Pankow Presse 1996

Berliner Zeitung 21.11.1996

 

Ein Arrangement

Alexander Osang

Neues von der Rockband Pankow. Der Sänger ist zurückgekehrt. Der Gitarrist war IM. Demnächst gibt's ein Konzert

Kürzlich hat Jürgen Ehle seinen 40. Geburtstag gefeiert. An einem solchen Tag redet man sich gern ein, das man der alte Haudegen geblieben ist. Für Rockmusiker gilt das besonders. Und weil Jürgen Ehle in der Berliner Rockband Pankow spielt, hat er seinen 40. Geburtstag an der Gitarre gefeiert. Bei einem öffentlichen Konzert im Franz-Club in Prenzlauer Berg. Kurz vor Mitternacht präsentierte er einen "special guest".

Andre Herzberg betrat die Bühne. Die verlorene Stimme von Pankow.

Herzberg hatte die Gruppe vor etwa sechs Jahren im Zorn verlassen, um eine Solokarriere zu machen. Er gründete eine eigene Band, nahm Platten auf. Jürgen Ehle machte mit Pankow weiter. Auch Pankow nahm Platten auf. Aber irgendwie wurden beide ohne einander nicht glücklich. Ehle fehlte Herzberg. Herzberg fehlte Ehle. Den Fans fehlte Pankow. Und so wischten sich einige an jenem Abend im Franz-Club eine kleine Träne aus dem Augenwinkel, als Andre Herzberg von der Bühne verkündete, das er zu Pankow zurückkehren würde. Es würde so werden wie früher. Womöglich sogar besser.

Die Stones der DDR

Um die Bedeutung dieser Wiedervereinigung zu verstehen, muss man an dieser Stelle erklären, das Pankow so was wie die Rolling Stones der DDR waren. Pankow spielte spröde, raue und manchmal mutige Songs über den Alltag im Osten des Landes. Pankow war zu unberechenbar fürs Fernsehen, Pankow forderte in Konzerten sein Publikum auf zu schreien: "Wir wollen anders sein!" Pankow ging in der Perestroika-Zeit mit der Bigband der "Westgruppe der Sowjetischen Streitkräfte" auf Tournee. Und wenn Pankow so was wie die Stones waren, dann waren Jürgen Ehle und Andre Herzberg so was wie Keith Richards und Mick Jagger.

Ein cooler Gitarrist und ein exzentrischer Sänger. Zwei Gegner. Zwei Freunde. Sie haben sich angetrieben, gestritten und getrennt. Herzberg fühlte sich von Ehle nie voll als Musiker akzeptiert. Und wahrscheinlich akzeptierte ihn Ehle nie voll als Musiker. Einer ein bisschen zu abgeklärt. Der andere ein bißchen zu moralisch. Zwei Egozentriker, die einander offensichtlich brauchten.

Ihre Wiedervereinigung soll ein Zeichen sein, sagen sie. Lasst euch nicht unterkriegen, wollen sie ihren Hörern zurufen. Wir sind ja auch wieder da. Gemeinsam sind wir stärker. So was in der Art wohl. Ein Zeichen eben.

Ein paar Wochen nach der Geburtstagsparty fand Herzberg einen Brief von der Gauck-Behörde in seinem Postkasten. Die Gauck-Behörde teilte mit, daß sie den Klarnamen des IM "Peters" gefunden hatte, der in Herzbergs Stasi-Akte aufgetaucht war. Andre Herzberg las den Namen und faltete das Papier blitzartig wieder zusammen. Ein paar Minuten später schaute er noch mal auf das Schreiben. Der Name hatte sich nicht verändert.

"Ehle, Jürgen". Eine späte Nachricht.

Ehle und Herzberg sitzen sich in einer Weißenseer Laube gegenüber. Sie gehört ihrem ehemaligen Manager, der draußen vor der Scheibe mit einem T-Shirt der letzten Pankow-Tour im feuchten, ekligen Novemberwind wedelt und stumme, fröhliche Grimassen schneidet. Er weiß nicht, worüber die beiden reden. Oder er tut so. Es ist Vormittag, auf dem Tisch steht eine offene Flasche Weißwein. Sie rauchen. Herzberg sagt, das er darüber reden muss. Ehle sagt, das er erleichtert sei, darüber reden zu können.

Kindheit in Kairo

Er erzählt von der Kindheit. Seine Eltern waren Außenhändler. Ehle wurde in Peking geboren und wuchs in Kairo auf. Mit Westgeld, Westbüchern und einem reinen, klaren Weltbild. Mit zehn kehrte er ins gelobte Land zurück. Er wurde Leistungssportler, lernte Gitarre spielen, und als er Anfang Zwanzig war, besuchten ihn zwei Kriminalisten, die keine Kriminalisten waren. Sie erzählten ihm, das ein Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik einen Gitarrelehrer für sein Kind suche. Sie fragten ihn, ob er das machen würde. Ehle sagte nicht nein. Ein typischer Anfang.

Er versuchte es nicht, er erzählte den Männern später, das das nicht geklappt habe. Aber er hob sich ihre Telefonnummer auf. Als Franz Bartzsch, ein Musiker der Band, für die er spielte, nach einem Auftritt in Westberlin blieb, wählte Jürgen Ehle die Nummer. Das war 1980. "Ich wollte denen erklären, das die Band damit nichts zu tun hat. Ich erzählte ihnen, das Bartzsch sich im Westen verliebt hatte und deswegen nicht zurückkam. Ich wollte verhindern, das wir ein Reiseverbot bekamen", sagt Ehle. Das konnte er nicht verhindern, aber als ein gutes Jahr später auch Veronika Fischer, die Sängerin der Band, in den Westen ging, telefonierte Ehle wieder.

Die Sprache der Stasi

Im Sommer 1981 stieß Andre Herzberg zu den vier verbliebenen Musikern. Pankow wurde geboren. Ehle traf sich hin und wieder mit der Staatssicherheit. In Cafes, in Dienstwagen, in konspirativen Wohnungen. "Wir haben über belanglose Sachen geredet. Über Stimmungen im Lande und so was. Ich hatte den Eindruck, das es ihnen eher wichtig war, überhaupt Kontakt zu mir zu halten. Und letztlich ging es mir auch darum. Ich wollte wissen, an wen ich mich wenden kann, wenn es wieder mal Probleme gibt. Ich wollte sie für meine Zwecke einspannen."

"Sie haben dich eingespannt", sagt Herzberg. "Allein deshalb, weil du nicht darüber reden durftest. Was ist das für eine Freiheit, die dich zum Schweigen zwingt?"

"Ich hab einen Druck gespürt, mit euch zu reden. Ich habe ihn runtergeschluckt. Aber es war ein Druck, der von mir kam. Nicht von ihnen. Ich habe aus freien Stücken mit ihnen geredet. Ich habe es für die Band getan. Ich habe ja nicht nur mit der Stasi geredet. Ich hab mit den Fernsehfritzen geredet. Mit der FDJ. Mit der Plattenfirma. Mit allen Offiziellen. Weil ich der einzige von uns war, der überhaupt ihre Sprache sprechen konnte", sagt Ehle.

"Stimmt. Ich konnte das nie. Ich hatte immer barbarische Angst. Oder barbarische Wut. Das eine brachte gar kein Ergebnis. Das andere den Eklat. Ich konnte nie taktisch vorgehen", sagt Herzberg.

Ehle lächelt über Herzbergs zitternde Ausbrüche. Über dessen hände ringende, ohnmächtige Suche nach Antworten. Herzberg zappelt, reißt Augen und Mund auf, malt mit der selbst gedrehten Zigarette Kreise in die Luft. Ehle raucht Gauloises, seine Rede fließt ruhig, seine Gesten sind elegant, vornehm irgendwie. In einem Gespräch mit der Staatssicherheit sollte Jürgen Ehle die Persönlichkeit des Sängers Herzberg skizzieren. "Er ist politisch ein bisschen verwirrt. Aber eigentlich, in seinem Inneren, steht er für unsere Politk", beschreibt Ehle.

Ein guter Junge

"So haben sie mich immer eingeschätzt", sagt Herzberg. "Ein bisschen wirr im Kopf. Aber das Herz auf dem rechten Fleck." Ein unartiges Kind. Sozusagen. Ehle hat sich um den Jungen gekümmert.

Im Sommer 1985 machte Pankow seine erste große Westtournee. Nach dem letzten Konzert fehlte der Schlagzeuger Frank Hille. Herzberg und Ehle waren völlig fertig. "Wir hatten uns doch geschworen, das niemand abhaut. Wenn jemand gehen will, dann nur über Ausreiseantrag. Niemals die Band mit reinziehen", sagt Herzberg. "Außerdem hatten wir bei dieser Tour das erste Mal gespürt, das es richtig läuft, das Pankow durchstartet. Nun sah es so aus, als sei alles vorbei." Herzberg gab sich seiner Wut und seiner Ohnmacht hin. Ehle telefonierte. Diesmal mit Erfolg. Die Band durfte weiter in den Westen reisen. Ehle zahlte einen Preis dafür. Er diktierte zum ersten Mal etwas auf das Stasi-Tonbandgerät. Kurzporträts aller Bandmitglieder, mit denen er der Staatssicherheit beweisen sollte, das ab jetzt niemand mehr in den Westen gehe. Alle seien zuverlässig. Und er schrieb eine Verpflichtungserklärung. Er wurde IM Peters.

"Peters! Was ist denn das für ein bescheuerter Name?" fragt Herzberg.

"Das ist doch unwichtig", sagt Ehle.

Später legte Jürgen Ehle bei der Staatssicherheit auch ein gutes Wort für den "Silly"-Gitarristen Uwe Hassbecker und den "Rockhaus"-Keyboarder Carsten Mohren ein. "Die hatten mir beide erzählt, daß sie nicht in den Westen fahren dürfen. Die haben mich um Hilfe gebeten, obwohl sie natürlich nichts von meinen Kontakten wussten", sagt Ehle. "Irgendwie war ich schon der, der sich um alles kümmert." Hassbecker und Mohren durften schließlich reisen. Vielleicht haben sie es Ehle zu verdanken. Wer weiß.

Andre Herzberg erzählt, wie sie sich früher bei den Proben hier auf dem Grundstück ihres Managers über einen imaginären Stasi-Mann lustig gemacht haben. Sie nannten ihn "Günti". "Wir haben uns vorgestellt, das Günti hinter der grünen Schallschutzfolie ganz still stehen mußte, weil es sonst geraschelt hätte. Es war ein Witz. Aber wie konntest du da mitspinnen? Musstest du nie an dich denken?" fragt Herzberg.

"Nee", sagt Ehle. "Ich hab mich nie so gesehn. Als Lauscher an der Wand."

Ende der 80er Jahre hat Ehle nicht mehr auf die "Melde dich mal"-Zettel in seinem Briefkasten reagiert. Aber im Herbst 1989 standen sie dann noch mal vor seiner Wohnungstür. Sie wollten wissen, worum es in den Protestresolutionen ging, die die Musiker auf ihren Konzerten verlasen.

Warten

Nach der Wende, als reihenweise IM hochgingen, habe er angefangen, Bücher über die Staatssicherheit zu lesen, sagt Ehle. Und als er in dem Reclam-Band "Machtspiele" den Text "Wie wurde man IM?" von Ulrich Schröter las, wusste er, was er getan hatte. Was er war. "Ich habe versucht, mit mir selbst klarzukommen. Mir Fragen zu beantworten. Mich zu akzeptieren. Als ich das konnte, habe ich gewartet. Ich habe auf den Augenblick gewartet, in dem es rauskommt."

"Das ist für mich die eigentliche Enttäuschung. Das du in all den Jahren, in denen es eigentlich kein Risiko mehr gab, nicht darüber gesprochen hast", sagt Herzberg.

"Ich wollte, das mir auch jemand zuhört", sagt Ehle.

Der Wein ist alle. Es ist vorbei. Was ist vorbei?

Sie wollten einen Riss kitten und haben ihn nicht gefunden. Herzberg hat so viele Fragen gehabt, Ehle so viele Antworten. Überraschungen, Wut, Geständnisse und Schwüre hat es nicht gegeben. Sie haben miteinander geredet. Sie haben sich, wenn man so will, geeinigt.

"Ich entschuldige mich in keinster Weise für das, was passiert ist. Aber ich bin dankbar dafür, daß Andre so reagiert hat, wie er reagiert hat", sagt Ehle.

"Es ist schon erstaunlich, wie wir damit umgehen konnten", sagt Herzberg. "Aber was ich nicht verstehen kann, ist, das Jürgen nicht einmal geweint hat. Und das ich nicht einmal Arschloch gesagt habe."

Womöglich ist alles zu lange her. Womöglich hat Herzberg in den letzten Jahren zu viele Enttäuschungen erlebt. Womöglich war Ehle zu gut vorbereitet. Vielleicht aber wiegt eine neue Platte einfach mehr als eine alte Akte.

Auf dem Weg zu den Domino-Studios in Prenzlauer Berg begreift man, was der Satz bedeutet, eine Band habe sich ins Studio "zurückgezogen". Man muss zwei Hinterhöfe überqueren, endlose Treppen steigen und dann an vielen schall isolierten Kabuffs vorbeilaufen, die nicht größer sind als die Nasszelle einer Neubauwohnung, überraschenderweise aber vielen mehr oder weniger hoffnungsvollen Nachwuchskapellen Platz bieten. Dann muss man nur noch durch einen verqualmten, dunklen Aufenthaltsraum, um bei Pankow anzukommen. Sie nehmen die neue Single auf. Sie heißt "Am Rande vom Wahnsinn".

"Es läuft total gut", sagt Herzberg. "Ich spüre eine unglaubliche Kraft."

"Andre ist reifer geworden", schätzt Ehle ein. "Er ist inzwischen bereit, Verantwortung zu übernehmen."

Na bitte. +++