Jagdszene am Außenfries Andlau/Elsaß
Jagdszene am Außenfries des Klosters Andlau/Elsaß. Andlau wurde von
Karls III. Ehefrau Richgard um 885 gestiftet. Dorthin zog sie sich zurück,
nachdem sie des Ehebruchs angeklagt worden war.
Die Jagd war der bevorzugte Adelssport.
Eine Lanze als Jagdwaffe und ein Hund als Jagdbegleiter sind dargestellt.

Das 9. Jahrhundert

Das Frankenreich

Die Kaiserkrönung (ob auch eine Salbung erfolgte, ist unsicher) Karls des Großen durch Papst Leo III. in Rom bewirkte neue Aktivitäten des so Ausgezeichneten: er saß in Rom über die Gegner des Papstes zu Gericht, entwickelte nach seiner Rückkehr ins fränkische Kerngebiet verstärkte Initiativen zur Aufzeichnung der Rechte (leges) der verschiedenen Stämme oder Völker seines Herrschaftsbereichs und forderte von allen Freien einen neuen Treueid auf sich als Kaiser ein; die neue offizielle Kaisertitulatur, die er in seinen Urkunden fortan benutzte, wurde im Frühjahr 801 auf der Rückreise durch Norditalien festgelegt. Sie war dreiteilig, nahm an erster Stelle den umfänglichen, ausgefeilten spätrömisch-christlichen Kaisertitel auf, wie er seit dem 6. Jahrhundert in Italien nachweisbar ist, strich den Titel patricius Romanorum, aber behielt die Nennung des fränkischen und langobardischen Königstitels bei. Franken und Langobarden sollten nach dem Verständnis Karls weiterhin als Stützen seiner Herrscherstellung betont werden. Verhandlungen mit Byzanz wurden aufgenommen, gestalteten sich aber schwierig wegen der haüfigen Herrscherwechsel im Osten (802 Sturz der Kaiserin Irene durch Nikephoros, 811 Tod der Kaiser Nikephoros und Staurakios nacheinander und Erhebung des Michael I., 813 dessen Tod und Erhebung Leons V.), wegen des Anspruchs der Byzantiner auf das allein rechtmäßige römische Kaisertum, wegen Protokollfragen und schließlich auch wegen militärischer Auseinandersetzungen in Venetien. Erst 812 erfolgte die förmliche Anerkennung Karls als Kaiser durch Byzanz.

Ein Problem anderer Dimension schuf die Übernahme des Kaisertums für die Nachfolgeregelung. Das Recht aller vom Vater als legitim angesehener Söhne auf die Beteiligung an der Nachfolge hatte eine lange, jedoch nicht durchgängige, fränkische Tradition bei Merowingern und Karolingern. Die Verdrängung von Anspruchsberechtigten (z. B. Grifo oder die Söhne des Hausmeiers Karlmann und des Königs Karlmann) war überdies oft genug praktiziert worden. Karl d. Gr. selbst hatte seinen erstgeborenen Sohn Pippin (den Buckligen) aus der Nachfolge gedrängt. Die 781 zu Königen gekrönten und gesalbten Kleinkinder Pippin und Ludwig, die er für Italien und Aquitanien als Unterkönige etablierte, repräsentierten in diesen beiden Gebieten mit eigenständiger politischer Tradition das Königshaus und gewährleisteten mit den ihnen zur Seite gestellten Beratern eine direktere Kontrolle. Wie beide jedoch dem ältesten Sohn Karl zugeordnet werden sollten, der allein in der permanenten Nähe des Vaters verblieb, wurde offen gelassen. Auf einer Reichsversammlung ließ der Vater 806, zu einem Zeitpunkt also als die Verhandlungen mit Byzanz wegen des Kaisertums noch nicht abgeschlossen waren, eine vorsorgliche Nachfolgeregelung von den Großen billigen. Sie sah eine etwa gleichgewichtige Teilung der Herrschaft zwischen den Söhnen Karl, Pippin und Ludwig vor, reservierte dem Ältesten, Karl, das Kerngebiet zwischen Loire und Rhein mit Sachsen, erweiterte den Herrschaftsbereich der beiden jüngeren über die Unterkönigreiche hinaus und unterstellte den Schutz Roms und des Papstes allen drei Söhnen. Für die nächste Generation war die Alternative der Nachfolge jeweils eines Sohnes mit Zustimmung der Großen in jedem der drei Teilreiche aber auch des Anwachsens der Herrschaftsbereiche der überlebenden Brüder auf Kosten des verstorbenen eröffnet, jedoch keine weitere Teilung der drei Reiche mehr vorgesehen. Der Nachfolgeplan von 806 wurde durch den Tod der beiden älteren Söhne Karl und Pippin vor dem Vater überholt.

Zum Herbst 813 berief Karl eine Reichsversammlung nach Aachen, die der Nachfolge und Mitkaisererhebung Ludwigs von Aquitanien zustimmte. Italien blieb als Unterkönigreich unter Bernhard, dem Sohn des verstorbenen Pippin, erhalten. Die Mitkaisererhebung erfolgte in Aachen durch Krönung durch den Vater oder Selbstkrönung und in Anlehnung an das Vorbild byzantinischer Mitkaisererhebungen, jedenfalls ohne Mitwirkung des Papstes oder der Stadtrömer. Danach wurde Ludwig nach Aquitanien zurückgesandt, Karl behielt sich also weiterhin die Gesamtherrschaft vor. Nach dem Tod des alten Kaisers im Januar 814 zog Ludwig ( "der Fromme") nach Aachen. Die dortige Hofumgebung war ihm wenig vertraut, hatte er in Aquitanien doch eine eigene Hofhaltung gehabt, deren Angehörige nun am Aachener Hof eine Minderheit darstellten. Darin mag eine Ursache für die Verbannung einiger engerer und entfernterer Familienangehöriger vom Hof liegen (Ludwigs Schwestern, seine illegitimen Halbbrüder), vielleicht auch in einer rigoroseren Frömmigkeit. Stark war der Einfluß des Abtes Benedikt von Aniane (gestorben 821), der westgotischer Abstammung war und in seinem aquitanischen Kloster ein strenges, auf benediktinischer Grundlage reformiertes Klosterleben eingeführt hatte; nach diesem Vorbild wurden andere fränkische Klö ster reformiert. Auch die Kleriker an Bischofskirchen sollten, ohne wie die Mönche auf Eigentum zu verzichten, regulierte (einer Regel unterworfene) geistliche Gemeinschaften (Kanoniker) bilden. Synodalbeschlüsse von 816 hielten für Kloster- und Kanonikergemeinschaften die Reformen fest. Anläßlich eines Besuches Papst Stephans IV. ließ sich Ludwig vom Papst noch einmal in Reims krönen. Dem Nachfolger Stephans, Paschalis I., bestätigte der Kaiser ein Jahr später Besitz und Rechte im patrimonium Petri; dies ist die erste überlieferte Karolingerurkunde über den "Kirchenstaat", der seit 756 nach und nach konstituiert worden war. Schon 817 berief Ludwig eine Reichsversammlung nach Aachen, um seine Nachfolge zu regeln: alle drei legitimen Söhne wurden berücksichtigt, aber so, daß dem ältesten (Lothar) das Mitkaisertum übertragen und er als senior mit dem alleinigen Recht zur Kriegführung und zu Kontakten mit auswärtigen Gesandtenüber seine jüngeren Brüder gesetzt wurde, die Aquitanien (Pippin) und Bayern (Ludwig) als Unterkönigreiche erhalten sollten. Ausdrücklich hob der Beschluß auf die Reichseinheit ab. Das regnum Italien sollte Lothar unterstehen; Bernhard von Italien wurde nicht erwähnt. Dies mag der Grund für kriegerische Handlungen gewesen sein, die 818 zur Gefangennahme, Blendung und schließlich zum Tod Bernhards führten. Das harte Vorgehen des Hauptkaisers gegen Familienangehö rige und gegen die Berater Bernhards hatte offenbar Kritik zur Folge, die Ludwig 821 zur Rücknahme einiger Maßnahmen veranlaßte. So konnten z. B. seine inzwischen dem geistlichen Stand angehörigen Halbbrüder an den Hof zurückkehren. Nach seiner Verwitwung 818 hatte Ludwig schnell erneut geheiratet. Sein Sohn Karl aus dieser zweiten Ehe mit Judith, die dem Adelshaus der Welfen entstammte, wurde 823 geboren. Den Mitkaiser Lothar, den Ludwig bislang in seiner Umgebung behalten hatte, sandte er 822 nach Italien; dieser wurde vom Papst noch einmal in Rom gekrönt. 824 nahm der junge Kaiser die Hinrichtung zweier fränkischer Beauftragter in Rom zum Anlaß einer Neuregelung von päpstlichen und kaiserlichen Rechten im Kirchenstaat, die dem Kaiser die Kontrolle über die Richter (iudices) und einen Treueid des Papstes zwischen dessen Wahl und Weihe reservierte.

Ludwigs und Judiths Absicht, ihrem Sohn Karl einen Anteil an der Herrschaft in der Nachfolge des Vaters zu sichern, führte in den folgenden Jahren zu tiefen Erschütterungen des Karolingerreiches. Außerdem wurde die Unvereinbarkeit von Reichseinheit und Überordnung Lothars mit dem Eigenständigkeitsstreben und den Herrschaftserweiterungswünschen seiner jüngeren Brüder offensichtlich. Die anderthalb Jahrzehnte zwischen 829 und 843 waren sowohl wegen der inneren Kämpfe als auch wegen der einsetzenden Wikinger- bzw. Normanneneinfälle eine chaotische und für die innere Ordnung zerstörerische Zeit. Kaiser Ludwig hat zu seinen Lebzeiten (er starb 840) die Regelung von 817 achtmal umgestoßen. Zeitweise verbündeten sich alle drei Söhne aus erster Ehe gegen ihn, teils schlossen die jüngeren Söhne mit dem Vater Bündnisse gegen Lothar. 833 mußte Ludwig sogar auf seine Herrschaft verzichten, Buße leisten und wurde ebenso wie seine Frau Judith in ein Kloster eingewiesen, konnte seine Herrschaft aber schon 835 wiederherstellen. Auch der Tod Pippins von Aquitanien 838 brachte keine Beruhigung, da er Söhne und Anhänger hinterließ. Nach dem Tod Ludwigs 840 setzten die beiden überlebenden jüngeren Halbbrüder, Ludwig und Karl, den Kampf gegen den älteren, den Kaiser Lothar, fort. Die innerkarolingischen Auseinandersetzungen zwangen den Adel zu immer neuen, widerrufenden oder ergänzenden Treueidleistungen, disqualifizierten die Eidesbindung, veranlaßten Parteinahmen, die mit Besitzeinbußen des über Streubesitz verfügenden Reichsadels in den regna des bekämpften Königs, mit Besitzkonzentration im regnum des unterstützten Königs verbunden waren, verursachten Probleme für die Kirchenordnung (Absetzung des Erzbischofs Ebo von Reims 835, der sich 833 gegen Kaiser Ludwig gestellt hatte), für das Kirchengut, das gern zur Belohnung von Anhängern verwendet wurde: kurz die Kämpfe bewirkten Menschenverluste, Verwüstungen, eine Schwächung des auf Kirchenschutz orientierten Königsgedankens und des Kaisertums. Das 842 zwischen Ludwig ( "dem Deutschen") und Karl ( "dem Kahlen") in Straßburg gegen Lothar geschlossene Bündnis, beeideten die Halbbrüder nicht nur im Angesicht des jeweils anderen Heeres in dessen Sprache, sondern beider Heere wurden in den Vertrag durch die Eidesleistung in der jeweils eigenen Sprache miteinbezogen, daß sie ihren jeweiligen Kö nig mit allen Mitteln am Bruch des Bündnisses hindern würden. Die vier Eidesformeln sind uns vom Geschichtsschreiber Nithard, einem (illegitimen) Enkel Karls des Großen über dessen Tochter Berta, in altfranzösischer und althochdeutscher Sprache überliefert. Die politische Stärke des Heeres, das heißt seiner adligen Anführer wird dabei ebenso evident wie ein Jahr später, 843, als der Adel mit den Vorbereitungen zur Reichsteilung die Initiative zur Beendigung der Kriegssituation an sich brachte. Eine Adelsdelegation bereiste das ganze Frankenreich, erstellte eine descriptio, das heißt eine Aufzeichnung des Königsgutes und der herrscherlichen Rechte, und erarbeitete auf dieser Basis einen Teilungsplan in ein West-, Mittel- und Ostreich (im Unterschied zu allen früheren Teilungen eine vertikale Partitionierung), der allen Karolingern, auch dem ostfränkischen Ludwig dem Deutschen (mit dem linksrheinischen Mittelrheinraum um Ingelheim, Worms und Speyer) einen Anteil am fränkischen Siedlungsraum, am alten karolingischen Herkunftsgebiet und am fränkischen Kö nigsgut sicherte. Lothar übernahm das Mittelreich mit Aachen und Rom, wahrte den Kaisertitel und vom Mittelreich aus die Einflußmöglichkeiten auf die beiden Außenreiche. Das westfränkische Reich Karls des Kahlen und das ostfränkische Reich Ludwigs des Deutschen waren in jeder Hinsicht selbständige Reiche ohne Unterordnung unter den Kaiser Lothar. Die Vorstellung von einem gesamtfränkischen Reich versuchte Lothar durch Treffen mit den Brüdern in den folgenden Jahren mit wenig Erfolg aufrecht zu erhalten.

Immer drängender wurden die äußeren Gefahren. Skandinavier, Wikinger - die fränkischen Quellen nennen sie Dänen und Normannen (=Nordmänner) -, zu denen seit langem vor allem von Friesland (Rheinmündungsgebiet) aus Handelsverbindungen bestanden, nutzten die inneren Wirren zu Einfällen ins Frankenreich, denen kein oder kaum Widerstand entgegen gesetzt wurde. In Gruppen unter verschiedenen Führern überfielen Wikinger die Handelsorte Dorestad in Friesland (834), Quentovic an der Kanalküste (842), Hamburg (845) und rückten auf Toulouse (844) und Paris (845) vor. Lothar belehnte 841 zwei dänische Anführer mit Friesland, das bis 885 unter dänischer Herrschaft blieb. Von Friesland und von den ihnen überlassenen sogenannten Winterlagern (Regionen, in denen die seefahrterfahrenen Krieger überwinterten) aus unternahmen die heidnischen, mittlerweile berittenen beute- und abenteuergewohnten Kämpfer dann in der guten Jahreszeit neue Plünderungszüge. Außer Tributzahlungen hatten die uneinigen karolingischen Könige ihnen wenig entgegen zu setzen. Nur einzelne Adlige waren gelegentlich erfolgreich. Seit 865 verlagerten sich die Wikingereinfälle stärker nach England. Erst nach dem Sieg Alfreds "des Großen" über sie 878 setzten ab 879 bis zum Anfang der 90iger Jahre die Einfälle auf dem Festland wieder mit verstärkter Wucht ein.

Der Mittelmeerraum wurde unterdessen Schauplatz einer erneuten muslimischen Expansion. Waren die Balearen seit Anfang des 9. Jahrhunderts bereits vom muslimischen Spanien her erobert worden, so begann vom muslimischen Nordafrika aus 827 die "sarazenische" Eroberung Siziliens. Die Städte im Westen und Norden der Insel (Palermo 831) gewannen die Sarazenen als erste, die im Osten (Syrakus 878) hielten sich am längsten gegen sie. Schon 838 setzten sarazenische Überfälle auf das süditalienische Festland ein (Tarent, Brindisi, Bari), wo langobardische Fürsten, das byzantinische Reich und der Karolinger Ludwig II., Lothars I. ältester Sohn, durchaus divergierende Interessen hatten. 846 und 849 erfolgten sarazenische Überfälle auf Ostia und Rom. Im provenzalischen Hinterland nistete sich 888 eine Sarazenengruppe in der Bergfestung Fraxinetum ein, von wo aus ihre Nachfahren bis zur Rückeroberung durch christliche Adlige der Provence 975 das westliche Alpenvorland plünderten. Teile Sardiniens und Korsikas gerieten unter die Herrschaft sarazenischer Piraten. Eine allgemeine Verunsicherung der Seefahrt im westlichen Mittelmeerraum war die Folge. Von Ägypten aus wurde 826 Kreta von Arabern erobert und blieb trotz mehrfacher, verlustreicher byzantinischer Militärexpeditionen bis 961 unter muslimischer Herrschaft. Von dort aus unternahmen arabische Piraten Kriegs- und Beutezüge im östlichen Mittelmeerraum.

Nach der Teilung des Frankenreiches von 843 kehrte Kaiser Lothar nicht mehr nach Italien zurück. Fränkische, alamannische und bayerische Adelsfamilien hatten sich vor allem unter Lothar in den 30iger Jahren in Friaul, Teilen der Lombardei, im Piemont um Asti, in der Toskana um Lucca und in Mittelitalien um Spoleto als Amtsträger der Karolinger etabliert. Einige von ihnen, die Markgrafen von Friaul und die Grafen von Parma, gewannen über Heiratsversippung mit dem Königshaus oder wie die Herzöge von Spoleto aufgrund ihrer ungebremsten Eigenmächtigkeiten eine weitgehend selbständige Stellung. Kaiser Lothars ältester Sohn Ludwig (II.) war vielleicht noch vom Großvater 839, sicher vom Vater 840 zum König erhoben und nach Italien entsandt worden. Der Papst krönte ihn auf Geheiß des Vaters Lothar 844 zum König "der Langobarden" und 850 in Rom zum Kaiser. Damit war das Kaisertum, wie sich herausstellen sollte, an die Krönung in Rom durch den Papst gebunden. Die Herrschaft im regnum Langobardorum (Norditalien) wurde zur Voraussetzung des Kaisertums, was jedoch nicht immer mit einer förmlichen Krönung zum König der Langobarden einherging. Kaisertum war nicht mehr mit einer Oberherrschaft über die anderen fränkischen Könige verbunden. Daß Ludwig II. mit dem byzantinischen Kaiser Basileios I. Kontakt aufnahm und in einem Brief an diesen 871 den römischen Charakter der eigenen Kaiserwürde und deren herausragende Stellung betonte, geschah auf dem Hintergrund der Sarazenenabwehr, die gemeinsame Interessen und auseinanderstrebende Rivalitäten gleichermaßen zutage gefördert hatte. Die Päpste konnten sich nicht nur ihren Einfluß auf die Vergabe des Kaisertums sichern, mit Nikolaus I. (858-867) saß Mitte des 9. Jahrhunderts auch ein gelehrter und von guten Beratern unterstützter, entschiedener Wahrer päpstlicher Vorrangansprüche auf dem römischen Bischofsstuhl. In einem Konflikt mit dem gelehrten Patriarchen Photios von Konstantinopel beanspruchte er ebenso den päpstlichen Vorrang wie in Auseinandersetzungen um kirchenrechtliche Fragen, Absetzung von Klerikern und Eherechtsfragen, mit dem fränkischen Episkopat und den karolingischen Königen. Ludwigs II. söhneloser Tod im Jahr 875 eröffnete einen innerkarolingischen Machtkampf um Norditalien, aus dem zunächst der westfränkische König Karl der Kahle, nach dessen Tod (877) der jüngste Sohn Ludwigs des Deutschen, Karl von Schwaben, als Sieger hervorgingen. Beide wurden nacheinander 876 und 881 auch vom Papst zu Kaisern gekrönt. Der Sturz Karls III. 887 eröffnete in Italien die Rivalität um Königs- und Kaiserwürde zwischen zwei fränkischen Hochadeligen, Berengar von Friaul und Wido, sowie seinem Sohn Lambert von Spoleto. Das Ansehen des Kaisertums verfiel vollständig und die Papsteinsetzung geriet in den letzten Jahren des 9. Jahrhunderts zunehmend in die Abhängigkeit von stadtrömischen Adelsfamilien.

Lothars I. ältester Sohn Ludwig II. war schon zu Lebzeiten des Vaters faktischer Regent Italiens, König und seit 850 auch Kaiser. An seiner tatsächlichen Stellung änderte sich durch den Tod des Vaters 855 nichts. Dagegen traten die beiden jüngeren Söhne Lothars I. erst mit dem Tod des Vaters in ihre jeweiligen Herrschaftsrechte ein, Lothar II. in dem nach ihm als regnum Lotharii, Lotharingien, benannten Mittelreich zwischen Friesland und dem Schweizer Jura, im Westen etwa begrenzt durch die Flußläufe von Schelde, Maas und Saône, im Osten teilweise durch den Rhein (abgesehen von der mittelrheinischen Ausbuchtung des Reiches Ludwigs des Deutschen in den linksrheinischen Raum hinein), der jüngste Karl in Teilen Burgunds und der Provence. Nach dessen Tod (863) teilten sich die älteren Brüder Ludwig II. und Lothar II. dieses Reich. Lothars II. Herrschaftszeit war bestimmt durch den sogenannten "lotharischen Ehestreit", auf den wir im nächsten Kapitel (Soziale Strukturen im früheren Mittelalter) zurückkommen werden. Da es ihm zeitlebens nicht gelang, die Ehe mit seiner kinderlosen Frau Theutberga lösen und die Verbindung mit Waldrada legitimieren zu lassen, aus der Kinder - auch ein Sohn - hervorgegangen waren, war die Nachfolge bei seinem Tod 869 offen, und die beiden Onkel, Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche, konnten sich zunächst das regnum Lotharii teilen (870), bis die ostfränkischen Karolinger es 880 ganz gewinnen konnten.

Der Herrschaftsschwerpunkt des ostfränkischen Karolingers Ludwig des Deutschen lag in Bayern. Regensburg ist seine hauptsächliche Residenzpfalz neben den Pfalzen im Rhein-Main-Raum Frankfurt und Worms. Sowohl im Westfrankenreich (858) als auch im regnum Lotharii griffen er bzw. seine Söhne militärisch ein. In zwei Schritten wurde das regnum Lotharii 870 und 880 Bestandteil des ostfränkischen Reiches. Außerdem bestimmten Kämpfe mit dem Mährerfürsten Rastislaw und dessen Neffen Svatopluk die Regierungszeit Ludwigs des Deutschen und die seiner Söhne. Die bayerische Siedlung wurde in Richtung Kärnten und Steiermark nach Osten vorgeschoben und traf hier wie auch nördlich der Donau auf westslavische Siedler. Die Mährerfürsten hatten einen auch die Böhmen umfassenden großen slavischen Herrschaftsverband aufgebaut, wobei der genaue Umfang des Mährerreiches in den ostfränkischen und byzantinischen Quellen unterschiedlich beschrieben wird und auch in der heutigen Forschung strittig ist. Rastislaw war Christ wie offenbar auch ein beträchtlicher Teil seines Volkes und auch der Böhmen. Er sperrte sich jedoch gegen eine Mission von Bayern aus, weil er die Unabhängigkeit seines Reiches wahren wollte und forderte stattdessen Missionare aus dem byzantinischen Reich an (s. dazu den folgenden Abschnitt). Ludwig der Deutsche bereitete schon unter dem Druck seiner Söhne zu Lebzeiten die Aufteilung seiner Herrschaft unter seine drei Söhne vor. Dabei zeigte sich, daß im Ostreich der Zusammenhalt der alten Stämme der Wanderzeit, der Sachsen, Ostfranken, Alamannen und Bayern trotz Beseitigung der älteren Herzogsherrschaften durch die Karolinger des 8. Jahrhunderts so fest war, daß die Teilkönigreiche der Söhne auf diesen aufbauten: Karlmann, der älteste, erhielt Bayern, Ludwig "der Jüngere" Sachsen und (Main-)Franken, Karl, der jüngste, Alamannien. Die Bewahrung der Stammes- oder Volksrechte unter den fränkischen Kö nigen hat zweifellos zur Aufrechterhaltung des inneren Zusammenhalts dieser Stämme beigetragen. Der jüngste, Karl, konnte schließlich seine beiden Brüder beerben und vereinigte seit 882 das ganze Ostfrankenreich in seiner Hand; überdies war er, wie wir schon gesehen haben, seit 880 Herr Italiens und seit 881 Kaiser. 884 boten ihm Adlige des Westfrankenreiches, wie gleich zu erläutern ist, die Königswürde im Westreich an. Für kurze drei Jahre vereinigte er so noch einmal das gesamte Reich Karls des Großen in seiner Hand. Den Schwierigkeiten, vor allem den Normanneneinfällen, war er nicht gewachsen; Krankheit kam hinzu. 887 stürzten ihn Adelsgruppen des Ostreiches und erhoben statt seiner Arnolf, den nicht voll legitimen Sohn seines verstorbenen Bruders Karlmann, zum König. Karl III. starb 888. Das Westfrankenreich, Burgund und Italien gingen nun definitiv eigene Wege. Arnolf hat zwar einen nominellen Vorrang gewahrt, auch noch einmal in Italien eingegriffen und sich 896 in Rom vom Papst zum Kaiser krönen lassen. Mit seinem Abzug und mit seiner einsetzenden Krankheit brachen jedoch all diese Ambitionen zusammen. Arnolf starb 899. Seine nicht legitimen Söhne Ratolf und Zwentibold hatte er an der Herrschaft beteiligt, aber sein legitimer Sohn Ludwig "das Kind", beim Tod des Vaters sechs Jahre alt, überlebte beide und vereinigte ihre Anteile in seiner Hand. Er starb 911 ohne Kinder zu hinterlassen. Damit erlosch die ostfränkische Linie der Karolinger.

Die Schwäche der karolingischen Könige bewirkte in allen Teilen des Reiches eine zunehmende Stärke der Großvasallen. Dies geschah im Ostfrankenreich auf der Ebene der "Stämme", zuerst Sachsen und Bayern, dann Schwaben und Franken. Adelsfamilien, die ihren Aufstieg aus Grafenpositionen nahmen, konnten sich in den Stammesgebieten dynastisch etablieren. Als militärische Führer der Stämme (duces) kämpften sie gegen äußere Feinde (Slaven, Ungarn), banden die Grafen an sich, förderten Klöster. Diese jüngeren (weil es im Karolingerreich aufgestiegene Familien sind) Stammesherzöge schoben sich als Mediatgewalten zwischen den ostfränkischen König und die Grafen. Eine entsprechende Entwicklung fand auch im Westfrankenreich statt, jedoch nicht auf der Grundlage alter Stämme, die es dort so nicht gab, sondern auf der Grundlage traditionell verbundener Räume (Aquitanien, Burgund, Bretagne, Normandie) oder anwachsender Großgrafschaften.

Der westfränkische König Karl der Kahle hatte 843 den romanischen Reichsteil übernommen. Eine einheitliche Hochsprache gab es dort freilich noch lange nicht, vielmehr verschiedene romanische Idiome. Darüber dürfen auch die beiden "altfranzösischen" Straßburger Eide nicht hinwegtäuschen. Auch die beiden in Straßburg geschworenen "althochdeutschen" Eide verbürgen noch keine gemeinsame Hochsprache der Stämme östlich des Rheins. Im Osten wie im Westen war die Entstehung neuer historisch-politischer Gebilde, des mittelalterlichen Frankreich und des mittelalterlichen deutschen Reiches ein allmählicher Vorgang. Kennzeichnete die ältere französische Forschung Karl den Kahlen noch ganz selbstverständlich als "roi de France" (wie die deutsche Forschung den ostfränkischen Ludwig als "den Deutschen"), so ist man heute vorsichtiger. Der Name Francia begegnet im 9. Jahrhundert zunehmend für den Zentralraum um Seine, untere Marne, Oise und Aisne, in dem das meiste Königsgut der Frankenkönige (Merowinger und dann Karolinger) und wichtige Klöster lagen. Der Adel südlich der Loire, in Burgund und im Rhônetal war sehr selbständig. In Aquitanien mußte sich Karl der Kahle erst mühsam und langsam gegen Ansprüche der Söhne seines 838 verstorbenen Halbbruders Pippin durchsetzen. Noch ehe dies geschafft war, setzten die Wikingereinfälle ein, die das Westreich besonders hart trafen. Über die Flußläufe von Seine, Loire und Garonne drangen die plündernden Nordmänner weit ins Innere ein. Erst als diese seit den 60iger Jahren ihre Beutezüge stärker auf England konzentrierten, konnte Karl Aktivitäten in Lotharingien und in Italien entwickeln. Bei allen Problemen kam ihm aber in seinem Westreich die stärker entwickelte Schriftlichkeit, ein in den hohen Rängen gut geschulter Klerus, wie insgesamt eine intensivere römische Tradition zugute. Reichsversammlungen des Westreichs wurden regelmäßig protokolliert, die Kapitulariensetzung überlebte bis zu den Enkeln Karls, Krönungsordnungen sind erhalten, Erzbischof Hincmar von Reims (gestorben 882) verfaßte für einen Enkel Karls seine Schrift über die Ordnung von Königshof und Reich (De ordine palatii) und die im Umkreis Karls gepflegte Königsvorstellung ist uns gut bezeugt. Theologische Diskussion vollzog sich mit Ausnahme des Sachsen Gottschalk und des Abtes Hrabanus Maurus von Fulda überwiegend im Westreich. Aus westfränkischen Klöstern stammen die meisten Güterverzeichnisse (s. folgendes Kapitel).

Die Bestrebungen Karls des Kahlen, die Lösung der Ehe seines Neffen Lothar II. zu verhindern, waren zwar erfolgreich, nicht jedoch sein Versuch, sich nach Lothars II. Tod 869 dessen gesamtes regnum zu sichern. Auch der in Kämpfen mit den ostfränkischen Karolingern 870 behauptete Westteil des regnum Lotharii ging 880 verloren. Ebenso blieb der Gewinn der Kaiserwürde 876 durch Karl den Kahlen ohne Folgen für die westfränkische Karolingerlinie. Von seinen vier Söhnen hatte Karl zu seinen Lebzeiten nur die beiden ältesten mit der Königswürde ausgestattet. Der Zweitälteste erhielt Aquitanien als Unterkönigreich. Er rebellierte gegen den Vater ebenso wie der Älteste, der die Königswürde beanspruchte. Da der Zweitälteste früh starb, folgte der Älteste, Ludwig der Stammler als Unterkönig in Aquitanien und wurde vom Vater für die Gesamtnachfolge vorgesehen, die er nach dem Tod des Vaters 877 antrat. Seine kurze Regierungszeit (er starb schon 879) war von Kämpfen mit mächtigen Adligen, vor allem dem Grafen Boso von Vienne, überschattet. Boso, mit einer Tochter des 875 verstorbenen Kaisers Ludwig II. verheiratet, konnte die unsichere Nachfolgesituation beim Tod Ludwigs des Stammlers zur Errichtung einer eigenen Königsherrschaft in Niederburgund/Provence mit Zentrum Vienne nutzen. Dies war das erste Königtum eines Nichtkarolingers im Frankenreich. Das Königreich Niederburgund/Provence bestand als selbständige Einheit bis 926.

Die Söhne Ludwigs des Stammlers aus seiner ersten, später gelösten Ehe folgten ihm beide 879 in der Königswürde. Ihr erst nach dem Tod des Vaters geborener Halbbruder (der spätere Karl "der Einfältige") war, nachdem sie nacheinander 882 und 884 gestorben waren, so jung, daß westfränkische Adlige nicht ihm, sondern dem einzigen überlebenden erwachsenen Karolinger, dem ostfränkischen König (und seit 881 Kaiser) Karl III. die westfränkische Königswürde antrugen. So kam es noch einmal zur Zusammenfassung des ganzen Karolingerreiches in der Hand Karls III. Dessen Sturz 887 und Tod 888 führte im Westfrankenreich zur Königserhebung Odos, Graf von Paris (aus der Familie der Robertiner). Mit Rudolf (Welfe) wurde in Hochburgund (Raum um den Genfer See) ein weiterer nichtkarolingischer König im Westreich erhoben. Das westliche Frankenreich löste sich in mehrere Kleinkönigreiche auf, an deren Spitze Nichtkarolinger standen, wie nichtkarolingische Könige auch miteinander um die Herrschaft in Italien rivalisierten. Nur im bei weitem größten Teil des Frankenreiches, dem Ostfrankenreich (zu dem seit 880 auch Lotharingien gehörte), gab es noch einen karolingischen König.

Die Stellung des westfränkischen Königs Odo wurde durch den jungen Karolinger Karl "den Einfältigen" in Frage gestellt, den Anhänger 893 zum König erhoben. 896/97 erkannte Odo Karls Königtum an und sicherte ihm die Nachfolge zu, die Karl dann 898 nach Odos Tod antrat.

Trotz aller innerer Wirren durch die Konflikte innerhalb der Karolingerfamilie und durch Konflikte zwischen den Königen und den Adligen und trotz der äußeren Gefahren überlebten die kulturellen Anstöße der Zeit Karls des Großen. Die Geschichtsschreibung brachte mit den beiden Biographien Ludwigs des Frommen, mit der in den einzelnen Teilreichen fortgesetzten Annalistik, mit der weltgeschichtlichen Chronik des Abtes Regino von Prüm (um nur einige Beispiele zu nennen) eine - verglichen mit den vorhergehenden Jahrhunderten - Fülle von Werken hervor. Die westfränkische Fortsetzung der Reichsannalen, die Annalen von St. Bertin, deren Verfasser Prudentius von Troyes (bis 860/61) und Hincmar von Reims hohe, fähige und dem westfränkischen Hof nahestehende kirchliche Amtsträger waren, zeichnen sich durch umfängliche Wiedergabe von Aktenmaterial aus, wie auch das Geschichtswerk Nithards, der uns die Straßburger Eide überliefert hat. Die Briefsammlungen des 9. Jahrhunderts (u. a. Lupus von Ferrières) liefern Informationen zum Alltagsleben, zu Inhalten schulischer und gelehrter Ausbildung, zu Austausch und Rezeption antiker Schriftsteller und lassen persönliche Beziehungen und die Rolle des Königshofes erkennen. Viele Handschriften mit weltlichen und kirchlichen Rechtstexten, mit Textsammlungen zur Liturgie, mit Heiligenviten und Predigtsammlungen (Homilien) entstammen dem 9. Jahrhundert.

Das byzantinische Reich und die Slaven

Der Bilderstreit, der im 8. Jahrhundert die byzantinische Kirche erschüttert hatte, lebte in der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts erneut auf. Der Kaiser Leon V. besetzte 815 das Patriarchat von Konstantinopel neu. Auf Veranlassung des Kaisers und unter Vorsitz des neuen Patriarchen kehrte eine Synode zu den - freilich abgemilderten - bilderfeindlichen Beschlüssen der Synode von 754 zurück und verwarf die bilderfreundlichen Entscheidungen des Konzils von Nikäa aus dem Jahr 787. Die beiden Nachfolger Leons V. setzten diese kirchenpolitische Richtung fort. Erst mit dem Tod des Kaisers Theophilos 842 brach der Ikonoklasmus endgültig zusammen. Obwohl so die Kirchenunion mit Rom wiederhergestellt war, hatten Ost- und Westkirche sich in der Zwischenzeit in vielen Fragen auseinandergelebt. Durch den fränkischen Einfluß auf Rom, durch die Schaffung des Kirchenstaates, durch die endgültige Latinisierung des Papsttums bekamen dessen Vorrangansprüche gegenüber dem Patriarchen von Konstantinopel ein neues Gewicht.

Die Besetzung des Patriarchenthrones in Konstantinopel war seit langem in hohem Maße vom Kaiser abhängig. Wechsel und Umstürze im Kaisertum führten häufig auch zu Absetzung und Neubesetzung des Patriarchenamtes so auch nachdem der junge Kaiser Michael III. im Jahr 856 seine Mutter Theodora und ihre Günstlinge aus der Regentschaft verdrängt hatte. Nach Absetzung des Patriarchen Ignatios, der Theodoras Herrschaft gestützt hatte, wurde 858 der gelehrte Photios zum Patriarchen erhoben. In Rom jedoch war im gleichen Jahr 858 Nikolaus I. Papst geworden, der auf seinem rechtlichen Vorrang bestand und die Erhebung des Photios als widerrechtlich ansah. Der Streit zwischen Nikolaus I. und Photios eskalierte bis zur Absetzung des Patriarchen durch eine römische Synode 863 und zum Häresievorwurf des Photios gegenüber der Westkirche, der er Irrtümer in Fragen der Liturgie und der Kirchendisziplin vorwarf. Ein erneuter politischer Umsturz, die Ermordung des Kaisers Michael III. und die Kaisererhebung des Basileios, hatte 867 die Absetzung des Photios und Wiedereinsetzung des Ignatios zur Folge. Erst nach dessen Tod 877 übernahm Photios erneut, jetzt mit Zustimmung Roms, das Patriarchenamt. Während seiner ersten Amtszeit leitete Photios die Mission bei den Chazaren und bei den slavischen Mährern ein und bestellte auch einen Missionsbischof für die Russen. Längerfristig erfolgreich war das Missionswerk der aus Thessalonike stammenden Brüder Konstantin (als Mönch Kyrill) und Methodios, die der Kaiser zunächst zu den von Judentum und Islam umworbenen Chazaren, einem Reitervolk nordöstlich des Schwarzen Meeres sandte und dann zum Mährerfürsten Rastislaw. In Mähren sollten sie ein Gegengewicht gegen die bayerische Mission und den ostfränkischen Einfluß bilden. Die beiden Brüder holten sich eine Absicherung ihres Vorgehens in Rom. Konstantin/Kyrill schuf eine auf dem griechischen Alphabeth fußende, für die Lautung des Slavischen geeignete Schriftsprache, übertrug liturgische Texte, Teile der Bibel und Heiligenleben ins Slavische und feierte die Liturgie in slavischer Sprache. Die von den ostfränkischen Karolingern, Ludwig dem Deutschen und seinem Sohn Karlmann, gegen das Mährerreich geführten Kriege waren auch mit Feindseligkeiten gegen die Mission vor allem des Methodios verbunden. Seine Anhänger wurden aus Mähren vertrieben und konzentrierten nunmehr ihre Missionsbemühungen auf Bulgarien. Bei der Bulgarenmission wurde, wie Konstantin und Methodios es in Mähren getan hatten, die slavische Sprache eingesetzt. Das Altkirchenslavische blieb das dauerhafte Ergebnis ihrer Bemühungen.

Die Mährer sind das slavische Volk, dessen Herrschaftsbildung von den ostfränkischen Quellen wahrgenommen wurde, obwohl genaue Situierung und Umfang ihres Reiches in der Forschung strittig ist. Klar ist, daß sie Teile des Donauwasserweges kontrollierten. Außer ihnen kennen die ostfränkischen Quellen eine Reihe anderer, westlich von Elbe und Saale siedelnder Stämme, darunter die Abodriten und die Sorben; böhmische Adlige erschienen schon am Hof Ludwigs des Frommen. Zu über längere Zeit stabilen Herrschaftsbildungen ist es aber damals bei diesen Slaven noch nicht gekommen. Hingegen war das Volk der Bulgaren mit seiner slavischen Bevölkerungsmasse und einer kleinen turkvölkischen, bulgarischen Adelsschicht seit dem 8. Jahrhundert südlich der Donaumündung bis zum Balkangebirge ein selbständiger und mehrfach auch streitfreudiger Nachbar des byzantinischen Reiches. Die einst oströmische Provinz Moesien war Kern des Bulgarenreiches; von dort aus fielen die Bulgaren nach Thrakien und Makedonien ein. Die Neuorganisation und Einführung der Themenverwaltung in Thrakien und Makedonien unter dem Kaiser Nikephoros I. Anfang des 9. Jahrhunderts stabilisierte die byzantinische Herrschaft in diesem Raum. Unter dem byzantinischen Kaiser Michael III. (842-867) erfochten die Byzantiner Siege, die die muslimische Expansion in Kleinasien zurückdrängten. Dies war die Voraussetzung für eine aktivere Politik auch gegenüber den Slaven, für die Missionsbemühungen bei Mährern und Russen Belege sind. Ein militärischer Aufmarsch an der bulgarisch-byzantinischen Grenze bewirkte Verhandlungsbereitschaft des Bulgarenherrschers Boris. Er ließ sich 864 taufen (der byzantinische Kaiser Michael war sein Pate) und förderte fortan die Christianisierung seines Herrschaftsbereiches. Die Opposition des altbulgarischen Adels gegen die Christianisierung beantwortete Boris-Michael mit Gewaltmaßnahmen. Die so herbeigeführte Veränderung der Führungsschicht wie auch die mit der Missionierung einhergehende Verbreitung der altkirchenslavischen Liturgiesprache verstärkten die Slavisierung der Bulgaren.

Unter wikingingischem (warägischem) Einfluß kam es längs der alten Handelsroute von der Ostsee über den Ladogasee durchs Tal des Dnjepr bis zum Schwarzen Meer zu ersten Herrschaftsbildungen, an denen Waräger und Ostslaven beteiligt waren. Kaufmannsgenossenschaften unter warägischen Gefolgsherrn eroberten in Ladoga, Nowgorod und Kiew bestehende ostslavische Herrensitze. 860 erschien erstmals eine Warägerflotte in feindlicher Absicht vor Konstantinopel. 866 entsandte der Patriarch Photios einen Missionsbischof zu den Warägern, der jedoch weitgehend erfolglos blieb. Doch ist Anfang des 10. Jahrhunderts eine christliche Kirche in Kiew bezeugt, wenn auch die Herrscher der Kiewer Rus weiterhin Heiden blieben. Der 911 zwischen den Rus und dem byzantinischen Kaiser geschlossene Handelsvertrag weist in der Zeugenliste überwiegend skandinavische Namen auf, während der 944 erneuerte Vertrag aufseiten der Rus von Trägern skandinavischer, ostslavischer, finnischer Namen beschworen wurde. Die Führungsschicht der Kiewer Rus war in der Anfangszeit ethnisch gemischt, doch verstärkte sich im 10. Jahrhundert das ostslavische Element.

Die angelsächsischen Reiche

Aus den Eroberungen der Angeln, Sachsen und Jüten im Süden und in der Mitte der britischen Insel war eine Mehrzahl von kleinen Herrschaften hervorgegangen, von denen im 7. Jahrhundert sieben, im 8. Jahrhundert nur noch vier (Wessex, Mercia, East-Anglia, Northumbria) besonders hervortreten. Die zwischen ihren Königen wechselnde Position des Bretwalda war eher ein Ehrenvorrang als eine Vorherrschaft. Zur Zeit Karls d. Gr. gebührte diese Vorrangstellung dem König Offa von Mercia. Im 9. Jahrhundert ging sie seit König Egbert (802-839) und seinen Söhnen an das Königshaus von Wessex über. Dies erwirkte Egbert durch militärische Erfolge gegen Mercia, durch die Eroberung des keltischen Cornwall, sein Sohn Aethelwulf (839-858) durch die Vertreibung des Königs von Kent und den Anschluß von Sussex, Essex und East-Anglia. Trotz der Däneneinfälle hielt Aethelwulf die Vorrangstellung. Seine (zweite) Ehe mit Judith, der Tochter des westfränkischen Königs Karl des Kahlen unterstreicht sein Ansehen. Der kulturelle Austausch zwischen dem angelsächsischen Königreich Wessex und dem Kontinent blieb weiterhin lebhaft, die Beziehungen der Könige und der Kirche Englands zu Rom blieben eng. Aethelwulf hinterließ bei seinem Tod vier Söhne aus erster Ehe, von denen der jüngste, Alfred noch nicht regierungsfähig war. Zwischen den drei älteren wurde der Herrschaftsbereich zunächst geteilt, dann aber infolge des frühen Todes der beiden älteren unter dem dritten, Aethelred (866-871), wieder vereint. In Aethelreds Königszeit verstärkten sich die Däneneinfälle. Zwar errang er Erfolge gegen sie, aber vertreiben konnte er sie nicht; vielmehr setzte eine umfänglich dänische Ansiedlung nördlich der Themse ein. Erst seinem jüngeren Bruder und Nachfolger Alfred (871-899/901) gelangen aufgrund einer Heeresreform, der Anlage von Befestigungen, eines intensivierten Flottenbaus entscheidende Siege und Abmachungen, ohne daß allerdings die Gefahr dänischer Raubzüge endgültig gebannt worden wäre. Immerhin bewahrte Alfred seine Vorherrschaft in Mercia und Wessex, trat als Förderer der Kirche hervor, sicherte den inneren Frieden durch neue Gesetze, machte seinen Hof auch durch eigene literarische Werke, Übersetzungen von Werken Gregors d. Gr., des Orosius, Boethius und Bedas ins Angelsächsische zu einem kulturellen Zentrum und regte die ebenfalls in der Volkssprache verfaßte Angelsächsische Chronik an. Dies alles hat ihm den Namen "des Großen" eingetragen.


Valid HTML 4.01!
Einleitung
Das 4. Jahrhundert
Das 5. Jahrhundert
Das 6. Jahrhundert
Das 7. Jahrhundert
Das 8. Jahrhundert
Gesellschaftliche Strukturen
Das 10. Jahrhundert
Das 11. Jahrhundert
Das 12. Jahrhundert
Gesellschaftliche StrukturenII
Die Kreuzzüge
Das 13. Jahrhundert
Das 14. Jahrhundert
Strukturen im Spätmittelalter
Das 15. Jahrhundert

Home