Das Frankfurter Waldstadion vor
80 Jahren:
Der Haupteingang zum Frankfurter Stadion bildet
die Spitze eines großen Dreiecks, und dieses Dreieck schließt,
wie aus dem Plan ersichtlich, in sich das Gebiet des 42 ha großen
Stadions. Ehemals war dieses Gelände ein Militär-Schießplatz,
von ihm zeugen noch die in der Schußrichtung liegenden Wälle
sowie der auf der Basis des Dreiecks liegende große Kugelfang
der sich in die große Zuschauerterrasse der Kampfbahn verwandelt
hat, aber in Erinnerung an alte Zeiten noch heute mit "Kugelfang"
bezeichnet wird.
Folgen wir der Aufmarsch-Allee und biegen links
ein, so befinden wir uns auf der großen Hauptachse des Stadions,
die in einer 400 m langen, geraden Linie auf das Hauptgebäude
zuführt, das zwischen Kampfbahn und der großen Übungswiese
so angeordnet ist, daß der Mittelbau mit den Haupteingängen
den Blickpunkt der Aufmarsch-Allee bildet. Nach beiden Seiten frontal
ausgebildet enthält es in seinen Erdgeschossen die sportärztliche
Abteilung, Sanitäts-, Umkleide, Dusch und Geräteräume,
während der erste Stock die Verwaltungsräume der Stadion-Gesellschaft,
Wohnräume für Kursisten und einen Vortragssaal aufweist.
Die Besichtigung der hinter dem Hauptgebäude liegenden Kampfbahn
erfolgt am besten von Hauptgebäude der linken Seite des Kugelfangs
aus. Im Hintergrund grüßt der Feldberg, vor uns liegt
die große Kampfbahn, umsäumt von 40000 Zuschauerplätzen.
Kampfbahn mit Haupttribüne
Um das Spielfeld mit den innerhalb der Kurven angelegten
Sprung- und Wurfgruben führt die 500 m lange und 7,50 m breite
Laufbahn. Für den 100-m-Lauf liegt unmittelbar vor dem Kugelfang
eine besondere, 8 m breite Bahn. Während in den beiden Flügeln
des Hauptgebäudes die Zuschauertribünen eingeordnet sind,
stellt der Mittelbau ein griechisches antikes Theater dar, das nach
den Angaben des Archäologen Professor Dr. Bulle von der Universität
Würzburg errichtet wurde. So dient dieser Teil der Anlage nicht
nur sportlichen Wettkämpfen, sondern auch darstellerischer
und musikalischer Kunst im Rahmen großer Festspiele, bringt
weiter die ideelle Anknüpfung unserer Leibes-Übungen an
die der Antike zum sinnfälligen Ausdruck. Die Länge des
Gesamtgebäudes ist 120 m, es erreicht im Mittelbau eine Höhe
von 18 m.
Sporthalle
Ein kurzer Spaziergang auf der Höhe des Kugelfangs
führt uns über die rechte Kurve zu der erst Ende 1926
vollendeten Sporthalle, dem Hauptquartier des Übungs- und Lehrbetriebes,
der nur gedeihen kann, wenn er unabhängig von Wetter und Jahreszeit
ununterbrochen durchgeführt wird. Die Übungshalle ist
im Innern 50 m lang, 25 m breit und 12 m hoch. Die rings herumführende
Galerie, deren Boden mit Korklinoleum belegt ist, dient im Winter
als Laufbahn. Die Parkettfläche in der Mitte hat die Größe
eines Tennisfeldes, während der Weichboden im Ausmaß
von 19:11 m den Springern, Werfern und Turnern jederzeit Gelegenheit
zum Training gibt. Die Anbauten enthalten die Umkleide-, Dusch-,
Bade- und Geräteräume, ferner einen besonderen Raum für
sportärztliche Untersuchungen sowie Bestrahlungen mit künstlicher
Höhensonne, durch welche im Winter die fehlende Sommersonne
ersetzt wird. Das ganze Jahr hindurch finden ununterbrochen die
sogenannten Stadionkurse statt, an denen jedermann im Rahmen des
festgelegten Stundenplanes gegen Entrichtung einer geringen Gebühr
teilnehmen kann. Unter der Leitung erprobter Lehrkräfte wird
in diesen Kursen Unterricht in allgemeiner Körperschulung,
Turnen, Spiel und Sport erteilt. Außerdem ist jeder Teilnehmer
berechtigt, sich von dem Sportarzt des Stadions unentgeltlich untersuchen
und beraten zu lassen. Nach der Übungsstunde stehen den Teilnehmern
heiße Duschen und Bäder zur Verfügung. Die Wirkungen
des Trainings können ergänzt und verstärkt werden
in den Massageräumen, durch Höhensonnen- und Wärmesonnen-Bestrahlung.
Waldtheater
Vor der Halle liegt ein Spielfeld, umgeben von
einer 400-m-Bahn, das ausschließlich Übungszwecken dient.
Der Rückweg führt uns an dem links gelegenen kleinen Waldtheater
vorbei, das in seiner eigenartigen Abgeschlossenheit nicht dem Sport,
sondern der Kunst, der Erziehung und der Religion dient. Es faßt
etwa 1200 Zuschauer. Auf die gottesdienstliche Bestimmung deutet
der "Glockenbaum" hin.
Tennisplätze
Wir wenden uns nun wiederum dem Hauptgebäude,
kreuzen die große Achse, die durch die Mitte der großen
Übungs- und Festwiese führt, und gelangen an der Autoanfahrt
vorbei nach rechts zu den Tennisplätzen, nach links zu der
Radrennbahn. Die 14 Tennisplätze nämlich 12 harte Plätze
mit Entoutcas-Decken und 2 Rasenplätze, gruppieren sich um
den in der Mitte gelegenen Turnierplatz, dessen Terrassen ca. 2500
Zuschauer fassen. Das Spielen auf den Plätzen ist nicht von
der Zugehörigkeit zu einem Verein oder Klub abhängig,
sondern jedermann kann einen Platz stundenweise oder für die
ganze Saison mieten. Das kleine Cafe vor dem Turnierplatz mit den
Umkleide- und Duschräumen ist für jedermann geöffnet.
Haupteingang zur Radrennbahn
Die 400 m lange Radrennbahn ist für Flieger-
und Steherrennen hinter großen Motoren sowie auch für
reine Motorradrennen konstruiert. Sie besitzt ein sogenanntes gebrochenes
Profil, d.h. die innere, weniger geneigte 4 m breite Bahn ist die
Bahn der Flieger und die äußere, 6 m breite Bahn mit
einem höchsten Neigungswinkel von 49 Grad ist die Bahn der
Steher, d. h., der Fahrer hinter großen Schrittmachermotoren.
Auf dieser Bahn kann bis zu einer Geschwindigkeit von 140 km in
der Stunde - 1 Runde in 10,3 Sekunden - gefahren werden. Die viereckige
Fläche in der Mitte des Innenraumes dient zur Abhaltung von
Radballspielen, Reigenfahren, Boxkämpfen etc. In den Innenraum
der Bahn führen zwei Tunnel, der eine für Zuschauer von
der Mörfelder Landstraße aus, der andere für Rennfahrer
von den unterhalb der großen Tribüne befindlichen Kabinen,
Bade- und Betriebsräumen. Das Tribünengebäude enthält
neben dem Restaurant ebenso wie das Hauptgebäude ein Kursistenheim
zur Beherbergung von auswärtigen Teilnehmern an den hier stattfindenden
Sportlehrgängen. Ein Rundgang um die Bahn führt uns an
dem von der Familie von Opel gestifteten Denkmal August Lehr's vorbei,
dem Pionier und ersten Weltmeister im Radrennen auf der Bahn. In
der Radrennbahn können bequem 20000 Zuschauer Platz finden.
Radrennbahn
Wir sind nunmehr auf der kleinen Achse angelangt,
in deren Flucht die Radrennbahn, die Schwimmbahn und das Licht-Luftbad
mit Planschbecken sowie die Gaststätten liegen. Bemühen
wir uns über die Treppe zu der hinter dem Springturm gelegenen
Terrasse, von der aus man einen herrlichen Blick über die ganze
Badeanlage genießt! Rechts unter uns liegen die 100 m lange
und 22 m breite Schwimmbahn und das 18 m lange Sprungbecken. Von
den 8 numerierten Blöcken auf der Brücke, die die Schwimmbahn
und das Sprungbecken trennt, starten die Wettschwimmer. Aus fünf
verschiedenen Höhen, nämlich aus l, 3, 5,7 und lo m Höhe,
werden die Sprünge geübt. Die Tiefe des Sprungbeckens
beträgt 4,70 m und die des Schwimmbeckens von 1,80 bis 2,50
m. Beide Becken zusammen fassen 7000 cbm Wasser, das von einer in
der Nähe im Stadtwalde gelegenen Pumpstation der städtischen
Wasserwerke kommt, fortgesetzt erneuert und in einer maschinell
betriebenen Filteranlage gereinigt wird. Je nach der Witterung wird
das Wasser durch Zusatz von Dampf, der als Abfalldampf von der Pumpstation
Oberforsthaus bezogen wird, auf durchschnittlich 2O-21 Grad Celsius
erwärmt. Unterhalb der Wasserlinie liegt in der Wandung des
Beckens eine Reihe von elektrischen Beleuchtungskörpern, ähnlich
den Bullaugen der Schiffe, durch die das Wasser von unten erleuchtet
werden kann. Die rechts aufsteigenden Terrassen fassen 6000 Zuschauer.
Schwimmbahn
Das im Licht-Luftbad gelegene Planschbecken beginnt
bei einer Tiefe von nur 30 cm, die sich bis zur Mitte auf 1,20 m
steigert. Hier können sich also ohne Gefahr Kinder und Nicht-Schwimmer
im Wasser tummeln. Für die ganz Kleinen ist das Sandbecken
da. Jenseits des Waldweges liegt, eingebettet zwischen hohen Bäumen,
eine nur für die Badegäste bestimmte Spielwiese, die durch
eine Brücke mit der Hauptanlage verbunden ist. Für alle
Bequemlichkeiten des Badepublikums ist gesorgt: Friseur und Masseur
für Damen und Herren stehen zur Verfügung, Tages- und
Sportzeitungen sowie sonstige Unterhaltungslektüre sind erhältlich.
Die Korbstühle und Liegesessel auf den Dächern stehen
unentgeltlich zur Verfügung. Für die leiblichen Genüsse
sorgt die Gaststätte, zu der der Besucher sich nunmehr über
den links an den Badeanlagen vorbeiführenden Waldweg wenden
möge, um sich nach den Anstrengungen des Rundgangs an Speise
und Trank zu laben.
Restaurant im Luftbad
Zum Schluß sei noch die rechts der Aufmarsch-Allee,
abseits im Wald gelegene Tanzwiese mit Spielplatz erwähnt,
die sich besonders für Vereine und Schulen zur Abhaltung von
Festen eignet. Der Platz ist bemerkenswert durch die sogenannte
"Tanzeiche", so genannt, weil um sie herum ein Tanzpodium
im Freien errichtet ist.
Als schwierig erwies sich auch die Regelung der
Verkehrsverhältnisse. Bei einer derartigen Anlage muß
von vornherein mit einer sehr großen Zahl von Besuchern gerechnet
werden, deren Verweisung auf eine Zugangsstraße zu Verkehrsstockungen
und Unfällen führen würde, die sich durch eine zweckmäßige
Anordnung leicht vermeiden lassen. Der Verkehr ist in sich vollkommen
getrennt. Bei großen Veranstaltungen - an einem Tage der Arbeiter-Olympiade
des Jahres 1926 waren über 200000 Besucher anwesend - ist die
Mörfelder Landstraße, die große Chaussee, die am
Stadion entlang führt, für jegliches Gefährt verboten.
Lediglich die Straßenbahnen fahren bis zu einem vor der Eisenbahnunterführung
rechter Hand liegenden Bahnhof. Die Radfahrer biegen auf der Forsthausstraße
in den Stadtwald ab und kommen auf den im Wald hergestellten Radfahrwegen
bei den Radaufbewahrungsstellen an, die gegenüber dem Haupteingang
und neben dem Eingang zur Radrennbahn liegen. Alle Fuhrwerke, Automobile
und Pferdefahrzeuge biegen am Oberforsthaus ab und fahren von der
Isenburger Chaussee über eine für diesen Zweck hergerichtete
Automobilstraße quer durch den Wald, endigend bei der Anfahrtstraße,
die zwischen der Radrennbahn und den Tennisplätzen liegt.
Das Stadion verdankt seine Entstehung den wiederholten
Eingaben und Vorstellungen der Frankfurter Turn- und Sportvereine.
Trotzdem wäre wohl nie an die Ausführung eines solchen
Projekts gedacht worden, wenn nicht in Frankfurt in den Nachkriegsjahren
die große Erwerbslosenziffer mit einem starken Prozentsatz
von entlassenen kaufmännischen und Bankangestellten eine Beschäftigung
dieser nach Arbeit sich sehnenden Menschen notwendig gemacht hätte.
Es entsprach den durchaus berechtigten Forderungen der Bürgerschaft,
daß man die Erwerbslosen, wenn irgend möglich, nicht
unterstützen, sondern ihnen Arbeit geben möge. So verdankt
das Stadion seine Entstehung einer fürsorgerischen Maßnahme,
die vielen Menschen über schwere Zeiten hinweggeholfen hat.
Sogar die Betonarbeiten der Sitzreihen, Einfassungen im Luft- und
Lichtbad vor dem Restaurant usw. sind auf diese Weise erstellt worden,
da sich am südlichen Ende, gegenüber dem Haupttribünengebäude
der großen Übungswiese, der geeignete Sand vorfand, so
daß eine kleine Fabrik hierfür errichtet werden konnte.
Für die Verwaltung der Anlage ist eine Betriebsgesellschaft
gegründet worden, deren Anteile sich ganz in den Händen
der Stadtverwaltung befinden. Daß das Unternehmen seinen Zweck
und sein Ziel, den Bürgern beiderlei Geschlechts der Stadt
zu dienen, erfüllt hat, geht aus den hohen Besucherziffern
der letzten Jahre hervor.
Bilder und Text aus: Das Stadion zu Frankfurt am Main,
1928
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