24.01.2013

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Nr. 631

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Monitor Nr. 631 vom 01.03.2012

Griechenlandkrise:

Das Märchen vom deutschen Zahlmeister



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Bericht: Stephan Stuchlik, Kim Otto, Andreas Orth

Sonia Seymour Mikich: "Milliardenhilfe für Griechenland. Wann hört das mal endlich auf? Der Reflex ist verständlich, Deutschland will nicht für die Schulden anderer Länder einstehen. Aber - und das zeigt jetzt der Film von Stephan Stuchlik, Kim Otto und Andreas Orth - unser Land hat durchaus auch profitiert von der Euro-Krise. Wir haben nachrechnen lassen, wo und wie. Und wir wollen doch bitte etwas differenzieren, wenn uns das Märchen vom deutschen Zahlmeister aufgetischt wird."

Deutscher Bundestag am Montag. Das neue Rettungspaket für Griechenland wird verabschiedet, 130 Milliarden Euro. Unsummen, so schreiben die Zeitungen. Die Botschaft, wir überweisen ständig Geld. Große Teile der Riesensumme aber sind bisher nur Bürgschaften, die fällig würden, wenn Griechenland wirklich pleitegeht. Die Momentaufnahme sieht anders aus. Was Deutschland bis heute wirklich an Griechenland bezahlt hat, ist eine vergleichsweise geringe Summe, das gibt sogar die Bundesregierung zu - 15,2 Milliarden Euro. Kennen die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses diese Zahl?

Reporter: Was ist wirklich an Griechenland geflossen?"

Wolfgang Tiefensee, SPD-Bundestagsfraktion, Wirtschaftsausschuss: "Das müssen wir aus diesem Papier des Finanzministeriums, das vertraulich im Haushaltsausschuss vorgelegt worden ist, dann der Öffentlichkeit mal vorstellen."

Reporter: "Nach unseren Auskünften sind es 15,2 Milliarden."

Beate-Walter Rosenheimer Rechte: WDR Bild vergrößern

Beate-Walter Rosenheimer

Beate-Walter Rosenheimer, Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, Wirtschaftsausschuss: "123 Milliarden, oder?"

Reporter: "Wieviel sind wirklich überwiesen worden."

Beate-Walter Rosenheimer, Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, Wirtschaftsausschuss: "Das müsste ich jetzt ehrlich gesagt noch einmal genau nachschauen."

Reporter: " Aber real von der KFW sind 15,2 Milliarden ausgezahlt worden. Real ausgezahlt, Geld was wirklich aus Deutschland nach Griechenland geflossen sind, da sind wir erst bei 15,2 Milliarden."

Martin Lindner, FDP-Bundestagsfraktion, Wirtschaftsausschuss: "Das sind ... naja, gut. Sie dürfen natürlich nicht vergessen, neben den real ausgezahlten Geldern, das natürlich auch viele auch Unternehmen der Privatwirtschaft da mit Forderungen drin hängen, das darf man in der Gesamtbetrachtung nicht vergessen."

Die Wahrheit ist: Deutschland hat bislang noch nicht sehr viel bezahlt. Die nächste Wahrheit, Deutschland profitiert auch kräftig von der Euro-Krise. Wir sind in Nürnberg bei der Firma TenBrink, die sowohl in Griechenland als auch in Deutschland produziert. Seit Beginn der Euro-Krise profitiert ausgerechnet der deutsche Teil des Unternehmens, zur großen Freude der Mitarbeiter.

Alexander Vranesevic, Facharbeiter: "Arbeit haben wir mehr als genug, und machen Überstunden, Samstags-Arbeiten. Dementsprechend gibt es auch Gehaltserhöhungen. Also es ist echt lange her, dass wir so eine gute Arbeitslage hatten."

Sascha ten Brink, der Chef, weiß am besten, woran das liegt. Während sein griechisches Werk unter dem Sparprogramm der dortigen Regierung fast zusammenbricht, macht das deutsche Werk gute Kasse. Die Krise drückt den Euro nach unten, dadurch werden die deutschen Produkte auf dem Weltmarkt billiger.

Sascha ten Brink, Unternehmer: "Wir haben ein volles Auftragsbuch, unsere Umsatzzahlen haben sich verdoppelt. Es ist halt so, dass wir speziell durch den niedrigen Euro-Kurs erhöhte Nachfrage aus dem Ausland haben. Das heißt unsere Maschinen werden größtenteils exportiert ins Ausland, was auch zurückzuführen ist auf die Krise in Griechenland."

Hier im Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung hat Professor Gustav Horn für MONITOR untersucht, wie Deutschland durch den niedrigen Euro die Exporte steigern konnte.

Prof. Gustav Horn Rechte: WDR Bild vergrößern

Prof. Gustav Horn

Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung: "Wir haben berechnet, dass als Folge der Griechenland-Krise der Euro stark abgewertet hat. Und als Folge dieser Abwertung sind die deutschen Exporte um 50 Milliarden Euro gestiegen. Das sind 2 % vom BIP, also ein nennenswerter Betrag. Und das führt natürlich auch zu entsprechend höheren Steuereinnahmen."

Aber nicht nur beim Export profitiert Deutschland von der Euro-Krise. Hier im Trading Room der Bremer Landesbank kennt man Zahlen, die in Deutschland nur wenige zur Kenntnis nehmen wollen. Für MONITOR hat Folker Hellmeier, der Chefanalyst, die deutschen Zinsgewinne allein der letzten zwei Jahre aus der Euro-Krise errechnet.

Folker Hellmeyer Rechte: WDR Bild vergrößern

Folker Hellmeyer

Folker Hellmeyer, Chefanalyst Bremer Landesbank: "Wir haben eine sehr solide Konjunktur, wir haben eine sehr solide Staatsfinanzenlage. Und von daher flüchtet das Geld förmlich nach Deutschland aufgrund der Schwäche der anderen. Unser Zinsvorteil liegt bei konservativster Berechnung bei 45 Milliarden Euro. Wenn man das etwas sportlicher betreibt, kommen wir auf Größenordnungen Richtung 65 Milliarden Euro. Und der resultiert daraus, dass das Zinsniveau, das wir, dass der deutsche Steuerzahler zu entrichten hat, historisch niedrig ist."

Ein Zinsvorteil von 45 Milliarden Euro? Ist das im Wirtschaftsausschuss bekannt?

Reporter: "Was schätzen Sie, wie Deutschland profitiert hat im Zuge billiger Anleihen Richtung Griechenland-Krise?"

Heinz Riesenhuber, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wirtschaftsausschuss: "Ja, das sind Rechnungen. Das sind alles hier Hausnummern. Da werden hier einstellige Milliardenbeträge genannt."

Reporter: "Wie hoch schätzen Sie denn das, was Deutschland daran verdient hat bislang?"

Beate-Walter Rosenheimer, Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, Wirtschaftsausschuss: "Also das ist jetzt leider überhaupt noch gar nicht mein Fachgebiet. Da bin ich wirklich schwach. Da haben Sie mich jetzt relativ kalt erwischt."

Martin Lindner, FDP-Bundestagsfraktion, Wirtschaftsausschuss: "Nein, das weiß ich nicht. Das weiß ich nicht, weil dann müsste man ja anschauen, die gesamten letzten zwei, drei Jahre seit Beginn der Krise, was wir an Refinanzierungs-Maßnahmen hatten. Wie viel Anleihentausch wir sozusagen auch auf deutscher Seite hatten, das kann ich Ihnen nicht sagen."

Joachim Poß, SPD-Bundestagsfraktion, Finanzausschuss: "Diese Rechnungen der Volkswirte der Bremer Landesbank, die ich jetzt im Einzelnen nicht nachvollzogen habe, aber ich halte die Quelle für seriös, werden schon zutreffend sein."

In Griechenland dagegen wird nur gespart. In den mazedonischen Bergen produziert die griechische Filiale der Deutschen Firma TenBrink für den lokalen Markt, der aber ist vollständig zusammengebrochen.

Der Kontrast zum Werk in Nürnberg könnte größer nicht sein. Im Werk in Skydra arbeiteten früher 40 Angestellte, heute gibt es nur mehr 15 Arbeiter. Einer der wenigen, die von der Stammbelegschaft übrig geblieben sind, ist Kostas Zyotas. Der Schweißer arbeitet im Moment mehr als früher - für ein Geld, von dem auch in Griechenland niemand leben kann.

Kostas Zyotas, Facharbeiter (Übersetzung MONITOR): "Das Leben wird immer teurer. Mir bleiben im Moment mit meiner ganzen Arbeit 500,- € zum Leben und ich arbeite hier Vollzeit. So sehr sind die Löhne nach unten gegangen."

Keiner seiner Kunden habe noch das Geld, um Maschinen zu kaufen, sagt Chef Dimitris Sabidis, er hat Angst um sein Werk.

Dimitris Sabidis, Direktor TenBrink Hellas (Übersetzung MONITOR): "Wir brauchen ein Investitionsprogramm, damit wir hier wieder auf die Beine kommen. Allein mit Sparen ist uns nicht geholfen. Wenn ich mir nur unser Werk ansehe. Wir produzieren Maschinen, die Konservendosen herstellen, zum Beispiel für Pfirsiche. Solange hier im Land keiner mehr griechisches Obst kaufen kann, hilft uns kein Sparen."

Zusätzlich zum radikalen Spardiktat für Griechenland wäre ein Aufbauprogramm wie der Marshallplan überfällig, das Geld dazu wäre da.

Folker Hellmeyer, Chefanalyst Bremer Landesbank: "Der Marshallplan für Griechenland ist in meinen Augen zwingend geboten. Wir können es uns auch leisten, insbesondere weil Deutschland eben bisher der größte Profiteur war."

Über Investitionsprogramme wird hier aber nicht entschieden, ein Fehler, der auch Deutschland auf lange Sicht sehr teuer zu stehen kommen könnte.

Sonia Seymour Mikich: "Ein Marshallplan hat ja auch Deutschland in der Stunde Null wieder auferstehen lassen."

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Monitor - weitere Informationen zur Sendung

  • Sendetermin

    MONITOR Nr. 643

    24.01.201321:45 - 22:15 Uhrim Ersten

  • Wiederholungen

    Donnerstag, 24.01.2013
    23:30 Uhr - tagesschau24

    Freitag, 25.01.2013
    05:00 Uhr - Das Erste
    07:15 Uhr - tagesschau24
    09:15 Uhr - WDR-Fernsehen
    20:15 Uhr - tagesschau24

  • BLOG!

    Georg Restle Rechte: WDR

    1913 - 2013
    Georg Restle im MONITOR-Blog: "Soziale Fliehkräfte, nationalistischer Aufruhr, Unruhe auf dem Balkan - und mittendrin das wilhelminische Deutsche Reich auf dem Kriegspfad: Das war Europa vor hundert Jahren, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Niemand ahnte damals, welch blutige Metzelei dem Kontinent bevor stand. Und hundert Jahre später?" [mitbloggen]

  • Meinung

    Jakob Augstein Rechte: WDR

    Georg Restle auf Facebook: Augstein ein Antisemit?
    Ausgerechnet Augstein! Die Behauptung des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Jakob Augstein sei ein Antisemit der Kategorie Ahmadinedschad macht mich fassungslos. Seine Kritik an Israels Regierung, an der Isolierung des Gaza-Streifens und der völkerrechtwidrigen Siedlungspolitik hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Wer dies behauptet, verniedlicht die wahren Antisemiten im braunen Gewand und gießt Öl ins Feuer der latenten Judenhasser. Die fühlen sich jetzt bestätigt in ihrer verlogenen Kritik an der israelischen Regierungspolitik. Diejenigen, die jetzt wieder ihr „Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen-Credo“ herauskramen. Zu denen gehört Augstein ganz sicher nicht. Wer Journalisten wie ihn mundtot machen will, will sich außerhalb jeder Kritik stellen. Er outet sich als lupenreiner Antidemokrat und Freiheitsfeind. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum kann das nicht beabsichtigt haben. Für all jene, die diese Entscheidung jetzt verteidigen, gilt dies dagegen umso mehr!

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