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30.11.2011

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Rückschau: Bildermacher des Bösen

Die erste große Retrospektive des belgischen Malers Luc Tuymans in Europa

Sendeanstalt und Sendedatum: HR, Sonntag, 13. Februar 2011

Luc Tuymans vor dem Gemälde "Three Moons" (Bild: dpa)lupe Bildunterschrift: Luc Tuymans vor dem Gemälde "Three Moons". ]
(Autorin: Brigitte Kleine)

Seine Malerei kommt auf den ersten Blick unendlich schön daher. Und doch verströmt sie, egal wo man hinschaut, das Grauen. Holocaust, Kindesmissbrauch, der 11. September, Rassismus: Der belgische Maler Luc Tuymans ist mit seinem beklemmenden Werk und der Verarbeitung politischer Themen zu einem der größten Maler-Stars Europas avanciert.

Der redselige, große Belgier steht in krassem Gegensatz zu seinen meist kleinen, bitterbösen Leinwandszenarien. Für seine Arbeit braucht er Fotos, Filme und Polaroids als Vorlagen. Er ist ein besessener Rechercheur, setzt auf Genauigkeit, denn, so sagt Tuymans „Imagination ist der Wirklichkeit immer unterlegen“.

„Luc Tuymans“ - die größte Retrospektive seines 30 Jahre umfassenden Werks kommt nach verschiedenen Stationen in den USA jetzt nach Europa. Ab 18. Februar ist die Ausstellung in Brüssel zu sehen.

ttt hat Luc Tuymans beim Aufbau der Ausstellung getroffen und mit ihm darüber gesprochen, warum das einfach nicht klappen will mit den fröhlichen Bildern.

Text des Beitrags:

Bildunterschrift: ]
Luc Tuymans steht unter Hochspannung: Er dirigiert die Hängung seiner Kunstwerke in Brüssel. Gerade sind die Kuriersendungen eingetroffen. Kunst aus 30 Jahren seiner Arbeit, aus allen Museen der Welt. Jede Leinwand: Millionen Euro schwer! Um Tuymans’ Bilder reißt man sich - obwohl es keine "leichte Kost" ist, die er malt. Den flämischen Maler interessieren nur Abgründe. Fasziniert ihn das Böse?

Luc Tuymans: "Das, was man das Böse nennt, sind die größten Bildermacher. Die größten Ranschaffer von Bildern. Glück macht weniger Bilder."

Tuymans' Kunst kommt auf den ersten Blick eigentlich ganz dekorativ daher. Doch schnell breitet sich Unbehagen aus. Ist es das, das "Böse"? Ein weiblicher Akt von hinten – der Körper verstümmelt, Missbraucht?

Oder Condoleeza Rice, abgemalt von einem Foto. Ihr Blick: Fanatisch. Bedrohlich.
Tuymans arbeitet nah am Puls der Gegenwart – das macht er schon lange so.

Luc Tuymans: "Damit habe ich dann ganz früh eine Entscheidung getroffen, nur aus der Wirklichkeit oder einer ziemlich nahen Geschichte heraus zu arbeiten.“

Dies kleine Bild, das Tuymans als erstes hängen will, zählt zu seinen bekanntesten: Ein Porträt des SS-Manns Reinhard Heydrich, - mit Sonnenbrille verfremdet. Und hier, Holocaust-Drahtzieher Heinrich Himmler: in einem Schatten von Schuld.

Die grauenhaften Experimente der Nazis an KZ-Gefangenen sind Thema dieser Arbeit: Wieder waren es authentische Fotos, die Tuymans schockierten: Augen von Sinti und Roma, die KZ-Arzt Josef Mengele "arisch-blau" spritzen ließ. Aber Tuymans abstrahiert das Grauen. Der Horror entsteht erst, wenn der Betrachter die Geschichte hinter dem Bild kennt.

Luc Tuymans: "Als erstes zeige ich auch keinen Horror. Ich zeige auch keine Leichen. Das ist auch nicht notwendig. Das funktioniert auch nicht. Was funktioniert, sind leere Räume."

So wie das Bild "Gaskammer", das Tuymans 1986 schlagartig berühmt machte. Oder !Unser neues Quartier" - "Our new quarters". Tuymans sah die Postkarte eines KZ-Häftlings, der seiner Familie von seiner Verlegung ins Vorzeige-KZ Theresienstadt schrieb: der Titel "Our new quarters" erzählt von falschen Hoffnungen. Lässt uns das Blut in den Adern gefrieren.

Aber warum hat ihn, ein Belgier, der Holocaust so verfolgt? Ihn, einen Belgier?

In Antwerpen wuchs Tuymans auf. Hier lebt er noch immer. Eine Stadt am Wasser, rau, wieTuymans Kindheit. Der kleine Luc erlebt die Ehe der Eltern als Alptraum: Die Mutter war Holländerin, ihre Familie hatte gegen Hitler im Widerstand gekämpft; aber die Familie des Vaters hatte mit den Nazis kollaboriert. Sprengstoff für die unglückliche Ehe.

Luc Tuymans: "Und jedes Mal, wenn es Krach gab, während des Essens, kam auch die Kriegsgeschichte hoch. Das wurde dann wie eine Phobie, sozusagen.“

Auch in der Schule lernte er das Böse, Gewalt, kennen: Tuymans war still und sehr schüchtern - ein ideales Opfer: Jahrelang wurde er von Mitschülern misshandelt und gequält.

Luc Tuymans: "Weil ich zurückgezogen war, und weil ich nicht wie jeder gebrüllt habe. Wenn man eine Ausnahme ist, das haben die Leute nicht gern."

Doch damit hat er sein Lebensthema gefunden, das er obsessiv verfolgt: das Unmalbare malen, den Schrecken der Welt subtilen zeigen. Tuymans Idyllen? Sind immer falsch. Eine seiner neusten Arbeiten: ein Lächeln, aber zynisch! Tuymans traut der Welt nicht über den Weg. Er weiß genau, wie er das Böse in Bilder - und in Szene setzen muss. Er ist ein Getriebener. Rastlos. Sein Team versucht Schritt zu halten.

Luc Tuymans: "Ja, es ist wie Brennstoff. Ich könnte auch noch weiter arbeiten, aber die Leute hören natürlich mal auf zu arbeiten. Ich im Grunde genommen nicht.“

Für ihn, Luc Tuymans, "Bildermacher des Bösen", gibt es keine Entspannung.

 

Dieser Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 13.02.2011. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.

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