Kapitell San Pedro de la Nave, Spanien, Ende 7. Jh.
Kapitell der westgotischen Kirche von San Pedro de la Nave,
heute El Campillo, Nordspanien, Provinz Zamora, Ende 7. Jh.
Darstellung von Abrahams Opfer.
- Mit Genehmigung des Bistums Zamora,
Delegado de Patrimonio Cultural -

Das 7. Jahrhundert

Der keltische und angelsächsische Norden

Obwohl in Irland und Schottland keine Königsherrschaften bestanden und die sieben angelsächsischen Kleinkönigreiche politisch und militärisch keine Bedeutung über die Insel hinaus hatten, gingen doch von Irland und von den angelsächsischen Reichen religiöse und kulturelle Anstöße aus, die für den Kontinent so bedeutsam wurden, daß wir sie hier an die erste Stelle rücken. Das irische Christentum, das seit der Missionierung im 5. Jahrhundert von der christlichen Oekumene abgetrennt überlebt hatte, wies in den Formen des Mönchtums, in der Berechnung des Kirchenjahres, in der Kirchenordnung und in der von den Mönchen praktizierten Askese der peregrinatio, der lebenslangen Wanderschaft, Heimatlosigkeit und missionarischen Predigt, eigenständige Ansätze und aktive Impulse auf, die es weit über die heimatliche Insel hinaustrug. Irische Mission öffnete Schottland und die nördlichen Reiche der Angelsachsen von den Klöstern Iona (Irland) und Lindisfarne (Northumbria) aus dem Christentum. Gleichzeitig gingen um die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert irische Missionare auf den Kontinent, gewannen durch ihre Predigt Teile des Adels für ernstere Bemühungen um christliches Leben, versuchten auch in diesem Sinn auf Mitglieder des fränkischen Kö nigshauses einzuwirken und traten durch Klostergründungen hervor. Der berühmteste unter ihnen war Columban der Jüngere (gestorben 615), auf den die Gründung des Klosters Luxeuil in den Vogesen zurückgeht und der nach Differenzen mit dem merowingischen Königshaus ins Langobardenreich weiterzog und dort an einer Verbindungsstraße von der Lombardei in die Toskana das Kloster Bobbio gründete. Diese beiden Columban-Gründungen wurden zu Zentren des monastischen Lebens und der Gelehrsamkeit. Viele andere von den Iren gegründete Klöster hatten nur regionale und vorübergehende Bedeutung.

Während die irische Mission von Norden her in die angelsächsischen Reiche vordrang, setzte etwa gleichzeitig von Süden, ausgehend vom Königreich Kent, die von Papst Gregor I. (gestorben 604) geförderte römische Missionierung der Angelsachsen ein. Erster Bischofssitz in Kent wurde Canterbury, das daraus für alle Zukunft einen Vorrang innerhalb der Kirche der angelsächsischen Reiche ableitete. Die junge angelsächsische Kirche blieb von ihren Anfängen her extrem romverbunden; und sie koppelte die Mission an den Aufbau einer auf Bistümer gestützten Kirchenorganisation. Auch für sie spielten Mönche als Missionare und Klöster als Missionszentren eine wichtige Rolle, aber es waren benediktinische Mönche und benediktinische Klöster, die der Disziplinargewalt der Ortsbischöfe unterstanden, anders als bei den Iren, deren Klöster selbst Ausgangspunkte bischöflichen Wirkens waren und jedenfalls das Einwirken auswärtiger Bischöfe nicht kannten. Dagegen war die Missionspraxis nicht sehr unterschiedlich. Römische wie irische Missionare setzten bei den Mächtigen, Kö nigen und Adel an, um das "Volk" für das Christentum zu gewinnen. Beim Aufeinandertreffen beider Missionsansätze in Northumbria erfuhr man im Alltag die Unterschiede in den monastischen Praktiken und in der Berechnung des Kirchenjahres als unangenehm, so daß der König von Northumbria 663/64 eine Synode einberief, die die unterschiedlichen Praktiken vereinheitlichen sollte. Nach der Darstellung des angelsächsischen Kirchenhistorikers Beda (gestorben 735) griff der König in den Streit ein, indem er nach den jeweiligen Autoritäten fragte. Es war die Berufung auf den hier als Himmelspförtner qualifizierten Petrus durch diejenigen, die die römische Richtung vertraten, die, so erzählt Beda, die Entscheidung zugunsten der römischen Praxis herbeiführte. Christentum und auf Rom orientierte Kirchenorganisation faßten bei den Angelsachsen schnell Fuß. Angelsächsische Missionare begannen seit dem Ende des 7. Jahrhunderts ihrerseits, auf dem Kontinent zu wirken, zunächst bei den stammverwandten Friesen, dann im östlichen Teil des Frankenreiches. Ihre prominentesten Vertreter sind der Bischof Wilfrid von York, dann Willibrord, Abt von Echternach und Missionsbischof der Friesen (Utrecht), und schließlich im 8. Jahrhundert Winfrid-Bonifatius, der "Missionar Germaniens", auf den noch zurückzukommen ist.

Durch die kirchenorganisatorische Verankerung und durch die strenge Ortsbindung des benediktinischen Mönchtums schuf die angelsächsische Mission auf dem Kontinent festere Strukturen als die irische. Aber einzelne Iren (Scoti), z. B. Scotus Eriugena im 9. Jahrhundert oder Marianus Scotus im 11. Jahrhundert, und die von Iroschotten gegründeten "Schottenklöster" behielten auf dem Kontinent bis ins Hochmittelalter hinein ihre kulturelle und geistliche Bedeutung.

Das Frankenreich

Das 7. Jahrhundert ist für das Frankenreich ein Zeitraum extremer Armut an historiographischen Quellen. Während uns die Frankengeschichte des Gregor von Tours und seine hagiogarphischen Werke (Heiligenleben) aber auch die Werke des Sidonius Appolinaris über das 6. Jahrhundert informierten, fand Gregors Geschichtsschreibung im 7. Jahrhundert nur in der Chronik des sog. Fredegar (dessen Verfasserschaft und Name nicht zeitgenössisch überliefert ist) einen Fortsetzer, der freilich weniger gebildet war und karger und hölzerner berichtet. In der Sprache der sog. Fredegarchronik ist die Mixtur zwischen beabsichtigtem Schullatein und romanischer Volkssprache, die die Lautung und das lateinische Deklinations- und Konjugationssystem stark verändert hatte, deutlicher als bei Gregor. Vom Konzept her will bzw. wollen der oder die Verfasser der Fredegarchronik Weltgeschichte schreiben; gelegentlich wird auch noch über das oströmische Reich berichtet, aber das Frankenreich und seine Merowingerkönige stehen im Vordergrund des Interesses. Vom Merowingerkönig Dagobert I. (gestorben 638) sind die ersten original überlieferten, auf Papyros geschriebenen Königsurkunden erhalten. Urkunden ergänzen von nun an das Bild, das die Historiographie bietet. Seit der Mitte des 7. Jahrhunderts steigt die Zahl der erhaltenen Originalurkunden, mehrheitlich Königsurkunden aber auch erste "Privaturkunden", allmählich an. Das durch sie konservierte Latein des Merowingerreichs ist noch deutlicher als die Sprache Fredegars auf dem Weg zur romanischen Sprache. Die Schrift der Originaltexte ("Merovingica") ist aus der lateinischen Kursive (gebundene Schreibschrift) der römischen Spätantike entstanden, hat sich jedoch weiter entwickelt und ist durch die zahlreichen Ligaturen (Buchstabenverbindungen) für den Ungeübten schwer lesbar. Der Beschreibstoff wird im Frankenreich um 670 von Papyros (Pflanzenfaser) auf Pergament (behandelte Tierhaut) umgestellt. Als schriftliche Quellen sind außer Fredegar und den Urkunden einige Briefe erhalten; an archäologischen Quellen haben wir außer Gräberfeldern vor allem Münzen. Von den Merowingern des 7. Jahrhunderts sind einige Prägungen auf ihren Namen überliefert, seit dem Ende des 7. Jahrhunderts dann Prägungen nur mit Münzmeister- und wahrscheinlich auch Bischofsnamen. Als Münzmetall verschwindet Gold in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts und wird ganz durch Silber ersetzt. Von Skandinavien und den angelsächsischen Reichen aus finden Sceatta-Prä gungen im Frankenreich Verbreitung. Bei den merowingischen Königen (und später bei den karolingischen Hausmeiern) sind seit dem letzten Viertel des 7. Jahrhunderts Landorte, nicht mehr Städte als Aufenthaltsorte nachweisbar. Zwar gibt es nach wie vor Zeugnisse für Fernhandel (die jährliche "Messe" beim Kloster St. Denis bei Paris, für die Sachsen - wohl Angelsachsen - und Friesen bezeugt sind), aber ländlicher Grundbesitz und Naturalien waren wohl stärker Grundlagen für Reichtum und Handel als Geld. Fredegar berichtet über den fränkischen Kaufmann Samo, der die Slaven oder Wenden im Kampf gegen die Avaren oder Hunnen (so Fredegar) anführte und den die Slaven daraufhin zu ihrem König machten.

Politisch ist das Frankenreich im 7. Jahrhundert gekennzeichnet durch die Polarisierung auf die beiden Teilreiche Austrien und Neustrien, die nach dem Tod Dagoberts I. (638/39), des Sohnes Chlothars II., wieder unter gesonderten Königsherrschaften standen. In beiden Teilreichen nahm die Stärke der Hausmeier als Exponenten des Adels gegenüber den Königen zu. Gefördert wurde diese Entwicklung auch durch mehrfache Herrschaftszeiten minderjähriger Könige. Über die Stellung der Hausmeier in Austrien, das schon vor der Teilung beim Tod Dagoberts seit 623 Unterkönigreich war (wie vorübergehend auch Aquitanien), vollzog sich bis ca. 662 der Aufstieg der Familie, die wir nach ihren berühmten Vertretern im 8. Jahrhundert, Karl Martell und Karl dem Großen, als Karolinger bezeichnen, die aber für diese frühe Zeit nach ihren Ahnvätern Arnulf von Metz und Pippin dem Älteren besser als Arnulfinger-Pippiniden benannt würden. Nach einem etwa um 662 anzusetzenden Rückschlag für diese Familie, gelang ihr mit Pippin dem Mittleren seit 680 ein neuer Aufstieg. Pippin d. M. konnte 687 den Hausmeier und den König Neustriens schlagen und fügte die beiden Teilreiche zu einem regnum Francorum zusammen. Bei dieser Einheit blieb es, abgesehen von einer kurzen turbulenten Zeitspanne nach seinem Tod (714). Auch wenn Randbereiche (Aquitanien, Elsaß, Alamannien, Bayern, Thüringen, Friesland) sich unter eigenen Herzögen mehr oder weniger stark verselbständigten, wahrten die Karolinger, Pippin d. M. und seine Söhne, als princeps, Hausmeier oder dux ihre starke Stellung. Pippin d. M. förderte die angelsächsische Mission bei den Friesen. Die Frauen des Karolingerhauses gründeten und begünstigten Klöster, denen sie als Witwen oder unverheiratete Töchter vorstanden. Über keine andere Adelsfamilie sind wir durch Historiographie und Urkunden so gut unterrichtet wie über die Karolinger.

Das Westgotenreich

Das seit 589 katholische, sog. Toledanische Westgotenreich erfuhr im 7. Jahrhundert eine wirkungsvolle Zusammenarbeit zwischen Königtum und kirchlichen Amtsträgern. Die regelmäßig in Toledo, meist im Zusammenhang mit Reichsversammlungen tagenden Synoden behandelten u. a. Fragen des Kirchenrechts, der Stellung der Könige, der Haltung gegenüber den Juden. Einige der Entscheidungen dieser Synoden wurden grundlegend für das gesamte Mittelalter. Einberufen wurden die Synoden von Toledo vom Westgotenkönig, standen jedoch seit der Mitte des 7. Jahrhunderts unter der Leitung des Erzbischofs von Toledo, der in die Funktion eines Primas der spanischen Kirche hineinwuchs. Die Verbindung zu Rom wurde zwar aufrecht erhalten, war aber locker. In dieser Zeit entstand die eigenständige altspanische Liturgie, die uns als sog "mozarabische" Liturgie in Sakramentaren und Lektionaren des 9. bis 11. Jahrhunderts überliefert ist. Um 633 wurde im Westgotenreich die bedeutende Kirchenrechtssammlung Hispana Collectio zusammengestellt und laufend ergänzt. Das Mönchtum entwickelte sich unter Aufnahme verschiedener Einflüsse der Ostkirche und des Benediktinertums durchaus selbständig mit Schwerpunkten im Norden der iberischen Halbinsel. Fructuosus von Braga (gestorben um 665) gab ihm die Regula communis. Die Zusammenarbeit zwischen christlicher Kirche und Königtum fand ihren Ausdruck auch in der zum Jahr 672 erstmals gesichert überlieferten Königssalbung, die den religiös fundierten Amtscharakter und den christlichen Auftrag des Königtums unterstrich. Die für das ganze Mittelalter bedeutendste Figur des Westgotenreiches dieser Zeit ist der aus einer römischen Provinzialadelsfamilie stammende Isidor, der seinem Bruder Leander (gestorben 600/601) als Bischof von Sevilla folgte (gestorben 636). Neben dogmatischen und exegetischen Schriften, verfaßte er eine Historia Gothorum, die nach seinem Tod mehrere Fortsetzer fand und ein wichtiges Dokument für die Identifizierung der Iberoromanen mit dem katholischen Westgotenreich ist. Vor allem aber ist er der Verfasser der Origines sive Etymologiae, einer Enzyklopädie des antiken Wissens in 20 Büchern. Dieses Werk trägt, ausgehend von der sprachlichen Herleitung der Wörter und systematisch geordnet, alle Informationen zusammen, die ihm und seiner Zeit zur Verfügung standen, fand eine ungeheure Verbreitung und wurde das ganze Mittelalter hindurch als Fundgrube genutzt. Der aus der Spätantike überkommene Stoff der Allgemeinbildung, die sieben artes liberales (so der Afrikaner Martianus Capella in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts) wurden von Isidor in Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und Quadrivium (so schon Cassiodor: Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) unterteilt.

Die Zusammenarbeit mit den Iberoromanen und der Kirche gab dem westgotischen Königtum, in dem Erblichkeit schwächer etabliert war als im Frankenreich, Festigkeit und Rückhalt. Römische und westgotische Rechtstradition wurden schon im 5. und 6. Jahrhundert, frü her und umfänglicher als in allen anderen Germanenreichen, schriftlich fixiert (Lex Romana Visigothorum 506, Codex Euricianus zwischen 466 und 484 mit Revisionen unter den Königen Leowigild 568-586, Rekkeswind 649-672 und Erwig 680-687). Spätestens unter König Rekkeswind im Jahr 654 wurde die Gültigkeit der Lex Romana Visigothorum für das Westgotenreich aufgehoben (im inzwischen fränkisch gewordenen Süden Galliens galt sie dagegen weiter). Rekkeswinds Liber iudiciorum wurde das allein gültige Gesetzbuch für das Westgotenreich. Anders als in den anderen Germanenreich, wo das Recht personal galt, hatte das Westgotenreich von da an ein territorial gültiges Recht. Von Anfang an zeigt das Westgotenrecht und also auch Rekkeswinds Liber iudiciorum eine starke Beeinflussung durch das rö mische Recht. Dies wird z. B. in der besitz- und erbrechtlichen Stellung der Frauen deutlich, die viel stärker ist als in den anderen Germanenrechten. Dennoch müssen im alltäglichen Gewohnsheitsrecht germanisch-rechtliche Vorstellungen in großem Umfang überlebt haben, die in den hochmittelalterlichen spanischen "Fueros" dann offenkundig werden.

Italien

Das römische Vorbild führte auch im langobardischen Italien zu schriftlicher Fixierung des langobardischen Rechts, und zwar zuerst 643 unter König Rothari. Viele seiner Nachfolger haben in Form von Edikten den von ihm gelegten rechtlichen Grundstock erweitert und korrigiert. Nach der Eroberung des langobardischen Königreiches durch die Franken unter Karl d. Gr. im Jahr 774 führten die langobardischen Herzöge von Benevent diese Rechtstradition weiter. Eine stabile Königsdynastie etablierte sich im Langobardenreich stets nur für kürzere Zeit. Eine Besonderheit war die relativ starke Position der Königin. Zweimal entschied die verwitwete Königin mit ihrer Gattenwahl über die Vergabe des Königtums (Theudelinde 590 nach dem Tod Autharis: Agilulf, Gundeperga 636 nach dem Tod Arioalds: Rothari), wie auch die Heirat mit Königstöchtern für Adlige von politischem Vorteil war. Seit dem dritten Viertel des 7. Jahrhunderts war die Christianisierung der Langobarden entschieden und zwar in der römischen, nicht der arianischen Form. Die militärischen Auseinandersetzungen mit den oströmisch-byzantinischen Amtsträgern und Truppen in Italien standen neben internen Machtkonflikten für die Langobardenkönige des 7. Jahrhunderts im Vordergrund. Dabei konnte die langobardische Herrschaft bis zur ligurischen Küste (Genua) ausgedehnt werden. Zu einem förmlichen Friedensvertrag mit den Byzantinern kam es erstmals 680.

Byzantinisch blieben Venedig mit seinem kirchlichen Mittelpunkt, dem Patriarchat von Grado (in Konkurrenz zum langobardischen Aquileja), Exarchat von Ravenna und Pentapolis von der Etschmündung bis Ancona, die Landbrücke durchs Tibertal zum Dukat von Rom, die Küstenregionen von Neapel bis Salerno, der Süden von Apulien und Kalabrien, sowie die Inseln Sizilien, Sardinien und Korsika. Von wirtschaftlicher Bedeutung war, daß die wichtigen Hafenstädte der Adria, Venedig und Ancona auf Griechenland und damit auf das oströmisch-byzantinische Reich orientiert blieben, wie auch Neapel. Im Süden von Kalabrien und Apulien wie auch auf Sizilien hatte das Griechentum eine lange, ins 5. vorchristliche Jahrhundert und in die hellenistische Zeit (3.-1. Jahrhundert v. Chr.) zurückreichende Tradition.

Das oströmisch-byzantinische Reich und die arabische Expansion

Für das oströmische Reich brachte das 7. Jahrhundert entscheidende Einbrüche und Wandlungen. Daß monophysitisches und nestorianisches Christentum sich in vielen Gemeinden Ägyptens und Syriens hielt, obwohl die oströmischen Kaiser seit dem Herrschaftsbeginn Justins (518) sich für die Orthodoxie von Chalkedon einsetzten, schwächte die Bindungen dieser östlichen Provinzen an die Kaiser in Konstantinopel. Die blutige Gewaltherrschaft des Kaisers Phokas (602-610) schürte innere Unruhen. Die militärische Stärke des neupersischen Sassanidenreiches unter Chosrau II. (591-628) bewirkte unter diesen Voraussetzungen gravierende territoriale Verluste für Ostrom, die sich auch unter dem Nachfolger des Phokas, Kaiser Herakleios fortsetzten. Die Perser eroberten Armenien, Anatolien, Kappadokien, Kilikien, Syrien, Palästina und 619 sogar Ägypten. Mit ungeheurem Aufwand an Truppen und Kosten und unter Propagierung der Rückeroberung der Provinzen für die Christenheit gelang Kaiser Herakleios, nachdem er, um den Rücken frei zu haben, einen Frieden mit den Avaren erkauft hatte, zwischen 622 und 629 die Rückgewinnung der verlorenen Provinzen. Beide Kriegsgegner, das oströmische wie das neupersische Reich gerieten durch die verlustreichen Kämpfe an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Als seit 632 mit den der neuen Lehre Mohammeds anhängenden, erobernden Arabern völlig unerwartet eine neue, beide Reiche bedrohende Macht auftauchte, brachten weder das neupersische, noch das oströmische Reich die nötige Verteidigungskraft auf, sich ihnen wirkungsvoll zu widersetzen. Das neupersische Sassanidenreich wurde von den Arabern in den Jahren 633 bis 651 vollständig erobert; dem oströmischen Reich gingen im gleichen Zeitraum die Provinzen Syrien, Palä stina und Ägypten endgültig verloren. Solcherart verkleinert hat das oströmische Reich den arabischen Ansturm zwar überlebt. Unter den neuen Gegebenheiten wandelte es sich jedoch tiefgehend. Der noch für Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert prägende Gedanke römischer Restauration gehörte der Vergangenheit an. Griechische Sprache, seit hellenistischer Zeit die Verkehrssprache von Griechenland bis Ägypten, und griechische Tradition in der Gelehrsamkeit wie in der christlichen Kirche wurden nun für das oströmische Reich in noch höherem Maß prägend als zuvor: die Benennung als "Byzantinisches Reich" ( "Byzanz": der alte griechische Name für Konstantinopel) hat sich daher zurecht für die folgende Zeit durchgesetzt. Innere Veränderungen, die durch die Gebietsverluste und die nun permanente Verteidigungssituation gegen die expandierenden muslimischen Araber bedingt waren, griffen freilich erst längerfristig. Zu ihnen gehört die Nähe zwischen dem byzantinischem Kaisertum und dem Patriarchat von Konstantinopel ebenso wie die Umstellung des Heeres von einem durch Steuergelder finanzierten Berufsheer auf das durch Landbesitz entgoltene und nach neuen regionalen Organisationseinheiten (Themata) aufgebotene Stratiotenheer. Der Aufbau der Themenverfassung, der in Kleinasien begann, war freilich erst im 10. Jahrhundert abgeschlossen. Die für die frühe christliche Kirche und die Dogmendiskussion so wichtigen östlichen Patriarchate von Antiochia, Jerusalem und Alexandria verloren endgültig ihre Bedeutung unter muslimisch-arabischer Herrschaft, und auch die so lebendige christliche Kirche Nordafrikas fiel im letzten Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts der arabischen Eroberung und dem Siegeszug des Islam anheim.

Nur die wesentlichen Faktoren der Verbreitung des Islam und der arabischen Herrschaft seien hier zusammengestellt.

Mohammed, Kaufmann aus Mekka, hatte auf Handelsreisen Kenntnisse über die mosaische und christliche Religion erhalten und begann nach Offenbarungserlebnissen eine religiöse Verkündungstätigkeit in Mekka. Von dort wurde er 622 vertrieben (Hedschra: Beginn der islamischen Zeitrechnung) und setzte seine Verkündungen in Medina, einer Handels- und Oasenstadt mit etablierter jüdischer Gemeinde fort. Seine Anhängerschaft wuchs, auch wenn es ihm nicht gelang, die jüdische Gemeinde von Medina für seine Lehre, den Islam (= Ergebung in Allahs Willen) zu gewinnen. Auch in Mekka, das schon in vorislamischer Zeit mit der Kaaba ein religiöses Zentrum der arabischen Stämme war, wuchs die Anhängerschaft für die von ihm verkündete Lehre innerhalb der mächtigen Kaufmannsfamilien, so daß er 630 in die Stadt zurückkehren konnte. Bis zu seinem Tod im Jahr 632 gelang es Mohammed, die Stämme der ganzen arabischen Halbinsel für seine Lehre zu gewinnen und die Kaaba vom Götzendienst zu reinigen und als religiöses Zentrum des Islam zu etablieren. Die von ihm verkündete Lehre weist zahlreiche Berührungspunkte mit Erzählungen und Vorstellungen des Alten Testaments auf, teilt mit der mosaischen und christlichen Religion den Glauben an nur einen Gott und an von diesem entsandte Propheten, ordnet Abraham und auch Christus in die Reihe der Propheten ein, aber bezeichnet Mohammed als den Vollender aller Prophezeiungen. Berührungspunkte zwischen Judentum und Islam zeigen sich in einer Reihe von Reinheits- und Speisevorschriften; Christentum, Judentum und Islam teilen den Glauben an ein göttliches Gericht und ein Leben nach dem Tod, wenn auch mit Unterschieden. Da die Zugehörigkeit zum Islam durch die Leistung einer begrenzten Zahl ritueller Pflichten erworben wird, erklärt sich das schnelle Anwachsen der Anhängerschaft. Schon Mohammed verband religiöse und politische Führungsposition; seine Nachfolger, die Kalifen, werden den gleichen Anspruch erheben. Zu einer "Buchreligion", das heißt einem auf einer für die Glaubensgemeinschaft verbindlichen schriftlichen Überlieferung basierenden Glauben, wurde der Islam erst nach Mohammeds Tod. Erst nach seinem Tod wurde der Koran fixiert, andere mündliche Traditionen, die Sunna, ausgesondert. Um den Anspruch auf die Nachfolge Mohammeds kam es im Lauf des 7. Jahrhunderts zu blutigen Auseinandersetzungen, bei denen die Nachkommen Alis, des Schwiegersohnes Mohammeds, unterlagen (Schiiten).

Da der Kampf für die Verbreitung islamischer Herrschaft als Allah wohlgefällig galt, entwickelte die neue Glaubensgemeinschaft eine rasante Expansion. Zugute kam den kämpferischen, schnellen arabischen Reiterkriegern die Schwächung des byzantinischen Imperium und des sassanidischen Reiches. Zugute kam den erobernden, islamischen Arabern in den byzantischen Provinzen Syrien, Palästina und Ägypten auch, daß die dortigen monophysitischen und nestorianischen Christengemeinden von den Eroberern wie die orthodoxen Christen geduldet wurden, die Monophysiten und Nestorianer also weniger behelligt wurden als unter orthodox-byzantinischer Herrschaft. Die Anhänger der sogenannten "Buchreligionen", Christen jeder Ausrichtung und Juden, wurden nicht zwangsweise islamisiert, aber zur "Ungläubigensteuer" veranschlagt. Dennoch setzte schnell ein Sog der Islamisierung ein, da der Krieg, die politische Führung und die Spitzenpositionen in der Verwaltung den Muslimen vorbehalten waren. Das Arabische als heilige Sprache des Koran wurde auch Verkehrs- und Verwaltungssprache. Der südliche Mittelmeerraum wurde durch die arabischen Eroberungen aus der griechischen Sprachgemeinschaft, der er seit den Anfängen hellenistischer Zeit (3. Jahrhundert v. Chr.) zugehörte, und aus der seit dem 3. Jahrhundert (n. Chr.) hier dominierenden christlichen Oekumene gelöst.

In den zwei Jahrzehnten nach Mohammeds Tod eroberten die Araber unter den Kalifen Abu Bekr, Omar und Othman Syrien, Palästina, Ägypten und das Sassanidenreich. Dann standen die internen Auseinandersetzungen im Vordergrund. In den letzten vier Jahrzehnten des 7. Jahrhunderts unter den Kalifen Muawija und Abd Al-Malik drang die arabisch-islamische Herrschaft im Osten bis Kabul, Buchara und Samarkand, im Westen bis Nordafrika (Karthago) vor. Unter Muawija wurde Damaskus die neue Kalifenresidenz.

Zur Frage der Periodisierungsgrenze zwischen Antike und Mittelalter

Der belgische Historiker Henri Pirenne hat zunächst in einer Reihe kleinerer Schriften und dann in seinem 1935 erschienenen Buch "Mahomet et Charlemagne" (Mohammed und Karl der Große) die Meinung vertreten, daß erst mit der arabisch-islamischen Expansion des 7. Jahrhunderts die antike Mittelmeerwelt auseinandergebrochen sei und dadurch die Verlagerung des Schwerpunktes der lateinischen Welt nach Norden (Karl d. Gr.) bedingt worden sei. Die arabische Expansion, nicht die germanische Völkerwanderung stelle den eigentlichen Einschnitt zwischen Antike und Mittelalter dar. Pirenne argumentiert im wesentlichen als Wirtschaftshistoriker und aus der Sicht des Frankenreiches. Viele Einzelfaktoren, die Umstellung von Gold- auf Silberwährung, das Obsiegen der ländlichen Grundherrschaft über städtische Wirtschaftsformen, den Rückgang des von den Orientalen betriebenen Fernhandels, die Ablösung des (ägyptischen) Papyros durch das einheimische Pergament als Beschreibstoff belegt er für das Frankenreich und führt sie auf die Unterbrechung der Handelswege in den östlichen Mittelmeerraum durch die Araber zurück. Für Italien treffen all diese Argumente nicht oder nicht im gleichen Maß zu: Papyros wird in der päpstlichen Kanzlei bis in die 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts gebraucht, Syrer und Griechen stellen in Rom bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts eine Reihe von Päpsten, von einem Abbruch der Stadtkultur kann in Italien keine Rede sein, Goldwährung ist dort vor allem im Süden kontinuierlich belegt. Doch war (und ist) die These Pirennes ein fruchtbarer Anstoß, den Fragen von Kontinuität und Diskontinuität im Detail nachzugehen. Zahlreiche Einzeluntersuchungen haben den Periodisierungseinschnitt durch die germanische Völkerwanderung (wie auch durch die arabische Expansion) relativiert.

Der Zeitraum zwischen dem Ende des 3. und dem 7. Jahrhundert n. Chr. wird heute als eine Übergangsepoche gesehen, in der Grundlagen des sozialen und politischen Lebens sich allmählich veränderten. Am Ende dieser Entwicklung war das Imperium Romanum im Westen nicht mehr als politische Tatsache, aber durchaus noch in der Vorstellung von Kirchenmännern, Gelehrten und der romanischen wie germanischen Führungsschicht präsent; im Osten lebte das Imperium, verkleinert um die an die Germanen und an die Araber verlorenen Provinzen als Griechisches weiter. Wirtschaftliche Probleme bestanden im Westen schon vor und unabhängig von der germanischen Völkerwanderung. Die arabische Expansion hatte einen Rückgang, nicht aber einen Abbruch der Handelsbeziehungen zwischen westlichem und östlichem Mittelmeerraum zur Folge. Mit dem Fortschreiten des Christentums setzte zwar eine allmähliche Besserung des Sklavenstatus, nicht aber dessen Aufhebung ein. In den Germanenreichen wurde die Führungsschicht der romanischen Latifundienbesitzer nicht verdrängt, sondern stellte unter germanischen Herrschern einen konstituierenden Teil des Adels und wichtige kirchliche Amtsträger. Neu war in den Völkerwanderungsreichen (außer dem späten Westgotenreich) die Situation, daß Recht nicht auf das regnum, sondern auf die Person bezogen und abhängig von ihrer Stammesherkunft war. Schrift und Schriftlichkeit übernahmen die Germanenreiche von den Römern. Germanische Sprachen, Sagengut und Rechtsgewohnheiten wurden mündlich tradiert. Wurden Germanenrechte aufgezeichnet, dann in lateinischer Sprache. Jenseits der Grenzen des spätrömischen Imperium vollzogen sich in der Mitte und im Osten Europas entscheidende Veränderungen. Die seit dem Ende des 4. Jahrhunderts dominierende hunnische Vorherrschaft löste sich in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts auf. Aus dem Gebiet des mittleren Dnjepr wanderten nach dem Ende der hunnischen Vorherrschaft slavische Stämme nach Westen bis zur Grenze von Elbe und Saale, ins "böhmische Becken", in die Gebiete nördlich der Donau bis zum späteren "Bayerischen Wald", in Teile Pannoniens und in den gesamten Balkan, sowie nach Inner-Griechenland ein. Neben und mit den siedelnden Slaven drang das Reitervolk der Avaren vor allem in das Gebiet der Donau-Theiss-Ebene ein. Seine Anführer, die den turkvölkischen Titel "Khan" trugen, unternahmen Beutezüge und gefährdeten den Norden des Byzantinischen Reiches.

Nach den Veränderungen des 4. bis 7. Jahrhunderts sah Europa in vieler Hinsicht anders aus als in der römischen Spätantike. Das Christentum hatte sich in den Grenzen des Imperium nördlich des Mittelmeers durchgesetzt, geriet aber südlich des Mittelmeers in eine Minderheitenposition durch die islamisch-arabische Expansion. Das Griechentum und griechisch-orthodoxes Christentum, reduziert auf Griechenland, das südlichste Italien und Kleinasien, stand im Abwehrkampf gegen Slaven, Avaren und muslimische Araber. Germanische Stämme hatten zu einem beträchtlichen Teil ihre Siedlungsräume im mittleren Europa verlassen und im linksrheinischen Germanien, in den gallischen Provinzen, in Britannien, in Italien und auf der iberischen Halbinsel eigene regna begründet.


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Einleitung
Das 4. Jahrhundert
Das 5. Jahrhundert
Das 6. Jahrhundert
Das 8. Jahrhundert
Das 9. Jahrhundert
Gesellschaftliche Strukturen
Das 10. Jahrhundert
Das 11. Jahrhundert
Das 12. Jahrhundert
Gesellschaftliche StrukturenII
Die Kreuzzüge
Das 13. Jahrhundert
Das 14. Jahrhundert
Strukturen im Spätmittelalter
Das 15. Jahrhundert

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