mock in der neuen großen Koalition das
Außenministerium überließ.
Als Außenminister entwarf Kreisky
schon in den frühen Sechzigerjahren die Idee eines Marshallplanes für
die Dritte Welt, knüpfte erste Kontakte zu arabischen Staaten und traf
sich im Dezember 1964 mit dem italienischen Außenminister Giuseppe
Saragat in Paris zu einer Geheimkonferenz über das Südtirolproblem,
indem man weitgehend Übereinstimmung über die Autonomie erzielte.
1966 nach den Wahlen, die der ÖVP die absolute Mehrheit gebracht hatten,
wurde Kreisky am 5. Juni Parteiobmann der SPÖ Niederösterreich und
acht Monate später, am 1. Februar 1967 in einer Kampfabstimmung mit Hans
Czettel neuer SPÖ-Vorsitzender.
Aus der Opposition heraus
entwickelte Kreisky mit den berühmt gewordenen Experten neue Programme
für alle Lebensbereiche und in den Wahlen vom 1. März 1970 setzte er
sich gegen den ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus, den seine Partei als "Echten
Österreicher" auf Plakatwänden affichiert hatte, eindeutig durch. Mit
dem Versprechen einer Wahlrechtsreform erkaufte er sich die Zustimmung der
FPÖ unter Friedrich Peter zur Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung,
um dann bei vorgezogenen Wahlen am 10. Oktober 1971 unter dem Motto "Lasst
Kreisky und sein Team arbeiten" erstmals die absolute Mehrheit zu erreichen,
die 1975 und 1979 unter dem neuen Slogan "Kreisky - wer sonst?" ausgebaut
werden konnte.
Unter Kreisky und seinem kongenialen Justizminister
Christian Broda wurden zügig eine Reihe längst überfälliger
Reformen durchgeführt - Familienrechtsreform und kleine Strafrechtsreform
mit der Streichung der Strafbarkeit der Ehestörung, Homosexualität
und der Amtsehrenbeleidigung waren nur die ersten Schritte auf einem langen
Weg. Kreisky sorgte auch für ein liberales Kulturverständnis und fand
damit bei Intellektuellen und Künstlern viel Unterstützung.
Fact Finding Mission im Nahen Osten
Kreiskys
Lieblingsbetätigungsfeld - abseits von innenpolitischen
Auseinandersetzungen - blieb aber die Außenpolitik. Der
Nord-Süd-Konflikt und vor allem die Nahostfrage blieben Zeit seines Lebens
die Gebiete, auf denen er seine größten Erfolge feierte, für
die er nicht selten aber auch heftig angefeindet wurde. Als er im März
1974 zur ersten Fact Finding Mission in den Nahen Osten aufbrach, erkannte er
schon bald die Sprengwirkung des Palästinenserproblems und entwickelte
Perspektiven, die ihm besonders bei seinen israelischen Parteifreunden heftige
Kritik einbrachten, die heute aber weitgehend unbestritten sind. 1978 kam
es zum aufsehenerregenden Treffen zwischen Kreisky, Brandt, Shimon
Peres, Anwar el Sadat in Wien, ein Jahr später zum Gipfel
Brandt-Kreisky-Arafat. Als dann im März 1982 Lybiens umstrittener
Staatschef Muammar Al Gaddafi auf Besuch nach Österreich kam, tobte die
Opposition und stellte eine Dringliche Anfrage im Parlament, bei deren
Beantwortung Kreisky erst recht den Zorn der ÖVP herausforderte, als er
sagte: "Wenn sie aber Rinder und Holz nach Lybien verkaufen wollen, dann gibt
es keine Körperöffnung, in die sie nicht hineinkriechen".
Kreiskys pointierte Sprechweise, die sowohl der Hilfsarbeiter als auch
der Universitätsprofessor verstanden, machten neben seinem geschickten
Umgang mit den Medien einen nicht unerheblichen Teil seiner Faszination aus.
Wenn er mit sonorer Stimme "Ich bin der Meinung" sagte, wusste man, dass man
aufzupassen hatte. Sein berühmter Sager von den Milliardenschulden, die
ihm weniger Kopfzerbrechen bereiten würden als ein paar tausend
Arbeitslose wird ebenso in Erinnerung bleiben wie der angesichts der
Energiekrise der frühen Siebzigerjahre geäußerte Ratschlag,
sich eben nass zu rasieren. Ob er nun einem Journalisten im Foyer nach dem
dienstäglichen Ministerrat empfahl "Lernen's Geschichte, Herr Redakteur"
oder anlässlich des Kärntner Ortstafelsturms auf die Empfehlung der
Polizei, den Versammlungsort durch eine Hintertür zu verlassen, meinte:
"Ein Bundeskanzler dieser Republik geht nicht durch die Hintertür", er
bewies Stil und Charakter, wenn es für den Betroffenen auch manchmal hart
war. Wie etwa als er 1983, nachdem er die absolute Mehrheit verloren hatte und
die Weichen für eine SPÖ-FPÖ-Koalition stellte, dem damaligen
ÖVP-Generalsekretär Michael Graff, der ihn kurz zuvor heftig
attackiert hatte, die Hand nur mit der Bemerkung "ungern" reichte.
Überhaupt nicht charmant war er auch in seinen
Auseinandersetzungen mit seinem langjährigen Finanzminister und
Vizekanzler Hannes Androsch und seine Kontroversen mit Simon Wiesenthal sind
unrühmliche Geschichte.
Dabei verstand es Kreisky, auch aus
scheinbaren Niederlagen, etwa die Abstimmung über Zwentendorf im Jahr 1978
nachträglich Erfolge, wie die Wahl 1979 zu machen und in seinen
Erinnerungen räumte er durchaus Fehler ein.
Von Krankheit
gezeichnet, 1984 wurde ihm eine Niere transplantiert und ein Augenleiden machte
ihm schwer zu schaffen, verbrachte er die letzten Lebensjahre, oft grantelnd
und seine Nachfolger attackierend. Erst anlässlich der 100-Jahrfeiern der
SPÖ machte er schließlich mit seiner Partei, deren größte
Erfolge unter seiner 16-jährigen Obmannschaft zu verzeichnen waren,
Frieden. |