© PSYCHOTHERAPIE 10.09.2001
Gert Postel über seine Psychiatrie-Erfahrung als Oberarzt: "Auch
eine dressierte Ziege kann Psychiatrie ausüben"
Mehr Schein als Sein: Psychiatrie
Hochstapler Dr.med. Dr.phil. Gert Uwe Postel reißt
Psychotherapeuten und Psychiatern die Maske kundiger Heiler
herunter
VON
DIETMAR G. LUCHMANN
Buchbesprechung
Gert Postel:
Doktorspiele. Geständnisse eines Hochstaplers.
Frankfurt / Main: Eichborn, 2001. 191 S.
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Darf man es bedauern, dass Gert Postel,
ein Hochstapler mit Kultstatus, der sich selbst bezeichnet als "ein Nichts", "ein
ehemaliger Postbote mit mittlerer Reife", die ihm vom
sächsischen Sozialministerium angetragene Chefarztstelle der
forensischen Abteilung des Landeskrankenhauses für Psychiatrie
und Neurologie in Arnsdorf - dotiert mit einer C4-Professur an
der TU Leipzig - nicht angenommen hatte? Jedenfalls ist der Welt
damit eine weitere heiter-böse Bloßstellung dessen vorenthalten
worden, wovon Politik wie Psychiatrie bis zur Stufe der
Unfähigkeit vorzüglich leben: dem schönen Schein.
Schon sieben Monate nach seiner Einstellung als Oberarzt am
Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie
im sächsischen Zschadraß wurde der falsche Dr. med. Dr. phil.
Gert Uwe Postel, persönlich unterstützt vom Sozialminister Dr.
Hans Geisler (CDU), für diese Chefarzt-Position vorgeschlagen.
Postels fachliche Kompetenz galt als unbestritten. So
befürwortete die sächsische Staatsregierung in einer
Kabinettsvorlage im Juli 1996 die Ernennung des seit den 80-er
Jahren als Ärzte-Liebhaber bundesweit bekannten Schwindlers. "Das Gespräch mit mir", so schildert Postel im
Buch seine vorausgegangene "Audienz beim
Minister", "bestritt der Minister,
obwohl es anderthalb Stunden dauerte, im wesentlichen allein. Er
stellte mir seine Ideen zur Enthospitalisierung vor, denen ich
zustimmte, was er offenbar gewohnt war. Dann ging er dazu über,
ziemlich pointenlose Geschichten zu erzählen. Eine von ihnen
ging so: Aus der Unterbringungsanstalt in Arnsdorff ist einmal
ein Kinderschänder ausgebrochen. Da ich dort in der Gegend
wohne, bin ich mit meinem Privatauto zur Anstalt gefahren und
habe gesagt, ich bin der Minister, ich will mir jetzt mal die
örtlichen Gegebenheiten anschauen, wie dieser Kinderschänder
hier ausgebrochen ist. Da haben die an der Anstaltspforte zu mir
gesagt: 'Ich bin der Minister, kann doch jeder sagen.' Sie haben
mich nicht reingelassen."
Gert Postel brauchte nicht einmal einen falschen Namen, um
erfolgreich als Psychiater und Psychotherapeut aufzutreten. Doch
offenbar hatte Postel nach einem unbequemen Gespräch mit dem
Ärztlichen Leiter Hubert Heilemann kalte Füße bekommen und von
sich aus die Bewerbung zurückgezogen. Höhepunkt dieser Groteske
war die Rüge, die Heilemann vom Sächsischen Staatsministerium
für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie erhielt: Mit seinen
Fragen habe er den Erfolg versprechenden Aspiranten vergrault.
Derselbe Minister schaute unlängst zu, wie ein Kinderschänder,
der nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung eine Elfjährige
vergewaltigt und erdrosselt hatte, und eine Doppelmörderin als
verurteiltes "Mörderpärchen" im sächsischen Maßregelvollzug zur
Förderung ihres Liebeslebens in eine gemeinsame Zelle mit der
Pille auf Staatskosten zusammengelegt wurden und approbierte
Psychotherapeuten für nicht-genehmigungspflichtige
Psychotherapie bei Versicherten der Primärkrankenkassen Ende
2000 keinen Pfennig erhielten.
Postel indes strich während seiner Oberarzt-Einlage in Sachsen
über 200.000 Mark an Gehalt ein. Honorare in Höhe von knapp
44.000 Mark, die er für psychiatrische Gutachten in 23
Strafverfahren kassierte, für die er als Gerichtsgutachter
bestellt wurde, wird er hingegen behalten dürfen. Das sächsische
Justizministerium habe zwar eine Rückforderung geprüft, aber
kein Verfahren eingeleitet, weil eine Chance, das Geld
einzuklagen, nur bestünde, wenn die Fehlerhaftigkeit der
Gutachten nachgewiesen werde. Von den Gerichten war jedoch keine
einzige der Expertisen zurückgewiesen oder angefochten worden.
Gert Postel: Hochstapler mit Kultstatus seit 20 Jahren
Als gelernter Briefträger gilt die
Leidenschaft des Gert Postel dem Arztberuf, den er ohne
Medizinstudium jahrelang ausgeübt hat. Vom September 1982 bis
April 1983 war Gert Postel unter dem Namen Dr. Dr. Clemens
Bartholdy als stellvertretender Amtsarzt in Flensburg
bemerkenswert erfolgreich. Er reformierte die Einweisungspraxis
in psychiatrische Kliniken, leitete den sozialpsychiatrischen
Dienst, war amtlich bestellter Hafenarzt und Leichenbeschauer.
Unter seiner Leitung und Aufsicht sank die Zahl der
Zwangseinweisungen um 86 Prozent. Wurde Beschwerde gegen seine
Entscheidung eingelegt, so bestätigte das Landgericht seinen
Befund. Daneben schrieb er Gutachten und hielt sogar Vorträge
vor Fachkollegen. Weil ihn die Arbeit jedoch anstrengte, bewarb
er sich fort. Als Arzt, versteht sich. Aufgedeckt wurde der
Schwindel, nachdem Postel das Portemonnaie verloren hatte, in
dem sich seine Ausweise befanden: einer war auf seinen richtigen
Namen ausgestellt, der andere auf den Namen Clemens Bartholdy.
Im Dezember 1984 wurde Gert Postel als falscher Arzt in
Schleswig-Holstein wegen Missbrauchs akademischer Titel,
Betruges und Urkundenfälschung vom Landgericht Flensburg zu
einem Jahr Gefängnis verurteilt, ausgesetzt auf Bewährung. Die
Strafe sei so milde, hieß es in der Urteilsbegründung, weil es
ihm die Gesundheitsbehörden so leicht gemacht hätten und er
keinen Schaden angerichtet habe.
Seiner Karriere tat das indes keinen Abbruch. Zuletzt ab 1995
anderthalb Jahre als Psychiatrie-Oberarzt des Sächsischen
Krankenhauses in Zschadraß - und Vorgesetzter von 28 Ärzten. Die
Zeitung "DIE WELT" zitierte seinen ehemaligen Chef in Zschadraß,
Horst Krömker, am 20. Januar 1999 mit den Worten: "Der Mann hat mich sofort überzeugt. Sein Auftreten,
seine Referenzen. Ich dachte, einen besseren Arzt können wir
nicht kriegen." Auch dieser Schwindel flog nicht etwa
durch ärztliches Unvermögen des Postlers Postel auf, sondern
weil eine Ärztin des Krankenhauses Zschadraß Besuch von ihren
Eltern aus Flensburg erhielt. Irgendwie kam das Gespräch auf den
Oberarzt Postel. Die Eltern kannten diesen Namen. Kurz darauf
war der gelernte Postbote enttarnt. Am 10. Juli 1997 tauchte
Postel unter. Eine Leipziger Staatsanwältin, mit der Postel eine
Affäre gehabt haben soll, stand im Verdacht, ihn vor der
Verhaftung gewarnt zu haben. Zehn Monate entkam der Hochstapler
immer wieder den Ermittlern der Kripo, auch unter Mithilfe einer
Stuttgarter Richterin, einer weiteren Affäre. Bis ihn
Zielfahnder am 12. Mai 1998 in einer Telefonzelle am Stuttgarter
Hauptbahnhof schnappten. Am 20. Januar 1999 begann sein Prozess
vor der Großen Strafkammer am Landgericht Leipzig, für den "so ungefähr alles aufgeboten [wurde], was gut und teuer ist". Urteil: Vier Jahre
Haft.
Anfang dieses Jahres wurde er vorzeitig auf Bewährung entlassen
und meldet sich prompt wieder mit seinem nächsten Coup: Das Buch
"Doktorspiele", aus dem er zum Verkaufsstart am 4.
September 2001 im Berliner Literaturhaus in der Fasanenstraße
las. In seiner knapp 200-seitigen Hochstapler-Biografie
beschreibt der gelernte Briefträger, wie leicht es ihm
Würdenträger, Ministeriale und Akademiker gemacht haben. "Ich gestehe und bereue ganz allgemein",
schreibt Postel zu Beginn seines Buches. Ob er von seiner
verzerrten Realitätswahrnehmung geheilt ist, bezweifelt Postel
alias Dr. Gert von Berg allerdings im Vorwort selbst.
Einst brauchte es feine Kleider, eine elegante Kutsche oder gar
livrierte Diener, um die Kluft zwischen Sein und Schein zu
überwinden. Heute reichen wenige Groschen und eine sympathische
Stimme aus, um am Telefon Lügengebilde zu inszenieren. Die
nötige Portion Raffinesse gepaart mit Witz, Chuzpe und einem
Quäntchen Menschenkenntnis machen aus einem Arbeiter einen
Akademiker, so wie aus dem Postschaffner Postel einen Dr. med.
Dr. phil. Gert Uwe Postel.
Nicht ohne gehörige Selbstironie berichtet Postel in dem Kapitel
"Wie ich das Land Sachsen vor großem Schaden
bewahrte", auf welche Weise er Ostern 1996 "das Richtige tat und auch noch gut verkaufte".
Während sein Chef - im Buch "Dr. Gutfreund"
genannt - "seinen wohlverdienten Osterurlaub
angetreten" hatte, war Postel als sein Oberarzt "in Zschadraß zurückgeblieben und trug nun während
des Auferstehungsfestes die alleinige Verantwortung - auch für
den Maßregelvollzug, also jenen Teil der psychiatrischen Klinik,
in dem psychisch kranke Straftäter untergebracht waren. Von dort
wurde mir hintertragen, daß einige Insassen planten, in der Zeit
zwischen dem höchsten protestantischen Feiertag - Karfreitag -
und dem höchsten katholischen - Ostersonntag - gemeinsam
auszubrechen. Nicht auszudenken, was einige Triebtäter im Verein
mit schizophrenen Mördern außerhalb der Anstalt für ein Unheil
hätten anrichten können. Schnelles und entschlossenes Handeln
tat not. Ich beschloß, die Verschwörung zu zerschlagen, die
Anführer zu trennen und zu isolieren. Meine Freunde vom
Landeskriminalamt schickten mir, nachdem ich das Justiz- und das
Sozialministerium per Telefax auf die Gefahrenlage hingewiesen
hatte, ein Sondereinsatzkommando, das die verdatterten
Konspirateure handstreichartig in Gewahrsam nahm und auf andere,
sichere Anstalten des Freistaates Sachsen verteilte. Als meine
Förderer aus dem Sozialministerium am Dienstag nach Ostern ihren
Dienst wieder antraten, lag ihnen bereits mein Bericht vor, in
dem ich sachlich, aber nicht ohne Sinn für Dramatik schilderte,
wie ich während der Feiertage dieser furchtbaren Gefahr für
Sachsen begegnet war."
"Nun muß man wissen", beginnt Postel
seine Analyse ministerialen Denkens, "daß es
für die politisch Verantwortlichen nichts Unangenehmeres gibt,
als wenn verrückte Kriminelle unerlaubt eine Anstalt verlassen
und die Bevölkerung, darob in Angst und Schrecken versetzt, nach
einem Schuldigen sucht. Es gehört also wenig Phantasie dazu sich
vorzustellen, welch wohliger Schauer meine Ministerialen bei dem
Gedanken überkam, durch mich von einem Unheil bewahrt worden zu
sein, das leicht ohne die Wachsamkeit dieses wunderbar
tatkräftigen Oberarztes zu fürchterlichen Zornesausbrüchen ihres
gottähnlichen Ministers geführt hätte. 'Solche Männer braucht
das Land', werden einige Herren im Ministerium gedacht haben,
denn anders läßt sich nicht erklären, was mir einige Tage später
von dort widerfuhr."
"Drei Tage nach Ostern wurde ich zu einer
'Nachbesprechung' ins Ministerium bestellt, der ich nichtsahnend
Folge leistete. Ich vermutete, daß man anhand der
Osterereignisse noch einmal über Sicherheitsfragen im
Maßregelvollzug sprechen wollte. Im Ministerium waren meine
österlichen Heldentaten jedoch nur noch ein Nebenthema.
Der zuständige Referent schlug mir nämlich überraschend vor, die
Nachfolge von Prof. Dr. K. als Chefarzt in Arnsdorff anzutreten.
Ich war vollkommen sprachlos, suchte nach Worten. Allein der
Gedanke, Nachfolger von Prof. Dr. K., dem einzigen,
ungebrochenen Schüler des großen Rasch, zu werden, erschütterte
mich. Einen Moment überlegte ich, ob die Ministerialen
vielleicht inzwischen meinen wahren Bildungsgang herausbekommen
hatten und mich einfach noch einmal richtig foppen wollten,
bevor sie mich dem Staatsanwalt übergaben.
Aber mir blieb keine Zeit, solchen Gedanken nachzuhängen., denn
der Referent schaute auf seine Uhr und sagte, daß wir uns jetzt
in den Besprechungsraum begeben müßten. Halb bewußtlos trottete
ich hinter ihm her, ich, der Betrüger, der Täuscher, der
Einfädler, unwillkürlich ein hilfloses Objekt der Machenschaften
der Ministerialbürokratie."
So verleitete das sächsische Sozialministerium den Hochstapler,
wie Postel süffiziant feststellt, "um ein Haar
zu einer weiteren Betrugstat" [...]. "Da
Landau mich wegen der Übernahme der Arnsdorffer Stelle
regelrecht bekniete, erwachte meine alte Frechheit, und ich
sagte, daß ich dann schon fast lieber ins Ministerium gehen
würde. Landau, der gewiefte bürokratische Fuchs, parierte meine
Unbescheidenheit geschmeidig: 'Wissen Sie, Dr. Postel,
eigentlich hatten wir uns Arnsdorff als eine Vorstufe für eine
Referentenstelle im Ministerium gedacht. Wenn Sie sich dort
bewähren, dann ist ein späteres Überwechseln ins Ministerium die
natürliche Folge.'"
Das Buch des am 18. Juni 1958 in Bremen geborenen Gert Postel
zeichnet höchst ironisch den verwinkelten Lebensentwurf eines
Hochstaplers nach, der mit gefälschten Papieren, menschlichem
Einfühlungsvermögen und erstaunlichen rhetorischen Fähigkeiten
seine Vorstellungen von akademischen Weihen und
gesellschaftlicher Anerkennung verwirklichen wollte.
Gleichzeitig, so heißt es im Klappentext, ist das Buch eine "doppelbödige Hommage" an seine Umgebung: an
Anwälte, Politiker, Mediziner, Psychotherapeuten, Richter,
Freundinnen, kurz: an alle, die die unglaubliche Karriere des
Dr. Gert Postel erst ermöglicht haben.
Psychiatrie und Psychotherapie: Oft selbst
Etikettenschwindel
Der falsche Oberarzt und Beinahe-Chefarzt
für forensische Psychiatrie reißt Psychiatern und
Psychotherapeuten die Maske kundiger Heiler herunter. Postels
unterhaltsame Köpenickiade lässt hinter der Fassade des
vermeintlichen Expertentums und vorgeblicher
Wissenschaftlichkeit ein weiteres Mal hervorquellen, was
Psychiater und Psychotherapeuten gern verbergen: Gerade in ihrem
Berufsstand findet sich gehäuft neurotisch bedingtes Unvermögen,
realitätsferne Gefühlsduselei, spirituelle Phantasterei,
pseudowissenschaftlicher Größenwahn und selbstverliebtes
Machtstreben.
Postel "interessierte vor allem der Macht- und
Herrschaftsaspekt" an seiner Position: "Wie stark dieses Interesse war, mögen Sie daran
ersehen, daß ich während der Zeit in Zschadraß - mit wenigen
Ausnahmen - absolut klösterlich gelebt habe, obwohl ich
ansonsten ein einigermaßen gesundes Geschlechtsleben führe. Mein
Zölibat in Zschadraß ist ein Indikator dafür, daß mir die
Existenz als Oberarzt in dieser Klinik als Befriedigung jedweder
Triebe vollkommen ausreichte.
Ich bewohnte in der Klinik ein bescheidenes Arztzimmer, in dem
ich mir Frühstück und Abendessen selbst zubereitete. Nachdem ich
morgens meine Morgentoilette absolviert hatte, warf ich meinen
Oberarztkittel über, schlenderte durch einige Abteilungen,
beobachtete die hastig aufgenommenen Aktivitäten des
Pflegepersonals, wurde gegrüßt, grüßte leutselig zurück und
erreichte schließlich den Klinikkiosk, wo eine eigens
zurückgelegte FAZ auf mich wartete, trat den Rückweg an und ließ
mich bei einer Tasse Tee in einem Sessel meines Zimmers nieder,
um mein Leib- und Magenblatt ausgiebig zu studieren,
selbstverständlich im weißen Kittel. Hatte ich die Zeitung
durch, schloß sich manchmal noch eine halbe Stunde
Schopenhauer-Lektüre an, bis ich dann zur Oberarztvisite
antreten durfte. Ich sage bewußt 'durfte', denn der Dienst in
Zschadraß war für mich ein Vergnügen, die damit verbundene
Ausübung von Herrschaft ein Genuß."
Wer den fast unglaublichen Erfahrungsbericht des Gert Postel nur
für böswillige Übertreibung eines persönlichkeitsgestörten
Narzissten hält, hat die teilweise menschenverachtende Realität
im deutschen Psychiatrie- und Psychotherapiebetrieb nicht kennen
gelernt.
Ein illustratives und gleichwohl beliebig
austauschbares Beispiel eines vermutlich selbst schwer gestörten
Experten bot der Facharzt für Psychotherapeutische Medizin
Michael Gross aus Freiburg im Breisgau. Der Psychotherapie-Arzt,
dessen Approbation es ihm per Gesetz erlaubt, über die
psychische Gesundheit anderer zu befinden, offenbarte sein
eigenes verzerrtes Weltbild in einem Leserbrief mit dem selbst
gewählten Titel "Totalschaden" und der
Forderung, die Redaktion der Zeitschrift "PSYCHOTHERAPIE" in
lebenslange Sicherungsverwahrung zu stecken: Die
kritisch-sachbezogene und wissenschaftlich fundierte Aufklärung
in "PSYCHOTHERAPIE" attackierte der Arzt und Psychotherapeut
Michael Gross neben weiteren Verbalinjurien mit den Worten, "Aufmachung und Inhalt scheinen [...]
von Leuten verbrochen, die aufgrund eines
ausgeprägten Dachschadens auf Dauer weggeschlossen gehören".
Verständlich, dass es
angesichts dieser Realität nicht immer leicht fällt zu
beurteilen, wer tatsächlich verrückt ist, Klient oder Therapeut.
"Ein geschickter Therapeut hat keine
Schwierigkeit, über mich ein Gutachten zu erstellen, das mich
als therapiebedürftig qualifiziert", kritisierte Ellis
Huber am 21. August 2001 im Interview mit PSYCHOTHERAPIE den
regelhaften Missbrauch, den Psychotherapeuten und Psychiater in
und mit ihrem Beruf betreiben. Huber, von 1987 bis 1999
Präsident der Berliner Ärztekammer und heute Vorstand der
Securvita BKK, sagte: "Etwa ein Drittel der
Ärztinnen und Ärzte sind zynische Egoisten, denen das Schicksal
ihrer Patienten völlig egal geworden ist. Sie denken nur an sich
und machen Therapien, deren Unsinn sie von vornherein bereits
kennen. Ein weiteres Drittel umfasst frustrierte und
prinzipienlose Opportunisten, die im System mitschwimmen und
versuchen, einigermaßen über die Runden zu kommen und das
schlechte Gewissen durch Freude an Status und Ansehen zu
kompensieren."
Diagnose "Totalschaden" - doch bei wen?
Vor dem Hintergrund reichlich verrückter Psychiater und
Psychotherapeuten verwundert es wenig, wenn ein charmanter und
eloquenter Postbote sich als angenehm normal von den Vertretern
der Psycho-Zunft abhebt und in der Psychiatrie steile Karriere
macht.
Hochstapler-Biografie: Lockruf des schönen Scheins erlegen
Sein Job als Briefträger wurde Postel
schnell zu langweilig, zu anspruchslos. Sein Bubenstück ist ein
gefälschtes Abiturzeugnis, mit dem er sich eine Ausbildung zum
Rechtspfleger ergaunern will. Da er kein Abitur hatte, fälschte
er sich eben eins, und bekam damit 1977 eine Ausbildungsstelle
als Rechtspfleger-Anwärter in Bremen. Der Traum platzte jedoch
nach wenigen Monaten. Sodann versuchte es Postel mit einem
Studium der katholischen Theologie in Münster. Später schüttelte
er dem Papst Johannes Paul II. eifrig die Hand bei einer
Audienz, die Jesuiten in Frankfurt am Main zwischen dem
Kirchenoberhaupt und dem angeblichen Theologiestudenten Postel
vermittelt hatten.
Die Verurteilung wegen Urkundenfälschung und unbefugter
Titelführung schreckten den damals 19 Jahre alten Mann nach
eigenen Angaben nicht ab. Immer wieder biegt er sich in den
folgenden Jahren seinen Lebenslauf zurecht, macht den Vater zum
Theologieprofessor, die Mutter zum Mannequin und sich selbst zum
Assistenzarzt.
Nach dem Selbstmord seiner Mutter im Jahr 1979 sei er auf die
schiefe Bahn geraten, hatte er in einem früheren Prozess
ausgesagt. Gert Postel beginnt Vorlesungen zu Psychologie und
Soziologie an der Uni Bremen zu besuchen. Er liest Fachbücher
und saugt den Fachjargon regelrecht in sich hinein: "Wer die Dialektik beherrscht und die psychiatrische
Sprache, der kann grenzenlos jeden Schwachsinn formulieren und
ihn in das Gewand des Akademischen stecken", schreibt er
später in seinem Buch "Die Abenteuer des Dr.
Dr. Bartholdy".
Den ersten Versuch unternimmt Postel in Neuenkirchen bei
Oldenburg, wo er sich mit einer gefälschten Approbationsurkunde
vorstellt - und prompt seinen ersten Arztjob erhält. Er
betätigte sich als praktizierender Arzt, wohl auch, weil bei der
Einstellung von Ärzten gemeinhin kein polizeiliches
Führungszeugnis verlangt wird. Ein Vierteljahr später wechselt
Dr. Postel auf die Stelle eines leitenden Arztes im
Rehabilitationszentrum beim Berufsbildungswerk des Reichsbundes
in Bremen. Doch der Betrug flog nach vier Wochen auf, als eine
Richterin den ehemaligen Rechtspfleger-Anwärter erkennt.
So foppte er als falscher Doktor seit Anfang der 80er Jahre die
Behörden. Während Postel in Flensburg als Dr. Dr. Clemens
Bartholdy bereits den Amtsarzt spielte, wurde die Bremer
"Arzttätigkeit" im November 1982 gegen eine Geldbuße von 600
Mark zu den Akten gelegt.
Seine Tätigkeit als Amtsarzt war der erste Höhepunkt seiner
Karriere, die ihn bundesweit bekannt machte. Doch die einjährige
Bewährungsstrafe, zu der ihn 1984 das Flensburger Landgericht
verurteilte, hinderte ihn nicht, munter weiter zu schummeln.
Nebenher brachte er 1985 ein 160-seitiges Buch mit seinen
Lebens- und Lügengeschichten auf den Markt.
Sein Hang zum Arztkittel ließ ihn danach unter anderem als
Stabsarzt bei der Bundeswehr und als Begutachtungsarzt für die
Erstellung von Rentengutachten im Berufsförderungswerk
Berlin-Brandenburg arbeiten. Und auch bei der
Landesversicherungsanstalt Stuttgart war er beschäftigt.
Mitten in seinem aufregenden Arztleben befiel Postel 1993 eine
Depression, deretwegen er sich in der Berliner Charite behandeln
ließ. Die offenbar erfolgreiche Psychotherapie führte ihn schon
bald in die Psychiatrie. Sechs Jahre nach dem Fall der Mauer
gelang ihm sein Meisterstück als falscher Oberarzt von
Zschadraß. Postel, der Anfang 1995 noch Katholische Theologie in
München studiert, gibt sich als Prof. Gert von Berg von der
Psychiatrischen Universitätsklinik Münster aus. Vom
Studentenwohnheim aus ruft er beim Chef des Sächsischen
Krankenhauses an und erzählt dem Herrn Kollegen von einem "ausnehmend tüchtigen Funktionsoberarzt, Dr. Postel
mit Namen, der gerade auf sozialpsychiatrischem Gebiet recht
versiert ist".
Wenige Monate später, im November 1995, wird Gert Postel, Sohn
eines Bremer Kfz-Handwerkers und einer Schneiderin, Oberarzt auf
dem "Leipziger Zauberberg", wie er die
Klinik nennt. Trotz des üppigen Salärs von rund 10.000 Mark habe
er wenig geleistet, nette Gespräche mit seinen Vorgesetzen
geführt und viel intrigiert. Das ist sein Verständnis von "Aufbauhilfe Ost", lehrt er den Leser. Er
verhandelte mit dem Dresdner Sozialministerium um
Leitungspositionen und verfasste psychiatrische Gutachten für
sächsische Schwurgerichte. Er stellte Ärzte ein und feuerte sie
wieder, wenn sie ihm fachlich oder menschlich ungeeignet
erschienen. "Das war kein Problem",
sagte er, "ich verlängerte einfach die auf ein
Jahr befristeten Verträge nicht, wenn mir einer nicht passte."
Weil er meist seine Kollegen zu Rate zieht und Gerichtsgutachten
immer nach einer Vorlage verfasst, fällt sein fast zweijähriges
Wirken nicht auf.
Als eine Krankenhaus-Mitarbeiterin aus Norddeutschland den
Postschaffner im weißen Kittel entlarvt, beginnt das
Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Mann mit mittlerer Reife
hochrangige Beamte fast ein Jahr lang vorführt. Ähnlich wie
Kaufhaus-Erpresser Arno Funke alias "Dagobert" ist er ihnen ganz
nah, aber immer eine Länge voraus. Als die Sonderermittler der
Polizei vor seiner Wohnungstür in Berlin stehen, führt er sie
erneut in die Irre. "Lieber Peter, ich bin
heute nach Bremen gefahren [...]. Gruß
Gert", schreibt er auf einen Zettel und legt ihn unter
die Fußmatte. Die Beamten lesen die Nachricht, machen sich nicht
einmal die Mühe zu klingeln, obwohl Postel hinter der
Wohnungstür steht.
Rückblickend schreibt Postel dazu: "Anstatt
nun Gott in einem stillen Gebet für die glückliche Rettung zu
danken und einfach meiner Wege zu gehen, rief ich, es muss mich
ein Teufel geritten haben, meinen Staatsanwalt in Leipzig von
einer nahe gelegenen Telefonzelle aus an und beklagte mich
darüber, dass sich seine Hilfsbeamten schon zu so früher Stunde
an meiner Haus- und Wohnungstür zu schaffen gemacht hätten."
Gert Postel in Psychiatrie "auf Dauer intellektuell
unterfordert"
Wie dem Baulöwen Jürgen W. Schneider, so
hat es auch Gert Postel im Laufe seiner kriminellen Karriere
immer weniger Mühe gekostet, die hohen Herren zu täuschen.
Einmal in den Kreis der Akademiker aufgenommen, fragt keiner
mehr nach dem Wie und Warum.
Zum Berufsbild des Psychiaters meinte Postel in der Diskussion
nach der Berliner Lesung nur abfällig: "Auch
eine dressierte Ziege kann Psychiatrie ausüben." In der
Psychiatrie hätte es schon "sehr seltsame"
Personen unter den Ärzten gegeben, erinnert sich der
Ex-Oberarzt: "Einer stellte die Diagnose für
einen Patienten, ohne mir die Symptome nennen zu können. Da
verliert man jeden Respekt, ich habe die Ärzte alle verachtet."
An seine Zeit im Knast erinnert sich der selbst ernannte Doktor
hingegen gern: "Die war gut, die möchte ich
genauso wenig missen wie meine Zeit als Arzt. In Freiheit hätte
ich es nie geschafft, fünf Bände Schopenhauer durchzuarbeiten."
Für die Zukunft wünscht sich Postel, "klüger
zu werden, mehr zu begreifen". Er will zwei weitere
Bücher verfassen, eins zur Entstehungsgeschichte von
Doktorspielen und einen Gedichtband.
Bis an sein Lebensende als falscher Arzt im psychiatrischen
Krankenhaus im sächsischen Zschadraß zu arbeiten, das wiederum
hätte Gert Postel sich nicht vorstellen können. "Diese Tätigkeit hätte mich auf Dauer intellektuell
unterfordert", erklärte der ehemalige Postbote auf einer
weiteren Lesung aus seinem Buch in Leipzig am 6. September 2001.
"Ich wollte, dass sich das Buch abhebt von der
üblichen Verbrecherliteratur eines Dagobert oder Dr. Schneider
und habe mich um ironische Distanz bemüht", rühmt sich
der Autor in der anschließenden Fragestunde, wie die "Leipziger
Volkszeitung" am 7. September 2001 berichtete. Freundlichen
Bitten um Auskunft komme er gern nach. "Für
die Psychiatrie", so habe er seine Erfolgsmethode
beschrieben, "brauchen Sie keine Basis, Sie
müssen nur die Sprache beherrschen, und dann können Sie das
Gegenteil oder das Gegenteil vom Gegenteil beweisen."
Seine Oberarztkarriere in Sachsen sei für ihn keineswegs die
einzige Möglichkeit des Aufstiegs gewesen, erläuterte Postel. "Ich habe auch ernsthaft darüber nachgedacht, als
Präsident eines Gerichts in den Osten zu gehen, das hätte
genauso funktioniert", habe er sich überzeugt gezeigt.
Doch nun, so behauptete der 43-Jährige, wolle er spazieren
gehen, Pfeife rauchen, Schopenhauer lesen und straffrei leben.
Mit der Hochstapelei solle jetzt Schluss sein. "Man kann sich nicht zum eigenen Plattenspieler
machen", gibt die "Leipziger Volkszeitung" seine
Selbstdarstellung wider und schildert, wie Postel sich eine Rose
reichen und strahlend von Besuchern als Enthüller
psychiatrischer Missstände feiern lässt. "Ich
bewundere Sie mehr, als dass ich Sie verurteile",
zitierte die Zeitung den an der Lesung teilnehmenden Wolfgang
Ende vom psychiatrischen Krankenhaus Hochweitzschen (Döbeln) mit
der Erklärung, der Fall des Hochstaplers habe viele Psychiater
nachdenklich gemacht. "Ich weiß auch, dass Sie
Patienten keinen Schaden zugefügt haben", erklärte der
echte Oberarzt Wolfgang Ende. Und Postel konterte bissig: "Ich bin ja auch kein Psychiater."
Seine Strafe hat Postel verbüßt, doch sein Image als Hochstapler
bleibt ihm - und er scheint es zu genießen. So fällt es dem
Wiederholungstäter in seinem jetzt veröffentlichen Buch nicht
schwer, sich selbst ein Psychogramm auszustellen, gezeichnet Dr.
Gert von Berg, das Pseudonym aus alten Verbrechertagen. Dass er
heute ein Restaurant betreibt, in dem die feine Gesellschaft von
Leipzig speist, und zudem Hauptaktionär einer psychiatrischen
Privatklinik ist, bleibt - vorerst zumindest - ein unerfüllter
Traum.
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